Lübecker Eisenbahn-Zeitung

Nr. 303 vom 29. December 1894 Seite 2

Bilder aus dem preußischen Unteroffizierkorps.

Von Graf Günther Rosenhagen.


IV.
Der Küchenunteroffizier.


So mein Leser etwa eine Leserin sein sollte, bitte ich sie freundlichst, ihre Kleider etwas aufzunehmen und mit mir die Treppe hinabzusteigen, die nach der im Souterrain gelegenen Küche führt. Es ist Sonnabend Nachmittag, die Stunde des Reinmachens – die Korridore und Treppen stehen unter Wasser und ein Heer von Mannschaften ist mit Besen und Schrubbern beschäftigt, um zu dem Sonntag Alles zu verschönen.

Unten im Souterrain herrscht der Küchenunteroffizier. Es wird so wenig von ihm gesprochen, ja die meisten Menschen ahnen überhaupt kaum etwas von seiner Existenz und doch sind seine Funktionen nicht minder zahlreich und wichtig, wie die der anderen Unteroffiziere.

Eine jede Hausfrau weiß viel besser als ich selbst, welche wichtige Rolle im Leben die Frage spielt: "Was sollen wir essen ?" Je größer die Familie, desto schwieriger ist die Beantwortung, zumal wenn es gilt, mit knapp bemessenen Mitteln zu wirthschaften.

Jedes Bataillon hat seine besondere Küche und seinen besonderen Küchenunteroffizier, dem die Pflicht obliegt, für die vier Kompagnien des Bataillons das Essen zu kochen. Der "Oberkoch" hat zu seiner Unterstützung drei oder vier Musketiere, die als "Unterköche" nach seinen Anweisungen handeln.

Noch heute Mittag, ehe ich mich niedersetzte, um diesen Artikel zu schreiben, wandte ich mich an den Küchenunteroffizier mit der Frage: "Sagen Sie mir bitte, wo haben Sie das Kochen gelernt ?"

"Gelernt ?" antwortete er erstaunt, "gelernt ? Nirgends, das kann ich ja, das ist doch ganz einfach."

"Aber irgend Jemand muß es Ihnen doch gezeigt haben ?" fuhr ich fort, "woher können Sie denn beurtheilen, ob die Speisen gut, oder welche Zuthaten noch erforderlich sind ?"

Mit großen Augen starrte er mich an: "Das schmeck' ich doch –"

Da gab ich den Versuch auf, Näheres von ihm zu erfahren und begnügte mich mit der Thatsache, daß der Mann kochen und zwar wundervoll kochen kann.

Nichts ist falscher, als die so vielfach verbreitete Ansicht, das Essen in der Kaserne wäre schlecht und "nicht zu genießen." Es ist weder nach Henriette Davidis, noch nach Katharina Protes "in mehr als 150 000 Exemplaren verbreitetem Kochbuch" bereitet, aber wer einmal das Mannschaftsessen probirt hat, der ändert seine Meinung sehr schnell und wenn er in seinem Magen noch Platz hat, läßt er sich sofort zum zweiten Mal den Teller aus dem unergründlich tiefen Kessel füllen. "Schmackhaft und nahrhaft", das sind die beiden Haupterfordernisse, die an das Essen der Soldaten gestellt werden – mit Austern, Caviar und getrüffelter Gänseleber können die Leute nicht beköstigt werden, aber wir werden sehen, daß es sich auch ohne das leben läßt.

Der Dienst des Küchenunteroffiziers und seiner Gehilfen beginnt in aller Herrgottsfrühe. Spätestens morgens um drei Uhr klopft ein Mann der Wache an seine Stubenthür und meldet: "Herr Unteroffizier, es ist Zeit zum Kaffeekochen."

