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Ein buntes Blatt für Alle und Alles
No. 14 vom 26. Dezember 1904


Die Reden des Sergeanten Krause

Herausgegeben von Freiherrn von Schlicht

XII.
Krause über Urlaub.

Indem sich nun, dank der Güte und der Nachsicht Eurer Vorgesetzten, bald das Weihnachtsfest nähert, wo diejenigen von Euch, die es verdient haben, obgleich es nach meiner gewissenhaften Auffassung keiner von Euch verdient, also, ich sage, indem nun bald die Tage da sind, wo Ihr auf Urlaub gehen könnt, muß ich mit Euch auch über diesen Punkt reden. Ihr wißt, die Gabe der Beredsamkeit ist mir in nicht gewöhnlichem Maße verliehen, und ich kann über alles sprechen, nur über den Urlaub nicht; denn es fehlen mir die Worte für einen Menschen, der überhaupt daran denkt, auf Urlaub zu gehen. Seht mich an, so lange ich nun schon im bunten Rock stecke, bin ich noch nicht ein einziges Mal auf Urlaub gefahren, weil nach meiner Meinung von allen Erfindungen der Neuzeit die, sich seiner Pflicht zu entziehen und sich freie Tage zu machen, die elendeste ist. Und daß Ihr auf Urlaub geht, hat weiter keinen Zweck, als daß Ihr Euch zu Hause wieder verweichlicht, daß Ihr wieder zivilistisch angehaucht werdet. Ihr verderbt Euch den Magen, und das nicht allein, auch Euer Gehirn, und verlernt alles wieder, was wir Euch in langer Zeit beizubringen versucht haben. Ich habe schon gestern mit dem Herrn Feldwebel gesprochen und ihn gefragt, ob Ihr nicht Euer Gewehr mit nach Hause nehmen könnt, aber er meinte, erstens wäre das ja leider verboten, und zweitens hätte das ja doch keinen Zweck, wenn man nicht jedem von Euch einen Gefreiten mitgeben könnte, denn wenn der Euch nicht die Zwangsjacke anlegt, dann übt Ihr zu Hause ja doch keine Griffe. Da mag der Herr Feldwebel wohl recht haben, aber es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß Ihr nicht aus eigener Initiative den Wunsch habt, es den Edelsten der Nation inbezug auf gute Gewehrgriffe gleichzutun. Und deshalb sage ich Euch, wer Ehrgefühl im Leibe hat, der bleibt über Weihnachten in der Kaserne und denkt gar nicht daran, nach Hause zu gehen. Wer da heiratet, der soll Vater und Mutter verlassen und dem Weibe, das er liebt, folgen. Wer sich aber als Soldat gewissermaßen seinem Könige vermählt, der darf erst recht keinen weltlichen Gedanken mehr haben, der muß ganz in seinem Beruf aufgehen. Aber Ihr seid ja Heuchler und falsche Seelen, anstatt Gott täglich zu danken, daß Ihr Soldaten seid, zählt Ihr im stillen die Stunden, bis Ihr den bunten Rock wieder auszieht und in die Heimat zurückkehren könnt. Was ist die Heimat ? Eine Sache, für die man stirbt, aber für die man nicht lebt. Ihr wißt, ich bin eine Engelsnatur, aber ich gebe der Wahrheit die Ehre, und werde rasend, wenn ich daran denke, daß Ihr auf Urlaub fahrt. – Und doch hätte gerade ich alle Ursache, darüber froh zu sein; denn das dürft Ihr mir schon glauben, es gibt einen größeren Genuß auf Erden, als täglich in Eure schafsdämlichen Gesichter zu sehen. Tage der Ruhe und der Erholung wären mir wohl zu gönnen; aber höher als das eigene Wohlergehen steht mir das Wohlergehen des Vaterlandes. Und das Vaterland braucht Euch, sonst hätte es Euch gar nicht einberufen; und anstatt nun stolz darauf zu sein, daß das Vaterland Eure Knochen für den Fall eines Krieges nicht entbehren kann, strebt Ihr hinaus in die Welt.

Hol' Euch alle miteinander die Pest! Und ich sehe Euch schon auf Urlaub, die krümmsten werden da nach ihrer Meinung die geradesten sein, und sie werden Wunderdinge erzählen, die sie beim Milität verrichten, sie werden erzählen, daß die Vorgesetzten mit ihnen zufrieden sind, und dann ist nicht mal einer da, der ihnen auf den Mund schlägt, damit sie an ihrer Lüge ersticken. Jammergestalten seid Ihr, aber Vater und Mutter werden Euch sehr schön finden, und die kleinen Mädchen im Dorf werden euch anschwärmen, als kämt Ihr als siegreiche Krieger aus Südwestafrika zurück, von wo es Gott sei Dank noch lange keine Heimkehr gibt; denn es wäre traurig um die Kriege bestellt, wenn sie schon zu Ende wären, nachdem sie eben angefangen haben. Elende Wichte, wohin zieht Euch Euer Herz ? Nach dem Pfefferkuchen und dem frischgeschlachteten Schwein, oder was es sonst bei Euch zu Hause zu essen gibt. Dick und dümmer als je kommt Ihr zurück, und wer hat dann die ehrenvolle Aufgabe, alles wieder aus Euch herauszutreiben ? Ich, der Sergeant Krause! Ich höre schon, wie Ihr vor mir erzählt, wie die Eltern fragen: Ist er auch gut zu Euch, behandelt er Dich freundlich ? Dann gebt der Wahrheit die Ehre und sagt, daß ich Euch liebe, daß mein Herz nur Euch entgegenschlägt, daß ich Euch am liebsten den ganzen Tag an meine Brust drückte und daß ich es nur deshalb nicht täte, weil ich fürchtete, es könnte Euch dabei für alle Zeiten die Puste ausgehen. Erzählt zu Haus, wie gut Ihr es hier habt, wie wir uns den ganzen Tag mit Euch beschäftigen, wie wir Euch keine freie Minute lassen, damit Ihr nicht auf törichte Gedanken kommt, wie wir bestrebt sind, aus Euch gute Soldaten zu machen. Weinen möchte ich, wenn ich daran denke, wie die Frucht meiner geistigen Arbeit bei Euch zu Hause ersterben wird, wie Ihr verroht, verwildert und verlumpt zurückkehrt. Eine Liebe tut mir wenigstens, vergeßt auf Urlaub nicht ganz, daß Ihr Soldaten seid. Ein Mensch zu sein, schließt ja schon gewisse Pflichten in sich, Soldat zu sein, stellt aber viel höhere Ansprüche. Fliehet die Weiber, denn sie sind Gift, fliehet den Alkohol, er ist ebenfalls Gift, und fliehet die Zivilisten; denn sie sind das schlimmste Gift. Sonst bin ich gewiß der Letzte, der Euch zur Flucht ermahnt. Aber den Versuchungen zu entfliehen, die dazu angetan sind, uns sittlich und moralisch zu verderben, obgleich an Euch ja eigentlich nicht mehr viel zu verderben ist, diesen Versuchungen gegenüber die Flucht zu ergreifen, ist gewissermaßen ein Zeichen der Tapferkeit. So sehe ich Euch betrübten Herzens scheiden, nur eine Hoffnung hält mich aufrecht: daß Euch unter dem brennenden Tannenbaum vielleicht doch die Erkenntnis kommt, wo Eure Heimat ist, nämlich in der Kaserne, und daß Ihr Euch dann gelobt, das zu werden, was Ihr leider immer noch nicht seid, gute Soldaten. Das Kasernentor steht demjenigen, der vor Beendigung seines Urlaubs freiwillig zurückkehren will, jederzeit offen. Kommt, wartet nicht, bis Euch das letzte Stündlein geschlagen hat, je eher Ihr kommt, um so größer ist Eure innere Befriedigung, und die innere Befriedigung ist das, ohne was man als gebildeter Mensch nicht leben kann. Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles, was ich sage, ist eitel Gold.



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© Karlheinz Everts