Freiherr v. Schlicht
in Magdeburg.


Anzeigen des Kabaretts „Libelle” im „Magdeburger General-Anzeiger” in den Monaten Mai und Juni 1924:

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„Magdeburger General-Anzeiger” vom 15.Mai 1924:

Ein Abend mit Freiherrn von Schlicht.

Die Zeitungen und die Plakatsäulen verkünden's seit langem: Freiherr von Schlicht liest in einem Magdeburger Kabarett. Wolf Graf von Baudissin – so heißt er in Wirklichkeit – im Brettl! Das wunderte mich sehr, und manchen mag's gleich mir gegangen sein. Denn wer kennt ihn nicht, den frohen unverwüstlichen Plauderer, der Romane, Skizzen, Theaterstücke („Im bunten Rock” u.a.) und eine kaum übersehbare Zahl von Militärhumoresken schrieb, die in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren in den Buchläden auslagen und, da die Nachfrage des Publikums aller Stände nie nachließ, Rekordziffern in den Auflagen erreichten?

Mag der gestrenge Literaturkritikus zu diesem erstaunlich fruchtbaren Schaffen manchmal die Achseln gezuckt haben, eins ist sicher: Schlicht hat wohl den meisten seiner Leser, wenn sie nach des Tages Last und Mühe einmal ausspannen wollten, durch die besten seiner Werke Stunden frohen und freudigen Lachens geschenkt. Und das müssen wir ihm danken.

Und dieser Mann geht ins Kabarett? Ich machte, wie viele, die den Schriftsteller kennen, ein dickes Fragezeichen, als ich die Ankündigung las. – Er hat es mir selbst aufgelöst, als ich ihm nach seinem Auftreten in der „Libelle” vorgestellt wurde. Beim Gläschen Bier plauderte er.

„Ich habe es eben an meinen mir von der weisen Natur dazu eigens verliehenen fünf Fingern, die aber in Wirklichkeit ja glücklicherweise zehn sind, nachgezählt: es sind nun schon neunzehn lange Monate, daß ich als fahrender, nicht singender Sänger durch Deutschlands Gaue fahre, um, dem Zuge der Zeit folgend, in den ersten und vornehmsten Kabaretten meine Humoresken mehr frei zu erzählen als vorzulesen. Und da erlebe ich in jeder, aber auch in jeder Stadt, daß der eine oder der andere meiner Zuhörer nach meinem Vortrag zu mir kommt und mir sagt: Nicht wahr, Sie sind doch gar nicht der wirkliche Schlicht, denn der Schlicht, der all die zahllosen Bücher geschrieben, und mit ihnen so viel Geld verdient und erspart hat, der hat es doch selbstverständlich nicht nötig, zum Kabarett zu gehen.

Nicht wahr, Sie haben doch nur die Erlaubnis, unter dem Namen Schlicht aufzutreten und dessen Sachen zu lesen? Und wenn ich den Leuten dann erklärte: Ihr irrt euch, ich bin wirklich der Schlicht, und selbst wenn ich soviel verdient und erübrigt hätte, wie ihr glaubt, und Millionen und aber Millionen besäße, wollt ihr mir dann, bitte, sagen, wie ich heute von den Zinsen leben sollte? Dann geben sie mir zur Antwort: Ja, das allerdings, da haben Sie recht, aber trotzdem – trotzdem glauben sie mir nicht und gehen kopfschüttelnd davon. Na, laß sie schütteln.”

Vorher lassen sich indessen die Schüttler – scheint mir – gern heiter stimmen durch den Grafen. Am Dienstag abend war's jedenfalls bestimmt so. Ein stattlicher, freundlicher Herr – ergrauter Vollbart, dichtes Haar, lebhafte Augen! – betrat das Podium, nahm in einem Korbsessel Platz und las zwei seiner bekannteren Sachen. Eine Plauderei aus dem Buche: „Die Frau, meine Frau” und – „Meyers Urlaub”. Der Frau im allgemeinen und im besonderen werden allerlei süße und bittere Wahrheiten gesagt. Scharf gesehen sind diese netten Bosheiten, und sie wirkten. Denn sie sind heute noch ebenso zeitgemäß wie damals, als sie Schlicht aus der Feder flossen.

Und dann versprach uns der Vortragende, etwas ernster zu kommen. Er tat es wirklich. Denn „Meyers Urlaub” ist keine „Humoreske”, ist vielmehr eine Geschichte mit ernstem Hintergrund. Ein bisserl sentimental sogar.

Aber solche Kerle wie Meyer, den „krümmsten der krummen” Rekruten, gibt es. Einen einzigen guten Griff soll er seinem Hauptmann vormachen, dann winkt ihm der Weihnachtsurlaub. Einen einzigen guten Griff! Und Meyer probiert Tag und Nacht unverdrossen, versucht das Unerreichbare zu bannen, doch als das Examen beginnt, stößt er sich bei „Gewehr über!” – den Helm vom Kopfe. Der Hauptmann tut, als habe er nichts gesehen und verschwindet. Er will dem fleißigen und gutwilligen Schmerzenskind der Kompagnie das Christfest nicht verderben. Und als er wiederkommt, steht Meyer noch immer helmlos, wie ein begossener Pudel da: „Ich wollte Herrn Hauptmann nicht betrügen.” – Acht Tage später wird ihm der Urlaubsschein zugestellt. Ein feines Geschichtchen. Einige hielten es für eine Humoreske und – lachten. Auf solche Leute ist Schlicht böse. Denn dieses Werkchen ist ihm besonders ans Herz gewachsen, gerade wegen seines ernsten Untertones.

Freiherr von Schlicht ist kein Vortragskünstler. Er hat keine Sprechstudien getrieben. Er läßt den Stoff allein wirken, spricht meist frei aus dem Gedächtnis, nur einzelne Stellen liest er ab. Eine leise Ironie geht durch seinen Vortrag, aber diese Ironie ist nicht bissig. Ebensowenig bissig wie das, was er darbot. Und auf seinem Gesicht ist Güte. Manchmal kommt aber auch der Offizier zum Durchbruch.

Als das Kabarett zu Ende war, saßen wir noch lange in einer gemütlichen Ecke beisammen. Der Graf erzählte von seinem Wanderleben einst und jetzt. Damals durchstreifte er die Welt nach Norden, Osten, Süden, Westen. Spitzbergen und das ewige Eis, das Schwarze Meer, Jerusalem, Damaskus und Spanien hat er gesehen. Fahrten zur Erholung waren es, die er unternahm. Heute ist er wieder ein unsteter Wandersmann geworden. Der Beruf führt ihn fort. Sein Haus in Weimar hat er verlassen müssen, um Geld zu verdienen. Keine Weltreisen sind es mehr, die er unternimmt, nur in Deutschland fährt er von Stadt zu Stadt, von Kabarett zu Kabarett. Bremen, Braunschweig, Hamburg, Essen, Mannheim, Leipzig sahen ihn bereits auf dem Podium.

Nicht immer ist's ihm leicht, dies Auf-Kommando-lustig-sein-müssen. Manchmal hängt es ihm . . . . . Schlicht macht eine drastische Gebärde. Und doch ist ihm die Tätigkeit auf dem „Nudelbrett” nicht fremd. Schon im Wolzogen-Ueberbrettl ist er als Gast aufgetreten, und vor etwa zwanzig Jahren in Berlin und Wien. Er kennt also den Betrieb nicht erst seit vorgestern. Von den Leuten vor und hinter den Kulissen gab es ernste und spaßige Dinge zu sagen. Der jetzt Siebenundfünfzigjährige hat da reiche Erfahrungen gesammelt. Mit hoher Achtung sprach er von dem Ernst, mit dem der echte Artist bei der Sache ist, vom Kameradschaftsgeist, von all den Dingen, die Publikus, wenn er erwartungsvoll im Zuschauerraum sitzt und sich mühelos unterhalten läßt, kaum bedenkt, weil das da oben so spielend leicht vor sich geht.

Und zuletzt kam Freiherr von Schlicht auf seine eigenen Werke zu sprechen. Er hofft, daß es ihm die Stabilisierung der Mark ermöglicht, bald wieder seinem schriftstellerischen Schaffen zu leben. Denn das betrachtet er ja doch als seinen wirklichen, einzigen Lebensberuf. Und wenn er weiterhin Geschichten schreibt, in denen das Militär eine Rolle spielt, dann will er, auch wenn in ihnen ein Lächeln ist, etwas im Volke wachhalten, das jeder echte Deutsche empfinden muß: Die Achtung vor dem Großen in der Vergangenheit.

Ein erfrischendes Plauderstündchen schenkte mir Graf Baudissin. Schönen Dank auch!
Dr. Günter ... [im Original unleserlich. D.Hrsgb.]



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© Karlheinz Everts