Exzellenz ist wütend.

Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Deutsche Romanzeitung” 46.Jahrgg. Bd.3, S. 1291-1294,
in: „Exzellenz ist wütend” und
in: „An die Gewehre”


Seine Exzellenz, der Herr Divisionskommandeur. hat einmal wieder die seiner Macht und seinem Befehlsbereich unterstellten Truppen zu einer dreitägigen Übung im Gelände mobil gemacht. Auf der einen Seite kämpft die eine Brigade und auf der anderen die andere, das war schon immer so und wird in solchen Fällen auch immer so bleiben und über den beiden Brigaden und überhaupt über dem ganzen schwebt vorläufig als höherer Zuschauer und später als höchster Kritiker seine Exzellenz.

Das heißt, das Schweben ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, er hat keinen lenkbaren Ballon zur Verfügung, mit dem er über die Häupter der kämpfenden Parteien hätte einherfliegen können, sondern er hält auf einem Feldherrnhügel und wartet dort auf den großen Augenblick, in dem beide Parteien nach glücklich beendetem Anmarsch aufeinanderstoßen und mit dem Infanterie- und Artilleriekampf beginnen. Und wenn dann auch noch die Kavallerie in Tätigkeit tritt und die Pioniere Gelegenheit finden, angeblich für das weitere Vorgehen der Truppen, in Wirklichkeit aber nur zu ihrer eigenen Übung zu den zahllosen Brücken, die sie im Laufe der Jahre schon nutzlos gebaut haben, noch eine zu bauen, dann wird alles in schönster Ordnung sein, vorausgesetzt, daß Exzellenz nicht das eine oder das andere an der Ordnung nicht schön finden wird.

Und er wird schon etwas zu tadeln finden, dazu ist er ja da, denn wozu gibt es Vorgesetzte, wenn die Untergebenen von selbst alles richtig machen.

Seine Exzellenz hat eigentlich seine eigenen Adjutanten aus seiner Garnison mitnehmen wollen, aber denen macht solche Übung schon lange kein(1) Spaß mehr und so haben sie sich denn vershworen und streiken: „Es sei geradezu unglaublich, was sie plötlich alles im Büro zu tun hätten, das Generalkommando erwarte in wichtigen Dingen ausführliche Berichte und an die unterstellten Behörden müßten Erlasse ausgearbeitet werden. Kurz und gut, Exzellenz, der es mit seinen Adjutanten nicht verderben will, hat es eingesehen, daß er alleine losfahren muß und begleitet von den besten Segenswünschen der Zurückbleibenden, die froh sind, endlich einmal gehörig ausschlafen zu können, fährt er von dannen.

Aber ganz ohne Adjutanten geht es nun doch nicht. Er muß doch jemanden bei sich haben, den er fortschicken kann, um etwaige Befehle zu übermitteln und nähere Erkundigungen über gewisse Vorgänge im Gelände einzuziehen. So hat er sich denn telegraphisch einen Ordonnanzoffizier bestellt. Jede Brigade hat einen Offizier namhaft machen müssen und Exzellenz hat sich für den Leutnant von Amberg entschieden, obgleich der noch kein Pferd besaß, sondern sich erst für den Fall seiner Ernennung zum Galoppin eins kaufen wollte.

Herr Leutnant von Amberg hat sich ein Pferd gekauft, sogar ein sehr gutes, eine englische Vollblutstute, die den Satan im Leibe hat und wie das Donnerwetter dahinfliegt.

Der neue Galoppin hat sich am frühen Morgen bei Seiner Exzellenz gemeldet und dessen Augen ruhen voll ehrlicher Anerkennung auf Roß und Reiter: „Bravo, bravo,” lobte er, „das Exterieur meines Ordonnanzoffiziers und seines Pferdes gefällt mir ausgezeichnet und wenn sie beide in diesen drei Tagen durch Ihre Leistungen meinen Erwartungen entsprechen, dann werde ich Sie auch für die Dauer der bevorstehenden Herbstmanöver zu meinem Ordonnanz­offizier machen.”

Leutnant von Amberg strahlt. Im Stillen hat er natürlich gehofft, daß Exzellenz nach Ablauf der drei Tage so zu ihm sprechen wird, denn sonst hätte er sich natürlich die großen Unkosten für die Anschaffung seines Pferdes nicht gemacht, aber daß ihm jetzt schon gleich solche Hoffnungen für die Zukunft gemacht werden, übertrifft seine kühnsten Erwartungen. Stolz und Freude schwellen seine Brust und nicht ohne Grund. Ordonnanz­offizier zu werden, ist eine große Auszeichnung, ganz abgesehen davon, daß es tausendmal lehrreicher, amüsanter und vor allen Dingen bequemer ist, ein Manöver auf dem Rücken eines Pferdes mitzumachen, als wochenlang vom frühen Morgen bis zum späten Abend zu Fuß durch das Weltall zu laufen.

So gelobt er sich denn im Stillen, wenn es heute nötig ist, sogar Wunder zu verrichten — Exzellenz soll und wird schon mit ihm zufrieden sein.

Unterdessen beginnt da unten im Gelände das Gefecht. Die Truppen entwickeln sich unter der Anführung ihrer Vorgesetzten und diese sind felsenfest davon überzeugt, daß alles, was sie machen, sehr schön ist.

Aber Exzellenz muß über diesen Punkt doch eine wesentlich andere Meinung haben. Aufmerksam mustert er mit seinem Glas die Vorgänge im Gelände und es ist ganz klar, irgend etwas gefällt ihm da gar nicht. Er setzt das Glas ab, nimmt es dann wieder vor die Augen, gleichsam um sich zu vergewissern, daß er auch richtig gesehen hat und dann fängt er an, nervös mit den Armen und Beinen in der Luft herumzustrampeln, sodaß er um ein Haar vom Gaule fällt.

Das trägt natürlich nicht dazu bei, seine gute Laune zu erhöhen und so fängt er denn an laut vor sich hin zu schelten: „Unglaublich, unerhört — verdammte Schweinerei!”

Selbstverständlich wird auch der Ordonnanz­offizier bei diesen Worten aufmerksam. Er nimmt ebenfalls das Glas vor die Augen und mustert das Vorgehen und das Gefecht der Truppe. Eigentlich findet er das alles sehr schön und sehr gut, aber da Exzellenz es für eine Schweinerei erklärt, ist er natürlich doch sofort derselben Ansicht.

Exzellenz wird immer nervöser und erregter, er strampelt wie ein Hampelmann auf seinem Gaul herum und nur dem Umstand, daß der fest eingeschlafen ist und nichts von dem bemerkt, was sich auf seinem Rücken abspielt, verdankt er es, daß der Schinder nicht auch nervös wird und ihn nicht in den Dreck wirft.

Und jetzt kann Exzellenz sich nicht mehr beherrschen, er wendet sich an seinen Ordonnanz­offizier, aber er ist so aufgeregt, daß er kaum zu sprechen vermag. Er deutet mit der Hand in das Gelände: „Herr Leutnant — reiten Sie — reiten Sie —”

Blitzschnell steckt der Galoppin das Glas in das Futteral, ergreift die Zügel und setzt sich in den(2) Sattel zurecht.

„Reiten Sie, Herr Leutnant,” ruft Exzellenz noch einmal in der größten Erregung, „reiten Sie und —”

Aber das, was Exzellenz dann noch sagt oder noch sagen will, hört der Galoppin schon nicht mehr, er hat seiner Stute die Schenkel angelegt und in gewaltigen Sprüngen jagt die davon.

Plötzlich fällt es dem Galoppin ein, daß er garnicht weiß, wohin er reiten soll und welchen Befehl er zu überbringen hat. Für eine Sekunde denkt er daran, zu Exzellenz zurückzureiten und sich nähere Instruktionen zu holen, aber das geht nicht, denn im Geiste hört er schon Seine Exzellenz zu ihm sagen: „Sie haben doch auch vorhin durch das Glas die Vorgänge im Gelände beobachtet, — wenn Sie da nicht selbst wissen, was mir aufgefallen ist, dann tun Sie mir leid und sind als Ordonnanz­offizier einfach unbrauchbar.”

Nein, dem darf er sich nicht aussetzen, so rast er denn weiter, zunächst auf die Infanterie zu.

Der Kommandeur reitet ihm entgegen: „Was gibt es denn?”

„Exzellenz ist wütend.”

Der Oberst hat keine Ahnung, warum Exzellenz wütend ist, aber das ist auch ganz gleichgültig, die Hauptsache bleibt, daß Exzellenz wütend ist. So ruft er denn gleich seine Hauptleute zu sich: „Meine Herren, soeben teilt mir der Ordonnanz­offizier mit, daß Seine Exzellenz wütend ist und ich kann Ihnen nur sagen: „Mit vollstem Recht!” Ich habe jetzt keine Zeit, mich weiter darüber auszulassen, aber das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, geschenkt wird Ihnen meine Rede nicht. Danke!”

Die Hauptleute haben keine Ahnung, worauf sich der Tadel bezieht, aber das ist ja auch ganz gleichgültig, die Hauptsache ist, daß sie wieder eins auf den Hut bekommen haben; so reiten sie denn zu ihren Truppenteilen zurück und dort schnauzt der Major noch einmal seine Hauptleute an, dann werden die Hauptleute ihren Leutnants noch gröber, die Leutnants werden ihren Unteroffizieren ganz grob und die schimpfen ihre Kerls: „Krummer Hund!”

Leutnant von Amberg ahnt nichts von dem Unheil, das seine Botschaft angerichtet hat. Im Vorübersausen hat er dem Oberst die Worte zugerufen, nun stürmt er auf die Kavallerie zu, die hinter einem Wald verborgen hält und auf eine Gelegenheit wartet, in das Gefecht eingreifen zu können.

„Exzellenz ist wütend!” ruft er dem Kommandeur schon von weitem zu.

Der Kommandeur wendet sich an seine Rittmeister: „Da haben wir den Salat, meine Herren. Ich weiß zwar noch nicht, weshalb Exzellenz wütend ist, aber er ist wütend und das sage ich Ihnen, meine Herren wenn ich nachher erst weiß, weshalb er wütend ist, dann werde ich wütend und dann, meine Herren, können Sie ein blaues Wunder erleben. Danke!”

Die Rittmeister haben keine Ahnung, weshalb sie diesen Rüffel bekommen, aber es ist ja auch ganz gleichgültig, die Hauptsache ist, daß sie ihn weg haben. Sie selbst sind sich keiner Schuld bewußt, sicher haben die Leutnants wieder eine Dummheit gemacht, so werden sie denn jetzt denen grob, die Leutnants schnauzen ihre Unteroffiziere an, und die sagen zu ihren Kerls: „Na wartet, Kinder, bis ich Euch erst wieder zu Hause in der Reitbahn habe. Dann lasse ich Euch ohne Zügel und ohne Bügel mit Hüften fest deutschen Trab reiten, daß Euch die Augen aus dem Kopf herausfallen.”

Unterdessen ist Leutnant von Amberg bei der Artillerie angelangt.

„Was bringen Sie den Gutes?” fragt der Oberst.

„Exzellenz ist wütend!” lautete die Antwort.

„Kunststück!” meint der gelassen, denn er ist sehr reich und braucht seine etwaige Verabschiedung nicht zu fürchten. „Kunststück!” meint er noch einmal, „haben Sie schon mal eine Exzellenz kennen gelernt, die nicht wütend ist?” Dann aber reitet er zu seinen Offizieren zurück:

„Meine Herren, Exzellenz ist wütend und das auch mit vollstem Recht, obgleich ich natürlich noch nicht weiß, warum er es ist. Ich möchte es aber auch in Ihrem Interesse nicht wissen, denn wenn ich es erst weiß, dann wissen Sie es auch und das möchte ich Ihnen ersparen.”

Die Batteriechefs sind wütend, da sind sie mal wieder angeschnauzt worden, ohne zu wissen warum. Das ist ja schließlich auch ganz gleichgültig, die Hauptsache ist, sie haben ihren Anschnauzer weg und geben den mit mehr Zinsen, als jemals ein Bankhaus gezahlt, an ihre Leutnants weiter. Die kaufen sich dann ihre Unteroffiziere und diese nehmen sich ihre Leute vor: „Es gibt ja keine Gerechtigkeit Gottes auf Erden, denn sonst müßtet Ihr alle, wie Ihr da steht, auf der Stelle tot umfallen, aber das sage ich Euch, Laßt uns nur erst wieder zu Hause sein, dann lasse ich Euch am Geschütz exerzieren, bis Ihr die Kanone auf Euch selbst richtet und Selbstmord begeht. Und auf den Tag freue ich mich schon heute.”

