Die diesem Artikel zur Illustration dienenden Photographien verdanke ich der Liebenswürdigkeit der Herren Dr.med. Standke und Schellhaas, beide in Bremen wohnhaft. Infolge vielfachen Ersuchens haben die Herren die Bilder, deren Reinertrag bis auf weiteres einem guten Zweck zufließt, dem Photographen L.O.Srienwoldt, Bremen, Wall 86, zum Vertrieb übergeben. Die Photographien gelangen in zwei Ausgaben in den Handel: die eine Mappe umfaßt 27 große Bilder, die andere 92 kleine Bilder (23 Blatt mit je 4 Bildern). Der Preis einer jeden Mappe beträgt 40 Mark, einzelne Bilder werden mit 2 Mark 50 Pfennig berechnet. Da bisher noch keine Mappen mit Photographien, sondern nur mit Lichtdruckbildern von Spitzbergen existieren, können diese Mappen nur auf das wärmste empfohlen werden. Liebhaber mögen sich direkt mit dem Photographen in Verbindung setzen.
v.Sch.
Während der vorjährigen „Kieler Woche” führte ein Zufall mich mit dem bekannten Polarfahrer W.Bade aus Wismar i.M. zusammen. Wir saßen in dem bekannten Völkerschen Garten, tranken nach braver Männer Art eine Flasche Rotwein nach der andern, und während ich meine Blicke auf das lebhafte und bunte Leben und Treiben im Hafen gerichtet hielt, gab Bade auf meine Frage: „Ist es hier nicht wunderbar schön; kann man sich etwas Herrlicheres denken als diese Vereinigung von Wald und Wasser?” – zur Antwort: „Wer die Welt da kennen lernen will, wo sie am schönsten ist, der muß nach Spitzbergen fahren.” Und immer lebhafter werdend, erzählte er mir von dem Wunderlande, das er zuerst der reisenden Menschheit zugänglich gemacht. Seitdem er im Alter von fünfzehn Jahren seine erste Reise nach dem nördlichen Eismeer antrat, hat er den hohen Norden immer und immer wieder aufgesucht. Als Offizier der deutschen Nordpolexpedition von 1869 bis 1870 verlor er sein Schiff „Hansa”. 237 Tage trieb er mit wenigen Begleitern auf einer fast sieben Quadratkilometer großen Eisscholle im grönländischen Meer umher, bis sie endlich nach fast unglaublichen Entbehrungen und Strapazen gerettet wurden.
Seit dem Jahre 1891 unternimmt Bade alljährlich Expeditionen nach Spitzbergen, sogar darüber hinaus bis zum ewigen Eis, und darin besteht der große Unterschied zwischen ihm und anderen Nordlandsfahrern, die höchstens bis nach Spitzbergen gelangen, sich dort aber wegen des großen Tiefganges ihrer Schiffe nicht in die Fjorde hineinwagen können.
Je länger mir Kapitän Bade von seinen Reisen erzählte, desto lebhafter wurde in mir der Wunsch, ihn zu begleiten. Ein Wort gab das andere, und am 30.Juli 1898 schiffte ich mich gleich so vielen andern an Bord des von Bade für seine Reise gecharterten norwegischen Dampfers „Kong Harald” ein.
In schneller Fahrt trug uns der Dampfer, der unter dem Kommando des Kapitäns Arnet steht, eines liebenswürdigen Menschen und äußerst tüchtigen Seemannes, durch die Nordsee bis zur norwegischen Küste.. Der „Kong Harald” ist ein trefflich eingerichtetes Schiff, das seinen Passagieren jeden nur denkbaren Komfort und eine ausgezeichnete Verpflegung bietet. Kapitän Bade steht während der Fahrt den Reisenden als arktische Autorität mit seinen Erfahrungen und Kenntnissen zur Seite.
Nach achtundvierzigstündiger Fahrt bogen wir bei Koperwick, wo wir den Zollbeamten und den Lotsen an Bord nahmen, in die Schären ein. Es liegt ein unbeschreiblicher Reiz darin, bei meistens spiegelglattem Wasser zwischen den niedrigen Felsinseln, die durch das allmähliche Untertauchen der schwedischen Felsplatte unter den Meeresspiegel entstanden sind, dahinzugleiten. Selbst böiges Wetter vermag nicht die Freude zu trüben, denn Seekrankheit ist in den Schären völlig ausgeschlossen. Fast zu viel des Schönen bietet eine Fahrt zwischen den Schären und in den Fjorden. Durch den Sunelos-Fjord fuhren wir in den Geiranger Fjord, an dessen Ausgang, da, wo der schmale Fjord mit den Felden zusammenstößt, Merok liegt. Es war zehn Uhr abends, als wir dort Anker warfen – in demselben Augenblick trat der Mond über den Bergen hervor und ließ das Wasser des Fjords und die „sieben Schwestern” (sieben unmittelbar nebeneinander liegende Wasserfälle) in wunderbarer Beleuchtung erglänzen. Merok ist idyllisch schön, aber die zahllosen Engländer und Amerikaner, die sämtliche Gasthäuser mit Beschlag belegt hatten und nicht dulden wollten, daß man uns Getränke verabreichte, damit sie in ihrer Nachtruhe nicht gestört würden, verleideten mir den kurzen Aufenthalt dort so, daß ich froh war, als wir wieder weiterfuhren. Fast die ganze Nacht weilten wir an Deck; silbern glänzte das Wasser, zu beiden Seiten des oft kaum zwanzig Meter breiten Fjordes erhoben sich die gewaltigen Felsen, deren Kuppen ewiger Schnee bedeckte. Wer nach dem Norden fährt, müßte überhaupt bei Tag schlafen und bei Nacht leben; auf einer solchen Reise, wie daheim, um elf oder zwölf Uhr schlafen zu gehen, ist fast ein Verbrechen. Wie schön der nordische Himmel sein kann, gewahrten wir so recht, als wir achtundvierzig Stunden später nach eintägigem Aufenthalt von Drontheim abfuhren; nie sah ich solche wundervolle Beleuchtung der Wolken, wie sie an diesem Abend die Mitternachtssonne hervorrief. Zauberhaft war auch die Fahrt durch den Folden und Foldenfjord, ganz eigenartig der Anblick des 251 Meter hohen Felsen Thorgatten, der auf halber Höhe von einem fast 20 Meter langen, natürlichen Tunnel durchschnitten ist. Ein eigentümliches Gefühl durchdrang uns, als wir am Abend desselben Tages den Polarkreis passierten; wir hatten damit die Grenze der nördlichen Welt erreicht, immer mehr näherten wir uns dem Ziel unserer Reise. Noch aber waren wir weit davon entfernt. Tromsö hieß unser nächstes Ziel, und von dieser entzückend am Fjord und am Fuß hoher Felsen gelegenen Stadt ging es nach der Walfischfangstation Skarö, von der aus seinerzeit Kaiser Wilhelm II. an dem Walfang teilnahm. Sechs große Wale lagen abgehäutet am Ufer, und in liebenswürdigster Weise wurde uns, obgleich es Sonntag war, die ganze Einrichtung der gewaltigen Teer- und Thranfabrik gezeigt; sogar ein Walfischfänger wurde bemannt und uns mit Harpunen etwas vorgeschossen. Es war alles sehr interessant und schön – aber glücklich kann sich auf Skarö nur der fühlen, der ohne Nase auf die Welt gekommen ist. Der Geruch eines toten Walfisches spottet jeder Beschreibung, und wir rochen deren sechs! Wir waren froh, als wir in Hammerfest ankamen, – da endlich rochen wir nichts mehr. Diese nördlichste Stadt Europas beschreiben zu wollen, wäre zwecklos, denn sie brennt alle Augenblicke ab und ändert somit alle „Brandlänge” ihre Physiognomie. Wir nahmen Kohlen ein, dann ging es mit Volldampf hinaus auf das Meer, zunächst dem Vogelsberg entgegen, auf dem Millionen von Möven leben, dann nach dem Nordkap, auf dessen höchster Spitze unserm Kaiser ein donnerndes Hoch gebracht wurde. Auf halbem Wege zwischen Hammerfest und Spitzbergen liegt die Bäreninsel. Nur wenige Reisende haben das Glück, dies fast sieben Quadratmeilen große Felseneiland zu sehen, da unmittelbar vor der Insel der warme Golfstrom mit einem kalten, aus dem hohen Norden kommenden Strom zusammentrifft und einen Nebel erzeugt, der fast immer die ganze Insel einhüllt. Äußerst schwierig war es, mit den kleinen Booten zu landen, da die starke Brandung die ersten Versuche vereitelte; sehr schwierig war auch der Aufstieg; aber wohl allen Teilnehmern der Reise wird die auf der Bäreninsel zugebrachte Nacht unvergeßlich bleiben. Erst am späten Vormittag kamen die letzten an Bord zurück, ein jeder mit Schätzen reich beladen, mit eigenartigen Steinen, mit erlegten Möven oder wunderhübsch blühenden Moospflanzen.
Am Nachmittag wurde Spitzbergen sichtbar. Viele Meilen weit leuchteten die Gletscher und die gewaltigen Schneeberge, und unbeschreiblich schön war der Anblick, als die Mitternachtssonne Schnee und Eis in rosigem Licht erglänzen ließ. Wir glaubten, das Land dicht vor uns zu sehen, aber fast zwölf Stunden gingen noch dahin, ehe wir in der Recherchebai im Belsund ankerten. In Booten ging es dann in die Van-Keulen-Bai und Myjen-Bai. Wir hatten in der Sonne 7 1 / 2 , im Schatten 4 Grad Réaumur, und so war diese Ruderpartie, die uns beständig zwischen Eisschollen hindurchführte, so daß die Ruder mehr auf Eis anstatt ins Wasser schlugen, die sonderbarste, die ich je gemacht habe. Von dem Wunsche geleitet, wenn irgend möglich eine steile Gletscherwand zu ersteigen, wollten wir unmittelbar an die wohl fünfzig bis sechzig Meter hohen Gletscher heranrudern. Kapitän Bades Machtwort hielt uns aber zurück, und nicht ohne Grund. Die Gewalt der Sonne gräbt in die Eisblöcke tiefe, oft meterbreite Risse und Schluchten, beständig spült das Wasser an den Eiswänden, die namentlich in der Recherchebai im köstlichsten Ultramarinblau leuchten, und wir selbst sahen und hörten zu wiederholten Malen, wie gewaltige Eisblöcke sich loslösten und mit donnerähnlichem Krachen ins Meer hinabstürzten. Einen dieser Blöcke sahen wir später als schwimmenden Eisberg auf offenem Meer, aber auch da hieß es, sich in gehöriger Entfernung halten, denn im Innern des Berges bebte, krachte und knatterte es wie in einem Vulkan, er drohte jeden Augenblick zu bersten, und solch zusammenstürzendes Ungeheuer von zwanzig Meter Höhe kann ein Schiff natürlich auf das äußerste gefährden. Von der Recherchebai fuhren wir in den seinen Namen mit vollem Recht tragenden Eisfjord, wohl den größten und erhebendsten von allen Fjords der Westküste, der mit seinen stellenweise fast tausend Meter hohen Eiswänden von überwältigender Majestät und Schönheit ist, zumal, wenn das Eis vom Glanze der Mitternachtssonne beleuchtet ist. Selbstverständlich liegen alle Fjorde, die wir besuchten, auf der Westküste Spitzbergens; der Osten ist stets derartig von Eis umlagert, daß die Schiffahrt dort unmöglich ist. Und noch ein andres möge mir hier zu sagen gestattet sein. Spitzbergen ist völlig unbewohnt. Ich würde dies als etwas Selbstverständliches gar nicht erwähnen, wenn ich nicht zu verschiedenen Malen, selbst von Gebildeten, gefragt worden wäre, wie die Menschen dort oben lebten, und wie die Städte dort aussähen. Das Gestein der meist aus dem Meere hervorsteigenden Berge ist Granit, das ganze Innere Spitzbergens ist Eis und Schnee, ein Wohnen von Menschen also unmöglich. Bekanntlich ist Spitzbergen, nachdem es einmal vorübergehend den Engländern gehörte, jetzt herrenlos. Da das Land absolut nichts hervorbringt, wird es auch wohl niemals einen Herrn erhalten. Ergiebig auf Spitzbergen ist nur die Jagd; namentlich der Weißfisch ist sehr gesucht, und wir begegneten mehreren Schiffen, die zu seinem Fang ausgezogen waren. Auch Eisbären, Seehunde, Walrosse und Renntiere werden auf Spitzbergen viel gejagt, aber die Bären und Renntiere scheinen sich immer mehr ins Innere des Landes zurückzuziehen, unsern Jägern kam wenigstens trotz allen Suchens und – Fluchens keins der Tiere vors Gesicht, geschweige denn vor die Flinte. Auch Blaufüchse soll es dort oben geben, aber gesehen hat sie keiner von uns.
Von dem Eisfjord hinein in die Magdalenenbai – nie werde ich den Anblick vergessen, der sich mir dort bot! In der Nacht war frischer Schnee gefallen, der die Abhänge der Berge bedeckte und nicht weiß, sondern rosenrot und dunkelgrün leuchtete. Kapitän Bade sagte mir, er habe diese seltsame Erscheinung in jedem Jahr in der Magdalenenbai, aber auch nur hier, gefunden, und er erklärte mir, daß diese Farbe durch das Wuchern von zahllosen Algen hervorgebracht werde.
Im schroffsten Gegensatze zu der Magdalenenbai steht die Adventbai – man glaubt plötzlich in einen blühenden Garten zu treten. Nur auf den Kuppen der Berge liegt Schnee, die Wände sind nackt und kahl, aber auf der Erde blüht und grünt es. Einst hatte ganz Spitzbergen das Klima Südeuropas, auch in Spitzbergen gab es einst Buchen-, Eichen- und Birkenwälder. Spuren der einst so reichen Vegetation findet man heute noch. Herr Dr. F. Pax, Kustos des Königlich botanischen Gartens in Berlin, hat auf Grund einer ihm vor Jahren von einem Teilnehmer einer Badeschen Spitzbergen-Expedition überlieferten Sammlung von Phanerogamen einen sehr interessanten Aufsatz über die Flora und Vegetation Spitzbergens veröffentlicht, dem zufolge heute 123 Arten aus den Klassen der Phanerogamen und Gefäßkryptogamen in Spitzbergen bekannt sind, „eine Zahl,” fährt der genannte Herr wörtlich fort, „welche lehrt, daß kein zweites Land der arktischen Zone von gleicher Flächenausdehnung, das unter derselben Breite gelegen ist, eine so reiche Flora aufzuweisen hat wie die relativ kleine, felsige Inselgruppe von Spitzbergen”. Aber alles, was dort wächst, ist winzig klein und ragt nur wenige Centimeter über den Boden hervor. „Die ganze Vegetation,” schreibt Dr. Pax, ist „den klimatischen Verhältnissen angepaßt, sie bedarf wenig Wärme und ist im stande, selbst während der wärmeren Jahreszeit noch Fröste zu ertragen; denn auch während des kurzen Sommers wird die Temperatur durch die im Eismeer treibenden Eisberge, die Eisbedeckung im Innern und die häufigen Nebel herabgesetzt.”
Ebenso interessant wie die Flora ist auch die pelagische Fauna an der Westküste Spitzbergens. Professor Klaatsch aus Heidelberg, der, soweit es die Kürze der Zeit erlaubte, durch Fischen mit Gläsern und dem „Müllerschen Netz” einen Einblick in die pelagische Fauna Spitzbergens während unsrer Reise zu gewinnen suchte, hat mir in liebenswürdigster Weise seine Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt, denen ich folgendes entnehme: „Der Reichtum der pelagischen Tierwelt, namentlich in der Adventbai, ist ein eigentümlicher. Er gilt nicht für die Formenfülle verschiedener Arten, die in südlichen Breiten so zauberhaft wirken, sondern für die Zahl der Einzelwesen. Es finden sich verhältnismäßig wenig verschiedene Tierformen, diese aber in ungeheurer Individuenzahl. Am besten zeigt sich dies in einer Form von Weichtieren oder Mollusken, die zu den Theropoden oder Flügelschnecken gehören. Die kleinen, prachtvoll dunkelviolett gefärbten Tiere durchschwimmen in Massen die Meeresoberfläche in einer gleichsam fliegenden Bewegung. Die Verwandtschaft mit Schnecken wird dokumentiert durch ein glasdurchsichtiges, zartes Gehäuse, in das sich die Tiere zurückziehen können, alsdann langsam in die Tiefe sinkend. Diese Theropoden sollen einen Hauptbestandteil der Nahrung der Walfische bilden. Wie viele Millionen werden da verbraucht werden! Offenbar ist aber auch ihr Reichtum unerschöpflich wie ihre Widerstandskraft gegen die Kälte. Andre Tiergruppen sind ganz spärlich vertreten; fast ganz fehlen die kleinen Crustaceen; von Echinodermen fand ich die als Pluteus bezeichneten Seeigellarven. Inwieweit das Fehlen andrer Gruppen ein nur beiläufiges war, werden ausgedehntere Untersuchungen zeigen müssen. Eine sehr wichtige Rolle unter den größeren Tierformen spielen die freischwimmenden Cölenteraten, besonders Medusen und Rippenquallen. Ganz besondere Anziehungskraft hatten für mich einige Vertreter der „Appendicularien”, die in ihrer äußeren Erscheinung entfernt an Kaulquappen erinnern. In der Adventbai lebt in großer Zahl ein relativ riesiger Repräsentant dieser Gruppe. Der Name des Tieres, „Oikapleura”, rührt von einer sehr interessanten biologischen Eigentümlichkeit her. Das Tier vermag in kurzer Zeit mit einer äußeren Zellschicht eine dicke Gallerthülle abzustreifen, wodurch es sich der Verfolgung andrer Tiere entzieht. Sobald die Hülle erfaßt wird, entflieht das Tier aus derselben, um alsbald den Verlust zu ersetzen. Die etwa 5 Centimeter großen Kugeln sieht man in Mengen am Ufer schwimmen, wo man sie mit der Hand greifen kann.”
