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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 15 vom 2. Januar 1905


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XIII.
Krause über den Jahreswechsel.

Indem sich nun das alte Jahr seinem Ende nähert, was ich von der Existenz Eures Daseins leider nicht behaupten kann, und indem nun in drei Tagen das neue Jahr anfängt, ohne daß ich vorher noch einmal Gelegenheit habe, Euch um mich versammelt zu sehen, was für mich nicht nur ein Genuß, sondern gewissermaßen auch eine Ehre und eine Auszeichnung ist, also ich meine, mit Rücksicht darauf, daß in wenigen Tagen die letzte Stunde des alten Jahres schlägt, ist es wohl nicht ganz unangebracht, wenn ich heute mit Euch über den Jahreswechsel spreche.

Was ein Wechsel ist, werdet Ihr alle wissen, und wenn Ihr es nicht wißt, dann seid erst recht froh, denn die Bildung macht glücklich, Unwissenheit iat aber manchmal auch eine große Gnade Gottes, ebenso wie die Bowle, die man am Sylvesterabend trinkt, und welche sehr mannigfaltig sein kann, indem es die verschiedensten Arten von Sylvesterbowlen gibt, so z.B. solche, die man selber zahlen muß, und solche, auf die man eigenladen wird, wobei ich gleich bemerken möchte, daß ich mir selber nie eine leiste.

Wie ich Euch schon vorhin andeutete, ist es mit einem Wechsel immer eine faule Sache, und mit dem Jahreswechsel ebenso. Kein Mensch hat eine Ahnung, wie es wird, und es kommt immer anders, als man denkt, wobei diejenigen, die da gedankenlos in den Tag hineinleben, die einzigen sind, die man beneiden kann, weil ihnen keine Enttäuschung zuteil werden kann. Die anderen werden aber alle enttäuscht, was seinen Grund darin hat, daß man sich immer zu großen Hoffnungen hingibt. Es ist das dumm, das weiß ich ganz genau, trotzdem huldigen alle dieser Angewohnheit, sogar ich selber, indem ich mir jedesmal am Sylvesterabend wünsche, daß es im nächsten Jahr endlich einmal keine Rekruten mehr geben möge. Aber es gibt doch immer wieder welche, und was das Merkwürdige an dieser Naturerscheinung ist, sie werden immer krummer, obgleich man es kaum für möglich halten sollte, daß es Menschen gibt, die noch krummer sind, als Ihr es seid! – Wenn wir nun aber von dem, was das neue Jahr uns bringen wird, zurückkommen auf das, was das alte Jahr uns brachte, dann muß ich sagen, daß es selten ein Jahr gegeben hat, in dem unser Volk so viel Hervorragendes leistete, in dem wir auf allen Gebieten so große Erfolge zu verzeichnen hatten, wie gerade im Jahre 1904. Wenn wir mit der hohen Politik anfangen, so haben wir endlich den Hereros den Krieg erklärt, welcher immer noch andauert und hoffentlich auch noch lange dauern wird, damit die schwarzen Brüder mal gehörig Max und Moritz kennen lernen. In Bezug auf die Finanzen haben die verabschiedeten Herren Offiziere immer noch keine Pensionserhöhung bekommen, was insofern nicht allzu bedauerlich ist, weil sie die Erhöhung ja doch bald bekommen. Wenigstens steht das in der Zeitung. In Bezug auf Kunst und Wissenschaft war dieses Jahr fruchtbarer als irgend ein anderes. Es sind eine Unmenge Denkmäler enthüllt worden, wodurch der Tiergarten in Berlin endlich ein anständiges Aussehen bekommen hat, indem man die Bäume, die gar nicht hineinpassen, niederschlug und dafür ausgehauenen Marmor hinstellte. Und bei den damit verbundenen Enthüllungsfeierlichkeiten hat unser Heer Gelegenheit gefunden, zu beweisen, daß es im Parademarsch auf nie geahnter Höhe steht, und daß alle Befürchtungen, wir würden darin im nächsten Feldzug unterliegen, leeres Gerede sind. Was die Literatur angeht, so hat sie endlich ein Theaterstück hervorgebracht, das das beste ist, was je geschrieben wurde, es nennt sich "Über'm großen Teich", und die Musik bescherte uns eine Oper, auf die wir nicht nur warteten, seitdem sie bestellt war, sondern auf die unser Volk gewartet hat, solange es überhaupt Deutsche gibt. Und diese Oper ist der "Roland von Berlin", die den Kronenorden II. Klasse gekriegt hat. Das Theaterstück ist von einem Amerikaner, die Oper aber von einem Italiener, woraus Ihr sehen könnt, daß bei uns die Kunst noch sehr in den Windeln liegt. Wollen wir mit Ausnahme der Bildhauerei was Gutes haben, dann müssen wir uns das aus dem Ausland kommen lassen, dafür braucht das Ausland aber uns, wenn es Denkmäler haben will, was Ihr deutlich gesehen habt, als Italien uns um ein Standbild von Goethe und als die Amerikaner uns um den Großen Fritz baten. Wenn wir nun zur Gerichtspflege kommen, so ist da in diesem Jahr eine Entscheidung gefallen, die für das Wohlergehen des ganzen Vaterlandes und insonderheit für das Militär von der größten Bedeutung ist. Es ist nämlich entschieden worden, daß kein Untergebener jemals das Recht hat, sich gegen einen Vorgesetzten zur Wehr zu setzen. Es ist also damit ausdrücklich gesagt worden, daß es eine Notwehr nicht gibt, was schon lange meinem eigenen Empfinden entspricht, indem die Notwehr eine rein zivilistische Erfindung ist, mit der sich jeder herauslügt, der einen anderen angriff. Bedeutendere Ereignisse wüßte ich aus dem verflossenen Jahr nicht zu vermelden, aber ich glaube, was ich sagte, ist mehr als genug, um Euch zu beweisen, daß dies Jahr alle seine Vorgänger in jeder Hinsicht übertroffen hat. Wenn wir uns dmnächst bei 'ner Sylvesterbowle häuslich niederlassen, dann wollen wir hoffen, daß das neue Jahr in jeder Hinsicht dem alten gleicht. Und wir wollen denn guten Mutes und schwankenden Schrittes, wenn es erst so weit ist, in das neue Jahr hineingehen. Euch wünsche ich, daß es Euch viel länger, als Ihr es verdient, vergönnt sein möge, im bunten Rock zu stecken, Euch wünsche ich die Einführung einer zehnjährigen Dienstzeit, mir aber wünsche ich, daß meine Augen Euch bald nicht mehr zu sehen brauchen, denn ich habe Euch schon mehr als reichlich genossen, und auch im Genuß soll man mäßig sein.

Na, es ist nun mal eine alte Geschichte, daß selbst der härteste Mensch weich wird, wenn die letzte Stunde des alten Jahres herannaht, und wie sollte ich da nicht weich werden, dessen Herz einem pflaumenweich gekochten Ei gleicht ? So will ich zur Feier des bevorstehenden Neujahrsfestes denn Gnade für Recht ergehen lassen, ich will Euch verzeihen, daß Ihr lebt, ja ich will Euch sogar die entsetzlichen Stunden verzeihen, die Ihr mir schon bereitet habt. Denn Gnade walten zu lassen, allen zu vergeben, die uns Böses taten, das ist die vornehmste Pflicht eines jeden Menschen am Sylvesterabend. – Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts