Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ich glaube, selbst der Dümmste unter Euch, von dem ich allerdings nicht weiß, wer er ist, denn wie andere um die Palme der Tugend, so streitet Ihr um die Palme der Borniertheit, wobei mich aber doch meine Meinung zu der überzeugenden Ansicht drängt, daß Meier derjenige ist, welcher. Also ich meine, selbst unter Euch ist niemand, der nicht schon einmal das Wort gehört hat, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Ich aber sage Euch, dieses Wort enthält eine tiefe, große physologische Unwahrheit, gewissermaßen eine mit Eichenlaub und Schwertern. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und nicht jeder Mensch ist zu seinem Glücke geboren, viele sogar zum Unglück für die anderen, was eigentlich dieselbe Sache in grün ist, jedoch bei der heutigen Farbenblindheit der modernen Maler, deren ganze Richtung mir nicht paßt, leicht zu Verwechselungen Anlaß gibt. Reden ist Silber; ich aber sage Euch, Ihr habt überhaupt nichts zu reden. Euer ganzes Unglück beim Militär kommt ja eben daher, daß Ihr das Maul nicht halten könnt, daß Ihr immer redet, wenn Ihr nicht gefragt seid, daß Ihr beständig gegen Eure Vorgesetzten ankolkt, nicht nur in Gedanken, was uns noch gleichgültiger als ganz ist, sondern auch in Worten. Und wer da wagt, gegen einen Höheren auszusprechen, der macht sich nicht nur der Insubordination schuldig, sondern der Rebellion, des Aufruhrs und des öffentlichen Ärgernisses. Iht habt überhaupt nicht zu reden. Ihr seid keine Reichstags-Abgeordneten, von denen es allerdings auch häufig viel patriotischer wäre, sie unterdrückten ihre Rede ebenfalls. Ihr seid Soldaten, gewissermaßen besoldete Staatsbeamte mit 22 Pfennig Gehalt pro Tag, da gibt es für Euch nur eine Rede, die heißt: "Zu Befehl!" und alles andere ist Unsinn. Im Gegensatz zu anderen Menschen seid Ihr in der glücklichen Lage, nur reden zu müssen, wenn Ihr gefragt werdet, wobei Ihr Euch allerdings dann meistens dadurch auszeichnet, daß Ihr in solchen Augenblicken nichts zu sagen wißt, was natürlich an Eurer schafsdämlichen Dummheit liegt, wofür wir dann aber angeschnauzt werden, weil man uns dann den Vorwurf macht, wir hätten uns nicht die Mühe gegeben, Euer geistiges Fluidum flüssig zu machen, was allerdings bei Kohlenstoff wohl leichter ist, als bei jener Masse, die Ihr an Stelle des Gehirnschmalzes unter Eurer Feldmütze spazieren tragt. Zur rechten Zeit sollt und müßt aber auch Ihr reden können, so z.B. in der Instruktionsstunde. Wenn ich Euch allein höre, könnt Ihr mir getrost die Antwort schuldig bleiben, denn ich weiß ja doch, daß Ihr nichts wißt, und mir ist es schon lieber, Ihr sagt gar nichts, als daß Ihr so'n Unsinn redet. Aber die höheren Vorgesetzten denken über diesen Punkt anders, und wenn ich mir auch nicht erlaube, deren Ansichten zu kritisieren, so muß ich doch sagen, daß ich sie für total falsch halte. Die hohen Herren erwarten von Euch eine Rede. Reden zu können ist aber eine Kunst, die da wenigen Begabten verliehen ist. Ihr wißt, von mir selbst spreche ich prinzipiell nicht; meine Bescheidenheit verbietet mir, mein Licht unter dem Scheffel hervorzuholen, und außerdem habe ich das auch nicht nötig, denn man kennt mich in der ganzen zivilisierten Welt. Man wartet auf meine Reden mit ebenso großer Ungeduld, wie auf die unseres großen Reichskanzlers Büchmann, deren Inhalt Graf Bülow, ein gewisser hoher Staatsbeamter, dann jedesmal, als wäre es eine Rede von ihm, in die Welt telegraphieren läßt. Wie heutzutage der Telegraph überhaupt mehr dazu da ist, das zu melden, was geredet wird, als das, was getan wird, woraus man aber den Telegraphen keinen Vorwurf machen kann. Ja, es ist eine große Kunst um das Reden. Zunächst handelt es sich dabei um die Stilistik, je kürzer und klarer man sich ausdrückt, um so besser ist es. Immer ganz kurze, klare Sätze, aus denen sofort hervorgeht, was man will! Nur alte Weiber reden Kohl, der meistens auch noch danach ist. In der Kürze liegt die Würze, und nichts ist falscher, als wenn es Redner gibt, die da beständig einen Satz in den anderen hineinschachteln, die da vom Zehnten ins Hundertste kommen, und die sich dann einbilden, sie wären große Redner, wenn sie in solcher Art und Weise drauf losreden. Die Hauptsache für einen Redner ist, wie ich schon sage, daß er sich kurz faßt, auf der anderen Seite muß er aber imstande sein, jeden, der sich ihm in den Weg stellt, einfach totzureden, er muß reden können, daß dem anderen der Atem vergeht, und er selbst muß immer noch Luft genug haben, um noch ein paar Stunden weitersprechen zu können. Was er sagt, ist ganz egal, es kommt nur darauf an, daß er viel sagt, selbstverständlich nur beim Zivil, beim Militär sind solche Leute nicht zu gebrauchen, und wenn ich an Eurer gesitigen Entwicklung arbeite, wenn ich mich in schlummerlosen Nächten, während Ihr um mich herumschnarcht, auf meine Reden vorbereite, bis ich darüber einschlafe, dann sage ich mir immer: quatsch nich, Krause! Nur nicht weitläufig werden, sage das, was Du auf dem Herzen hast, und ich habe viel auf dem Herzen, das könnt Ihr mir glauben, und ich bekomme manchmal nicht nur Herzkrämpfe, sondern meine Galle und mein Blut kommt auch fast täglich in Wallung, wenn ich an Euch denke, und in Gedanken verhänge ich täglich über Euch die schwersten Freiheits- und Ehrenstrafen, leider nur in Gedanken, Euch zum Glück, dem Staate zum baldigen Untergang. Also, ich wollte sagen, ich mache mir immer klar: sage das, was Du sagen willst, ohne jeden Umschweif, drück Dich kurz, allgemein verständlich und vor allen Dingen gebildet aus, und Meier, Sie Dreckigel, wenn Sie noch einmal mit derartigen Mistklauen zu einer Vortragsstunde kommen, dann haue ich Ihnen in Gedanken eine runter, daß der Turm von Pisa das Wackeln kriegt und bei der Gelegenheit endlich mal gerade wird. Und das war das, was ich Euch im großen Ganzen sagen wollte. Auch an Euch kann einmal die Stunde herankommen, in der Ihr zu Reden gezwungen seid. Und dann vergeßt nicht, was ich Euch sagte, und denkt an das alte Wort: quatsch nich, Krause! Redet so, wie ich Euch lehrte, kurz, klar und präzise, denn die Präzisität ist die Haupttugend im ganzen menschlichen Leben.
Das sage ich, der Sergeant Krause, und alles was ich sage, ist eitel Gold. –