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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 46 vom 7. August 1905


Krause in Zivil

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XI.
Krause über den Stadtschreiber.

Indem ich meine Bewerbung um meine Anstellung bei dem Zoll zurückgezogen habe, nachdem man mir schonend mitteilte, daß wegen Überfüllung im Laufe der nächsten Jahre an eine Anstellung nicht zu denken ist, und nachdem ich ferner vor einigen Tagen für ein Packet, das ich auch Österreich erhielt, sechs Mark Zoll bezahlen mußte, wobei ich mir das Packet gar nicht selbst bestellt hatte, sondern indem es ein sogenanntes Liebeszeichen eines alten Onkels von mir war, der mir seine Liebe besser dadurch bewiesen hätte, daß er mir sechs Mark bar Geld schickte, als indem er mich zu Ausgaben veranlaßte, die meinen Etat bedeutend überschreiten, sodaß ich meinen Lieblingswunsch, mir in Anbetracht der großen Hitze einen noch größeren Strohhut zu kaufen, bis zum nächsten Sommer habe verschieben müssen, wobei ich nur den Wunsch habe, daß ich dann noch lebe, und daß der Hut den ich mir kaufen wollte, dann noch zu haben ist, indem es ein weit verbreiteter Irrtum ist, daß nur im Leben der Frau der Hut eine Rolle spielt, was man ja schon daraus ersehen kann, daß Schiller nie den Wilhelm Tell hätte schreiben können, wenn der Landvogt nicht einen Hut getragen hätte, der eine historische Berühmtheit erlangt hat, wie noch kein einziger noch so teurer Frauenhut – aus diesen und aus tausend anderen Gründen habe ich mich entschlossen, den Stand der Zollbeamten ohne meine werte Persönlichkeit glücklich sein zu lassen, einmal, weil ich eine sehr schöne Handschrift habe, dann aber auch, weil ich von meiner militärischen Dienstzeit her, als ich einmal vorübergehend den erkrankten Feldwebel vier Tage vertrat, in der Erledingung schriftlicher Arbeiten eine nicht gewöhnliche Erfahrung besitze. Wobei ich den Leuten absolut nicht recht geben kann, die da behaupten, ein Schreiber wäre schon deshalb auf der Welt überflüssig, weil die ganze Schreiberei überflüssig sei, und wobei ich auch jenen, wenigstens geistig noch teilweise vernünftigen Menschen widerspreche, die da sagen, es würde in keinem anderen Land der Welt so viel Papier unnötig vollgeschrieben, wie bei uns. Was nach meiner Meinung nur auf die Schriftsteller seine Richtigkeit hat, indem diese allerdings jeden Bogen, den sie unter die Finger bekommen, vollschreiben, und das, was sie dann geschrieben haben, als sogenanntes geistiges Produkt bezeichnen, wobei das, was die Meisten schreiben, mit dem, was man den geistigen Geist nennt, nicht die entfernteste Ähnlichkeit hat, wohingegen sie selbst allen Ernstes behaupten, von der Muse geküßt worden zu sein, was sie wohl nur deshalb sagen, weil sie sonst kein Mensch küßt und wobei der Kuß der Muse natürlich auch gar kein wirklicher Kuß war, indem noch kein Mensch die Muse gesehen hat, weil sie ja nur in der Einbildung existiert, was ja schon daraus hervorgeht, daß ihr in Berlin noch kein Denkmal gesetzt worden ist.

