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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 41 vom 3. Juli 1905


Krause in Zivil

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

VII.
Krause über das Gefängniswesen.

Indem ich auch meine letzte Bewerbung um meine Anstellung als Gerichtsvollzieher habe zurückziehen müssen, weil man mir mitgeteilt hat, daß wegen Überfüllung für die nächsten Jahre absolut keine Aussicht auf diesen Posten sei, wobei ich mir aber die bescheidene Anfrage erlauben möchte, was mich der schönste Zivilversorgungsschein nützt, wenn ich auf wohldenselben hin nicht verstaatlicht werde und bei meinem Anklopfen nur solche Türen finde, die sich von anderen Türen dadurch unterscheiden, daß sie sich selbst dann nicht öffnen, wenn man in die an ihnen eigens zu diesem Zwecke angebrachten Ritzen heimlich und verstohlen, wie sich das mit Rücksicht auf den verschwiegenen Ort, den sie dem Blick der Welt entziehen, auch versteht, ein Zehnpfennigstück hineinwirft, wobei ich der Hoffnung Ausdruck gebe, daß es Ihnen gelungen ist, diesem meinem zwar ganz klaren, aber in seiner Ausdrucksweise doch immerhin etwas verwickelten Gedankenfluge zu folgen. Wie soll der Mensch leben, wenn er nicht geboren ist, und wovon soll er leben, wenn er nichts zum Leben hat ? Ich habe mir neulich ein jetzt viel gelesenes Buch gekauft "Arbeite ohne zu verzagen", und ich kann Ihnen nur sagen, ich bin auch nicht verzagt, schon deshalb nicht, weil ich keine Arbeit habe. Um diesem Zustande ein Ende zu machen, habe ich mich also jetzt um eine Anstellung bei dem Strafgefängnis als Aufseher beworben, wobei ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen brauche, daß auf meine Entschlüsse der leider nicht zu Ende geführte Prozeß über die Vorkommnisse in Plötzensee nicht ohne geistige Nachwirkung geblieben ist. Zwar lese ich nie Zivilprozesse, und so weiß ich auch gar nicht, um was es sich in diesem Prozeß handelte, aber so viel ist mir in meiner klaren Denkungsweise doch klar geworden, daß an dem dortigen Organismus irgend etwas krank sein soll. Und, meine Herren, wenn an einem Organismus irgend etwas nicht in Ordnung ist, dann liegt das immer an den Organen, das können Sie mir glauben, auch wenn ich kein Arzt bin, denn etwas verstehe ich auch von der Medizin, was schon daraus klar hervorgeht, daß ich in meiner früheren Dienstperiode so manchen krummen Kerl, der zur Untersuchung zum Arzt wollte, durch die Macht meiner Persönlichkeit wieder gesund machte.

Um also auf den Faden der Ariadne zurückzukommen, ich sage also: es soll etwas an dem Organismus nicht in Ordnung sein, und das wichtigste Organ für den dortigen Organismus ist selbstverständlich der Gefängnisaufseher, denn der ist beinahe so wichtig, wie die Gefangenen selbst, obgleich wir auch die natürlich nicht entbehren können, denn wozu haben wir Gefängnisse, wenn sie nicht voll sind, und wozu gibt es Gesetzesparagraphen, wenn es nicht auch zugleich Menschen gibt, die sie übertreten.