Gähnend und schwerfällig erhebt er sich, macht Toilette und steigt in die unteren Gefilde, wo die Leute schon damit beschäftigt sind, Feuer unter die Kessel zu legen. Er wendet sich zur Vorrathskammer, zu der er den Schlüssel stets in der Verwahrung hat und giebt den Kaffee aus, aber nicht wie in einem Haushalt zwei oder drei Loth, sondern 2 1 / 2 – 3 Pfd. und ebensoviel Surrogat. Dazu kommen ungefähr fünf Pfund Zucker und vierzehn Liter Milch. "Jetzo kann der Guß beginnen", spricht er als belesener Mann vor sich hin und die Kaffeekocherei nimmt ihren Anfang. Fast fünfhundert Mann stellen sich bald darauf ein, um ihren Morgenkaffee zu holen und man muß es sehen, um es zu glauben, welche Quantitäten die Leute herunterschlucken. Annähernd zweihundert und fünfzig Liter werden verkonsumiert, nicht aus kleinen Tassen – die benutzt der Soldat mit Erlaubniß zu sagen nur zum Zähnebürsten – sondern aus großen weißen Kannen, die der Nichtmilitär gewöhnlich Waschschüsseln nennt.

Brot zum Morgenkaffee giebt es nicht besonders, wer Geld hat, geht in die Kantine, um sich dort Rundstücke zu holen, wer keins hat, tröstet sich mit den Worten der Kapuzinerpredigt: " contente estote – begnügt Euch mit Eurem Kommißbrode." Ein solches Brod wiegt vier Pfund und soll vier Tage reichen. Ich sage "soll", denn häufig ist es in kürzerer Zeit verwschwunden. Ich selbst habe einmal einen Rekruten gehabt, der Tag für Tag seine zwei Kommißbrode aß und sich dabei vollkommen wohl befand, woraus ersichtlich ist, daß Mephisto's Wort von dem guten Magen der Kirche auch auf die Soldateska anwendbar ist.

Die Frage "was werden wir essen ?" beschäftigt den Küchenunteroffizier stets nur einmal in der Woche und zwar am Freitag Abend. Sonnabend Morgen muß er das Menu für die nächsten acht Tage dem Hauptmann der Menagekommission vorlegen. Dieser schreibt, wenn er mit dem Vorgeschlagenen einverstanden ist, seinen Namen darunter und dann geht der Zettel auf das Bataillonsbureau. Erst wenn der Herr Major sein Visum daruntergesetzt hat, ist das Herz des Küchenunteroffiziers wieder für die nächste Zeit erleichtert und er macht dann bei dem Schlachter die nöthigen Bestellungen.

Vor mir liegt ein solcher Speisezettel, darf ich ihn abschreiben, ohne fürchten zu müssen, langweilig zu werden ?

   Montag:

Ochsenfleisch, Bouillon mit Reis, Kartoffeln.

   Dienstag:

Schweinefleisch, Linsen, Kartoffeln.

   Mittwoch:

Goulasch, Kartoffeln.

   Donnerstag:

Mageren Speck, dicke Erbsen, Kartoffeln.

   Freitag:

Frikadellen, Sauce, Kartoffeln.

   Sonnabend:

Hammelfleisch, Weißkohl, Kartoffeln.

   Sonntag:

Schmorbraten, Sauce, Kartoffeln, Pflaumenmus.

Der Schlachter, der die Lieferung hat, macht, trotzdem er bei den Massen, die verbraucht werden, seine Preis enatürlich reduziert hat, ein brillantes Geschäft. Täglich werden ungefähr hundert und dreißig Pfund Fleisch in die Küche gebracht und dafür daß keine "Reste" bleiben, sorgen die ewig hungrigen Soldatenmagen.

Fabelhaft ist der Verbrauch an Kartoffeln. Ein Bataillon verzehrt täglich etwa fünfhundert Pfund. Die angenehme Arbeit des Schälens besorgen die dem Küchenunteroffizier direkt unterstellten vier "Kartoffelschälfrauen", nicht mehr ganz junge und keineswegs hübsche Frauen, die Tag für Tag die fünfhundert Pfund schälen müssen und dafür außer freier Verpflegung eine Mark in baar erhalten.

Wenn es Mittags Kohl giebt, werden an fünfzig Kohlköpfe vertilgt.

Die Kompagnien treten, um ihr Essen zu holen, vor der Küche unter der Aufsicht des Unteroffiziers vom Dienst an, der dem Küchenunteroffizier Meldung macht. Es erfolgt dann das Kommando "Rechts um" und in langen Reihen ziehen die Hungrigen an den vollen Kasseln, von denen jeder eine Mannshöhe tief ist, vorbei und hier empfängt Jeder, was ihm nach den Worten der Kriegsartikel "eignet und gebühret".

Sind die Mannschaften abgefertigt, so kommen die Unteroffiziere daran, für die auf einem kleineren Heerd besonders gekocht wird. Über das Essen der Unteroffiziere meldet der mir vorliegende Speisezettel:

   Montag:

Milchsuppe, Leber.

   Dienstag:

Graupen mit Pflaumen, Beafsteak.

   Mittwoch:

Bouillon mit Klößen, Ochsenfleisch.

   Donnerstag:

Linsensuppe, Königsberger Klopps.

   Freitag:

Griessuppe, Hammelfleisch mit Weißkohl.

   Sonnabend:

Reissuppe, Karbonnade.

   Sonntag:

Bouillon mit Fleischklößen, Schmorbraten mit Backobst.

Die Unteroffiziere essen später als die Mannschaften, und es wird 1 Uhr, bis der letzte sich sein Essen hat herunterholen lassen.

Dann kommt wieder der Befehl: "Kessel reinigen". Die spärlichen etwaigen Überreste, die sich vorfinden, werden sorgsam gesammelt, denn die Speiseabfälle sind an den Milchlieferanten verpachtet, der dafür monatlich 60 Mark bezahlt. Das hierdurch erlöste Geld kommt den Leuten wieder zu Gute, indem es dazu verwendet wird, ihnen bei irgend einer Gelegenheit besonders gutes oder auch besonders reichliches Essen zu verabfolgen.

Nachmittags um 4 Uhr melden sich bei dem Küchenunteroffizier schon wieder die ersten Kaffeeholer und dasselbe Quantum wie am Morgen muß wieder in den großen Kesseln vorräthig sein.

Abends gegen 6 Uhr wird die Küche zugeschlossen und dann beginnt erst die eigentliche Arbeit des Küchenunteroffiziers. Dann muß er vor Allem erst Buch führen über das, was er den Tag über an Fleisch, Milch, Gewürz und sonstigen Zuthaten verbraucht hat, er muß auch berechnen, wie hoch sich das Essen im Preise stellt, um am nächsten Tag entweder etwas zu sparen oder etwas freigiebiger zu sein. Mit den vorhandenen Mitteln muß er nicht nur auskommen, sondern auch noch Ersparnisse machen, wie er das anfängt, ist seine Sache. Von Zeit zu Zeit werden die Menagebücher der Menagekommission, die aus dem Zahlmeister, einem Hauptmann und einem Lieutenant besteht, vorgelegt und auf das Genaueste geprüft. Über jedes Pfund der ihm anvertrauten Sachen muß der Küchenunteroffizier Auskunft geben können und aus seinen Büchern muß jede Minute ersichtlich sein, wieviel Gramm Graupen, Gries, Sago oder sonstige Zuthaten an jedem einzelnen Tage, zu jeder einzelnen Speise verwendet worden sind.

Wöchenlich wird das Essen der Mannschaften wenigsten einmal von dem Oberstabsarzt auf den Nährwerth hin geprüft und in vielen Garnisonen wird das Essen täglich von den Offizieren vom Kasernendienst gekostet, ehe es ausgegeben wird.

Sehr, sehr selten kommt es vor, daß die Speisen verdorben sind. Ist das Fleisch schlecht oder irgend etwas bei dem Kochen verunglückt, so darf der Küchenunteroffizier es unter keinen Umständen verabfolgen. Er hat dann sofort einem Mitgliede der Menagekommission Meldung zu machen, und dieser veranlaßt, daß umgehend neu gekocht wird.

Der Fall, daß das Essen nicht pünktlich fertig ist, kommt bei dem Küchenunteroffizier nicht vor, es darf nicht vorkommen, unter keinen Umständen. Eine Truppe, die gegessen und getrunken hat, kann mit Leichtigkeit die größten Strapazen ertragen, hungrige und durstige Mannschaften brechen bei der geringsten Anstrengung zusammen.

So häufig hört man den verwunderten Ausruf, daß unsere Soldaten trotz des vielen Dienstes so famos aussehen und häufig ertönt die Frage: "Woher kommt das ?"

Ich würde mich freuen, wenn diese Zeilen dazu beitragen sollten, dem Einen oder dem Anderen die Antwort nahe zu legen. –



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© Karlheinz Everts