Also, ich meine, nur die Leute, die das Schreiben gar nicht nötig haben, schreiben so viel, wohingegen die Leute, die zum Schreiben verpflichtet sind, gar nicht genug schreiben können, wofür ich nur als Beweis anführe, daß die meisten Schreiber bogenweise bezahlt werden und schon möglichst viel schreiben müssen, um überhaupt leben zu können, denn wenn der Bogen zehn Pfennige bringt, und einer auch nur hundert Mark Steuern bezahlen muß, so muß er schon tausend Bogen vollschreiben, nur um den Beweis zu erbringen, daß er ein guter Staatsbürger ist. Man hat behauptet, da bei uns so viel geschrieben würde, würde bei uns auch viel Unnötiges geschrieben, was ich aber nicht unterschreiben kann. Nichts auf der Welt ist unzuverlässiger, als unser Gedächtnis, indem diesem nur zu leicht die wichtigsten Tatsachen und die wichtigsten Daten entschwinden, sodaß Sie mich trotz der mir innewohnenden Bildung totschlagen können, wenn ich Ihnen sagen soll, wann das Richard-Wagner-Denkmal enthüllt wurde, oder wann die Russen den letzten Sieg über die Japaner errungen haben. In den Akten steht alles, und alles, was in den Akten steht, steht auf den Aktendeckeln, und alles, was auf den Aktendeckeln steht, steht im Aktenbuch, und alles, was im Aktenbuch steht, steht im Registerbuch. Bei uns wird kein Wort unnütz geschrieben, denn alles wird aufbewahrt bis in die spätesten Zeiten als ein Stück Kultur- und Sittengeschichte und als ein Beweis preußischen Fleißes und preußischer Gewissenhaftigkeit.

Davon aber ganz abgesehen, ist der Beruf eines staatlich angestellten Schreibers ein sehr interessanter. Von der großen Abwechslung, die darin besteht, daß er erst den einen Bogen vollschreibt und dann den anderen, und dann wieder einen anderen, daß er bald auf weißem, bald auf gelbem Papier schreibt, bald mit einer spitzen Feder, bald mit einer breiten, also ich meine, von den zahllosen Zerstreuungen, die allein die mechanische Tätigkeit des Schreibers mit sich bringt, will ich gar nicht sprechen, auch nicht davon, daß er bald ein Komma, bald einen Punkt macht, bald einen Buchstaben klein schreibt, und bald einen großen Anfangsbuchstaben mit künstlerischer Hand entwirft. Ich denke vielmehr an das, w a s er schreibt. Täglich kommen neue Anfragen und infolgedessen sind immer neue Antworten nötig, oder man stellt selbst Anfragen und lebt dann voller Neugier, wie die Antwort ausfallen wird, bald schreibt man an hohe Vorgesetzte höflich und devot mit der Versicherung unbegrenzter Hochachtung und Verehrung, dann aber setzt man sich auch mal wieder auf das hohe Pferd und macht einem Untertan, der es wagt, wider die hohe Obrigkeit den Stachel zu löcken, derartig den Standpunkt klar, daß der jede weitere Opposition aufgibt und ein gehorsamer Untertan wird.

Kurz und klein, ich könnte noch stundenlang reden und würde heute gar nicht dazu kommen, meinen mir angeborenen Durst, über den sich schon meine Amme beklagt haben soll, zu stillen, wenn ich Ihnen alle Vorzüge der Tätigkeit eines Stadtschreibers aufzählen sollte. Dazu kommt das Gehalt, mit dem man bei bescheidenen Ansprüchen sogar Ersparnisse machen kann, wenn man sparsam veranlagt ist und wenig Bedürfnisse hat. Und vor allen Dingen ist es ein Beruf, der die Gesundheit so gut wie gar nicht angreift. Man ist den Witterungseinflüssen nicht ausgesetzt, man sitzt den ganzen Tag im Zimmer und läßt sich im Sommer von der Sonne, im Winter vom warmen Ofen bescheinen. Man lebt, und was die Hauptsache ist, man erlebt nichts, nichts bringt einen Schreiber aus seiner inneren Ruhe, glücklich und zufrieden sitzt er an seinem Pult und sagt sich, wozu regt Ihr Euch heute über dies und morgen über jenes auf ? Ihr Toren. Ich schreibe jetzt diesen Bogen voll, dann einen anderen, dann noch einen, und dann noch 'nen anderen und wieder 'nen anderen. Was kümmert mich die Welt ? So wird der Schreiber ein Philosoph, der mit ironischem Lächeln die Welt und ihr Getriebe verachtet und erst, wer soweit ist, daß ihm die Welt und die ganze Menschheit gestohlen werden kann, erst der ist wahrhaft glücklich.

Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause. Und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts