Todesfall von Louise Gräfin Baudissin geb. del Strother

Mutter von Wolf Graf Baudissin

Der Lübecker General-Anzeiger meldet in seiner Nummer 109 vom Donnerstag, 12. Mai 1910:

Todesanzeige

Und im "Lübecker Tagesbericht" in der Nummer 113 der Zeitung "Lübecker Nachrichten und Eisenbahn-Zeitung" ist zu lesen:

Lübeck, 17. Mai

Die erste Feuerbestattung in Lübeck.

Das auf dem Vorwerker Friedhof vom Staat errichtete Krematorium ist heute vormittag mit der Einäscherung der hier verstorbenen Gräfin Baudissin in Betrieb genommen worden. Der voraufgegangenen Trauerfeier wohnten nur die nächsten Anverwandten bei, sonstiges Publikum hatte sich nicht dazu eingefunden. Die Besichtigung des Krematoriums war ja am ersten Pfingsttage für Jedermann schon freigegeben und davon ausgiebiger Gebrauch gemacht wordne. Die Trauerfeier wurde mit einem Harmoniumspiel eingeleitet, die Trauerversammlung sang den Choral: "Wenn ich einmal soll scheiden", der Chor setzte mit einer Motette ein, worauf Herr Pastor Marth das Wort zu einer kurzen Predigt nahm, in welcher er das Leben und Wirken der Verstorbenen schilderte. Nach Gebet und Segen sank dann der Sarg unter Harmoniumspiel lautlos in die Tiefe, die Öffnung verschloß sich und die erhebende Trauerfeier hatte ihr Ende erreicht. Der sonst die Angehörigen der Verstorbenen so tief erschütternde Gang zur letzten Ruhestätte, das Hinablassen des Sarges in die Gruft, das nochmalige Abschiednehmen, das alles wird den Leidtragenden bei der Feuerbestattung erspart und das Andenken an die Heimgegangenen bleibt in gleicher Weise gewahrt, wenn nach vollzogener Einäscherung die Überreste in einer Urne dem Urnenhaine einverleibt werden. Die einfache aber erhebende Trauerfeier, die der Einäscherung vorausgeht, dürfte für viele der Anlaß sein, Anhänger der Feuerbestattung zu werden. Wie man uns mitteilt, hat der in Weimar lebende Schriftsteller Wolf Graf Baudissin der Bestattung seiner Mutter wegen Kränklichkeit nicht beiwohnen können.


Grab-1     Grab-2

(Dank an Herrn Joachim Schütt, Lübeck, für diese Fotos des Grabsteins.)


In dem "Tagesbericht" der "Lübeckischen Anzeigen" vom Dienstag, 17. Mai 1910, liest man ebenfalls:

Die erste Leichenverbrennung im Krematorium.
Die sterbliche Hülle der am Donnerstag nachmittag verschiedenen Gräfin Louise von Baudissin, geb. del Strothen (sic! d. Hrsgb.), wurde heute vormittag in dem neuerbauten staatlichen Krematorium auf dem Vorwerker Friedhof verbrannt. Es war dies die erste Leichenverbrennung, die an dieser Stätte vorgenommen wurde. An der Verbrennungsfeierlichkeit nahm nur ein enger Kreis von Familienmitgliedern teil. Der auch hier durch seine unter dem Pseudonym Frhr. von Schlicht veröffentlichten schriftstellerischen Werke bekannt gewordene Sohn der Verstorbenen, Graf Wolf von Baudissin, mußte infolge eines starken Nervenleidens fernbleiben, er befindet sich gegenwärtig in Bad Elster zur Kur. Die Trauerfeier selbst gestaltete sich in dem schönen mit Blumen und Kränzen geschmückten, mit Sonnenlicht und Kerzenschein erhellten freundlichen Raum außerordentlich weihevoll. Nachdem die feierlichen Klänge des Harmoniums verklungen waren, ertönte vom Chor herab die ergreifende Weise des Chorals "Wenn ich einmal soll scheiden". Hierauf hielt Herr Hauptpastor Marth eine sehr wirksame Trauerrede, der er das Bibelwort zugrunde legte: "Die Liebe höret nimmer auf". (1. Korinther, Kap.13, Vers 8.) Nachdem er das Gebet und den Segen gesprochen hatte, senkte sich der Baldachin mit dem kranzgeschmückten Sarg unter den ernsten stimmungsvollen Klängen des Harmoniums ganz allmählich in den Verbrennungsraum hinab, wo des Feuers unbezwingliche Macht in kaum mehr als einstündiger Frist die mühevolle Arbeit des Erdbodens während eines Menschenalters bewältigte.


Das „Hamburger Fremdenblatt” bringt am 19.Mai 1910 folgende Nachricht:

Lübeck, 17. Mai. Das Lübecker Krematorium war in den Pfingsttagen der Bevölkerung zur Besichtigung zugänglich. Tausende strömten nach dem Friedhof hinaus, um die ebenso stimmungsvolle wie technisch ausgezeichnete Anlage zu sehen. Heute wurde diese erste Leiche hier durch Feuer bestattet. Die Gräfin Baudissin, die Mutter des humoristischen Militärschriftstellers Freiherrn von Schlicht, hatte als ihren letzten Willen bekundet, daß ihre Leiche verbrannt werden solle. Pastor Marth von St. Marien hielt der Entschlafenen einen tiefempfundenen Nachruf. Dann senkte sich der Sarg unter Orgelklang in die Tiefe. Alle Leidtragenden schieden mit der Empfindung, daß diese Bestattungsart doch ihre ganz besonderen Vorzüge habe.


© Karlheinz Everts