Humoreske von R. v. Rawitz
in: „Die Eureka Post” vom 15.08.1907
Wie friedlich war es sonst in Rickenau, dem reizenden, von dichten Forsten umkränzten Garnisonstädtchen des Jägerbataillons „Prinz Eugen” zugegangen! Und nun hatte sich alles geändert!
An dieser Revolution war aber Niemand anders schuld, als der neue Bataillonscommandeur, Major Werner. Wenn auf einen Menschen überhaupt das Sprichwort zutraf, so auf ihn: Neue Besen kehren gut! Er kehrte gründlich die alten lieben Gewohnheiten aus und brachte die ganz neuen Ideen auch in Rickenau in Umlauf. Da gab es Uebungsmärsche und Felddienstübungen, Skelettexerzieren und Manöver am „Eskaladier”-Gerüst, da wurde geschossen, gefochten, trompetet, geturnt, voltigirt, bajonettirt — kurz in Rickenau war der Teufel los. Und das nicht etwa nur in schönen Sommertagen, wenn lau die Lüfte wehen, sondern zu allen Jahreszeiten, und zu jeder Tag- wie Nachtstunde.
Die alten Hauptleute fluchten und wetterten, die Oberleutnants knurrten, die Leutnants lachten und spotteten. Er war ein sehr gestrenger Herr im Dienst, der Herr Major, und nur der eine Gedanke tröstete seine Untergebenen, daß er in seinem Heim selbst gehorchen mußte, und daß die Majorin das Eheregiment kaum weniger energisch führte, als ihr Gatte das militärische Commando. Hatte sie auch nicht eine Compagnie unter sich, wie ihr Ehegespons, so unterwarfen sich ihrer Gewalt doch auch vier Untergebene: der Major selbst, Aennchen, seine blonde, neunzehnjährige Tochter, der Herr Tertianer Oskar und endlich die Küchenfee Christine.
An einem schönen Frühlingsabend hatte Major Werner sein Bataillon wieder einmal alarmirt, um in ganz verschmitzter Weise den schönen Feind, der natürlich gar nicht existirte, nach dem Bataillonsbefehl aber in formidabler Stärke das Forsthaus „Grüne Linde” besetzt hielt, zu überraschen und zu vernichten. Der Major war heute sehr grimmer Laune: seine „Bianka” ging immerwährend „Zackeldrapp”. was bekanntlich auch den sanftesten Menschen rasend machen kann, und im Bataillon ging nach seiner Meinung heute alles ganz „hundsmiserabel”. So fegte er denn zwischen den vier Compagnien hin und her, fauchte wie ein Tigerthier, dem ein anderer Urwaldbewohner auf den Schwanz getreten hat, und erklärte alle fünf Minuten, er werde „den Schuldigen einlochen, bis er zu einem blassen Skelett zusammengeschrumpft” sei.
Am meisten ärgerte er sich aber über den Oberleutnant Baron v. Wildlingen, den ältesten Leutnant des Bataillons, einen schlanken, elastischen Offizier, der ein Monokel ohne Band bald links bald rechts in's Auge klemmte und zu allen Donnerpredigten seines Vorgesetzten kühl bis an's Herz hinan blieb. Das war derselbe Wildlingen, von dem die Frau Majorin heute bei Tisch geschlagene drei Viertelstunden unter Aufbietung ihrer ganzen Dialektik gesprochen, und den sie als das Ideal eines zur Verlobung reifen Junggesellen bezeichnet hatte. Dieser Baron benahm sich wirklich zu frech: Erlaubte er sich doch, heute Abend zweimal recht zu haben: einmal, als es sich um die Wahl des kürzesten Weges handelte, sodann, als die Tiefe der Furt des Regenitz-Baches ausgeprobt wurde. Beide Male hatte Wildlingen das Richtige getroffen, der wütende Major sich aber geirrt. Und das ist bekanntlich eine Todsünde.
So fiel denn die Schlußkritik vernichtend aus. „Wie gesagt, meine Herren, es war hundsmiserabel! Glauben Sie etwa, es wäre uns gelungen, einen nur halbwegs aufmerksamen Gegner zu überraschen? Kein Gedanke! Die Oberjäger müßt ich eigentlich durch die Bank einlochen, bis sie blasse Schemen geworden wären, aber auch die Herren Leutnants waren durchaus nicht nach meinem Geschmack. Namentlich Sie nicht, Herr v. Wildlingen! Ich muß Sie dringend ersuchen, sich mit der Kriegsgeschichte innig vertraut zu machen, und befehle daher: Sie halten uns morgen Abend im Kasino einen Vortrag über die Schlacht bei Mukden, aber mit allen strategischen Details! Verstanden? Aus diesem Grunde und zur gründlichen Vorbereitung darauf sind Sie morgen vom Vormittagsdienst dispensirt! Das übrige Bataillon aber steht Schlag zehn Uhr hier auf dieser Stelle zu einer Felddienstübung mit Kriegshunden!”
Damit ritt er auf der stolzen „Bianka” heim, während die Leutnants höchst verbrecherliche Witze über den „Türken” rissen. Am heitersten ward Wildlingen. „Kinder,” sagte er, „der Alte hätte mir einen größeren Gefallen gar nicht thun können; über die Schlacht von Mukden habe ich auf der Kriegsakademie schon einmal einen schmackhaften Vortrag gehalten, den lese ich natürlich einfach noch mal vor. Und so darf ich morgen faulenzen, währen ihr im feuchten Lehm trampelt.”
Im hellen Mondschein marschirten die Jäger in's Städtlein ein; vorn bliesen die Hörner den Pariser Einzugsmarsch: die hintersten Compagnien aber sangen lustige Lieder. So ging es auch an der Villa des Majors vorbei, wo zwei Damen am Fenster standen, eine ältere und eine junge. Wildlingen, der den letzten Zug des Bataillons führte, grüßte mit dem Degen hinauf, und die Grüße wurden sehr freundlich erwidert.
Zwölf Stunden später promenirte Wildlingen wieder in derselben Gegend, jetzt in Ueberrock und Mütze. Es war ein herrlicher Lenzmorgen voll Licht und Leben, so recht geschaffen für junge Menschenkinder, die sich zugethan sind. Anscheinend ganz zufällig ging der Offizier am Gartenzaun der Villa Werner entlang, als innen im Vorgärtchen Stimmen hörbar wurden.
„Guten Morgen, Herr Baron!”
„ Ah — guten Morgen, gnädige Frau, guten Tag, gnädiges Fräulein!”
„Heute nicht im Dienst? Mein Mann ist doch schon vor einer Stunde hinaus?”
„Er hat mich gütigst dispensirt!”
„Und nun genießen Sie den schönen Tag! Wir wollen auch soeben einen Vormittagsspaziergang machen.”
„Wenn ich mich anschließen darf!?”
„Sehr gern, Herr Baron. Wir wollen zum Stadtwäldchen. Es ist ja nur eine halbe Stunde, und man sitzt da so angenehm.”
Wildlingen bot der Majorin den Arm. Aennchen ging an seiner anderen Seite. So schritten sie die hübsche Allee hinaus, an deren Bäumen das erste zarte Grün sich schüchtern hervorwagte.
Zur selben Zeit toste das Jägerbataillon über Stock und Stein, durch Feld und Flur. Alle Dienstgrade thaten ihre Schuldigkeit, und der Major war heute ausnahmsweise sehr zufrieden.
„Na ja,” sagte er, „das ist etwas ganz anderes, als gestern Abend! Die Sache klappt. Wir marschiren zurück, aber zuvor wollen wir noch winmal die überaus instruktive Hunde-Uebung vornehmen. Wir nehmen also an, daß wir weit vor der Front unserer Armee sind und hier in diesem Busch eine feindliche Offizierspatrouille vermuthen. Los mit den Hunden! Und sobald die Köter anschlagen, mit gefälltem Bajonett und donnerndem Hurrah hinein.”
Die Oberjäger traten vor und lösten die braunen, intelligenten Hunde von den Leinen. Wie der Wind stoben sie in das Stadtwäldchen hinein und drei Minuten später hörte man sie anschlagen: „Wau, wau, wau!”
„Drauf und ran!” donnerte der Major. „Das ist die feindliche Patrouille!” Die Compagnien brachen mit hellem Hurrah vor, und ihr gestrenger Commandeur spornte die arme, alte Bianka zu einem Extra-Galöppchen an. So geschah es, daß die ganze Garnison von allen Seiten her angreifend die feindliche Bank umzingelte. auf der sich ein ergreifendes Tableau den Augen der Krieger darbot: In der Mitte saß die Majorin, rechts Aennchen, links Baron Wildlingen; die jungen Leute hatten sich soeben die Hand gegeben, und die Mama hielt, gleichsam segnend, ihre Hände in den eigenen Händen! — —
Nach drei Tagen flogen sehr inhaltsschwere Briefchen durch Rickenau, deren Text leicht zu errathen ist.
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