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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 27 vom 27. März 1905


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XXV.
Krause über die Pensionierung.

Indem sich in dieser Woche der Tag jährt, an dem ich vor zwölf Jahren als gemeiner Soldat in die Armee eintrat, in der ich es dank meiner nicht unbedeutenden geistigen Fähigkeiten zu der von aller Welt hoch geachteten Stellung eines Sergeanten gebracht habe, von welcher Stellung nur die wenigsten Menschen wissen, welche Lasten und Pflichten sie erfordert und mit sich bringt, also, ich sage, indem sich der Tag meines Diensteintritts zum zwölften Male jährt, habe ich mich nach reiflichster Überlegung dazu entschlossen, den Rock, den ich solange dem Vaterland zu Ehren getragen habe, auszuziehen und in die Pension zu gehen, indem eine ärztliche Untersuchung ergeben hat, daß die vielen Anforderungen, die der Dienst an mich stellte, in mancher Weise doch störend auf meinen inneren Organismus eingewirkt haben.

Ich habe Euch zu wiederholten Malen gesagt, wie ich über den Zivilismus denke, und so werdet Ihr mir nachfühlen, daß es mir nicht leicht wird, fortan einem Stande anzugehören, den ich bis dahin verachtete. So sehr ich mich auch selbst beklage, so sehr freut es mich für die Zivilisten, daß ich jetzt einer der Ihrigen werde, denn wie ich früher versucht habe, Euch und die mir in früheren Jahrgängen anvertrauten Soldaten zu erziehen, so wird es jetzt meine Pflicht sein, veredelnd auf den Zivilismus einzuwirken und dieses Menschengeschlecht geistig zu bilden und zu fördern. So seht Ihr mich also heute zum letzten Male im bunten Rock vor Euch. Ich fühle Euch den Schmerz nach, den Ihr bei meinen Worten empfindet, und wenn ich ihn auch nicht stillen kann, so ehre ich ihn dennoch.

Jeder Schmerz ist heilig, der um einen Verstorbenen besonders. Und ich bin gestorben, wenn ich auch noch lebe, der Sergeant Krause verschwindet, wenn auch nicht gerade unter der Erde. Nur was ich geleistet, was ich gesprochen und was ich geredet, bleibt bestehen, und ich hoffe, die Stunde ist nicht mehr fern, wo meine Reden, die ich Euch gehalten, Gemeingut der ganzen Nation sind. Wie Maggi zum Würzen der Suppen, so dürfen auch meine Reden als Würze des Geistes bald in keinem Haushalte fehlen.

Als aktiven Sergeanten Krause sehen Sie mich heute zum letztenmal. Man hat mir angeboten, um mich zu ehren, mich bei meiner Pensionierung zum Vizefeldwebel avancieren zu lassen, aber ich habe es dankend abgelehnt, weil ich über diesen Punkt genau so denke wie Bismarck. Auch für den gab es – ebenso wie jetzt für mich – eine Stunde, in der er die Kürassieruniform auszog und in die Pension ging, was nach Aussage der Augenzeugen ein Begräbnis erster Klasse war, denn das schreckliche Wort "erstklassig" war damals noch nicht erfunden – Also ich sage, auch für Bismarck schlug die Abschiedsstunde, und er war mehr als ich, was man für gewöhnlich nur von einem gewissen Patroklus behauptet, der, wenn ich mich nicht irre, irgend welche intimen Beziehungen zu der schönen Helena hatte, von der Ihr ja das Potpourri kennt, das Offenbach für sie komponierte. Als Bismarck damals ging, bot man ihm den Titel "Herzog" an. Bismarck aber antwortete und sprach: "Ich bin ein Fürst, als solchen kennt mich die Welt, ich bleibe, was ich bin, ich bleibe, was ich war, der erste Mann der Welt, ein Schrecken dem Barbar." So denke auch ich, und wenn Bismarck noch lebte, er würde mich auf die Schulter klopfen und zu mir sagen: "Krause, ich ehre Dich und Deine Meinung." Und damit tät Bismarck recht.

Als Sergeant Krause bin ich in den weitesten Kreisen eine ebenso bekannte wie beliebte Persönlichkeit, was ich aus zahlreichen Zuschriften aus Anlaß meiner Pensionierung ersehe, in denen ich mit den zärtlichsten Worten gebeten werde, weiterzureden und weiter für den allgemeinen Wissensdrang zu wirken, indem ich den Durst nach Bildung stille. Man sieht es ungerne, daß ich den bunten Rock ausziehe, um Zivilist zu werden, ja ein junges Mädchen, die mir ihr keusches, noch nie berührtes Herz geschenkt hat, obgleich ich ihr persönlich noch nie gegenüberstand, schickte mir gestern eine Konservenbüchse, in der früher Brechbohnen waren, die aber jetzt selbstgeweinte Tränen enthielt. Ich muß sagen, diese Tränen haben mich gerührt, indem Tränen mich immer rühren, besonders wenn sie mir gelten und ganz besonders, wenn sie mir per Post an dem Tage zugeschickt werden, an dem mir selbst die Tränen nahestehen.
Welchen Beruf ich ergreifen werde, weiß ich heute noch nicht, aber wie mir bei meinem Diensteintritt auf Grund meiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Weg zu den höchsten Ehrenstellen in der Armee offen stand, so steht mir auch die Welt des Zivilismus offen, und ich werde sehr bald ein Amt gefunden haben, in dem meine segensreiche Tätigkeit dem ganzen Staate zum Heil gereicht. Wenn ein Minister oder sonst ein hoher Beamter in die Pension geht, fällt ihm erst bei seinem Scheiden ein, was er noch hätte leisten können, wohingegen man ihn doch gerade fortschickt, weil ihm in der Zeit, wo ihm etwas einfallen sollte, nichts einfallen wollte. Wohingegen ich von mir behaupten kann, daß mir, solange ich Euer Erzieher war, genug eingefallen ist, was Euch schon leider alles wieder entfallen ist. Immerhin ist vielleicht doch das Eine oder Andre sitzen geblieben, obgleich ich von dem Sitzenbleiben nicht viel halte. Indem es dem Schüler Prügel einträgt, und dem Soldaten, wenn er sich bei dem Eintritt der Vorgesetzten nicht erhebt, drei Tage Mittelarrest, obgleich er diese leider nicht immer bekommt, weil es immer noch gutmütige Menschen gibt, die ihr Herz da sitzen haben, wo der Verstand herrschen müßte und umgekehrt, wobei nur in den allerseltensten Fällen ein Schuh daraus wird, was im Interesse der Schuhmacher auch sehr erfreulich ist.

Womit ich eigentlich etwas von dem abgekommen bin, was ich sagen wollte, aber mein geistiger Blick ist umflort, schmerzhafte Gedanken bewegen meine Seele, und wenn ich jetzt in die Pension zurücktrete, so frage ich mich: "Krause, hast Du ganz umsonst gedient ? Oder werden die Samenkörner, die Du gestreut hast, in nie geahnter Pracht aufgehen ?" Das sind Fragen, die kein Konversationslexikon beantworten kann, sondern nur die Zeit. –

Mit diesen Worten beschließe ich meine Tätigkeit als Sergeant Krause. In Eurem eigenen Interesse aber rate ich Euch, mich nicht zu vergessen. Daß Ihr in Dankbarkeit meiner gedenken werdet, glaube ich nicht, denn Dankbarkeit ist eine schöne Tugend, aber man findet sie nur sehr selten, und wenn man sie findet, dann ist sie meistens nicht echt. Das sage ich Euch, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, und was ich gesagt habe, ist und bleibt eitel Gold.



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© Karlheinz Everts