Nähere Auskünfte über die pelagische Tierwelt Spitzbergens erhofft Professor Klaatsch von der Forschungsreise des Fürsten von Monaco, an der Professor Brandt aus Kiel als Zoologe teilnimmt.
Die Jacht des Fürsten trafen wir zweimal, zuletzt in Virgohaven, der Ballonstation Andrées. Eine fast heilige Scheu überfiel uns, als wir die Stätte betraten, von der aus der kühne Forscher seinen Aufstieg nahm. In Trümmern liegt das Ballonhaus; nur Andrées Hundehütte, die großen eisernen Kessel, die Andrée zur Erzeugung des Gases gebrauchte, und das von dem Engländer Pick für Schiffbrüchige erbaute Wohnhaus stehen noch. Die Holztrümmer, das Tauwerk und die eisernen Nägel und Klammern sehen fast wie neu aus; es ist dies die Folge der bakterienfreien Luft, in der sich alles Jahrzehnte und Jahrhunderte hält, ohne zu vermodern. Am deutlichsten sahen wir dies bei einem Spaziergang auf Smeerenburg, zu dem Virgohaven gehört. Im 17. Jahrhundert war hier der Hauptsitz der Walfischfänger, von denen 16 000 gleichzeitig ihrem Beruf hier nachgegangen sein sollen. Fast bei jedem Schritt stößt man auf menschliche Gerippe, die aber in einer wunderbaren Weise aus jener Zeit her erhalten sind; wir fanden ein Skelett, dessen Haupt noch mit einer Mütze bedeckt war, nicht einmal das Tuch war verfallen.
Fast zwei Tage waren wir auf Smeerenburg, dann ging es weiter gen Norden, über Spitzbergen hinaus, hin zum ewigen Eis. Bis 81 Grad 5 Minuten nördlicher Breite drangen wir vor; wir waren so dicht am Nordpol, daß wir ihn bei freierem Wasser in zwei Tagen hätten erreichen können. Der Südwind trieb uns gewaltige Eisschollen entgegen, und die Temperatur sank auf -6 Grad. Es war bitter kalt, aber trotzdem gingen wir auf die Eisschollen hinauf und standen dann noch lange an Deck, um den Anblick des ewigen Eises zu genießen. Wie eine undurchdringliche Wand lag das feste Eis vor uns, und in weiter Ferne schienen die Eisberge mit ihren Spitzen in den Himmel hineinzuragen. „Wie Märchenträume aus Tausend und eine Nacht,” schreibt Parey im Jahre 1827, „tauchten gleich schimmernden Palästen kunstvolle Eisgebilde vor uns auf. Unwillkürlich zaubert die Phantasie die Kinderzeit mit ihren Büchern voll geheimnisvoller Sagen, in denen überirdische Gestalten ihr geisterhaftes Wesen treiben, hervor. Hier lagen die mit dunkeln Schatten übertönten krystallenen Zaubergrotten, aus denen man in jedem Augenblick eine Fee des Nordens heraustreten zu sehen gewärtigen konnte, um dem staunenden Bewunderer ihr unabsehbares Reich voll Glanz und Pracht zu zeigen. Eine fast unheimliche Stille herrscht in diesen Regionen. Kein Vogel regt seine Schwingen; durch nichts wird die unermeßliche Eisfläche belebt, kaum zieht ein leiser Lufthauch darüber hin oder kräuselt leichte Wellen auf der spiegelglatten Fläche.”
Keiner kann die Schönheit und Erhabenheit des ewigen Eises schöner schildern, als Parey es mit diesen Worten gethan hat. Möge man mir verzeihen, daß auch ich, wie jeder andre, der die Großartigkeit der arktischen Natur zu schildern versucht, im Vollgefühl des „Non possumus” mit den obigen Worten schließe.
zurück
© Karlheinz Everts