Indem jetzt in der letzten Zeit in Berlin verschiede fremde hohe Fürstlichkeiten zum Besuch unseres Kaisers geweilt haben, wobei ich gleich bemerken möchte, daß Fürsten auf Besuch "weilen", während andere gewöhnliche Sterbliche auf Besuch "sind", also, indem jetzt die Anwesenheit der hohen Herren die öffentlichen Gemüter beschäftigt hat und vorübergehend sogar die Aufmerksamkeit von dem russisch-japanischen Kriegsschauplatz ablenkte, wo sich die beiden Gegner noch immer gegenüberstehen, und wo die Russen immer noch siegen, obgleich die Japaner sie täglich in die Flucht schlagen, also ich meine, in Anbetracht dieser erwähnten und besonderen Umstände ist mir eine Reihe von mehr oder weniger anonymen Zuschriften zugegangen, in denen ich gebeten werde, auch einmal in puncto Fürstenbesuch meine Meinung zu äußern, bei welcher Gelegenheit es mir aufs neue klar geworden ist, daß meine Meinung in den weitesten Kreisen schon lange als die einzig richtige und allein maßgebende anerkannt ist, was für mich nicht nur eine Ehre, sondern auch ein Kompliment ist.
Bevor ich nun auf die Fürstenbesuche selbst komme, muß ich einige allgemeine Worte über die Besuche im allgemeinen vorausschicken, wobei man in der Hauptsache zweierlei Arten von Besuchen zu unterscheiden hat, solche, die Männer sich gegenseitig abstatten, und solche, die Frauen sich machen, wobei die letzteren noch schrecklicher sind als die ersteren, indem sie gar kein Ende nehmen und nur dazu da sind, um über die Nächsten, die man die "Lieben" nennt, weil man sie nicht liebt, nur Schlechtes zu reden. Und es ist bewundeungswürdig und im höchsten Grade anzuerkennen, wieviel Schlechtes eine Frau einer anderen nachsagen kann. Man sollte eigentlich meinen, so viel Schlechtigkeit gäbe es gar nicht auf der Welt, aber ich kann Euch sagen, es gibt sogar noch mehr. Eine Frau ist im Erfinden von Boshaftigkeiten über ihre Nachbarn fruchtbarer als ein Kaninchen, das ja bekanntlich im Laufe eines Jahres fortwährend lebendige Junge legt.
Schon aus diesen kurzen Bemerkungen werdet Ihr gesehen haben, daß der Grundzug aller Besuche Lüge und Heuchelei ist. Der einzige Besuch, der wirklich immer einem inneren Bedürfnis entspringt, ist der bei einem Zahnarzt, denn zu dem geht man nicht, wenn man nicht muß. Jeder andere Besuch aber ist Verstellung. Man sagt bei solchen Gelegenheiten, man hätte es vor Sehnsucht nicht mehr aushalten können, das Herz wäre gebrochen, wenn man die treue Freundin nicht endlich einmal wieder an den keuschen Busen hätte drücken können, und was derartige Redensarten mehr sind. In Wirklichkeit aber hat man eine schlaflose Nacht damit zugebracht, darüber nachzudenken, ob es denn keine Möglichkeit gäbe, diesen Besuch auf die lange Bank zu schieben, wobei ich bemerken möchte, daß ich in keinem Konversationlexikon etwas darüber gefunden habe, wie lang diese Bank eigentlich ist.
Ganz im Gegensatz zu diesen gewöhnlichen Besuchen stehen die Fürstenbesuche, die schon deshalb etwas ganz anderes sind, weil sich eben Fürsten besuchen, denn selbst Euren dummen Schädeln wird es einleuchten, daß es nicht dasselbe ist, ob Frau Schulze zu Frau Müllern kommt, um nachzusehen, ob der neue Hut, den die Müllern sich gekauft hat, wirklich so gräßlich ist, wie Frau Bienenfeld es behauptet, wobei sie natürlich im Stillen hofft, daß er noch viel gräßlicher ist, also ich meine, ob Frau Schulze zu Frau Müllern kommt oder meinetwegen der König von Italien zu dem König von Belgien, so leuchtet das selbst einem farbenblinden Taubstummen ein, daß hier nicht nur höhere Mächte, sondern sogar höhere Differenzen walten.
Der Hauptgrundzug, wenn ich dieses neue Wort bilden darf, auf daß es seinen Flug in die Welt nimmt, ist aber der, daß Fürsten sich nur dann besuchen, wenn sie sich gegenseitig wirklich und aufrichtig lieben. Die Liebe allein führt sie zusammen, und wenn die Monarchen sich auf dem Bahnhof gegenseitig umarmen und küssen, so küssen sie sich nicht nur mit den Lippen, sondern mit dem Herzen. Vaterlandslose Gesellen haben einmal behauptet, nur die Politik führe die Herrscher zusammen, was schon deshalb ein Unsinn ist, weil es überhaupt nur eine politische Ansicht in der ganzen Welt gibt, die für alle Fürsten dieselbe ist und die da lautet: "So wie es jetzt ist, ist es gut", was Ihr schon daraus ersehen könnt, daß der Kaiser von Rußland, der doch gewiß klüger ist als seine Bauern, ihren ganz und gar unberechtigten Forderungen ein energisches "Nein" entgegensetzt.
Während gewöhnliche Sterbliche sich manchmal entzweien, was namentlich bei dem weiblichen Teil der männlichen Bevölkerung häufig vorkommt, entzweien sich Fürsten nie. Und wenn Ihr das bisher noch nicht gewußt habt, so lest einmal einen jener Toaste, die bei solchen Gelegenheiten gewechselt werden. Da heißt es immer: seit Jahrhunderten haben freundschaftliche Beziehungen zwischen unseren Häusern bestanden, und ich leere mein Glas darauf, daß dies auch in Zukunft so bleiben möge. Nur wahrhaft edle Menschen halten so lange Freundschaft, und Fürsten sind immer edel, nicht nur weil sie infolge ihrer Geburt zu den edelsten der Nation gehören, sondern weil sie eben edel sind. Jeder Fürst ist ein geborener Soldat, der schon in frühester Jugend Leutnant wird. Da ist es natürlich, daß bei den Fürstenbesuchen in erster Linie das Militär besichtigt wird. Das ist für die geistige und moralische Entwicklung unseres Vaterlandes von der größten Bedeutung, denn der Hauptbestandteil des ganzen Landes ist die Armee, und je mehr diese Gelegenheit findet, zu zeigen, was sie kann, um so mehr wird sie danach streben, sich auszuzeichnen. Und je höher das Niveau der Armee, desto höher ist auch die geistige Bildung der Zivilbevölkerung, denn die Zivilisten verkehren nun einmal mit den Soldaten, und der Umgang mit wahrhaft gebildeten Menschen wirklt immer anregend und veredelnd. –
Aber auch noch in andeer Hinsicht haben Fürstenbesuche ihre Bedeutung. Die Fürsten, die sich bis dahin gewissermaßen nur schriftlich kannten, lernen sich jetzt mündlich kennen. Der Personalkonnex und das persönliche Fluidum ist die Hauptsache, es entsteht dadurch eine gewisse geistige Tuchfühlung. Bei der geistigen Tuchfühlung aber handelt es sich um geistige Gedanken. Was Gedanken sind, kann ich Euch so schnell nicht klar machen; Ihr müßt mir schon glauben, es gibt Gedanken, törichte und kluge, und die törichten sind oft besser als die klugen, indem diese sich später of als töricht erweisen. Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.
