Ein glücklicher Gewinner.

Humoreske von Paul Bliß.
in: „Dresdner fliegende Blätter” vom 27.08.1905


Eines Abends, als Herr Woldemar an seinem Stammtisch saß und schon ein bißchen angeheitert war, hatte ein Händler, der in dem Restaurant allerlei nützliche und unnütze Dinge feil bot, eine Gelegenheit benutzt und Herrn Woldemar ein Los der Wendenburger Pferdelotterie aufgeredet; anfangs zwar hatte sich der heitere Rentier gesträubt, endlich aber unterlag er dem Wortschwall des Händlers und kaufte das angeblich allerletzte Los.

Später hatte dann Herr Woldemar an das Los gar nicht mehr gedacht, und erst als der Ziehungstag vorbei und die Gewinnliste im Kreisblatte erschien, da erst entsann er sich wieder seines Besitztumes, Er langte gleichgültig seine Brieftasche heraus und verglich die Nummern. Plötzlich aber schwand diese Gleichgültigkeit, denn sein Los war gezogen, und zwar mit einem Hauptgewinn von 2000 Mark.

Herr Woldemar gab einen Laut von sich, der Staunen und Freude ausdrücken sollte; der aber auch zur Folge hatte; daß sofort der Wirt und die nächstsitzenden Stammtischfreunde aufmerksam wurden.

Im Umsehen wußte die ganze Zechgesellschaft, was herrn Woldemar Angenehmes widerfahren war, und in wenigen Minuten saß der glückliche Gewinner umringt von einem Dutzend Gratulanten da und konnte kaum für alle die Glückwünsche so schnell danken; selbstverstämdlich mußte dies freudige Ereignis nun aber auch gefeiert werden, und So ließ der Held des Abends dann auffahren, was der Wirt nur immer zu geben hatte; und da bei solcher Gelegenheit sich immer Trinker mit gutem Durst einzustellen pflegen, so fand sich nach und nach eine Batterie von leeren Flaschen zusammen, die der Trinkfrohheit der Teilnehmer alle Ehre machte.

Als Herr Woldemar sein Portemonnaie herauslangte, um die Zeche zu bezahlen, da erst kam ihm zum Bewußtsein, daß er bald den fünften Teil des Gewinnes zum Besten gegeben hatte; indessen tröstete er sich damit, daß nun ja auch die Sache ein Ende hatte.

Am nächsten Tage fuhr er nach Wendenburg, um seinen Gewinn, einen bespannten einspännigen Jagdwagen, in Empfang zu nehmen und ihn möglichst gut zu verkaufen.

Der Hauptkollekteur, zu dem er zuerst ging, führte ihn hinaus nach dem Rennplatz vor dem Tor, wo die Gewinne aufbewahrt wurden, und als nun Herr Woldemar den schmucken Wagen und den flotten Gaul sah, überkam ihn eine ganz unbändige Lust, in seinem neuen stattlichen Eigentum eine kleine Spazierfahrt zu unternehmen; er lud also Herrn Mayer, den Hauptkollekteur, mit ein, bestieg mit ihm das leichte Gefährt und ergriff mit Eleganz und Verve die Zügel, — sein Stolz und sein Mut wuchs mit jeder Minute, — er wollte mal den Wendenburgern Bauern zeigen, daß ein Großstädter auch zu fahren verstand.

Und wirklich, es gelang. Leicht und flott fuhr er durch das Städtchen, angestaunt von hundert neugierigen Gesichtern; allerdings fiel dabei auch manches bespöttelnde Wort, und manches Bäuerlein sagte: „Wenn dös nur guat nausgeht!” — Aber davon hörte der glückliche Gewinner nichts, stolz fuhr er mit Herrn Mayer zum Tore hinaus, auf die Landstraße, in den kühlen Wald hinein, der Forstschenke zu, wo man Halt machte.

Natürlich blieb es nicht bei einem Glase, denn so ein Lotteriekollekteur hat manchmal auch Durst, und als man sich zur Heimfahrt rüstete, waren beide Herren in recht heiterer Stimmung.

Anfangs ging die Fahrt noch gamz flott von statten, als der Gaul aber merkte, daß die Hand des Lenkers die Zügel nicht mehr allzu stramm hielt, wurde er ausgelassen und machte Seitensprünge, und als man über den Marktplatz kam, und Herr Woldemar elegant und schneidig die Ecke nehmen wollte, gab es plötzlich einen Ruck und einen Krach: der Wagen sank zur Seite, der Gaul stand und die Insassen rutschen hintenüber. Als man ausstieg und den Schaden besah, ergab es sich, daß man gegen einen Prellstein gefahren war; das linke Hinterrad war total zerbrochen, sodaß an ein Weiterfahren nicht mehr zu denken war.

Herr Woldemar war ebenso ärgerlich als beschämt, denn er sah die Schadenfreude, die sich auf den Gesichterm der Umstehenden abspiegelte, und um der peinlichen Lage möglichst schnell zu entkommen, übergab er Pferd und Wagen einem herumstehenden Arbeitsmann, der beides nach dem Gasthof führen sollte.

So endete die erste Ausahrt des glücklichen Gewinners, dessen Stimmung nunmehr ziemlich gedrückt war. Aber der freundliche Herr Mayer hatte Humor, er machte ein paar Witze und brachte es in kurzem dahin, daß Herr Woldemar über den ersten Schmerz hinwegkam; und als man dann erst bei der Flasche saß, da war der kleine Unfall gar bald gänzlich vergessen.

So viel aber sagte die kühle Vernunft dem glücklichen Gewinner doch: nur so schnell als möglich Pferd und Wagen losschlagen!

Und gleich nach Tisch kamen dann auch die Kaufliebhaber, um mit Herrn Woldemar zu handeln, und da ergab sich dann die interessante Tatsache, daß der Nennwert des Gewinnes mit 2000 Mark ein wenig zu hoch beziffert war, denn nach langem Feilschen erzielte der glückliche Gewinner für den Wagen 300 und für den Gaul 600 Mark; das war zwar äußerst schmerzlich, immerhin aber war es doch ein Resultat, und damit war ja die Geschichte nun zu Ende. Also nahm Herr Woldemar die 900 Mark in Empfang und fuhr, wenn auch ein wenig enttäuscht, so doch ganz freudig nach Hause.

Ein paar Tage ließ er sich in seiner Stammkneipe nicht sehen, um nicht wieder von neuem zum Besten geben zu müssen, hauptsächlich aber, um nicht die Summe des Erlöses nennen zu müssen.

Aber der Zufall führte ihm einen der Zechgenossen in den Weg.

„Nun, Herr Woldemar,” begann der fidele Kneipgenosse, „was haben Sie denn nun herausgeholt aus dem Gewinn?”

„Oh, so nahezu 1700 Mark,” antwortete etwas zaghaft Herr Woldemar, um nicht seine Enttäuschung merken zu lassen.

Da aber jubelte der Andere los: „Was! 1700 Mark?! Das ist ja einfach großartig! Sie Glückspilz! Das müssen wir sogleich mal gehörig begießen!”

Und damit nahm er den glücklichen Gewinner unter den Arm und schleppte ihn trotz alles Sträubens in die Stammkneipe, wo die Neuigkeit mit großem Jubel bekannt gegeben wurde.

Als Herr Woldemar fortging, war er um 100 Mark leichter.

Aber das überraschende Nachspiel sollte nun erst beginnen.

Am nächsten Tage kam der Käufer des Pferdes, um sein Geld zurückzufordern denn der Gaul war an der Kolik verendet, und der Arzt hatte nachgewiesen, daß das Pferd die Krankheit bereits gehabt hatte, als es verkauft wurde. Das alles hatte der vorsichtige Bauer schwarz auf weiß, vom Arzt und von der Behörde bescheinigt, und als Herr Woldemar sich sträubte, die 600 Mark zurückzuzahlen, drohte das Bäuerlein sehr energisch mit der Klage.

Herr Woldemar aber war ein friedliebender Mensch, deshalb ging er zu seinem Rechtsanwalt, erkundigte sich über alles genau, und als er erfuhr, daß das Bäuerlein im Recht sei, zahlte er anstandslos die 600 Mark zurück, womit der biedere Landmann abzog.

Nun aber verklagte Herr Woldemar die Lotteriekommission in Wendenburg auf Schadenersatz, weil sie ihm ein mit Krankheit behaftetes Pferd als Gewinn geliefert haben sollte.

Doch der gute Herr Woldemar zog auch hier wieder den Kürzeren. Die Lotteriekommission ließ nämlich durch ihren Arzt bestätigen, daß das Pferd, als es abgeliefert wurde, gesund gewesen war; wenn es also an der Kolik erkrankt wäre, dann könnte es sich diese Krankheit eben nur zugezogen haben, als es im Besitz des Gewinners war, und somit könne die Lotteriekommission für keinen Schaden verantwortlich gemacht werden.

Also lautete die Entscheidung des Gerichts, und also hatte der glückliche Gewinner nicht nur sein schönes Geld verloren, sondern er mußte jetzt auch noch ein nettes Sümmchen für Gerichts- und Anwaltskosten berappen.

Seit jener Zeit wird Herr Woldemar rabiat, wenn man ihm ein Los zu einer Pferdelotterie anbietet.

— — —