Pechmüller

Humoreske von Paul Bliß
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 28.01.1898


Leopold Müller war ein friedliebender Mensch, der sich durch Nichts von einem sogenannten Durchschnittsmenschen unterschied bis auf eine — wenn man so sagen darf — Eigenthümlichkeit, daß er seit frühester Jugend von einem geradezu unheimlichen Pech vefolgt ward.

Schon, als er geboren war, begann das Unheil. Die Wartefrau steckte ihn in zu heißes Wasser, so daß er nahezu verbrüht wäre. Als er dann ein wenig älter war, fiel er aus der Wiege — Gottlob, ohne sich Schaden zu thun. Und als er gar erst laufen konnte, mehrten sich die Unfälle zusehends, so daß sein Vater einmal grimmig sagte: „Du wirst noch der reine Pechmüller werden!”

Dies Wort bewahrheitete sich dann auch leider nur zu bald. Der arme kleine Kerl konnte gar Nichts mehr thun oder unternehmen, ohne daß Etwas immer mißlang oder ihm Ungelegenheiten eintrug. Und so kam es denn, daß seines Vaters prophetisches Wort schnell populär wurde und alle Welt ihn „Pechmüller” nannte.

*           *           *

Jetzt war er ein junger Mann von sechsundzwanzig Jahren und ging auf Freiersfüßen. Er war ein ganz netter Kerl, an dem ein Mädel schon Gefallen finden konnte, und er war mittlerweile Philosoph genug geworden, um sein pechöses Schicksal mit Humor und Laune zu ertragen.

Seine Angebetete war die einzige Tochter eines reichen Mannes, der es partout nicht zugeben wollte, daß sein einziges Kind, mit dem er doch hoch hinaus wollte, diesen armen „Farbenkleckser”, genannt „Pechmüller”, heirathen sollte.

Das blonde Gretchen aber erklärte standhaft: „Wenn ich diesen Mann nicht bekommen soll, dann will ich überhaupt keinen, sondern gehe in's Kloster!”

„Aber, Kind,” rief der Alte erbost, „ein Maler, was ist das? Nichts! Ja, wenn's noch wenigstens ein braver Stubenmaler wäre! So aber — Bildermaler, dessen Gemälde Niemand kennt oder gar kauft! Wovon wollt Ihr denn leben?”

Gretchen aber blieb standhaft. „Er ist zwar recht unbekannt, aber er wird berühmt werden, und dann wird man sich um seine Bilder reißen!”

„Und bis dahin hungert Ihr, was?”

„Du hast ja Geld genug!”

„Aha! Nein, liebes Kind, ich habe mein Geld zu sauer erworben, um es auf solche Weise zum Fenster hinaus zu werfen!”

Derartige Gespräche gab es jeden Tag zwischen Vater und Tochter. Und das Ende war dann stets, daß Beide grollend auseinander gingen, während die gute Mama zu Gretchen trat und ihr leise Trost zusprach: „Sei nur fest, liebes Kind, dann wirst Du Deinen Willen schon noch durchsetzen!”

Und der gute „Pechmüller” war ebenso fest und treu und sagte sich: „Wenn wir Zwei uns ernsthaft lieb haben und uns heirathen wollen, dann kann keine Macht der Welt uns trennen!”

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Im Städtchen war Ball.

Gretchen mit ihren Eltern wollte hin, und natürlich mußte auch Leopold hin, denn der Gedanke, daß ein Anderer sie im Arme hielt, war ihm einfach unerträglich.

Zu diesem Zwecke hatte er sich ein Paar neue schwarze Hosen machen lassen. Der Schneider, bei dem er zwar schon hoch in der Kreide stand, wollte sich zuerst nicht zu noch neuem Credit herbeilassen; als er aber hörte, daß der junge Maler heimlich mit dem reichen Gretchen Schwarz verlobt war, ließ er sich willig herbei und versprach, die schwarzen Unaussprechlichen zur rechten Zeit zu liefern.

Leopold war glückselig und ging hoffnungsfroh nach Hause, wo ihn bereits ein Freund erwartete.

„Ach, lieber Leo, Du mußt mir einen großen Gefallen thun! Ich reise heute zur Hochzeit und habe keine schwarzen Hosen. Sei so gut und leih' mir Deine — wir haben ja die gleiche Größe — in acht Tagen bekommst Du sie wieder!”

„Mit dem größten Vergnügen!” sagte der gutmüthige Leopold und gab seine alten schwarzen Hosen hin, denn er konnte sie ja entbehren, weil er ein Paar neue bekam.

Drei Tage später war der Ball..

Es war bereits sechs Uhr, und noch immer hatte der Schneider die neuen Hosen nicht geschickt. Endlich ging Leopold zu ihm.

„Ja, lieber Herr Müller,” sagte achselzuckend der Meister, „ich habe gehört, daß der alte Herr Schwarz gar nicht daranh denkt, Ihnen seine Tochter zu geben, und da habe ich mich dann eines Anderen besonnen und kann Ihnen Nichts mehr borgen.”

„Aber, Meister, ich muß den Ball besuchen, ich muß den alten Herrn heute für mich gewinnen!” Und nun erzählte er, daß er keine schwarzen Hosen habe, weil er sie verborgt habe.

Der Meister nickte lächelnd und sagte boshaft: „Da kann ich Ihnen nur rathen, sich auch ein Paar zu borgen!”

Leopold bat und flehte, aber der Meister blieb kühl und verneinte lächelnd — man weiß ja, wie solche lieben Leute in solchen Augenblicken sein können.

Der arme „Pechmüller” war rathlos. Endlich besann er sich, daß Freund Lehmann ein Paar neue Hosen hatte, die ihm auch passen mußten. Im Sturmschritt eilte er zu diesem Freunde.

Natürlich war Lehmann nicht zu Hause. Aber seine Wirthin, die Herrn Leopold genau kannte, sagte: „Ich würde Ihnen ja die Hosen recht gern geben, wenn ich wüßte, daß Herr Lehmann heute nicht mehr wiederkäme.”

„Wo ist er denn hin?”

„Er ist per Rad eine Partie machen.”

„Ach was, dann geben Sie nur her — ich nehme Alles auf mich.”

So bekam Leopold Freund Lehmann's Hosen und ging seelenvergnügt von dannen. Es war auch hohe Zeit, denn um acht Uhr begann bereits das Fest, und Leopold hatte mit Gretchen verabredet, daß er sie zur Polonaise führen würde, um sich so möglichst viele Tänze von vornherein zu sichern.

*           *           *

In dem hell erleuchteten Saale drängt sich die junge Welt des Städtchens. Leopold und Gretchen eröffnen den langen Reigen der Polonaise.

Der alte Herr Schwarz war zwar empört darüber, aber seine Frau redete ihm gut zu, so daß er, wenn auch heimlich grollend, Nichts weiter dazu sagen konnte.

Die beiden verliebten jungen Leute sind glückselig und erklären sich auf's Neue ihre treue Liebe; dabei wechseln sie heimlich Händedrücke und heiße Liebesblicke.

Plötzlich, als die Polonaise zu Ende ist und Leopold sich bereits alle Tänze gesichert hat, kommt ein Kellner und meldet, daß draußen Jemand sei, der mit Herrn Müller zu sprechen wünsche.

„Pechmüller” eilt entsetzt hinaus, denn er ahnt ja, daß es nur Freund Lehmann sein kann.

Natürlich ist er es. und er ist empört. „Lieber Müller, ich finde es doch ein wenig sehr sonderbar, daß Du so ohne Weiteres in meine Hosen steigst!”

„Aber, lieber Freund,” stottert „Pechmüller”, „ich glaubte, Du würdest, wie schon so oft, eine größere Partie gemacht haben.”

„Also sei so gut und zieh' die Hosen aus, denn ich will selbst tanzen.”

„Pechmüller” bittet und fleht und beschwört den Freund, aber Alles ist umsonst, denn dieser hat auch ein Liebchen hier und will sich also auch amüsiren. Endlich geht der geknickte Leopold zurück, entschuldigt sich bei seinem Gretchen — er werde gleich zurück sein, wann dies „gleich” sein würde, das wußte er im Augenblick selbst noch nicht. Dann geht er nach Hause, schlüpft in sein Alltagsbeinkleid und trägt die so ungern entbehrten Pantalons zu Freund Lehmann zurück.

Als er zu diesem kommt, meint der lächelnd: „Weißt Du, geh' doch mal zum Hellwig, der hat ja ausch ein Paae neue Buchsen, vielleicht kann der sie entbehren.”

Leopold nickt dankend und eilt zu Hellwig.

Als Hellwig den erregten „Pechmüller” sieht, lächelt er heimlich und sagt: „Ja, meine Hosen kannst du haben, erst aber müssen sie noch gestopft werden; ich hab' nämlich gestern Malheur damit gehabt.”

Die Hosen werden besehen, und es ergiebt sich, daß von der rechten Seitentasche ein klaffender Riß bis zum Knie heruntergeht. Leopold neigt zwar bedenklich den Kopf. Aber was thun? Hin zum Ball muß er unbedingt wieder. Also schnell zur Wirthin, daß sie den Schaden so gut wie nur möglich reparirt.

Nach einer qualvollen halben Stunde ist es endlich so weit, daß der gequälte „Pechmüller” zurück kann. Es war aber auch die höchste Zeit, denn Gretchen war bereits in großer Angst, daß ihrem Leo etwas zugestoßen sein könnte.

Nun wurde alles Versäumte nachgeholt. Man tanzte und scherzte und amüsirte sich so gut, daß Leopold der geflickten Hosen gar nicht mehr gedachte, und in der That war ja auch der Schaden so gut reparirt, daß man die Naht nur in ganz unmittelbarer Nähe erkennen konnte.

Aber „Pechmüller” entging seinem schicksal nicht.

Bei'm Contre stand ein älterer Herr neben ihm der ihn verdächtig ansah und dann plötzlich mit stechenden Augen auf die geflickte Hose blickte.

Leopold wurde vor Schreck so blaß, daß Grete fast Angst vekam.

Kaum war der Contre zu Ende, als auch schon der ältere Herr auf Leopold zuging und ihn um ein paar Worte bat. Zitternd ging der Aermste mit hinaus.

„Mein Herr,” begann der Alte, „ich habe Sie sofort erkannt! Sie haben gestern Abend meine Tochter angerempelt!”

Leopod wurde immer ratgloser und versicherte seine Unschuld.

„Aber Ihr Beinkleid verräth Sie ja!” schrie der alte Herr ergrimmt auf. „Da, der lange Riß, der nothdürftig gestopft ist! Den habe ich Ihnen ja gestern in der Dunkelheit beigebracht! Als Sie mir entfliehen wollten, griff ich nach Ihrem Rockschoß, gerieth aber an die Hosentasche, und so brachte ich Ihrem Beinkleid diesen Schaden bei!”

Ganz roth und verlegen starrte Hans [sic! D. Hrsgb.] auf das verrätherische Beinkleid.

„Jetzt sollen Sie mir aber nicht entkommen,” rief der alte Herr, „sofort folgen Sie mir auf's Polizeibureau , damit ich Ihren Namen feststellen lassen kann!”

„Aber, mein Herr, diese Hose gehört mir ja gar nicht!” versicherte stammelnd Leopold.

„Sie wollen noch streiten? Das ist arg!”

Jetzt wurden andere Gäste aufmerksam. Es wurde lauter und lauter, und schließlich war der Skandal da, der damit endigte, daß der gequälte Leopold dem alten Herrn zur Wache folgte.

Als Herr Schwarz die Sache erfuhr, sagte er triumphirend: „Na, wer hat nun wieder mal Recht!?!”

Gretchen aber erklärte standhaft: „Und ich sage Dir, Papa, daß Leo unschuldig ist! Ich schwöre darauf!”.

Herr Schwarz zuckte nur geringschätzend mit den Schultern.

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Am nächsten Morgen aber, als Leopold zu Gretchen kam, um sich zu entschuldigen wegen des gestrigen Vorfalls, und nun die ganze Geschichte der Unaussprechlichen erzählte, da lachte nicht nur Gretchen laut auf, sondern da wurde auch der alte Herr Schwarz von einer so unbändigen Heiterkeit ergriffen, daß er mit einem Male für den jungen Maler interessirt war.

Natürlich stellte sich dann heraus, daß Freund Hellwig am vorgestrigen Abend, als er ein wenig zu viel getrunken hatte, das Rencontre mit dem alten Herrn gehabt hatte, um dessentwillen der arg heimgesuchte Leopold eingesteckt werden sollte.

Von dem Tage an kam Leopold häufiger in das Haus des Herrn Schwarz, und als es wieder Frühling wurde, da hatte der gestrenge Herr Papa seinen lustigen jungen Freund so lieb gewonnen, daß er Nichts mehr gegen die Heirath hatte.

Und so wurde aus Gretchen Schwarz eine Frau „Pechmüller”, und Beide lebten in glücklicher Ehe — trotz des ehemaligen „Pechs”.

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