Lübecker Eisenbahn-Zeitung

Nr. 139 vom 16. Juni 1895 Seite 2

Bilder aus dem preußischen Unteroffizierkorps.

Von Graf Günther Rosenhagen.


VII.
Der Bataillons- und der Regimentsschreiber.


Die Stärke eines Bataillons beträgt im Kriege 1002 Mann - diese zwei überzähligen Menschen sind der Tambourmajor und der Bataillonsschreiber. Schon hieraus geht die Wichtigkeit des Letzteren hervor und es ist um so mehr angebracht, dem Bataillonsschreiber einige Zeilen zu widmen, als er in der Stille wirkt. Er ist einer von den guten Geistern, die im Verborgenen schaffen und auf die man erst dann aufmerksam wird, wenn die gut geölte Maschine ins Stocken geräth. Dann ist das Gute, was die Geister bisher leisteten, vergessen, nur das augenblicklich Böse bleibt in der Erinnerung.

Auf dem Bataillonsbureau, begraben zwischen Akten und Büchern, haust der Bataillonsschreiber und wenn man ihn auf Ehre und Gewissen früge, ob er schon einmal in seinem Leben etwas von der seit Jahren angestrebten und ersehnten Vereinfachung des Schriftverkehrs gemerkt hätte, so würde er mit seinen zehn Tintenfingern auf die großen Ballen Papiers weisen, die des Beschriebenswerdens harren, und aus seinem bedrückten Herzen würde sich ein lautes vernehmliches "Nein" loslösen. Und er hätte Recht, wenn er also spräche, denn Viel und Vielerlei muß er täglich zu Papier bringen.

Das Bataillonsbureau ist das Verbindungsglied zwischen der Kompagnie und dem Regiment. Jeder dienstliche Verkehr geht bei dem Militär auf dem Instanzenwege, man muß von Stufe zu Stufe klimmen und es ist verboten, eine zu überspringen. Alles, was eine Kompagnie auf dem Herzen hat, geht an das Bataillon, und von da erforderlichen Falles weiter an das Regiment und geht denselben Weg wieder zurück. Auf dem Bataillonsbureau laufen die Fäden der vier Kompagnien zusammen und es muß sehr scharf aufgepaßt werden, wenn dieselben sich nicht zu einem undurchdringlichen Knäuel verwirren sollen.

Der Bataillonsschreiber ist die rechte Hand des Adjutanten, auf dessen Anordnungen hin er die Meldungen und Berichte schreibt, die dann dem Adjutanten oder dem Bataillonskommandeur selbst zur Unterschrift vorgelegt werden. Vollständige Beherrschung der Muttersprache sowohl im mündlichen, wie im schriftlichen Verkehr ist nächst der größten Zuverlässigkeit die erste Anforderung, die man an den Schreiber stellen muß.

Wer nicht selbst einmal auf einem Bataillonsbureau gewesen ist, ahnt nicht, was es dort zu thun giebt. Morgens, gewöhnlich gegen neun Uhr, langt die erste Post an, die täglich einen Stoß Briefe und Drucksachen bringt. Die Korrespondenz erstreckt sich auf Anfragen wegen der Uniformirung und Bewaffnung, hier will ein Lieferant dies oder jenes wissen, das Artilleriedepot beschwert sich über den schlechten Zustand, in dem sich ein Gewehr befunden hat, die Munitionsfabrik fragt an wegen der letzten Lieferung der Patronen, das Bataillon einer anderen Garnison erkundigt sich nach der Führung des Unteroffiziers So und So, der dort kapituliren will, das Bezirkskommando überschickt die Papiere eines wegen Krankheit zur Entlassung kommenden Soldaten, das Lazareth meldet über das Befinden eines Erkrankten - so geht es in einem fort. Nachdem der Adjutant die Briefe eröffnet und gelesen, werden dieselben mit der Journalnummer versehen und theils ihrem Inhalt nach, theils wörtlich abgeschrieben und zu den Akten gelegt. Letzteres geschieht stets bei sämmtlichen Befehlen, die vom Corps, von der Division, der Brigade und dem Regiment erlassen werden, dieselben gelangen zur Eintragung in die Ordrebücher, die sich von den Parolebüchern dadurch unterscheiden, daß sie nur die Befehle, die von bleibender Dauer sind, enthalten.

Während der Schreiber mit der Beantwortung der Briefe, die Stunden in Anspruch nimmt, beschäftigt ist, geht es auf dem Bureau wie in einem Taubenschlage hin und her.

Die eine Compagnie will wissen, ob sie morgen auf dem langen Stand schießen lassen kann. (Die Vertheilung der Schießstände regelt das Bataillon.)

Eine andere Compagnie will wissen, wer es befohlen hat, daß die Reserve-Spielleute nicht mehr zum Exerziren herangezogen werden dürfen.

So hat Jeder etwas auf dem Herzen und der Schreiber muß Alles wissen und Alles beantworten können, denn nur in den seltensten Fällen darf er den Adjutanten stören, der mit der Erledigung der als "geheim" gesandten Sachen, sowie in seiner Eigenschaft als untersuchungsführender Offizier selbst genug zu thun hat.

Mittags um 12 Uhr muß der Schreiber zur Parole und die Befehle in Empfang nehmen und bei der Gelegenheit bekommt er erst etwas zu thun.

"Die Bataillone haben zu melden, ob im Jahr 80 sich bei dem Bataillon ein Musketier Namens Friedrich Wilhelm Hauer befunden hat."

"Die Bataillone haben bis morgen Mittag zu melden, wie viel Patronen sie bei dem letzten Prüfungsschießen verbraucht haben."

"Die Bataillone haben zu melden", - so geht das eine halbe Stunde fort.

Hat der Regimentsadjutant den Schreiber entlassen, so schaaren sich um diesen die vier Feldwebel, um mit ihm wegen der Befehle zu konferiren.

"Die erste Kompagnie stellt heute Mittag vierzehn Arbeiter für die Bataillonskammer."

Aber der Feldwebel der ersten strikt, er schwört bei Allem, was ihm heilig, daß er gar nicht so viel Mann übrig hat, er gebraucht seine Leute alle selbst, er bittet den Bataillonsschreiber, doch der zweiten Kompagnie die Gestellung der Arbeiter aufzuerlegen, aber die will auch nichts davon wissen, die dritte und vierte ebenso wenig, - so geht der Streit hin und her, bis der Bataillonsschreiber endlich mit erhobener Stimme das Wort "Bataillonsbefehl" spricht und damit die Mutter der ersten Kompagnie zur Stellung der Leute zwingt.

Ist die Parole zu Ende, so wird in aller Eile das Mittagessen eingenommen und dann geht es wieder an die Arbeit. Zunächst wird das Parolebuch in Ordnung gebracht und dann geht es an die Erledigung der vom Regiment geforderten Meldungen. Alte, verstaubte Aktenbündel werden herausgeholt und stundenlang wird gesucht, bis der Schreiber endlich mit absoluter Gewißheit weiß, daß der Friedrich Wilhelm Hauer nie bei dem Bataillon gestanden hat. Er flucht innerlich über die unnütz vergeudete Zeit und arbeitet weiter, denn am Nachmittag erscheint die zweite Post, die noch am Abend erledigt sein muß.

Und wieder geht es wie in einem Taubenschlage ein und aus. Die eine Kompagnie meldet für den morgigen Tag Dienstveränderung, der Zahlmeister schickt seinen Schreiber und läßt fragen, ob die Kompagnieen den Verpflegungsrapport noch nicht geschickt hätten, daß zweite Bataillon will gerne zu der morgigen Felddienstübung 60 Mann geliehen haben, der Büchsenmacher erscheint in der Thür und zeigt ein total verrostetes Gewehr, das er dem Bataillon übergiebt, damit der Schuldige bestraft wird, die Waffen-Reparatur-Kommission will die bei der letzten Waffenabgabe Seitens des Artillerie-Depots gemachten Bemerkungen holen, der Adjutant ruft aus dem Nebenzimmer, ob der Bericht an das Generalkommando immer noch nicht fertig sei, es wird am Telephon geklingelt und die Polizeibehörde frägt an wegen eines zur Schutzmannschaft übergetretenen Unteroffiziers, ein früherer Angehöriger des Bataillons will gerne wieder als Kapitulant eintreten und Alles muß der Schreiber beantworten und für Jeden, der kommt, muß er Zeit haben.

Gewöhnlich ist der Bataillonsschreiber auch noch Mitglied der Menage-Kommission und hat die sämmtlichen Bücher zu führen, die Rechnungen zu prüfen, ehe sie dem Zahlmeister übergeben werden und die von dem Küchenunteroffizier geführten Bücher einer eingehenden Revision zu unterziehen.

Und nun erst die Schießbücher: jeder Bataillonsschreiber fühlt sich einer Ohnmacht nahe, wenn dieselben seitens der Kompagnieen auf dem Bataillonsbureau abgegeben werden und er dieselben durchsehen muß, bevor er sie dem Adjutanten giebt, der sie wiederum dem Kommandeur vorlegt, bevor sie an das Regiment gehen. Auf die Schießbücher wird die größte Sorgfalt verwandt und alle erdenkliche Mühe wird aufgewandt, denselben Fehler fernzuhalten.

Eine Treppe höher wohnt und wirkt der Regimentsschreiber, eine vielleicht noch wichtigere Persönlichkeit, als sein Freund, der Bataillonsschreiber. Im Großen und Ganzen ist seine Thätigkeit dieselbe, wie die seines Kameraden, aber die auf ihm ruhende Verantwortung ist womöglich noch größer, denn er verkehrt fast nur mit den höheren Kommandobehörden und die an diese abgehenden Briefe und Berichte müssen natürlich vollständig genau und richtig sein, Fehler irgend welcher Art dürfen unter keinen Umständen vorkommen. Zu seiner Unterstützung hat der Regimentsschreiber, meist ein älterer Sergeant, ein oder zwei Schreiber und eine Ordonnanz, die die Besorgungen, Gänge nach der Post und dergleichen zu machen hat. Aber für Alles, was er dem Regimentsadjutanten zur Unterschrift vorlegt, ist er selbst verantwortlich - er muß also alles von seinen Schreibern Geschriebene selbst erst prüfen.

Selbstverständlich ist die täglich bei dem Regiment einlaufende Anzahl von Briefen eine noch weit größere als bei dem Bataillon und die von der Brigade, der Division oder gar dem Kriegsministerium eingehenden Anfragen müssen so schnell wie möglich beantwortet werden, zumal dieselben auf dem Umschlag gewöhnlich das Wort "Eilt!" tragen. Ein Regimentsschreiber muß ein Gedächtniß haben, wie kaum ein anderer Mensch auf Erden, wenn er nicht durch Nachschlagen unglaublich viel Zeit verlieren will.

"Bezugnehmend auf meine Ordre vom 21.4.87 Journal-Nummer 8847 a und b wird das Regiment um Auskunft erbeten" u.s.w.

Der Adjutant rauft sich die Haare, weiß der Kuckuck, was in der Ordre drin stand, er weiß es in jedem Falle nicht. Er ruft den Regimentsschreiber und befiehlt ihm nachzusehen, aber anstatt fortzugehen, bleibt dieser in strammer militärischer Haltung stehen und sagt den Befehl aus dem Kopf her, als wenn er ihn gestern auswendig gelernt hätte.

"Aber Sie sind ja ein Goldmensch," ruft der Adjutant erfreut und er hat Recht mit seinem Wort, ein guter Regimentsschreiber ist überhaupt nicht zu bezahlen für das, was er leistet.

Auf dem Regimentsbureau herrscht immer eine feierliche Stille und Ruhe. Niemand wagt daselbst laut zu sprechen, ein undefinirbares Etwas und für jeden Nicht-Soldaten Unverständliches geht von dem Nebenzimmer aus, in dem der Kommandeur mit seinem Adjutanten arbeitet. Der Regimentsschreiber hat dafür zu sorgen, daß dieselben nicht ohne Weiteres gestört werden, und Jeder, der das Allerheiligste betreten will, hat sich erst durch ihn melden zu lassen. Auch er selbst darf nicht zu oft die beiden Herren durch Fragen belästigen, und deshalb muß von ihm gefordert werden, daß er ein selbstständiger Arbeiter ist, daß er auch ohne besondere Befehle und Anleitungen die eingegangenen Briefe erledigen kann. Selbstverständlich wird aber kein Schreiben abgesandt, das nicht entweder der Adjutant oder der Kommandeur gut geheißen hat.

Der Bataillons- und der Regimentsschreiber gehören zu den Abkommandirten, sie thun gar keine Frontdienste mit, während die in den früheren Artikeln geschilderten "Funktions-Unteroffiziere" bei jedem Exerzieren und Turnen gezogen sein müssen. Rückt die Truppe in das Feld oder in das Manöver, so bleiben sie stets bei dem Stabe, nehmen aber an keinem Gefecht theil. Im Felde giebt es für die Beiden noch mehr zu thun, als in der Garnison, denn sie haben dann nicht nur den schriftlichen Verkehr mit den höheren Behörden, sondern auch den mit den in der Kaserne Zurückgebliebenen zu unterhalten. Das Regiment und das Bataillon muß stets wissen, was vorgeht - liegt das Regiment in mehreren Garnisonen, so erwächst daraus natürlich ein viel größerer schriftlicher Verkehr, als wenn die Truppe an einem Ort zusammenliegt.

Der Bataillons- und der Regimentsschreiber gehören zu jenen Menschen, die nie sagen können: "Nun habe ich nichts mehr zu thun, für heute bin ich fertig." Das giebt es für sie nicht, eine Arbeit folgt der anderen, aber unermüdlich thun sie ihre Pflicht und Jeder ist bis zur Anspannung seiner letzten Kräfte bemüht und bestrebt, den Platz voll und ganz auszufüllen, auf den ihn das Vertrauen seines Vorgesetzten berief.



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© Karlheinz Everts