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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 22 vom 20. Februar 1905


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XX.
Krause über die Ordensfrage.

Indem man jetzt keine Zeitung mehr in die Hand nehmen kann, ohne daß man in derselben nicht von Ordensauszeichnungen liest, und indem es jetzt faule Blätter genug gibt, die sich darüber lustig machen, daß an dem Haus der Ordenskommission in Berlin eine Nachtglocke ist, wobei ich gar nicht verstehe, was dabei lächerlich sein soll, indem doch jedes Haus eine Nachtglocke hat, weil es doch dem solidesten Menschen passieren kann, daß er des Morgens, wenn er fortgeht, den Haustürschlüssel vergißt und dann abends nicht in seine Wohnung kann, weil die meisten Häuser schon um zehn Uhr geschlossen werden, während es sehr viele Berliner gibt, die erst morgens zu Bett kommen, also, was ich sagen wollte, wobei Ihr nicht zu glauben braucht, daß ich das nicht mehr wüßte, indem ich nämlich immer ganz genau weiß, was ich sagen will, ich meine also, indem man jetzt soviel über Ordensauszeichnungen liest, möchte auch ich mich mal kurz über diesen Punkt äußern.

Im allgemeinen kann ich wohl sagen, daß ich dem sogenannten Ordensregen sehr sympathisch gegenüberstehe, vorausgesetzt natürlich, daß er an die richtige Adresse kommt, was unereiner natürlich nicht immer beurteilen kann. Leute, die keinen Orden haben, und ganz genau wissen, daß sie auch nie einen bekommen, machen sich freilich über die anderen lustig, die nach Orden streben. Der normale Mensch aber ist einmal nicht nur aus Wasserstoff und Egoismus, sondern auch aus Eitelkeit zusammengesetzt und hat infolgedessen den Wunsch, mehr zu scheinen, als er ist, und mehr zu sein, als er scheint, was nach Eurer Ansicht natürlich dasselbe ist, während es im Gegenteil gänzlich das Gegenteil ist. Um sich von den anderen zu unterscheiden und sich vor diesen auszuzeichnen, gibt es zwei Möglichkeiten, man muß sich entweder selbst auszeichnen oder man muß sich von anderen auszeichnen lassen. Nun aber hat nicht jeder Mensch das Talent in sich, sich auszuzeichnen und etwas Großes zu schaffen. Der Wille ist zwar da, aber mit dem allein ist es nicht getan, die Tat fehlt. Denn die wenigsten Menschen, mich ausgenommen, haben die Fähigkeit, dem Staate oder dem Volke irgendwie zu nützen. Aber der gute Wille ist auch bei ihnen da, und der ist häufig viel mehr wert als die Tat selbst, was Ihr täglich sehen könnt, wenn der Meier, diese Schreckensgestalt des 20. Jahrhunderts, Parademarsch macht. Für seinen guten Willen, die krummen Knie durchzudrücken, verdient er einen Orden, für das aber, was dabei herauskommt, wenn er den Willen in die Tat umsetzt, verdient er jeden Tag drei Tage Arrest.

Was nun die Orden als solche anbelangt, so gibt es zweierlei Orden, solche, die man sich verdient, und solche, die man sich erdient, wobei die ersteren zwar die wertvolleren sind, aber doch dadurch sehr im Werte sinken, daß man sie nicht bekommt. Zu diesen gehören das Eiserne Kreuz und die Rettungsmedaille, die keinem Menschen im Schlaf in den Schoß fallen. Anders ist das mit den anderen Orden, die man bekommt, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, oder eine gewisse Zeitlang hindurch treu seine Pflicht erfüllt hat. Seine Pflicht erfüllen kann aber in erster Linie nur der Soldat, und deshalb bekommt das Militär auch die meisten Orden, was sich auch so gehört, schon weil es bei Paraden, auf Gesellschaften und bei anderen festlichen Gelegenheiten sehr gut aussieht. Und unsere Herren Offiziere müssen gut aussehen, damit sie die Bewunderung, den Neid und die Anerkennung der anderen finden, auf daß diese den Glauben an die Unfehlbarkeit des Militarismus nicht verlieren. Auch die Zivilbeamten werden dekoriert, wenn sie ihre Pflichtjahre hinter sich haben, wohingegen die Leute, die nicht im Staatsdienste stehen, oder nicht wenigstens einem Kriegerverein angehören, selten ausgezeichnet werden. Dies bezieht sich namentlich, wie ich neulich mal gelesen habe, auf die Künstler, auf die Dichter, Maler, Bildhauer oder was sie sonst sind. Denn nur einen Staatsbeamten kann man auf seine königstreue Gesinnung hin kontrollieren, und nur jemand, der unter Kontrolle steht, kann ausgezeichnet werden. Die Gesinnung ist die Hauptsache, und die schaffenden Künstler haben nur selten Gelegenheit, ihren Patriotismus zu zeigen. Immerhin gibt es aber auch unter diesen Leuten rühmliche Ausnahmen. Ich erinnere Euch nur an die Bildhauer, die die Sieges-Allee machten, und an den Italiener, der den Roland von Berlin mit Musik bearbeitete, aber ihre Zahl ist gering, weil sie im Grunde das Wesen der Kunst nicht verstehen, wodurch sie selbst am meisten leiden, in dem sie finanzielle Sorgen haben, weil sie ihre eigenen Wege wandeln, was die Leute sehr ehrenwert nennen, obgleich ich es sehr dumm finde. Wobei ich nicht verlange, daß jemand einem Orden zuliebe seine Überzeugung wechselt, wohingegen ich der Überzeugung bin, daß es nur eine Überzeugung gibt, und das ist die patriotische. Offiziell sagen solche Leute, sie machten sich nichts aus Orden, aber sie machen sich doch was daraus, was sich am besten zeigt, wenn sie zufälligerweise doch mal einen bekommen, was aber nie der Fall ist. Wenigstens bei uns nicht, aber im Auslande haben sie zuweilen Glück, da kann man sich nämlich manchmal einen Orden kaufen, was bei uns nicht der Fall ist, wohingegen man sich bei uns aber zuweilen indirekt einen Orden kaufen kann, indem man für wohltätige Zwecke große Summen opfert. Davon aber abgesehen, bekommt nur derjenige bei uns einen Orden, der ihn verdient hat oder erdient hat, was eigentlich dasselbe ist, denn lange Jahre im Staatsdienst auszuhalten, und sich nicht totzuärgern, ist schon ein Verdienst, wobei ich nicht an den Ärger über die Vorgesetzten denke, indem ein guter Untertan sich überhaupt nie über seine Vorgesetzten, sondern immer nur über seine Untergebenen ärgert. Aber das gehört ja nun einmal zum menschlichen Leben, an dem es das Schönste ist, daß es nicht ewig dauert. Denn wenn ich daran denke, daß ich vielleicht noch 2000 Jahre Rekruten ausbilden soll, dann würde selbst mir schwach werden. Aber das nicht allein, ich denke dabei auch an die Zahl der Orden, die ich in der langen Zeit noch bekommen würde. Es wären schließlich so viele, daß ich sie gar nicht alle anlegen könnte, und was hat der Mensch von seinen Orden, wenn er sie nicht tragen kann und dadurch seine Mitmenschen ärgert. Der Orden im Schrank ist gar nichts wert, aber der Orden an der Brust ist alles. Nur das Sichtbare hat Wert, für das Unsichtbare gibt kein Mensch etwas. Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts