St.Petersburger Zeitung vom 4./17. Nov. 1902 |
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Im bunten RockLustspiel in drei AktenvonFranz von Schönthan und Freiherr von Schlicht
Aufführungen in St.Petersburg:am 22., 25. und 28.Nov. 1902 im Theater Schabelskaja durch das „Deutsche Ensemble-Gastspiel” unter der Leitung des Direktors Carl William Büller |
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Besetzungsliste: | |||
am 22., 25. und 28.Nov. 1902 | März 1903 | Dez. 1912 | |
Fabrikant Wiedebrecht.
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Dir. Carl William Büller |
Georg Engels |
Dir. Max Tobien |
In der „St.Petersburger Zeitung” vom 10./23. Nov. 1902 findet man folgenden Artikel:
Deutsches Gesamtgastspiel unter Leitung des Herrn Karl William Büller. Auch der zweite Abend des Büllerschen Ensemblegastspiels im Schabelskaja-Theater stand unter denselben günstigen Vorzeichen wie der erste: wiederum ein nahezu ausverkauftes Haus, Stimmung von Anfang bis zu Ende und wärmste Beifallsspenden an den Aktschlüssen und bei offener Scene. Zur Aufführung gelangte eine der jüngsten Lustspielnovitäten des Berliner Theatermarktes, die Lieutenantskomödie „Im bunten Rock” von Schönthan und Schlicht. Über die literarischen Qualitäten des Stückes braucht man keine Abhandlung zu schreiben; das haben die Verfasser selbst nicht gewollt. Desto mehr wissen Theaterdirektoren und Kassirer die anderen guten Eigenschaften der Neuheit zu loben, als da sind: unbedingte Hypnose aller Derer, die fürs zweierlei Tuch schwärmen, ausgiebige Erregung des Zwerchfells und Anziehungskraft für Leute, denen eine unter fröhlichen Späßen ins Glatte kommende Verlobung mehr ist als alle problematischen Grübelgenüsse. Allzuviel Neues ist freilich von dem Kenner unserer militärisch-dramatischen Produktion der letzten zwei, drei Decennien in dieser Schöpfung der neuen Kompagniefirma nicht zu entdecken. Aber man würde ungerecht sein, wenn man verkennen wollte, daß die Verfasser amüsant gearbeitet haben und Altes in schmackhafter Zurichtung neu zu serviren wissen. Der Inhalt ist bald erzählt.
Ein Fabrikant möchte seine Nichte, eine junge, reiche Wittwe aus dem Lande der Dollarbräute, gern an seinen Sohn Hans, augenblicklich Einjähriger bei der Infanterie, verheirathen. Um dem etwas unbeholfenen Anfänger auf dem Parkett des Courschneidens die Sache zu erleichtern, überträgt er in freundschaftlichster Zuneigung einem schneidigen Reiteroffizier, dem Husarenlieutenant Viktor v.Hohenegg, die Aufgabe, alle überflüssigen Anbeter der erkorenen Schwiegertochter fern zu halten. Der kecke Reitersmann nimmt nach einigem Zögern an, und was der Erfolg ist, kann der Leser errathen, auch ohne daß wirs ihm erzählen. Ja, der zum Fliegenwedel bestimmte Lieutenant geht mit echt preußischer Brillanz sogar so rasch und scharf vor, daß er sich zum Erschrecken der Verfasser schon am Schlusse des zweiten Aktes mit dem Objekt seiner Bewedelung verlobt. Doch da Hans, der Einjährige, auch noch sein Gretchen bekommen muß, so ist ja noch Stoff genug für den dritten Akt übrig, und da hier auch im wahrsten Sinne des Wortes das Hauptpulver verschossen wird, das die Autoren auf der Pfanne hatten - die Scene spielt nämlich in einem veritablen Manöver mit Tsching-bum-bum und Paukenschlag - so wird der Zuhörer auch nach der offiziellen Verlobungsanzeige der Hauptfiguren noch genügend in Athem und Laune gehalten. Der zweite Akt mit einer im Genre dieser Stücke brillant gelungenen und mit liebenswürdigem, feinen Lebenshumor durchgeführten Liebesscene bleibt freilich trotzdem der Höhepunkt des Lustspiels. Im ersten ermüden einige überflüssige Breiten der Exposition, im letzten zerfällt die Komposition in die bunten Bilder einer Militärhumoreske.
Auch in der Darstellung am Sonnabend bedeutete der zweite Akt den entschiedenen Höhepunkt des Abends, und zwar einen Höhepunkt nicht nur in relativer, sondern in absoluter Beziehung - dank dem ganz ausgezeichneten Spiel der beiden Hauptbetheiligten, des Fräulein Clemens und des Herrn Schroth. Fräulein Clemens, die Hauptstütze des Damenpersonals des Ensembles, die an diesem Abend zum ersten Mal vor das Petersburger Publikum trat, errang in der Rolle der Amerikanerin einen ungetheilten, nachhaltigen Erfolg. Ein reizendes, sympathisches Äußere, das durch einen sehr aparten Geschmack in Toilettenfragen wesentlich unterstützt wird, eine instinktive Sicherheit auf der Skala der Gefühlstöne, eine vornehme Natürlichkeit in den Bewegungen – Alles vereinigte sich zu einem so charmereichen, entzückenden Bilde, daß das Publikum sofort gefangen wurde. Auch bei offener Scene fand die vielversprechende Künstlerin, die übrigens ein prachtvolles, naturechtes Amerikanisch-Deutsch verzapfte, herzlichsten Beifall. Daß Herr Schroth nach seiner gestrigen Probe auch einen perfekten Viktor abgeben würde, konnte man sich vorstellen. Ohne in der beliebten Übertreibung der Lieutenantsschneidigkeit sich zu gefallen, entwickelte der begabte Darsteller eine so chevalereske Männlichkeit, eine so einfache, und doch siegreiche Soldatennatürlichkeit, daß ihm alle Herzen zuflogen. Die Liebesscenen, die er im Verein mit Frl. Clemens spielte, kamen unter solchen Umständen mit einer prächtigen Herzensfrische und mit einer Wärme heraus, die ihren Eindruck nicht verfehlen konnten. Wir haben selten an solchem Herzensspiel auf der Bühne eine so ungetrübte, aufrichtige Freude gehabt wie hier. Den Einjährigen spielte HerrWildenhain. Anfangs schien seine Tonart etwas einförmig, allmählich aber verstand man die Absicht und nahm die schulmäßige Deutlichkeit der Sprache als recht passende Charkteristik hin. Herr Büllerstellte in dem Fabrikanten Wiedebrecht eine seiner bekannten Typen aus dem Leben auf die Bühne, wie man sie solchergestalt überall finden kann. Von den komischen Accenten ging wiederum nicht das kleinste Splitterchen verloren. Recht gut und sicher charakterisirt war der Assessor Gollwitz des Herrn Hübener . Von den militärischen Chargen seien die Herren Seidel als Sergeant und Gorday als etwas stiefmütterlich von den Verfassern behandelter Bursche lobend genannt. Herr Zadeck fand sich mit der Excellenz im Schlußakt in genügender Weise ab. Von den Damen muß neben Fräulein Clemens noch Fräulein Sorger als Inhaberin einer größeren Partie erwähnt werden. Die junge Dame sprach im zweiten Akte zu leise, stellenweise auch zu hastig. Im dritten brachte sie die dankbaren Pointen ihrer Militärbackfischrolle besser zur Geltung. Die vom Oberregisseur Stengel geleitete Inscenirung war gut und wurde den Anforderungen des Werkes nach Möglichkeit gerecht. Im Schlußbild zog mit der Regimentsmusik sogar ein leibhaftiger „Herr Hauptmann” auf einem leibhaftigen Schimmel über die Bühne. Mehr kann man bei einem dreiaktigen Lustspiel in dem nicht gerade allzu umfänglichen Schabelskajatheater wahrhaftig nicht verlangen.
In der „St.Petersburger Zeitung” vom 25.Nov./8.Dez. 1902 steht die Meldung:
Herr Karl William Büller ist, wie wir erfahren, infolge des andauernden Erfolges, dessen sich sein Gesammtgastspiel im Schabelskaja-Theater beim hiesigen Publikum zu erfreuen hat, von der Direktion Wl. Schulz zu einem Gastspiel in Moskau verpflichtet worden. Das Ensemble wird nach dem bereits perfekten Vertragsschlusse in den letzten beiden Wochen der Großen Fasten in Moskau eine Reihe von Vorstellungen veranstalten.
In der „St.Petersburger Zeitung” vom 6./19. März 1903 liest man:
Deutsches Gesammt-Gastspiel unter Leitung des Herr Philipp Bock. Ohne ein Lieutenantsstück ist eine deutsche Theatersaison nun einmal nicht recht denkbar, und so hat Herr Direktor Bock zum Schlusse der ersten Hälfte seiner Spielzeit noch den militärischen Schlager des Berliner Bühnenwinters, den Schönthan-Schlichtschen „Bunten Rock”, mit vorzüglicher von vornherein Alles versprechender Besetzung über seine Bühne paradien lassen. Trotzdem die Novität, wie bekannt, bereits durch das Büllersche Ensemble in musterhafter Weise zur Kenntnis des hiesigen Publikums gebracht worden ist, hat der Zauber des zweierlei Tuchs doch wieder seine Schuldigkeit gethan. Das Haus war nahezu ausverkauft, die Stimmung animiert und beifallslustig. Vor Allem war es das frische, yankeeherzige Spiel von Jenny Groß in der Rolle der Mistreß Clarkson, das die Zuhörerschaft erfreute und erwärmte und im Verein mit der Veni-vidi-vici-Leistung des Herrn Stahl als Lieutenant von Hohenegg die erneute Bekanntschaft mit der harmlosen Lustspielarbeit lohnte. Auch äußerlich präsentirte sich Frl. Groß charmant, als wäre sie soeben frisch importirt von „jenseits der großen Pfütze”. Die Künstlerin darf sich zu den wenigen ihrer Landsmänninnen rechnen, die in Toilettesachen ohne Furcht mit den russischen und französischen Residenzkolleginnen konkurriren kann. Auch sonst wickelten sich die Einzelleistungen wie das Ensemble glatt und makellos ab. Engels als Wiedebrecht, Arthur Holz als Einjähriger, Patry als Gollwitz - wer die Künstler kennt und die Rollen, der kann und muß sich, auch ohne der Vorstellung beigewohnt zu haben, den rechten Begriff davon machen, wie es in Wirklichkeit gewesen. Den Backfischunteroffizier stattete Frl. v.Ruttersheim mit hübscher, strammer Drolerie aus. Herr Miethke war der beabsichtigte Küchensergeant, Herr Gordon ein gewandter Vertreter der Burschenrolle. Auch die allerliebste Jeanette des Frl. Stephanie Kriß sei erwähnt. Die Ausstattung und die Komparserie, insbesondere in dem famos inscenirten Manöverakte, ließen nichts zu wünschen übrig. Der Erfolg der Aufführung bewies jedenfalls, daß Herr Direktor Bock mit der nachträglichen Aufnahme des Stückes in den Spielplan keinen Fehlgriff gethan hat.
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© Karlheinz Everts