Nimm mich mit
für 5 Pfennig

Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 42 vom 10. Juli 1905


Krause in Zivil

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

VIII.
Krause über den Eisenbahnschaffner.

Indem ich meine Bewerbung als Gefängnisaufseher zurückgezogen habe, nachdem mir mitgeteilt, worden ist, daß an eine Anstellung in den nächsten zehn Jahren nicht zu denken ist, und nachdem ich bei einem Besuch im Gefängnis beinahe selbst in das Gefängnis gekommen wäre, weil ich jemand sein sollte, der ich gar nicht bin, und weil man es für die größte Frechheit hielt, daß ich mich als Gefängniswärter meldete, wo man mich schon seit Jahren als Raubmörder suchte. Aus diesen und vielen anderen Gründen habe ich davon Abstand genommen, die Gefangenen zu bewachen, und ich habe mich jetzt um eine Anstellung bei der Eisenbahn beworben.

Denn das, meine Herren, müssen Sie einsehen, selbst wenn Sie gar nicht wollen, der wichtigste Mann auf der Welt ist der Bahnbeamte. Heutzutage kann man ohne alles leben, man kann alles entbehren, wenn es sein muß, sogar die Arbeit, nur eins nciht: das Reisen, besonders in der jetzigen Zeit nicht, die man die Reisezeit nennt, weil in dieser Zeit alles reist, dann aber auch, weil in dieser Zeit die Zeit selbst auf Reisen ist, indem man gar nichts von ihr weiß, nicht einmal den Wochentag, geschweige denn ihre Ereignisse. Das Reisen ist heutzutage Modesache, und diejenigen Leute, die am wenigsten Geld haben, reisen am meisten, einmal, weil sie es den Reichen gleich tun wollen, dann aber auch, weil sie behaupten, auf Reisen billiger zu leben, als zu Haus, was natürlich ein Unsinn ist, denn wenn der eigene Haushalt teurer wäre als ein Hotel, dann würden die Hotelwirte ja dadurch reiche Leute werden, daß sie ihr Geschäft aufgeben und einen eigenen Haushalt gründen, was ich Ihnen natürlich als Produkt reiflichster Überlegung unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit anvertraue, denn als zukünftiger Eisenbahnbeamter ist es meine Pflicht, keinen Reisenden aufzuhalten, im Gegenteil, ich muß versuchen, meiner vorgesetzten Behörde möglichst große Einnahmen zu verschaffen, und aus diesem Grunde meine ich, daß auch Sie, meine Herren, es sich einmal überlegen sollten, ob Sie nicht in die Sommerfrische reisen wollen, wobei ich Ihr augenblickliches Kopfschütteln nicht allzu tragisch nehme, indem schon mancher erst schüttelte, der später doch nickte, was ich von meiner militärischen Dienstzeit her noch genau weiß.

Was nun das Reisen selbst betrifft, so sagt schon der Dichter: "Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Welches Wort aber ganz veraltet ist, indem es jetzt keinen Flecken auf der Welt mehr gibt, wohin nicht Menschen kommen, und wo sie sich nicht damit abquälen, Ansichtspostkarten zu schreiben. Das Reisen ist schön, zum Vergnügen zu reisen ist noch schöner, in Geschäften zu reisen das Schönste, wobei ich weniger an den Geschäftsreisenden denke, als an den, den ganz allein die Pflicht auf Reisen schickt. Und bei keinem ist sies doch wohl so der Fall, als bei dem Bahnbeamten, er mag wollen oder nicht, er muß fahren, er braucht im Gegensatz zu allen anderen nie auf den Zug zu warten, sondern der wartet auf ihn, der Zug ist immer für ihn da, er braucht sich nie wie die Anderen den Kopf darüber zu zerbrechen, soll ich mit dem Schnellzug 8 20 oder mit dem Personenzug 6 55 fahren, er braucht sich nicht erst zu überlegen: fährst Du nach dem Norden oder nach dem Süden, nach Osten oder nach Westen. Und vor allen Dingen, meine Herren, er ist der Einzige, den das Reisen nichts kostet, nein, er bekommt nach dafür, daß er mitfährt, bezahlt. Er braucht nicht eine halbe Stunde und länger im fürchterlichsten Gedränge vor dem Billettschalter zu stehen und das Geld abgezählt bereit zu halten. Und zu dem Vergnügen, die Herrlichkeiten der Welt gratis und franko bewundern zu dürfen, gesellt sich noch eins: das glückliche Gefühl, durch die eigene Reise erst den Anderen die Möglichkeit, reisen zu können, zu gewähren, denn ohne Schaffner gäbe es keine Züge, und ohne Züge keine Reisende.

Und noch so vieles Andere hat ein Schaffner vor den Anderen voraus: wie häufig hört man nicht klagen über überfüllte Coupés, über schlechte Gesellschaft oder über den Mangel an Unterhaltung. Für den Schaffner fällt das alles fort. Und wo er auch immer ankommt, für ihn ist die Stätte bereit, er braucht kein Hotel aufzusuchen, keine Trinkgelder zu geben, kurz, kein Fürst reist so billig und bequem wie er. Und dazu die Annehmlichkeit, immer andere Gegenden kennen zu lernen. Allerdings bei der Klingelbahn entbehrt es ja nicht einer gewissen Eintönigkeit, beständig zwischen denselben Stationen hin und her zu fahren, aber auch das hat seine Reize, man kann Studien machen, wie die verschiedenen Ortschaften an den verschiedenen Wochen- und Feiertagen aussehen, und auch die Menschen lernt man besser kennen, ein täglicher Verkehr bahnt sich an, man schließt Freundschaft mit den Beamten, mit den Landleuten, die auf derselben Strecke fahren, ja, man gewinnt nicht nur die Menschen, sondern auch das Vieh lieb. Man kennt schließlich jedes Huhn, das in den Gärten herumläuft, jedes Schaf und jede Kuh auf der Weide, und wenn eines Tages eines derselben fehlt, empfindet man fast eine Trauer, als wäre ein guter Bekannter gestorben.

Und noch eins darf ich nicht vergessen, das sind die Milchkannen, die auf solchen Zügen befördert werden. Man zählt sie nach, sind es mehr als gewöhnlich, so freut man sich über den Aufschwung, den die Landwirtschaft genommen hat, sind es weniger, so wird man traurig gestimmt. Von dem Wohlergehen der Landwirtschaft ist aber das Wohl des ganzen Staates abhängig, wer also für die Landwirtschaft Interesse gewinnt, wird somit ein guter Staatsbürger, und als solcher steht er hochgeachtet und hoch angesehen in der ganzen Welt da, und wenn seine Stunde dann gekommen ist und wenn er Glück hat, dann bekommt er später seinen Orden, damit er selbst und damit auch die Anderen wissen, wer er ist.

Sie sehen also, meine Herren, kaum ein anderer Beruf ist so vielseitig, kaum ein anderer ist imstande, unsere verschiedensten Interessen so zu wecken und zu fördern. Ein Bahnbeamter wird gewissermaßen Kosmopolitaner, was soviel heißt wie: meine Heimat ist die Welt; er klebt nicht ängstlich an der Scholle, er geht nicht unter in den spießbürgerlichen Ansichten seiner Heimat, sein Blick weitet sich, der Verkehr mit den Menschen vermehrt seine Kenntnisse, er lernt fremde Länder, fremde Sitten kennen,, und wenn er Talent dazu hat, lernt er auch fremde Sprachen. Wohingegen derjenige, der auf einer Klingelbahn täglich dieselbe Strecke fährt, mit seiner Heimat auf das strengste verwächst und ein treuer Sohn seiner Heimat bleibt, bis ihn eines Tages die heimatliche Erde deckt. Und selbst im Grabe hat er dann noch seine Freude, wenn er das Pfeifen seines Zuges hört, denn das erinnert ihn daran, wie oft er bei Lebzeiten anderen Leuten etwas pfiff, und das ist tausendmal schöner, als sich von anderen etwas pfeifen zu lassen.

Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



zu Krause's Seite

© Karlheinz Everts