Nimm mich mit
für 5 Pfennig

Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 23 vom 27. Februar 1905


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XXI.
Krause über das "Nackte" in der Kunst.

Indem ich neulich mal in den Zeitungen gelesen habe, daß in einer großen Stadt kürzlich wieder gewisse Leute sich darüber aufgeregt haben, daß in den Schaufenstern eines Ladens einige nackte Marmorstatuen und einige nackte Bilder ausgestellt waren, an deren angeblicher Unmoral die Moral der Schuljugend nach Ansicht der Beteiligten leicht einen sogenannten Knax bekommen könnte, also, ich sage, in Anbetracht dessen glaube ich es nicht verantworten zu können, nicht endlich auch meinerseits meine Stimme einmal zu erheben und meine Ansicht darüber zu äußern, wie ich über das "Nackte" in der Kunst denke. Wobei ich nicht zu wiederholen brauche, daß ich von der Kunst als solcher nicht viel halte, weil sie brotlos ist, was schon aus dem Sprichwort "brotlose Künste" hervorgeht.

Was nun die Nacktheit als solche, oder wie die Künstler es nennen, die entkleidete Nudität anbelangt, so muß ich sagen, ich stehe auf dem Standpunkt, daß ich etwas ganz Nacktes nicht anstößig finden kann. Im Gegenteil, je nackter etwas ist, desto natürlicher ist es, was ja auch schon daraus hervorgeht, daß der liebe Herrgott die beiden ersten Menschen in puris naturalibus erschaffen hat, was soviel heißt, wie naturalia non sunt turpia, was auf englisch heißt, honny soit qui mal y pense. Das Natürlichste ist immer das Einfachste, aber leider ist das Einfachste nicht immer das Natürlichste, denn sonst würde Meier, dieses Dummheit spuckende Lama, sich endlich einmal die Mühe geben, seinen blödsinnig törichten Gesichtsausdruck zu verändern und wenigstens so zu tun, als ob er geistig etwas täte, indem er meinen Worten zu folgen versucht.

Um aber auf die Nacktheit zurückzukommen, so muß man da nach meiner Meinung zwei große Abteilungen unterscheiden, eine gänzlich ganze, und eine teilweise partielle, wobei ich den Leuten recht gebe, die da sagen, in diesem Falle ist ein Ganzes weniger als ein Halbes, was man sonst im allgemeinen und bei einem Liter Bier erst recht nicht behaupten kann. Das Halbverborgene reizt, während das gänzlich Sichtbare den Wunsch nach mehr gar nicht aufkommen lassen kann. Außerdem aber gibt es noch eine natürliche Nacktheit und eine künstliche, wobei die ja auch Euch bekannte Susanna im Bade eine natürliche Nacktheit ist, schon deshalb, weil man damals noch keine Badeanzüge trug, wie es heutzutage für die Damen Mode ist, wenn sie ins Bad gehen. Wobei es aber für sie nicht darauf ankommt, zu baden, sondern in ihrem Badeanzug gesehen zu werden, die teilweise sehr schön und so gemacht sind, daß sie die Sinne der Männer verführen und diese veranlassen, der Besitzerin des Badeanzuges Herz und Hand anzubieten, was dann später die unglücklichen Ehen gibt, weil man bei seinem Liebeswerben nur auf das Äußere, den Badeanzug, nicht aber auf das Innere, das Herz der Frau gesehen hat.

Die Kleider verführen die Männer manchmal mehr als die Frauen selbst, das ist eine alte Geschichte, und schon aus diesem Grunde würde es in der Welt viel moralischer zugehen, wenn wir uns wieder nach der alten Mode von Adam und Eva anziehen dürften, was vorläufig ja aber noch verboten ist, was man schon daraus erkennt, daß sie in Berlin einen sogenannten Naturmenschen namens Nagel, der mit seiner Kleidungsfrage den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, für verrückt erklären wollten, nur weil der Mann nur für Natur schwärmte, ebenso wie die Gräfin Melanie im "lustigen Krieg", der aber eigentlich gar kein Krieg war, sondern nur ein lustiges Lagerleben, das mit dem vor Port Arthur nicht die leiseste Ähnlichkeit hatte.

Wenn unsere geistigen Augen jetzt wieder zu der nackten Kunst zurückschweifen, dann muß man sich einmal zu vergegenwärtigen suchen, wie z.B. unsere Marmorstatuen aussehen, wenn sie bekleidet sind. Ich habe mal ein Buch in Händen gehabt, das enthielt zahllose Abbildungen von einem großen Kirchhof in Genua, einer Stadt in Italien. Es waren lauter Grabdenkmäler, aber da waren nicht die Toten ausgehauen, sondern die Leidtragenden, die den Verstorbenen betrauern. Der eine steht in Frack und weißer Weste am Grab, der andere in einem kurzen Paletot, der eine hat einen runden Hut in der Hand, der nächste einen Zylinder. Und dann die Frauen; mit Schmuck beladen, in langen Schleppkleidern, mit Glacéhandschuhen an den Händen, und so lassen sie sich in Lebensgröße in Marmor aushauen, was gräßlich aussieht und was ich auch von den Frauen nicht verstehe, weil sie doch mit ihren Kleidern der Mode unterworfen sind. Kein Mensch kann sagen, daß diese Marmorstatuen unanständig sind, aber sie sind, was viel schlimmer ist, unschön, und daraus folgt, daß nur das Nackte in der Kunst eigentlich schön ist, und was schön ist, das kann niemals unanständig sein.

Außer der natürlichen Nackheit in der Kunst gibt es nun aber noch eine Nackheit im Leben, die insofern etwas mit der Kunst zu tun hat, als sie künstlich hergestellt wird, und sie besteht darin, daß die Damen von heutzutage sich auf den Gesellschaften so anziehen, daß sie eigentlich gar nicht angezogen, sondern ausgezogen sind. Aber je mehr sie ausgezogen sind, desto schöner sind sie angezogen, weil es nun mal Mode ist, die Körperformen, die man hat, möglichst zu zeigen, was ich mir als Ehemann auf das energischste verbitten würde, indem ich meine Frau nicht für andere, sondern für mich heirate. Ich habe einmal Gelegenheit gehabt, einem Maskenball der ersten Gesellschaft zuzusehen, und ich habe mich den ganzen Abend gewundert, daß die Damen sich nicht geniert haben, ihre einzelnen Körperteile so weit auszuschneiden. Aber wenn die lebende Frau heutzutage halb nackend geht, warum sollen da die toten Frauen aus dem Altertum, die doch keiner persönlich kennt, und die sich als Tote doch auch nicht mehr zu schämen brauchen, nicht ganz nackend gehen. Darüber habe ich schon oft nachgedacht, ohne indessen zu einem bemerkenswerten Resultat gekommen zu sein, wobei es mir unklar geblieben ist, ob ich klüger bin als die anderen, oder weniger begabt. Nach meiner Meinung hat das Nackte in der Kunst seine vollständige Existenzberechtigung, wenngleich ein angezogener Mensch bisweilen auch sein Gutes hat, besonders wenn die Kleidung, die er trägt, die Uniform ist. Denn das dürfen wir nicht vergessen, das schönste Kunstwerk. das es gibt, ist ein vorschriftsmäßig und tadellos sauber angezogener Soldat. Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



zu Krause's Seite

© Karlheinz Everts