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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 34 vom 15. Mai 1905


Krause in Zivil

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

IV.
Krause über die Große Elektrische.

Indem ich meine Bewerbung um eine Anstellung bei der Polizei zurückgezogen habe, nachdem man mich in schonendster Weise darauf aufmerksam machte, es ständen so viele Bewerber auf der Liste, daß an eine Anstellung in den nächsten Jahren überhaupt nicht zu denken wäre, und indem sich bei näherer Betrachtung auch die finanziellen und dienstlichen Verhältnisse der Polizei gar nicht so günstig erwiesen haben, wie die Vorgesetzten sie schildern, aus diesen und aus tausend anderen Gründen habe ich mich entschlossen, mich bei der Großen Elektrischen zu melden. Es ist dies allerdings in mehr als einer Hinsicht ein Beruf, bei dem man, obgleich man angestellt ist, den ganzen Tag auf der Straße liegt, wo sonst eigentlich nur diejenigen liegen, die keine Anstellung haben, wobei ich mit Bedauern bemerke, daß Sie meinen Kalauer, den ich mir soeben gestattete, gar nicht begriffen, also ich meine, wir müssen uns darüber einig sein: das Wichtigste, was es auf der Welt gibt, ist die Straßenbahn. Viele sagen allerdings: die Kanäle, aber darüber muß ich mich doch erst näher informieren und werde Ihnen dann meine geschätzte Meinung über diesen Punkt nicht länger vornethalten, also ich meine, viel wichtiger, als die öffentliche Meinung, die sich oft irrt, ist die öffentliche Straßenbahnverbindung, wobei es einerlei ist, ob diese mittels Pferden oder mittels der bekannten Elektrizität geschieht.

Also was ich sagen wollte, ich werde versuchen, eine Anstellung als Kontrolleur bei der elektrischen Bahn zu erlangen, wobei ich mir die Schwierigkeiten nicht verhehle, die sich meinem Vorhaben entgegenstellen. Zunächst müßte ich den Dienst praktisch kennen lernen, aber die geistigen Kenntnisse, die dazu gehören, sind ja nur gering und kommen für einen Mann von meinen Begabungen nicht in Betracht. Viel schwieriger aber sind zwei andere Dinge: das tagelange Stehen auf dem Perron, und vor allen Dingen die Engelsgeduld, die man mit dem Publikum im allgemeinen und den weiblichen Fahrgästen im besonderen haben muß. Und mit der Geduld hat es bei mir immer gehapert. Auch die Bezahlung ist dort verhältnismäßig gering, weshalb ich von meinem jetzigen Standpunkt, sowohl in der Theorie wie in der Praxis, sehr dagegen bin, daß plötzlich alle Strecken den Einheitspreis von zehn Pfennigen haben, indem dadurch für die armen Beamten noch weniger Trinkgelder abfallen als früher, und weil ich eigentlich der Ansicht bin, daß große Gesellschaften ihre Angestellten so bezahlen müßten, daß diese nicht nur auf kein Trinkgeld angewiesen wären, sondern daß diese ein Trinkgeld als persönliche Beleidigung ihres gutbesoldeten Geldbeutels auffaßten.

Ehe ich mich entschlossen habe, der Stadt meine Dienste für die elektrische Bahn zur Verfügung zu stellen, habe ich mir natürlich alles in meinem innersten Busen reiflich überlegt und habe mir nicht verschwiegen, daß ich bei Ergreifung des neuen Berufes, wenn auch nicht gerade ein Nachtwandler, so doch immerhin ein Nachtfahrer werde, indem die Elektrischen jetzt nicht nur bis spät in die Nacht hinein fahren, sondern die ganze Nacht hindurch. Wobei ich mich nur freue, daß ich nicht verheiratet bin, indem man als Angestellter einer elektrischen Bahn sich mit jedem elektrischen Funken weiter von dem Herzensfunken der Seinigen entfernt und nie zu Hause ist, wenn man nicht gerade einen dienstfreien Tag hat, den man aber auch nicht dazu benutzt, um zu Hause zu sein, sondern um endlich einmal auszugehen. Auch sonst hat der Beruf seine großen Schattenseiten. Davon, wie oft einem Angestellten der Elektrischen im Laufe eines einzigen Tages auf die Füße getreten wird, will ich gar nicht sprechen. Ein Bekannter von mir, der Schaffner ist, hat es einmal ausrechnen wollen, dabei ist ihm aber von den hohen Zahlen so schwindlig geworden, daß er von seinem Wagen 'runterfiel. Der arme Kerl ist auch heute noch nicht wieder geistig ganz normal, er behauptet immer, Zahlen unter tausend gäbe es gar nicht.

