Nachem ich meine Bewerbung um meine Anstellung als Stadtschreiber zurückgezogen habe, nachdem man mir in schonender Weise mitgeteilt hat, daß auch dort wegen allgemeiner Überfüllung in den nächsten zehn Jahren an eine Anstellung überhaupt nicht zu denken sei, wobei ich mir denken könne, was ich wolle, was ich denn auch dachte, und indem ich fernerhin über einen niederträchtigen Stadtschreiber mich niederträchtig habe ärgern müssen, indem mir derselbe neulich einen langen Schreibebrief schickte, den ich als guter Staatsbürger auch sofort gewissenhaft beantwortete, wobei ich dann aber vergaß, in meiner wohllöblichen Antwort die angegebene Registraturnummer anzugeben, worauf mir der Mann dann in einer persönlichen Unterhaltung grob wurde, als ich ihn fragte, was mich seine Aktennummer anginge, indem er dadurch, daß er sie selber nicht mehr wisse, auf das deutlichste bewiese, daß man so etwas vergessen könne, und etwas zu vergessen, sei nicht nur entschuldbar, sondern es sei sogar unsere Pflicht, indem es doch gar nicht abzusehen wäre, wie es in unserem Gedächtnis aussehen würde, wenn wir nie etwas vergäßen, sondern alles dort drin herumtrügen, was wir jemals gehört, gelesen, erfahren oder uns sonst irgendwie geistig zu eigen gemacht haben, und indem mir fernerhin neulich von durchaus glaubwürdiger Seite mitgeteilt worden ist, daß in der Theorie zwar für den Stadtschreiber sehr schön sei, zum Fenster hinauszusehen und sich zum Philosophen zu entwickeln, während er in der Praxis beides sehr gern anderen überlassen würde, wenn er dabei ohne zu philosophieren spazieren gehen könne.
Aus diesen und aus tausend anderen Gründen habe ich mich also entschlossen, auf meine Tätigkeit als Stadtschreiber zu verzichten und habe mich um eine Anstellung als Saaldiener bei dem Königlichen Museum beworben. Denn darüber müssen wir uns doch einig sein, meine Herren, die wichtigsten Gebäude, die es überhaupt auf der Welt gibt, sind die Museen, wobei es ganz selbstverständlich ist, daß die Kasernen noch viel wichtiger sind, denn wenn es keine Kasernen gäbe, hätten wir keinen Frieden, und ohne Frieden keine Kunst, und ohne Kunst hätten wir auch keine Museen, obgleich ich mir habe sagen lassen, daß es auch Museen geben soll, die mit der Kunst absolut nichts zu tun haben.
Wie Sie alle wissen, stammt das Wort Museum aus dem Griechischen und heißt soviel wie Musenhaus, indem dort die Muse wohnt, die nicht nur sehr vielseitig sein kann, sondern es auch ist. Wobei sie in einer Hinsicht unseren modernen jungen Mädchen sehr ähnlich sieht, indem auch sie wie diese alles kann, nur nicht kochen. Je nach dem Studium, das die Muse ergriffen hat, führt sie auch ihren Namen. Wenn sie sich mit der Bildhauerei beschäftigt, nennt man sie Plastik, wenn sie sich, wie meine werte Persönlichkeit, mit dem Reden beschäftigt, heißt sie Rhetorik, aber um von vornherein gleich Mißverständnisse auszuschließen, bemerke ich, daß es auch männliche Musen gibt, wie zum Beispiel die Muse, die sich mit der Musik beschäftigt und die den Namen Musikus führt.
Also wie gesagt, es gibt die verschiedenartigsten Musen, und jede wohnt in ihrem eigenen Haus, zu dem eine große Treppe hinaufführt, und vor dieser Treppe steht immer ein großer Schutzmann, der soll aufpassen, daß die Besucher sich bei dem Besehen der nackten Nuditäten nichts Unpassendes denken, was auch sehr richtig ist und wozu in Zukunft auch meine gewichtige Persönlichkeit als Saaldiener das Ihrige beitragen wird, eingedenk des Wortes: suum cuique (jedem das Seine), was soviel heißen soll: ein jeder hat im preußischen Staate das, was er braucht, und was er sucht, findet er sofort, welche Wahrheit Sie am besten an mir ersehen, indem ich mich kaum zwölf Monate um eine feste Anstellung bewerbe und heute schon die feste Aussicht habe, als Museumsdiener angestellt zu werden. Wobei ich in erster Linie natürlich die stille Hoffnung in meinem Busen nähre, daß man mich mit Rücksicht auf meine militärische Kunstausbildung im Zeughaus anstellt, das bekanntlich seinen Namen daher hat, daß dort sehr viel Zeug ausgestellt ist, das aber gar kein altes Zeug ist. Denn ein Saaldiener muß alles wissen, was von ihm verlangt wird, nicht nur, wann die einzelnen Künstler geboren und gestorben sind, sondern auch, wann der nächste Zug nach Königsberg fährt, und wo man am besten ißt, denn die meisten Leute, die da kommen, um die Kunst zu bewundern, kommen gar nicht der Kunst wegen, sondern sie kommen nur, um zu kommen, und wenn sie da sind, freuen sie sich auf den Augenblick, wo sie stolz sind in Erinnerung, dagewesen zu sein, was man dann moderne Kunstbegeisterung nennt. In welcher Hinsicht auch ein intelligenter Museumsdiener reformatorisch wirken kann, indem er teils durch die Macht und die Schönheit seiner eigenen Persönlichkeit eine Anziehungskraft bildet, indem das Tote, das ihn umgibt, für ihn den malerischen Hintergrund abgibt, von dem er sich selbst um so wirkungsvoller abhebt. Andererseits aber auch, indem er die Leute, die schon nach kurzem Besuch wieder von dannen ziehen wollen, durch die Gewalt seines Blickes derartig bannt, daß sie wie festgewurzelt dastehen, daß sie nicht den Mut haben, fortzugehen oder sich zu entfernen, sondern sich erneut an die Bewunderung der Kunstschätze machen. Bis zu einem gewissen Grade kann also auch ein Museumsdiener der Erzieher des Volkes werden, natürlich nur insoweit, als das Volk in die Museen geht und soweit es nicht männlichen Geschlechtes ist, indem dieses schon durch seine militärische Erziehung ein für den Zivilismus vollständig ausreichendes Kunstverständnis besitzt.
Das Schwerste an der neuen Stellung, die ich nun demnächst bekleiden werde, ist die Geduld, die man mit dem Publikum haben muß, indem dieses von der ganz irrigen Ansicht ausgeht, wir wären für sie da, wohingegen die Lebenden uns gar nichts angehen, indem die Hauptsache für uns die toten Künstler sind, deren Werke wir behüten und bewahren. Nur den Toten gehören alle unsere Gedanken, was Sie schon am besten daraus ersehen können, daß die meisten Museumsdiener still in einer Ecke auf einem Stuhl sitzen. Nur Lästerzungen behaupten, daß diese Leute schlafen. Aber sie denken gar nicht daran, obgleich sie doch denken, und wenn Sie wissen wollen, was sie denken, so denken sie nach, sie bringen den Toten, wenn ich mich so ausdrücken darf, wobei ich nicht einsehe, warum ich es nicht dürfen sollte, indem wir Redefreiheit haben und alles sagen können, was wir wollen, wenn wir Mut genug haben, uns vor den Folgen nicht zu fürchten, und wenn es uns Vergnügen macht, unsere persönlichen Ansicht und Überzeugung unter Umständen mit ein paar Wochen Gefängnis zu büßen –, also ich meine, die Museumsdiener schlafen nie, sondern sie feiern eine Gedächtnisfeier, und wie schön muß es sein, täglich feiern zu können, wo wir doch nur einen offiziellen Feiertag im Jahre haben, der noch dazu in den Januar fällt, sodaß die ganze übrige Zeit des Jahres feierlos ist, sodaß wir schließlich Feiern erfinden, nur um überhaupt einmal feiern zu können. Also ich meine, schon aus diesem Grunde ist der Beruf eines Museumsdieners der feierlichste, den es gibt. Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.