„Erstklassige Menschen”


Reaktionen auf diesen Roman

in Reichstag und Presse
hier in:
„Neue freie Presse”, Wien, 13.Spril 1904


[Ein unparlamentarischer Zwischenruf.]
Unser Berliner Korrespondent telegraphiert: Wolf Graf Baudissin, der unter dem Pseudonym Freiherr von Schlicht bekannte Verfasser des Militärromans „Erstklassige Menshen”, von dem in den letzten Reichtagsdebatten über dem Militäretat die Rede war, richtet an die Berliner Blätter folgende Zuschrift:

„Auf einer Orientreise begriffen, erhielt ich am 10.März in Alexandrien ein Zeitungsblatt, das in den Reichstagsverhandlungen auch einen mich persönlich aufs schwerste beleidigenden Zwischenruf zu meiner Kenntnis brachte, der eine sofortige Genugtuung meinerseits erfordert. Ich habe daraufhin umgehend an den Herrn Präsidenten des Reichstages, Herrn Grafen Ballestrem die Bitte gerichtet, mir den Namen desjenigen Herrn Abgeordneten zu nennen, der meine Ehre aufs schwerste verletzt hat, um die Angelegenheit alsdann sofort in geeigneter Weise zum Austrag bringen zu können. Die Antwort des Herrn Präsidenten, welche besagt, daß die Geschäftsordnung des Reichstages ihm keine Handhabe gäbe, einen am 4.März während der Plenarsitzung gefallenen, von der amtlichen Stenographie nicht wiedergegebenen Zwischenruf der Ermittlung durch Vorlesung meiner Eingabe dem Reichstage entgegenzuführen, erhielt ich erst jetzt nach meiner beschleunigten Rückkehr in Dresden. Demgemäß habe ich selbstverständlich jetzt sofort die weiteren mir geeignet erscheinenden Schritte getan.” —
Der Zwischenruf, auf den dieses Schreiben des Grafen Baudissin sich bezieht, ist im Reichstag während einer Rede des Abg. Bebel gefallen. Als Bebel über den Roman „Erstklassige Menschen” sprach und den Namen des Grafen Baudissin nannte, wurde von der erechten Seite gerufen: „Er ist ein Lump!” Der Name des Zwischenrufers ist nicht bekannt geworden.

[Eine Erklärung des Freiherrn v. Schlicht.]

Freiherr v. Schlicht (Graf Baudissin), dessen Roman „Erstklassige Menschen” bekanntlich in Deutschland beschlagnahmt wurde, ersucht uns um Aufnahme nachstehender Erklärung:
„Die Konflikte des Romans ergeben sich aus den Ansichten der „Erstklassigen Menschen”, der Offiziere, im Gegensatz zu denen des Bürgerstandes. Ich erhebe einen Vorwurf gegen die heutige Gesellschaft, die selbst diese erstklassigen Menschen züchtet und großzieht, da sie auch die jüngsten Lieutenante von vornherein mit Verehrung behandelt und selbst die Schuld daran trägt, daß die Offiziere den richtigen Maßstab ihres Wesens verlieren. Den „Erstklassigen Menschen” das Recht des Standesbewußtseins zurückzugeben, ihnen zu zeigen, daß ihre Ausnahmestellung sie zwingen muß, in allen Stücken untadelhaft rein zu leben: das ist der Zweck meines Buches. Frhr. v. Schlicht.”
Die Beschlagnahme des Buches, das gegenwärtig im Wiener Verlag Karl Konegen erscheint, ist wegen Beleidigung des Gardefüsilier-Regiments und der Offiziere der deutschen Armee erfolgt. Gegen den Autor wurde ein gerichtliches Verfahren eingeleitet, und in nächster Zeit wird die Verhandlung stattfinden.


Oben.jpg - 455 Bytes
zurück

© Karlheinz Everts