Hubertus-Jagd

Von Ralph v. Rawitz.
in: „Mährisches Tagblatt” vom 03.11.1902
in: „Badische Presse” vom 08.11.1902
(siehe auch: „Das Ehrenwort”)


Das war nun das dritte Feuer in anderthalb Jahren! Kein Mensch auf Gut Holnstein oder in der nahen Garnisonstadt Katzlau zweifelte daran, daß es sich um Racheakte gegen den Besitzer des Gutes, den Baron Beuerstorff. handelte. Vermuthlich wae der Thäter ein entlassener Knecht oder ein Wilderer. dem der Baron das Handwerk gelegt hatte, und der sich nun mit Petroleum und Streichholz revanchirte. Derselben Ansicht war auch der Kriminalbeamte aus Berlin, in dessen Hände der Rittergutsbesitzer die Angelegenheit gelegt hatte, und der unter der Maske eines Getreidehändlers in Katzlau eingetroffen war. Kommissar Bandhaff sah sich seine Leutchen an, und nach zwei Tagen bereits hatte er soviel Material gesammelt, daß man den lahmen Seegert dingfest machen und dem Untersuchungsichter vorführen konnte. Der Kerl. ein verkommenes Subjekt, dessen Subsistenzmittel aus dunklen Geschäften herstammten, und der schon mehrmals gesessen hatte, war an dem bewußten August-Abend unfern deS Gutshofes gesehen worden, verwickelte sich in Widersprüche und berief sich natürlich auf den „großen Unbekannten”, der auf dem Gutshof sein Unwesen getrieben und wohl auch den Brandstiftungsversuch gemacht habe.

Die Sache kam vor das Schwurgericht, das im October in Katzlau zusammentrat, und war dem Abschluß nahe, als der Angeklagte plötzlich mit einer Aussage hervortrat, die nicht nur im Gerichtssaal, sondern in der ganzen Stadt und im Kreise Sensation machte. Er, Seegert, habe bisher geschwiegen, könne aber nun nicht länger mit der Thatsache zurückhalten. Er habe sich allerdings an jenem Abend in der Nähe des Gutshofes aufgehalten, freilich völlig harmlos und in der Absicht, frische Luft zu schöpfen. Als er zwischen 11 und 12 Uhr Abends an der Parkmauer dahingeschritten sei, habe sich plötzlich die kleine Wiesenpforte geöffnet, und ein Mann sei, vorsichtig nach allen Seiten spähend, herausgetreten. Der Mann habe sich schnell in der Richtung der Bäcke-Brücke entfernt. Er wisse den Namen des Betreffenden und könne ihn, weil er selbst in Gefahr schwebe, nicht länger verschweigen. Es sei Graf Burg von den Kürassieren gewesen.

Graf Burg, der eleganteste .und flotteste Oberleutnant der Garnison Katzlau, der Vetter des Staatssekretärs, der Besitzer einer Herrschaft in Westfalen. der Millionär — ein Brandstifter? Die Richter schüttelten die Köpfe, die Geschworenen thaten desgleichen, und selbst der Vertheidiger lächelte ungläubig. Nichtsdestoweniger richtete er an den Gerichtshof den Antrag, das Kürasssierregiment um die Vorladung des Grafen Burg ersuchen zu wollen. Der Gerichtshof lehnte diesen Antrag ab mit der Motivierung, „selbst angenommen. der Graf habe sich an jenem Abend in Holnstein aufgehalten und durch den Park entfernt, so sei damit nichts erwiesen, weil die Herren des Kürassierregiments ja oftmals zu allen Tageszeiten auf dem Gut ihres früheren Waffenkameraden verkehrten und weil der Baron Beuerstorff auf eigene Aussage in herzlicher Weise mit dem Grafen verkehre, so daß jeder Anlaß auch für den leisesten Verdacht wegfalle."

Seegert wurde verurtheilt und hielt es auch nicht für gerathen, Revision einzulegen, weil er vermutlich mit 1½ Jahren Zuchthaus noch gut genug davongekommen zu sein glaubte. Das bürgerliche Strafverfahren war damit beendet, und die Strafvollstreckung griff Platz. Die Presse verzeichnete diesen Ausgang mit wenig dürren Worten, kommentirte aber dafür desto eifriger die Ablehnung des Antrages der Verteidigung. „Es ist bedauerlich”, schrieb ein Blatt, „daß man, offenbar aus Standesrücksichten, der überaus interessanten Frage nicht näher trat. War der genannte Offizier an jenem Abend wirklich auf Gut Holstein und hat er sich, wie Seegert sagte, „vorsichtig spähend” durch eine hintere Gartenpforte entfernt? Kürassier-Offiziere pflegen doch gewöhnlich den Hauptausgang zu benutzen.”

Auf Grund dieses Berichtes hielt das Regimentskommando der Katzlauer Kürassiere es für angezeigt, die ehrengerichtliche Untersuchung gegen den Oberleutnant Grafen Burg zu eröffnen. Es wurde festgestellt, daß das Regiment am 16. August Früh in das Manöver abmarschiert war, daß der Brand am Abend dieses Tages stattgefunden hatte, und daß zu dieser Zeit der Offizier sich im Dorfe Malchow, etwa 6 Kilometer von Gut Holstein, im Kantonnementsquartier befunden haben mußte. Die 4. Eskadron, der der Graf angehörte, war um 11 Uhr Vormittags eingerückt und am nächsten Morgen um 7 Uhr weitermarschirt. Der Graf erklarte,ach einem Spazierganga früh zu Bett gegangen zu sein, er wüßte nicht, was er in Holstein hätte thun sollen, da ihm bekannt gewesen sei, daß der Baron zur Gravellotte-Feier seines alten Regiments nach Berlin gefahren war. Offenbar liege, wofern der Brandstifter Seegert nicht gelogen habe ,eine Verwechslung vor. Natürlich kenne er die erwähnte Parkthüre nach der Bäcke-Brücke, die er oft genug in Begleitung des Barons bei Jagdausflügen diesen Ausgang passirt habe.”

Das Verfahren des Ehrengerichts endete nach kurzer Debatte nitt dem Spruch, daß die ganze Angelegenheit sich nicht zu einer ehrengerichtlichen Behandlung eigne; gegen vage und unbewtesene Behauptungen könne sich kein Mensch schützen.

Fünf Minuten, nachdem dieser Entscheid gefallen war, überreichte ein Dienstmann dem Grafen Burg ein Schreiben, das folgende zwei Zeilen enthielt:

„Euer Hochwohlgeboren bitte ich zu einer Unterredung unter vier Augen. Ich erwarte Sie im Hotel du Nord.
Baron v. Beuerstorff.”

Der Graf begab sich sofort zum Hotel.

„Mein Herr Graf.” begann Baron Beuerstorff, „ich habe Sie hierher gebeten, um eine Frage an Sie zu richten. Wir sind beide alte Offiziere und gewöhnt, vor dem Ehrengericht unser Innerstes zu entschleiern. Wir sind aber auch Kavaliere, die — und ich glaube, darin täusche ich mich nicht — selbst den schwersten Entschluß zu Wege bringen — die Wahrheit zu verleugnen, um die Ehre einer Dame zu retten. Sie wissen, welche Kommentare an die Behauptung dieses Verbrechers geknüpft worden sind. Ich bin überzeugt, daß Sie den Kameraden auch nicht das leiseste Mißtrauen belassen, den schwächsten Zweifel getilgt haben. Aber jetzt sind wir unter uns, Mann gegen Mann, und nun frage ich Sie auf Ehrenwort: Herr Graf! Waren Sie an dem Abend in Holnstein?”

Graf Burg sah dem Fragenden fest in die Augen:

„Ich war n i c h t d a!”

Beuerstorff athmete hoch auf.

„Gott sei gedankt! Graf! Es wäre ja auch zu furchtbar gewesen!” — — —

Wenige Tage nach dieser Unterredung, am Sonnabend vor Sanct Hubertus, fand der erste Herbst-Kasinoball statt. Beuerstorffs wollten zuerst nicht daran theilnehmen, dann aber hielten sie es für gerathen, gerade ins Kasino zu fahren, um dem müßigen Geschwätz in Katzlau ein Ende zn machen. Auch Graf Burg wurde von derselben Ueberlegung geleitet, und recht ostentativ machte er der schönen jungen Frau v. Beuerstorff vor versammelsem Kriegsvolk den Hof. Er tanzte mit ihr die Quadrille, einen Lancier und dann einen Walzer. Unwillkürlich sah alles nach dem schönen Paar, das lachend und in lebhafter Unterhaltung durch den Saal wirbelte. Oben, vom Orchester her, breite Melodien. und wiegende Klänge.

„Jetzt, Rita! Höre! Wir haben nur zwei Minuten. Bitte, lache! — Es ist das letzte Mal, daß wir uns sprechen! — Du bist sicher, Liebliung! — Dein Mann ahnt nichts! — Niemand ahnt etwas! — Ich lasse mich versetzen! — Weit von hier — sehr weit, liebes Kind! — Vergiß mich nicht ganz! — Und Gott behüte Dich! — — Nicht wahr, gnädige Frau, ein charmanter Gedanke, dieser Herbstball? Und wie unsere Kerls blasen, famos! Darf ich Sie zu Ihrem Platz geleiten? Gehorsamsten Dank!”

Es folgte die zweite Quadrille, ein Blumenwalzer, ein Galopp, aber Burg tanzte nicht mehr; leise ging er hinaus, nahm Stahlhelm und Degen und schritt seiner Junggesellen-Wohnung zu. Als er an seinem Stall vorüberging, schnaubte drinnen ein Gaul; der Offizier öffnete die Thür und trat an den großen Rappen heran:

„Wotan, mein alter Kerl" Du und ich, wir beide!” damit klopfte er ihm auf den Hals, und das Pferd rieb dankbar die Nüstern an der Hand seines Herrn.

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Die Hubertus-Jagd war geritten, aber vergebens hatte das Kasino den reichen Eichenschnuck angelegt und das prächtuge Tafelsilber aufgestellt. Mit ernsten Gesichtern standen die Kürassier-Offiziere iim Lesezimmer am Kamin. Burg fehlte.

„Fürchterlich!”

„Ja! — Und unbegreiflich! Doch ganz bekanntes Gelände! Kein Rekrut könnte sich da irren! Links zur Bäcke 'runter nach den Holnsteiner Wiesen, rechts der Steinbruch.”

„Der Rappen war doch auch zuverlässig, alteS Chargenpferd — drei oder vier Jahre vor'm Zug gegangen!

„Ja Kinder — was redet Ihr! — Es sollte wohl so sein! Und wer weiß, wozu es gut ist — Und schließlich, sehen wir die Sache 'mal militärisch an: doch esin anständiger Reitertod!”

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