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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 19 vom 30. Januar 1905


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XVII.
Krause über Kaisers Geburtstag.

"Aufstehen!"

Indem ich Euch sonst erlaubt habe, bei meinen Reden sitzen zu bleiben, gehört es sich, daß Ihr mir heute stehend zuhört, denn heute spreche ich zu Euch über das, was einem jeden Menschen, aber den Soldaten noch mehr als allen andern das Höchste ist auf Erden: über Kaisers Geburtstag. Von allen Festtagen, die das Jahr uns bringt, ist Kaisers Geburtstag der größte, was für Euch schon daraus hervorgeht, daß Ihr an diesem Tag ganz was besonders Gutes zu essen bekommt und die ganze Nacht Urlaub habt. Aber das nicht allein, erst geht Ihr in die Kirche, um Eurem Herrgott zu danken, daß er Euch solchen Kaiser gegeben hat, und dann habt Ihr auf dem Kasernenhof eine Parade. Wenn jemand als Zivilist einen andern feiern will, dann hält er eine lange Rede, der Soldat aber hält das Maul und drückt alles, was er sagen will, nicht mit seiner Schandschnauze aus, sondern mit seinen Beinen, indem er einen Parademarsch macht, bei dem er gehörig die Knie durchdrückt und die Fußspitzen auswärts nimmt, wie sich das bei allen anderen Gelegenheiten, und ganz besonders bei Kaisers Geburtstag für jeden, der nur einen Funken Patriotismus in seiner Seele verspürt, gehört. Wenn am Vorabend dieses großen Tages der große Zapfenstreich, der Gott sei Dank noch von keinem elenden Dichter zu einem schlechten Drama verarbeitet worden ist, und wenn am nächsten Morgen dann das große Wecken durch die Straßen der Stadt zieht, wenn die Truppen mit klingendem Spiel zur Kirche marschieren, dann drängen sich alle Zivilisten heran, einerlei, ob reich oder arm, ob hoch oder niedrig, sie alle wollen den Tag mit uns feiern. Und so gehört sich das auch.

Ich habe Euch schon einmal bei einer anderen Gelegenheit gesagt, es ist traurig genug, daß es den Deutschen erlaubt ist, sich zu denken, was sie wollen. In andern Ländern ist das ganz anders, so zum Beispiel in Rußland, wo, wer nicht so denkt, wie die Regierung es will, einfach nach Sibirien geschickt wird. Wir sind leider viel zu tolerant, wir ´haben noch keinen Verbannungsort, aber wir wollen hoffen, daß der Reichstag endlich die dazu nötigen Mittel bewilligen wird. Eine passende Gegend, die sich als Verbannungsort eignet, würde sich schon finden lassen.

Also, was ich sagen wollte, es ist des Jahres 1905 unwürdig, daß es schon eine Gedankenfreiheit gibt, und König Philipp hatte damals ganz recht, als er den Marquis von Posen zur Beobachtung seines Geisteszustandes einer Irrenanstalt überweisen ließ, als der Gedankenfreiheit verlangte. Das Denken ist also gestattet, und so sehr ich das von meinem Standpunkt aus auch verdamme, ein Gutes hat es doch, nämlich, daß an Kaisers Geburtstag jeder anders denkt als er sonst denkt, indem er gewissermaßen gar nicht denkt. Da freut er sich nur seines Daseins, da ist er froh und glücklich, geboren zu sein, da genießt er das schöne Fest, das ihm Gott beschieden, in vollen Zügen, und wenn er überhaupt etwas denkt, dann denkt er nur: "Es lebe der Kaiser!" Und das wollen auch wir denken, aber das nicht allein, wir wollen unserem Kaiser von neuem ewige Treue, ewigen Gehorsam und ewige Liebe schwören. Und wir wollen unseren Schwur auch dann halten, wenn wir einmal nicht mehr Soldaten sind, dann sogar erst recht. Denn es ist traurig für ein altes Soldatenherz, es mit ansehen zu müssen, wie so viele, sobald sie den bunten Rock nicht mehr anhaben, alles vergessen, was sie ihrem Kaiser gelobten, wie sie sich auf die Seite seiner Feinde stellen und es wagen, sein Tun und Treiben zu beurteilen. Als ob Ihr mit Eurem schafsdämlichen Verstand beurteilen könntet, warum unser Kaiser dies so macht und dies so, warum er heute dies befiehlt und morgen jenes. Der Kaiser wird schon wissen, warum er es tut, der ist tausendmal klüger als Ihr alle zusammen, das müßt Ihr Euch klar zu machen versuchen, dann werdet Ihr auch verstehen, was Ihr sonst nicht versteht. Wie ich z.B. trotz meiner Begeisterung für unsern Kaiser nicht begreife, warum er nicht einmal irgend jemandem den Krieg erklärt, denn daß ich nur im Frieden zeigen kann, was ich kann, das stimmt mich traurig.

Unser Kaiser hat den Beinamen der Friedenskaiser. Er will seinem Volk den Frieden erhalten, und das mag ihm manchmal nicht so leicht werden, schon deshalb nicht, weil er durch und durch Soldat ist und als solcher noch mehr als ich den Ehrgeiz besitzt, ins Feld zu rücken und Schlachten zu gewinnen. Den Feind zu besiegen, ist eine große Kleinigkeit, aber sich selbst zu besiegen, ist der schwerste Sieg. Dies Wort müßt Ihr Euch merken, nicht nur, weil es von mir ist, sondern weil unser Kaiser für die Wahrheit des Wortes das glänzendste Beispiel ist. Der mag oft genug in Versuchung kommen, mit einem Kreuzmillionen-Himmeldonnerwetter dazwischen zu fahren, aber habt Ihr unsern Kaiser schon einmal fluchen gehört ? Der flucht überhaupt nicht, schon weil er als Herrscher sich zu beherrschen versteht. Ich sage Euch, seid stolz darauf, daß Ihr einen solchen Kaiser habt, und versucht, ein jeder an seinem Platz, ein so guter Soldat zu werden, wie er es ist. Ich habe mal die Ehre gehabt, ein Kaisermanöver mitmachen zu dürfen. Da solltet Ihr mal sehen, wie der Kaiser vom frühen Morgen bis zum späten Abend im Sattel sitzt, ohne nur jemals die Spuren von Müdigkeit zu zeigen. Und ich habe auch einmal gesehen, wie unser Kaiser vom Pferde stieg, sich mit in die Schützenlinie legte, ein Gewehr zur Hand nahm und das sprungweise Vorgehen mit durchmachte. Das tat er, um sich davon zu überzeugen, ob die Anforderungen, die an Euch gestellt würden, auch nicht zu groß wären. Ihr hättet die erstaunten Gesichter der anderen Fürsten und der fremden Offiziere sehen sollen, als unser Kaiser zwischen ganz gewöhnlichen Soldaten auf der Erde lag, und sich von einem Hauptmann kommandieren ließ, als wäre er ein gewöhnlicher Musketier. Und so schnell wie er sprang keiner auf, und so schnell wie er warf keiner sich wieder hin. Von dem kann man etwas lernen, schon deshalb, weil er nie aufhört, selbst zu lernen, an dem solltet Ihr Euch als Soldaten ein Beispiel nehmen. Die ganze Welt spricht von ihm, die ganze Welt bewundert ihn, und wo immer er sich zeigt, da schlagen ihm die Herzen entgegen. Und darum sollen auch Eure Herzen ihm entgegenschlagen, denn wer seinen Kaiser nicht über alles liebt, der ist nicht wert, Kaisers Geburtstag mitzufeiern, der verdient es nicht, an diesem Tage überhaupt auf der Welt zu sein. Das sage ich euch, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts