Indem ich in der letzten Zeit überall gelesen habe, unsere Armee würde heutzutage ganz falsch ausgebildet, und es würde zu viel Wert auf Besichtigungen gelegt, kitzelt es mich schon lange im Hals, auch über diesen Punkt Euch einmal meine Ansicht zu sagen. Was nun zunächst die Zahl der Besichtigungen betrifft, so werdet Ihr mir beistimmen, daß diese gar nicht geringer sein kann, als sie es ist. Fangen wir mit der Rekrutenbesichtigung an, der vorangeht eine Besichtigung durch den Herrn Major, und vor dieser ist eine Besichtigung durch den Herrn Hauptmann. Das sind drei. Dann kommt die Zugsbesichtigung, der ebensoviele Vorbesichtigungen vorangehen. Dann kommt die Kompagniebesichtigung, der nur eine Vorbesichtigung durch den Herrn Major vorangeht, dann kommen die Bataillonsbesichtigungen, dann kommt die Regimentsbesichtigung, und dann kommt die Brigadebesichtigung. Und damit ist in der Hauptsache Schluß. Das sind im ganzen elf Besichtigungen, also noch nicht einmal ein Dutzend. Zu diesen Besichtigungen kommen noch ein paar andere, die mit den anderen im Exerzieren gewissermaßen zusammenhängen, nämlich die Besichtigung im Turnen und in der Instruktion. Dazu kommt als Letztes die Besichtigung im Schießen, und dann vielleicht ein paar Besichtigungen durch hohe Vorgesetzte, die sich plötzlich anmelden. Das sind zusammengenommen im ganzen Jahr etwas über 30 Besichtigungen, was nach meiner Meinung viel zu wenig ist, indem das Jahr 52 Sonntage hat, warum ich absolut nicht einsehe, warum wir nicht auch 52 Besichtigungen haben. Denn die Besichtigungstage sind für uns Soldaten gewissermaßen Sonntage, und vor allen Dingen Festtage. Und wie auch der Zivilist von solchen Festtagen nicht genug bekommen kann, so müssen auch wir davon nicht genug bekommen können, ohne uns sonst mit den Zivilisten irgendwie auf dasselbe geistige Niveau zu stellen. Und ein Festtag ist es, wenn Exzellenz kommt, was schon äußerlich daraus hervorgeht, daß Ihr zur Feier des Tages eine bessere Uniform anziehen dürft. Aber das nicht allein, Zivilisten bleiben an Festtagen länger auf, und das tut Ihr auch, nur indem Ihr nicht später zu Bett geht, sondern indem Ihr zur Feier des Tages viel früher aufsteht. Und unsere Herzen schlagen höher, wenn wir unsere Vorgesetzten von Angesicht zu Angesicht sehen, und was gibt es auf der Welt schöneres, als eine hohe Exzellenz mit einem lauten "Guten Morgen" begrüßen zu dürfen. Da vergißt man alles Leid und Ungemach, da scheint die Sonne nochmal so hell, und wenn es regnet, dann merkt man das in seiner freudigen Aufregung gar nicht. Das ist, wenn ich mich so ausdrücken soll, das moralische Gute einer Besichtigung, aber sie hat auch einen großen praktischen Nutzen, indem jedesmal eine Kritik abgehalten wird, bei der es heißt, Ihr dürft das nicht so machen, sondern Ihr müßt es so machen. Und ich frage Euch, wie soll man etwas richtig machen, wenn man nicht weiß, wie man es machen soll ? Und schon deshalb muß eine Besichtigung sein, denn man kann nie genug lernen und nie oft genug mit bedeutenden Männern in Berührung kommen. Ich habe mal gelesen, die höheren Vorgesetzten wechselten so oft, und dadurch käme eine große Unruhe in die Truppe, indem der neue Vorgesetzte gerade das tadelte, was der alte als richtig anerkannt hätte. Nichts ist nach meiner Auffassung falscher als das. Gerade daß die Ansichten über das, was richtig ist, wechseln, ist das Gute, dadurch gibt es keinen Stillstand in unserem Wissen, wir müssen immer Neues lernen und wir müssen immer von Neuem probieren, wie es gemacht wird, damit es endlich mal wirklich richtig wird, und der Tag, an dem es endlich mal ganz richtig wird, der kommt nie, er darf auch nie kommen, denn dann brauchten wir nichts mehr zuzulernen, dann wären wir ja vollkommen und etwas Vollkommenes habe ich noch nie gesehen, nicht einmal beim Militär.
Die Besichtigungen aber haben nach meiner Meinung noch einen anderen großen Vorzug und einen gewaltigen Nutzen, sie stärken die Gefühle der Disziplin und der Subordination. Der Satan soll Euch holen, wenn Ihr vor mir keinen Respekt habt, und nicht, sobald Ihr mich nur seht, die Hacken zusammenschlagt, daß die Engel im Himmel ihre Freude daran haben. Dann spucke ich Euch auf den Kopf, und zwar gehörig. Und den Respekt, den Ihr mir schuldig seid, schuldet Ihr in noch höherem Maße den höheren Vorgesetzten. Ihr müßt still stehen, wenn Ihr nur an den Herrn Hauptmann denkt, und wenn der Herr Major erscheint, dürft Ihr nicht mehr atmen, denn Disziplin und Subordination ist alles, wo die nicht sind, Herr Organist, da schweigen alle Flöten. Und wenn der Herr Oberst kommt, wenn überhaupt nur die Möglichkeit vorhanden ist, daß er kommen könnte, dann muß Euer ganzes Leben im Fluge an Euch vorüberziehen, ob Ihr auch keine Schuld auf dem Gewissen habt, Ihr müßt zittern und beben, aber Gnade Euch Gott, wenn Ihr dabei nicht stille steht, denn ein Soldat zittert nur innerlich. Nun aber erst, wenn der Herr General und Seine Exzellenz kommen. Worte reichen nicht aus, um die Gefühle zu schlildern, die Euch in seiner Gegenwart befallen müssen, Liebe und Verehrung, Respekt und Hochachtung, eine grenzenlose Bewunderung der Höheren, eine deutliche Selbsterkenntnis Eurer Nichtigkeit, das wäre so ungefähr das, was Euch beseelen muß. Die Disziplin und die Subordination und der Gehorsam werden durch die Besichtigungen gestärkt, und die Hauptsache ist, daß der Soldat blindlings gehorcht, dann macht er alles, was verlangt wird. Was verlangt werden soll, brauchen nur Eure Vorgesetzten zu wissen, und wenn die sich darüber einig sind, wie sie im nächsten Krieg die Schlacht gewinnen wollen, dann ist das die Hauptsache. Ihr habt weiter nichts zu tun, als andere totzuschießen, und Euch selbst totschießen zu lassen.
Alles andere ist Aufgabe Eurer Führer und Eurer Vorgesetzten, die wissen alles, und brauchen nichts mehr zu lernen, und so sehe ich nicht ein, warum die Besichtigungen schädlich sein sollen. Im Gegenteil, je öfter Ihr besichtigt werdet, um so mehr kommt Euch das Gefühl Eurer eigenen Dummheit und die Erkenntnis von der Klugheit Eurer Vorgesetzten. Und an dieser nicht nur nicht zu zweifeln, sondern felsenfest von ihr überzeugt zu sein, das ist die erste Pflicht des Soldaten. – Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold. –