Zunächst habe ich mich natürlich gefragt, bist du deiner neuen Stellung auch gewachsen ? Und ich habe mit einem lauten, vernehmlichen "Ja" geantwortet, schon deshalb, weil es keine Stellung gibt, der ich mich nicht gewachsen fühle. Die Hauptsache für meinen neuen Beruf ist das Herz. Ich habe zwar nach Aussage meines Hausarztes nicht nur ein Fettherz, sondern auch ein verfettetes Herz, aber ich habe außerdem ein Kinderherz und, was noch viel mehr wert ist, unter Umständen auch ein unerbittliches Herz. Wenn es die Pflicht befiehlt, rührt mich kein Jammer, nicht 'mal der eigne, wenn ich am Tage vorher auch noch so viel getrunken habe, wobei ich gleich bemerke, daß ich nie zu viel trinken kann, weil ich ein viel zu großes Fassungsvermögen habe. Und selbst, wenn ich ein mitleidiges Herz hätte, überall wäre es vielleicht angebracht, nur nicht als Gefangenenaufseher, denn ein jeder zieht selbst seine Karre entweder in den Dreck oder auf den hohen Berg, und wer im Gefängnis sitzt, ist selbst daran schuld und braucht kein Mitleid. Es gibt keine unschuldig Verurteilten und es gibt niemanden, die das Gesetz auch nur um die geringste Kleinigkeit zu streng bestraft hätte. Wenn Sie einmal bei einem Gerichtsgebäude vorbeigegangen sind, so werden Sie dort die Wage der Gerechtigkeit gesehen haben, und diese Wage steht mit verbundenen Augen da, was soviel bedeuten soll, daß sie blind ist und nicht sehen kann: vor ihr sind alle Menschen gleich. Und wenn man bestraft, dann soll man gleich ordentlich bestrafen, niemals aber freisprechen, denn wohin sollte es führen, wenn alle Schuldigen mit dem sogenannten blauen Auge davonkämen. Da brauchten wir bald gar keine Gefängniswärter mehr, und gerade diese Stellung ist für uns Zivilanwärter sehr wichtig, denn da können wir bei freier Wohnung und freier Feuerung ein Gehalt beziehen, bei dem wir zwar keine großen Sprünge machen können, aber bei dem wir doch immerhin vor Freude darüber springen können, daß wir soviel haben, wobei wir bekanntlich nie nach oben, sondern immer nach unten blicken sollen, schon deshalb, weil die sogenannten oberen Zehntausend sehr häufig noch viel weniger haben als die unteren, indem sie weit über ihre Verhältnisse leben, Schulden machen und ihren Kredit in Anspruch nehmen, was wir schon deshalb nicht tun, weil wir keinen haben. Was ich sehr ungerecht finde, und wobei ich mir die Bemerkung erlaube, daß ich zwar gegen die Güterverteilung bin, aber in einem etwaigen Zukunftsstaate für eine gleichmäßige Verteilung des Kredits stimmen werde, denn in mancher Weise sind wir doch nun einmal alle gleich, was ja auch schon daraus hervorgeht, daß hinter den Gefängnismauern alle gleich sind, und was in der abgeschlossenen Welt der Fall ist, muß doch in der öffentlichen Öffentlichkeit erst recht sein. Ich wenigstens werde, wenn ich erst Gefängnisaufseher bin, keinen Unterschied zwischen den Gefangenen machen, und ich werde die Frau, die ihren Kindern zuliebe Brot stahl und Diebin wurde, mit derselben Strenge behandeln, wie den, der ihm anvertraute Gelder unterschlug, denn wenn der Mensch Hunger hat, soll er nach dem bekannten Wort des, wegen seiner Weisheit berühmten Fürsten Serenissimus nicht stehlen, sondern arbeiten, wohingegen ein Mensch, der sehr häufig nichts zu tun hat, sehr oft, um etwas zu tun, etwas tut, was er nicht tun sollte.

Womit ich bewiesen habe, daß den Reichen lediglich der Hang zur Arbeit zum Verbrecher machte, die Frau dagegen ganz allein der Hang zur Faulheit. Trotzdem aber werde ich den "Bankier", wenn er die Ehre hat, unter meiner Aufsicht zu sitzen, genau so sitzen lassen, wie jeden anderen, und ihm keine Sitzerleichterung verschaffen. Überhaupt werde ich unbestechlich sein, wie sich das von einem früheren preußischen Sergeanten ganz von selbst versteht, nur einmal habe ich eine Kiste Zigarren angenommen, und die war anonym, und ich habe sie nur aufgeraucht, weil ich nicht jeden Tag durch den Anblick der vollen Kiste daran erinnert werden wollte, daß jemand den Versuch gemacht hatte, mich zu bestechen. So werde ich als Gefängniswärter auch sein, ich werde meine Pflicht tun wie nur einer.

Das sage ich, der ehemalige Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts