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„Der arme Teufel”, 3. Jahrgg., Nummer 7, 29.Oktober 1904


Wochenschau.

Seit Bilse mit seinem Offizierroman „Aus einer kleinen Garnison” einen buchhändlerischen Bombenerfolg errungen, — woran seine Prozessierung mit ihren famosen Forbacher Enthüllungen keinen geringen Anteil hat, — ist das Milieu des Offizierlebens zum Tummelplatz deutscher Sensations-Schriftsteller geworden. Die Bücher, die den Stoff behandeln, zählen nach Dutzenden.

Besonderes Aufsehen erregte unter diesen oft sehr zweifelhaften Literaturerzeugnissen der Roman „Erstklassige Menschen” von Freiherrn von Schlicht, hinter welchem Namen ein ehemaliger Offizier Wolf von Baudissin steckt. Im Reichstage sagte der preußische Kriegsminister von Einem: „Noch nie ist ein Stand so mit Schmutz beworfen worden, wie es in letzter Zeit dem Offizierstand in dem Baudissinschen Buche . . . geschehen ist.” Und die prompt erfolgende Konfiskation verschaffte dem Autor wie dem Verleger ein glänzendes Geschäft.

Vor einigen Tagen standen nun beide vor den Schranken der 2. Strafkammer des Berliner Landgerichts I. Die Anklage lautete auf Beleidigung der deutschen Offiziere.

In Erinnerung an den Bilse-Prozeß sah man der Verhandlung allgemein mit Spannung entgegen, umsomehr als der Autor die Skandalia eines Garderegiments zum Mittelpunkt seines Buches gemacht haben sollte. Allein die Verhandlungen nahmen einen unerwarteten und eigentümlichen Verlauf. Der Angeklagte trat einen „Wahrheitsbeweis” nicht an, sondern zog es vor, durch Versicherung seiner Loyalität und Schmähung der Sozialdemokratie die Richter milde zu stimmen. So lautete das Urteil auf 300 Mark Geldstrafe, eine Bagatelle, wenn man bedenkt, welche Summen der Verfasser aus dem Massenverkauf des Buches gezogen haben muß. —

Man mag sich fragen, ob es überhaupt angehe, aus einem Roman, einem rein literarischen Erzeugnis, eine Beleidigungsklage zu formulieren. Und ob nicht, wenn der Jurist, der Staatsanwalt das tue, der Literat korrekt verfahre, wenn er es einfach ablehnt, über seine Schöpfung andere als literarische Auskunft zu geben. Soviel aber ist sicher: wenn der Autor sich darauf einläßt, die Tendenz seines Buches auf reale Tatsachen zu gründen, so muß man auch erwarten, daß er den Stier bei den Hörnern packt und diese Tatsachen, durch deren Schilderung sich jemand getroffen fühlen kann, beweist.

Wobei natürlich, soviel dürfte jedem klar sein, die Gefahr juristischer Deutelung und Bestrafung eine ungleich größere ist. Allein nicht nur für Aristokraten, deren einer Herr von Baudissin ist, sondern auch für Schriftsteller, die nicht zum Range von Sensationsskribenten degradiert sein wollen, gilt das Wort: Noblesse oblige!

Der Autor der „Erstklassigen Menschen” hat sich nicht auf den rein literarischen Standpunkt gestellt. Er gab den tendenziösen Charakter seines Buches zu. Nur sagte er: „Die Tendenz der Besserung, aber nicht der Beleidigung, sei der Grundzug des Buches,” ein Argument, das bisher kaum einem Preßsünder etwas geholfen hat. Wirksamer für seine Verteidigung war das, womit Herr von Baudissin seine Königstreue und Militärfrommheit bekräftigte, als er ausführte: „Er wisse, daß der Kaiser alle seine Schriften lese, seine Theaterstücke würden in den ersten Theatern aufgeführt und sowohl in Preußen wie in Sachsen, in Oesterreich, in Rußland von den allerhöchsten und höchsten Herrschaften angesehen, er habe zur 80. Geburtstagsfeier von Exzellenz von Werder das Festspiel „Der Stolz der Maikäfer”verfaßt, kurz, er habe keineswegs eine offiziersfeindliche Tendenz.” — Noch wirksamer muß es gewesen sein, daß er sich über die böse Sozialdemokratie beklagte, daß sie seinem Buche erst die offiziersfeindliche Tendenz imputiert habe. Am wirksamsten aber wußte er den Schluß seiner Verteidigung zu gestalten: „Es wäre ihm leicht, den Wahrheitsbeweis zu bringen, aber er wolle nicht, weil er keine Lust habe, den Sozialdemokratn neues Futter zu bringen, weil er nicht alte Kameraden an den Pranger stellen wolle und er nicht den Ehrgeiz habe, ein zweiter Bilse zu werden und sich damit eine Villa zu verdienen,” — wobei gleich der Konkurrent einen Hieb bekam. —

Was etwa noch gefehlt hätte, Werk und Verfasser zu charakterisieren, besorgte der als literarischer Sachverständiger geladene Detlev von Liliencron, indem er sein Urteil abgab: Es handle sich bei dem Buch „nicht um eine künstlerische Arbeit, sondern um eine flüchtig hergestellte Anklageschrift, die empörend sei.” Wenn man nicht geradezu an der künstlerischen Urteilsfähigkeit Detlev von Liliencrons zweifeln will — und ich wüßte keinen Grund dafür — gewinnt man aus den Aussagen des Verfassers unter Beobachtung dieses Urteils die Ueberzeugung, daß es sich bei dem Buch — gleichgiltig ob das darin Gesagte zutrifft oder nicht — um das Produkt hohler Sensationssucht handelt. Wie weit dabei das Motiv des Geldverdienens etwa eine Rolle spielt, kommt nicht einmal in Betracht.

So hat der Prozeß dem Angeklagten zwar ein sehr mildes Urteil, aber sein eigentümliches Verhalten hat ihn für immer um das Renommee gebracht, als Schriftsteller ernst genommen zu werden. Blätter vom Schlage des „Simplizissimus”, in denen man hie und da auf seinen Pseudonym-Namen Freiherr von Schlicht stieß, werden es sich überlegen müssen, ob sie ihre Leser weiterhin dupieren wollen mit bissiger Kritik des Offizierstandes aus der Feder eines Mannes, der stolz auf seine eigene Zugehörigkeit zu den „Erstklassigen” ist, und der gegen den Verdacht, diese Kritik sei ihm ernst, eilig den Umstand ins Feld führt, daß Kaiser und Kriegsminister seine Schriften lesen und seine Militärfrommheit unantastbar sei. —

Eine Betrachtung über diesen sonderbaren Prozeß darf nicht schließen, ohne daß auf das Verhalten Detlev von Liliencrons als literarischer Sachverständiger eingegangen würde. Es hat allgemeines Aufsehen erregt, daß der Dichter, dessen Namen eng verknüpft ist mit der letzten radikalen Umwälzung der deutschen Literatur, die in freiheitlicher, anti-autoritärer Richtung sich vollzog, „im Namen des ganzen deutschen Offizierkorps Protest gegen diesen Roman einlegte”. Besonders in den Kreisen freiheitlich gesinnter Arbeiter kann man diese Stellungnahme, die Schärfe dieses aristokratischen Protestes bei dem Schöpfer des „Pidder Lüngg” nicht verstehen. Nun, wer die Dichtungen Liliencrons kennt, weiß, daß sein künstlerisches Schaffen mehrfach von einem Patriotismus Kunde gibt, der allerdings nichts gemein hat mit dem durchgängigen Hurrah- oder gar Hoflieferanten-Patriotismus, in dem sich große Teile des deutschen Volkes aufs tiefste erniedrigen. Liliencrons Patriotismus ist von jener Art, wie etwa derjenige Ernst Moritz Arndts, des Dichters des „Eisenliedes”, und vereinigt glühenden Freiheitsdrang mit der Anhänglichkeit an das Ideal eines mächtigen Deutschtums, dessen Stärke in seiner militärischen Wappnung gegen fremdvölkische Einflüsse und Angriffe besteht. Man mag das verstehen und achten oder man mag es als Befangenheit in einer überlebten aristokratischen Tradition bezeichnen, jedenfalls hat Liliencron nie Veranlassung gegeben, ihn falsch zu beurteilen. Und die kerngesunde, lebensfrohe Natürlichkeit seiner besten Schöpfungen, die Erdfrische seiner künstlerischen Persönlichkeit dürfen wir uns durch keine politische Stellungnahme verleiden lassen, so wenig wie wir etwa die künstlerische Meisterschaft des alten Adolf Menzel leugnen, nachdem er das „von” seinem Namen einfügte und einen Adler-Orden um den Hals trägt.           A.W.


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