Aber schließlich hat ja jeder civilistische Beruf seine Nachteile. Indem ich mir diese klar machte, habe ich mir auf der anderen Seite auch klar zu machen versucht, ob die Klagen, die das Publikum gegen die Bahn führt, berechtigt sind, und da muß ich nur sagen, daß alles so, wie es ist, sehr schön ist. Wenngleich eine Straßenbahngesellschaft in erster Linie natürlich nur für das Publikum da ist, so muß man als gerecht denkender Mensch doch aber auch zugeben, daß das Publikum in erster Linie doch auch für sie da ist und daß die Bahn die Wünsche ihrer Kunden nur so weit erfüllt, als es sich mit ihren eigenen Wünschen vereinbaren läßt. Denn jeder ist sich selbst der Nächste, und wenn die verständnislose Menge immer mehr Wagen, immer billigere Preise und einen immer schnelleren Verkehr wünscht, so kann man es der Gesellschaft nicht verdenken, wenn diese nicht gleich ohne weiteres nachgibt. Auch habe ich in den letzten Tagen in den Zeitungen gelesen, man wünsche die beständige Kontrolle des Publikums durch die Kontrolleure beseitigt zu sehen. Dem muß ich auf das energischste widersprechen, nicht nur, weil ich mich selbst um einen Posten als Kontrolleur beworben habe, sondern schon um der Kontrolle selbst willen, denn ohne Kontrolle kann ein Deutscher gar nicht leben, was schon daraus hervorgeht, daß er alljährlich zu den Kontrollversammlungen gehen muß. Ordnung muß sein, es gibt Leute, die da sagen: es sei eines erwachsenen Menschen unwürdig, jeden Augenblick sein Billet vorzeigen zu müssen und dadurch indirekt in den Verdacht zu kommen, ein blinder Passagier zu sein, der da den Versuch macht, den Strom, aber nicht den von Max Halbe, sondern den der elektrischen Leitung gratis und franko zu genießen. Auf der anderen Seite gibt es auch Leute, die da behaupten, diese ewige Kontrolle sei auch für die Schaffner erniedrigend und verdächtigend. Was ich auf das lebhafteste bestreite, indem ich aus eigener Erfahrung weiß, daß es niemals demütigend, sondern immer nur ehrenvoll ist, mit einem Vorgesetzten in Berührung zu kommen und diesem bei der Gelegenheit beweisen zu können, daß man seine Pflicht tut. Denn wenn man schließlich auch seine Pflicht um ihrer selbst willen erfüllt, so durstet man trotzdem nebenbei doch auch manchmal nicht nur nach einem starken alkoholischen Getränk, sondern auch nach einer ehrenden Anerkennung. Und nur ganz törichte Menschen können behaupten, das Lob, das man sich selber zolle, sei tausendmal weniger wert, als das Lob eines Vorgesetzten, wobei die Menschen sogar die Behauptung aufstellen, man wisse zuweilen gar nicht, ob es wirklich ein Lob sei, von einem Vorgesetzten, dessen innerstes Leben man noch gar nicht kenne und von dessen Charaktereigenschaften man noch gar keine Ahnung habe, gelobt zu werden. Was natürlich ein Unsinn ist, denn die Höheren stehen nicht nur auf einer höheren Gesellschaftsstufe, sondern auch auf einer höheren Bildungsstufe, und je gebildeter ein Mensch ist, desto edler und besser ist er auch.

Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts