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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 45 vom 31. Juli 1905


Krause in Zivil

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

X.
Krause über den Zoll.

Indem ich meine Bewerbung um meine Anstellung als Geldbriefträger zurückgezogen habe, nachdem mir in schonendster Weise mitgeteilt worden ist, daß infolge von Überfüllung auf eine Anstellung in den nächsten Jahren nicht zu rechnen ist, und indem ich neulich den Besuch des mit heißester Ungeduld erwarteten Geldbriefträgers erhielt, bei welcher Gelegenheit ich den Mann mit einer Festlichkeit bewirten wollte, als wäre er der Schah von Persien, und ich der Kalif von Bagdad, der bekanntlich von einem mir unbekannten Komponisten in Musik gesetzt worden ist, was nicht jeder Mensch von sich behaupten kann, was auch immerhin sein Gutes hat, indem es auch komponierte Menschen gibt, die nicht allzu viel taugen sollen, wobei ich Sie zwar nicht an den Postillon von Longjumeau erinnere, wohl aber an den Roland von Berlin, der aus Italien zu uns kam und der jetzt, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, in Berlin ein Kabarett aufgemacht hat, was soviel bedeutet, wie Klimperkasten, – also ich meine, nachdem ich kürzlich den Geldbriefträger in meine sehnsüchtig ausgereckten Arme schloß, bis ich zu spät einsah, daß ich meine Gunst an einen Unwürdigen verschenkte, indem der Mann mir anstatt einer Postanweisung über hundert Mark einen Postauftrag über zweihundertfünfzig Mark überreichte, den ich natürlich nicht annahm, weil ich zur Annahme nicht verpflichtet war, also aus diesen und aus tausend anderen Gründen habe ich eingesehen, daß auch der Beruf des Geldpostboten seine Schattenseiten hat, die nur der beurteilen kann, der in demselben wandelte.

So habe ich mich denn bei der Zollbehörde gemeldet, wobei ich der Offenherzigkeit die Wahrheit gebe und eingestehe, daß mir gerade diese Behörde bisher am wenigsten sympathisch war, womit ich natürlich kein schlechtes Licht auf die Zollbeamten, sondern vielmehr auf mein eigenes Ich werfen will, indem mir die Bedeutung des Zolles früher nicht klar war, was sich aber gänzlich geändert hat, seitdem ich neulich mal ein leichtfaßliches Buch gelesen habe "Bismarck und der Zollanschluß". Wer und was Bismarck war, wissen Sie ja Alle, sonst können Sie es ja auf jeder Photographie sehen, und unter Zollanschluß versteht man, was ich früher selber nicht gewußt habe, den Anschluß an den Zoll, und seitdem mir das klar ist, betrachte ich meine zukünftigen Berufskollegen mit ganz anderen Augen, indem ich sie früher nur scheel anblickte, weil ich glaubte, sie beständen nur aus Chikane und es machte ihnen ein persönliches Vergnügen, auf den Grenzstationen in den Koffern herumzuspionieren, bis ich durch das schon erwähnte Buch dahintergekommen bin, daß gerade diese Zollrevisionen Deutschland zu dem gemacht haben, was es heute ist, dem indirekten Beschützer Marokkos und dem Freunde Japans und Rußlands, denn der Zollanschluß hat das ganze Deutsch Reich zu einem einzigen großen Staat gemacht, wobei es uns nicht stören darf, daß es auch noch viele kleine Staaten gibt, die gewissermaßen nur dazu dienen, durch ihre Kleinheit zu zeigen, wie groß der große Staat ist.

Was nun das Zollwesen selbst betrifft, so ist dasselbe hervorgegangen aus einer dem Menschen angeborenen schlechten Eigenschaft, nämlich dem Schmuggeln, was darin besteht, daß man erklärt, man hat nichts, und man hat doch was, wobei man dann naturgemäß immer das hat, was man nicht haben soll, während man doch sonst im Leben gerade das, was man haben soll, nicht hat. Das Wort Schmuggeln stammt von den Schmugglern her, die an den verschiedenen Grenzen leben und deren Tätigkeit darin besteht, die verbotenen Grenzen zu überschreiten, und damit die verschiedensten Dinge, die aber alle ebenso wie die Grenze verboten sind, hinüberzubringen, was ihnen sehr häufig das Leben kostet, woraus sie sich aber nicht viel machen, weil sie ja doch nur ein Leben auf's Spiel setzen, das sowieso nicht viel wert ist. Denn das Schmuggeln ist aller Anfang Laster, wobei ich mit Stolz an meine Brust schlagen kann, denn ich habe noch nie geschmuggelt, schon deshalb nicht, weil ich noch nie über die Grenze meines Vaterlandes hinausgekommen bin, wobei ich auch garnicht einsehe, was man in den andern Ländern will, denn so schön, wie bei uns, ist es nirgends, und wenn der Papst in Berlin lebte und das Kolosseum unter den Linden stände, würde es keinem Menschen mehr einfallen, von Italien zu schwärmen.

Um aber auf den Zoll zurückzukommen, so bedarf es nicht erst der besonderen Erwähnung, daß derselbe gar nicht existieren könnte, wenn es keinen Zoll gäbe. Je mehr Geld in die Staatskasse fließt, umso besser, und aus diesem Grunde muß der Zollbeamte in erster Linie jene Tugend besitzen, die den preußischen Beamten von je her ausgezeichnet hat, die der Kleinlichkeit. Vor allem aber muß er in jedem Reisenden einen Betrüger erblicken, der die Absicht hat, den Staat zu schädigen, und er darf dessen Versicherungen und Beteuerungen nicht glauben. Er darf das Wort "Rücksicht" nicht kennen; ohne auf die Klage zu hören, muß er, wenn ihm ein Koffer verdächtig erscheint (und einem pflichtgetreuen Beamten erscheint jeder Koffer verdächtig), von oben bis unten durchwühlen und durchsuchen und es muß ihm ganz gleichgültig sein, ob Wäsche oder Toiletten dabei ruiniert werden, und wenn Flaschen entzwei gehen und im Koffer ausfließen, so muß ihn das nicht nur ganz kalt lassen, sondern er muß die Flüssigkeit auch noch daraufhin untersuchen, ob sie nicht eine verbotene ist. Gewiß kann es einmal vorkommen, daß ein Reisender seine Kofferschlüssel vergißt oder verliert, aber es wäre eine grobe Pflichtwidrigkeit von dem Beamten, zu glauben, daß die Schlüssel zufällig verloren oder vergessen sind. Er muß den Koffer aufbrechen lassen, und wenn der Reisende darüber den Zug versäumt, so ist es sehr viel wichtiger, daß der Beamte erfährt, daß in dem Koffer wirklich keine verzollbaren Sachen waren, als daß der Reisende rechtzeitig zum Begräbnis seiner Erbtante kommt, wobei er noch gewissermaßen ein moralisch gutes Werk tut, indem er den Neffen daran verhindert, falsche Tränen zu weinen, die er nie weinen würde, wenn die Tante ihm nichts vermacht hätte.

Der preußische Zollbeamte ist mit Recht wegen seiner Gewissenhaftigkeit gefürchtet und verschrieen, wohingegen die Zollbeamten, namentlich an der russischen Grenze, sehr beliebt sind, weil sie die Angewohnheit haben, beide Augen möglichst weit zu und beide Hände möglichst weit offen zu machen, was nur derjenige gut heißen kann, der entweder ein schuldbeladenes Gewissen oder einen schuldbeladenen Koffer hat, oder derjenige, der so wenig russenfreundlich ist, daß er diesem armen, unter der Last des Krieges seufzenden Staate einen Bruchteil der zur Fortsetzung des Krieges nötigen Mittel entziehen will. Wobei es ganz gerechtfertigt ist, daß es auch Reisende gibt, die keinem Zollzwang unterworfen sind, ebenso wie es Personen gibt, die keine Steuern bezahlen, was ich zwar auch noch nicht getan habe, aber nicht, weil ich steuerfrei bin, sondern nur, weil ich so frei war, die Steuern noch nicht zu bezahlen. In welcher Hinsicht sich die Steuern ganz erheblich von dem Zoll unterscheiden, den man gleich bezahlen muß, und das hat sein sehr Gutes, denn was man gleich bezahlt, braucht man später nicht zu bezahlen.

Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts