Lübecker Eisenbahn-Zeitung

Nr. 294 vom 16. December 1894 Seite 2

Bilder aus dem preußischen Unteroffizierkorps.

Von Graf Günther Rosenhagen.


III.
Der Fourier.


Der Kompagniechef hat in der Feldwebelstube die Unterschriften gemacht und schickt sich an zu gehen.

"Haben Sie noch irgend etwas für mich, Feldwebel ?"

"Zu Befehl, Herr Hauptmann. Der Unteroffizier Hasse bittet von morgen an um sieben Tage Urlaub, seine Schwester heiratet."

"Schön, lassen wir ihn reisen; schicken Sie mir den Urlaubspass in die Wohnung."

Verwundert blickte der Feldwebel seinen Vorgesetzten an. "Aber Herr Hauptmann, das geht doch nicht, übermorgen ist ja Kasernen-Revision."

Der Hauptmann, der schon die Thür geöffnet hat, bleibt wieder stehen: "Allerdings, das hatte ich vergessen - ja, dann thut es mir leid, sagen Sie ihm, ich könnte ihm den Urlaub nicht bewilligen."

Der Hauptmann ist gegangen und 5 Minuten später wirft Unteroffizier Hasse mit einem Fluch seine Mütze in die Ecke. "Hol der Teufel die Kasernen-Revision und die Garnison-Verwaltung an der Spitze."

Er tobt, er schimpft und rast in seinem Verschlage hin und her; er hatte sich so auf die Hochzeit gefreut, nun ist es damit wieder Essig, wie schon so oft bei ähnlichen Gelegenheiten. Lange, lange dauert es, bis sich sein Zorn legt, dann aber erhebt er sich von seinem Rohrstuhl und durchschreitet das Revier. Das Pflichtgefühl hat endlich den Sieg über seine persönlichen Wünsche davongetragen - nun sorgt er dafür, daß bei der Revision auch alles in Ordnung ist. Das Kompagnie-Revier ist ihm unterstellt und für alle von der Garnison-Verwaltung empfangenen Sachen und Mobilien ist er verantwortlich.

Als er auf den Korridor hinauskommt, hört er lautes Zanken und Schelten, mehrere Soldaten sind in Streit geraten, deutlich unterscheidet er die Kosenamen, mit denen sie sich gegenseitig belegen. Er ist sich noch nicht einig, ob er sich in diesen Streit hineinmischen soll. Da hört er das Klirren einer Fensterscheibe: man ist zu Thätlichkeiten übergegangen. Er rast den Korridor entlang, um den Schuldigen zu ermitteln, aber kaum werden die Soldaten seiner ansichtig, als sie so schnell ihre Beine sie zu tragen vermögen "verduften". Eine Verfolgung wäre zwecklos, so hebt er denn die Glassplitter auf und schreibt in Gedanken die Meldung an die Garnison-Verwaltung: "Es ist eine Fensterscheibe zertrümmert worden; der Thäter war nicht zu ermitteln."

Dann setzt er seinen Rundgang fort und betritt die einzelnen Stuben. An jeder Thür hängt ein Untensilien-Verzeichniß, dies nimmt er zur Hand und läßt sich von den Mannschaften die einzelnen Stücke vorzeigen.

"Ein eiserner Ofen -"

"Ist da."

"Vierundvierzig eiserne Bettstellen."

"Sind da" antwortet der Chor. Aber der Fourier ist mißtrauisch geworden während seiner Dienstzeit, er glaubt nur sich selbst; so geht er von Bett zu Bett, bis er sich endlich davon überzeugt hat, daß merkwürdigerweise nicht eine einzige "geklemmt" worden ist. "Klemmen" ist beim Militär der terminus technicus für stehlen. Jeder Soldat würde es als eine tödtliche Beleidigung empfinden, wenn man zu ihm sagte : "Sie haben gestohlen", aber den Vorwurf, daß er "geklemmt" hat, läßt er ruhig über sich ergehen. Die Leute "klemmen" sich gegenseitig Alles, vom Kautabak bis zur Stiefelschmiere, von der Nähnadel bis zur Helmspitze. Nichts ist sicher. Besonders blüht diese Thätigkeit vor der Kasernen-Revision.

"Eine Müllschippe", liest der Unteroffizier Hasse vor.

Vergebens suchen sämmtliche Mannschaften nach der eisernen Schaufel - sie ist verschwunden.

"Wo ist sie", braust der Unteroffizier auf, "ich bitt' mir aus, daß sie heute Abend zur Stelle ist. Verstanden ?"

"Zu Befehl, Herr Unteroffizier."

Bald darauf verläßt der Fourier das Zimmer, sofort verlassen auch die Mannschaften die Stube und ohne daß man sich vorher irgendwie verabredet, ist nach fünf Minuten die verlangte Müllschippe wieder da, ja, man hat vorsichtshalber gleich noch eine zweite "mitgeklemmt".

Man hat den Fourier häufig nicht mit Umrecht die Hausfrau des Kompagniechefs genannt, ja es giebt sogar "frei nach der Glocke" ein Lied, das mit den Worten beginnt:

Und drinnen waltet,
In dem Quartier,
Der Herr Fourier.

Weiter kenne ich die Ballade nicht, ich glaube, es ist auch kein Schaden.

Dem Fourier liegen im Großen und Ganzen dieselben Pflichten ob, wie einer Hausfrau. Zunächst hat er den Leinenschrank unter sich. Das Leinenzeug, das einer Kompagnie zur Verfügung steht, ist die Bettwäsche und die Handtücher; sie werden von der Garnisonverwaltung rein empfangen und, wenn sie schmutzig geworden, dort zum Waschen wieder abgegeben. Die Bettwäsche wird alle sechs Wochen, die Handtücher jede Woche gewechselt. Andere Wäsche, wie Tischtücher, Servietten, u.s.w. sind bei dem Militär unbekannte Luxusgegenstände. Die preußische Einfachheit zeigt sich auch in den Betten, ein eisernes Gestell mit einem Strohsack, der alle Jahre unter Aufsicht des Fouriers frisch gestopft wird. In neuester Zeit hat man allerdings fast überall Matratzen aus Indiafaser. Zum Zudecken dienen wollene, in blau und weiße Bezüge gehüllte Decken, über die der Fourier ebenfalls die Aufsicht hat und von denen er im Sommer dem Mann eine, im Winter aber zwei giebt. Nur sehr ungern giebt der Fourier die wollenen Decken heraus, denn sie sind sehr theuer und die etwa abhanden kommenden muß er aus eigenen Mitteln ersetzen. Nach seiner Meinung ist es, zumal im Winter, vollständig überflüssig, daß die Leute wollene Decken haben, und so Unrecht hat er nicht, denn meistens herrscht auf den Mannschaftsstuben, selbst während der Nacht, eine geradezu tropische Hitze. Natürlich geräth der Fourier über diese Kohlenvergeudung jedes Mal außer sich, denn er hat auch die Feuerung zu verwalten und muß mit dem nur knapp bemessenen Material reichen. Nur allzu häufig kommt es vor, daß es mit seinem Kohlenvorrath schon Mitte Januar Matthäi am letzten ist. Dann ist guter Rath theuer und wenn er nicht als weiser und fürsorglicher Fourier vom vergangenen Winter eine kleine Ersparniß in einer dunklen Ecke seines Kellers liegen hätte, so wäre es manchmal wirklich zum Verzagen. Dann stöhnt und jammert er, wie knapp bemessen Alles dem Fourier überwiesen wird und trotz alledem bringt er es doch stets fertig, von dem Wenigen noch etwas zu erübrigen. Gar Mancher und gar Manche könnte bei einem Fourier wirthschaften und sparen lernen.

Der sehnlichste Wunsch eines jeden Fouriers, zumal im Winter, ist eine ewige Lampe, aber ewig in doppelter Hinsicht; sie muß ewig brennen und ewig hell bleiben. Die groben und ungeschickten Hände der Leute zerbrechen fast täglich Kugeln und die Gläser, und wenn die Lampen bei dem Reinigen unverletzt bleiben, so bieten sich im Laufe des Tages mehr denn hundert Gelegenheiten, das Versäumte nachzuholen.

Die Korridore und die Stuben sollen der Instruktion gemäß von Einbruch der Dunkelheit bis zum Zapfenstreich "erleuchtet" sein, aber selbst dem geschicktesten Fourier ist es nicht immer möglich, diesem Befehl nachzukommen. Denn sparsamer noch als mit der Feuerung ist die Garnison-Verwaltung mit dem Beleuchtungsmaterial, und wenn man Abends in eine Stube tritt, sieht man häufig als einzige Beleuchtung nur die Funken, die aus den Augen desjenigen sprühen, der in der Dunkelheit gegen eine offene Schrankthür angelaufen ist.

Mit der Beköstigung hat der Fourier, im Gegensatz zu der Hausfrau, wenig zu thun. Nur das Brot, das alle vier Tage von der Garnison- oder Corpsbäckerei empfangen wird, hat er an die Korporalschaftsführer zu vertheilen.

Die schwerste Zeit ist für den Fourier das Manöver. Gleichzeitig mit dem Fourier-Offizier des Bataillons werden die Fourier-Unteroffiziere den Truppen vorausgesandt, um Quartier zu machen. Die Zeit, die ihnen hierfür zur Verfügung steht, gewöhnlich nur 24 Stunden, ist sehr knapp, denn es giebt sehr viel zu thun, damit die Kompagnie, wenn sie am nächsten Mittag eintrifft, alles in Ordnung findet. Der Hauptmann schilt, daß für sein Pferd kein besserer Stall besorgt ist, der Premier-Lieutenant flucht, weil sein Bett zu kurz, der Seconde-Lieutenant hat ein viel zu hartes Unterbett, der Feldwebel hat überhaupt kein Bett, die Unteroffiziere hatten von ihrem Kameraden ganz sicher erwartet, daß er ihre Interessen besser wahrnehmen würde und gemeinsam erschallt der Ruf: "Wo ist der Fourier ?" Gewöhnlich ist er so schlau, sich nicht finden zu lassen. Er hat sein Möglichstes gethan, um alle Wünsche zu erfüllen, wenn es nicht gelang, ist es nicht seine Schuld und er verspürt wenig Neigung "sich eins auf den chapeau -Hut geben zu lassen".

Gehen die Truppen in das Bivouak, so muß er die Viktualien, das Brot und die Fourage auds dem gewöhnlich recht abseits gelegenen Magazin empfangen, sowie das Brennholz und das Stroh in Empfang nehmen. Da die Bagagewagen bei Beginn der Übung von dem Manövergelände verschwunden sein müssen, so fahren die Wagen schon nachts um zwei oder drei Uhr, häufig auch schon am Abend vorher. Je früher die Fouriere abfahren, desto größer ist die Erbitterung der Offiziere, denn das Offiziersgepäck nimmt der Fourier auf seinem Wagen mit sich und mancher junge Lieutenant wird dadurch nolens volens gezwungen, sich rechtzeitig schlafen zu legen. Morgens flucht man, wenn der Fourier kommt und mittags im Bivouak flucht man, wenn er nicht kommt.

"Wo stecken die Kerls nur wieder ?" brummt der Hauptmann vor sich hin.

Eine Stunde verrinnt nach der anderen, die Fouriere mit den Wagen erscheinen nicht. Endlich kommt die tröstliche Meldung: "Der vorderste Wagen der Bagage hat die Achse gebrochen, die anderen können auf dem schmalen Weg nicht vorbei, spätestens in zwei Stunden werden sie eintreffen."

"Spätestens in zwei Stunden." Angenehme Aussicht für den hungrigen Magen! Und wenn der arme Fourier endlich kommt, dann fällt Alles über ihn her und giebt ihm die alleinige Schuld an dem ganzen Unglück. Ruhig läßt er anfangs Alles über sich ergehen, aber als ihm die Sache zu toll wird, begiebt er sich zum Hauptmann und bittet, ob nicht ein Anderer für ihn Fourier werden könne, er sehe ein, daß er es Keinem recht mache.

Nur mit Mühe gelingt es dem Kompagnie-Chef, den Erzürnten zu beruhigen. Der Fourier erklärt sich bereit, im Amt zu bleiben und hofft, daß sein energisches Auftreten am heutigen Abend ihn vor weiteren Behelligungen schützen wird. Aber bei dem nächsten Bivouak und bei der nächsten Gelegenheit wiederholt sich dasselbe Bild und voll Resignation pfeift er das schöne Lied:

Ja, im Bivouak,
ja, im Bivouak,
ist es schwer
Fourier zu sein, u.s.w. da capo ad infinitum



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© Karlheinz Everts