Inzwischen haben die Pioniere ihre Brücke vollendet und betrachten voller Stolz das Werk ihrer Hände.

Da kommt der Galoppin angesprengt: „Exzellenz ist wütend, Herr Major!”

„Aber warum denn nur?” denkt der da im Stillen.

Sollte die schöne Brücke wieder eingestürzt sein, ohne daß er selbst etwas davon gemerkt hat? Er wirft einen schnellen Blick zur Seite, nein, noch steht sie, und wenn nicht zu viel auf ihr herumgetrampelt wird, wird sie auch stehen bleiben, bis sie von selber einstürzt.

„Exzellenz ist wütend!” und die gute Laune des Herrn Major ist zum Teufel: „Meine Herren,” schnauzt er seine Hauptleute an, „ich habe es ja gleich gewußt, daß der Herr Leutnant mir keine frohe Botschaft bringen würde. Seine Exzellenz ist wütend und wie ich leider hinzu setzen muß, hat der hohe Herr dazu auch allen Grund. Sie haben sich den Tadel, den Sie nachher bei der Kritik zu hören bekommen, selbst zuzuschreiben und daß ich Ihnen dann auch noch meine Ansicht sehr deutlich zu verstehen geben werde, darauf können Sie sich verlassen. Danke.”

Die Hauptleute bekommen einen roten Kopf. Mag die Sonne, wie heute, auch noch so schön scheinen, kein Tag vergeht, an dem man nicht einen „hereingewürgt” bekommt. Nicht in der rosigsten Stimmung kommen sie zu ihren Leutnants zurück und wie der Blitz aus heiterem Himmel bekommen die jetzt ihren Segen, daß sie vor Wut fast ersticken. Dann machen sie den Unteroffizieren gegenüber ihrem Herzen Luft. Und die Unteroffiziere nehmen sich ihre Kerls vor: „Na, natürlich Kinder, das habe ich ja auch garnicht anders erwartet. Aber wartet nur, Rache ist süß. Wenn Ihr glaubt, daß ich mir Euretwegen ganz ruhig ein paar Zentner Grobheiten an den Kopf werfen lasse, dann seid Ihr schief gewickelt. Kommt nur erst nach Haus, dann lasse ich Euch bei dem Brückenbau Balken schleppen, daß Euch die Knochen knacken und daß sich eure krummen Rippen noch mehr verbiegen, als sie es ohnehin schon getan haben. Na wartet, Kinder, an den heutigen Vormittag sollt Ihr noch in Eurer Todesstunde denken.”

Jetzt hat der Leutnant Amberg seinen Ritt beendet, es war ein weiter Weg, den er zurückgelegt hat, ihm ist warm dabei geworden und er sieht sich um, ob nicht irgendwo ein Haus in der Nähe ist, in dem er um ein Glas Wasser bitten kann. Da erspähen seine Augen den Marketenderwagen, den er auch schon vorhin durch das Glas entdeckt hat und über dessen Anwesenheit er sich vorhin schon freute. Ein wahres Glück, daß der da ist. So läßt er sich denn schnell eine Selter und Kognak geben und reitet dann zu seiner Exzellenz zurück.

Der sitzt immer noch wie ein Hampelmann auf seinem Gaul — ein wahres Glück, daß der Schinder noch nicht aufgewacht ist.

Leutnant von Amberg legt die Hand an den Helm: „Melde mich wieder zur Stelle.”

Exzellenz hat es vorhin in der Erregung gar nicht bemerkt, daß der Offizier davonritt, ohne irgend einen näheren Befehl erhalten zu haben, im Gegenteil, er ist fest davon überzeugt, daß er dem Leutnant das, was er auf dem Herzen hatte, mit auf den Weg gab und so sagt er denn jetzt: „Ich habe Ihren Ritt durch das Glas verfolgt. Warum sind Sie nicht gleich zu dem Marketenderwagen geritten und warum macht der Mann denn auch jetzt noch nicht die leiseste Anstalt, sich mit seinem Wagen endlich aus der Gefechtslinie herauszuscheren.”

Leutnant von Amberg sitzt auf seinem Gaul und macht ein mehr als blödsinniges Gesicht. Auf den Gedanken, daß gerade der ihm persönlich so sympathische Marketenderwagen den Zorn Seiner Exzellenz erregt hat, ist er selbst mit keinem Gedanken gekommen.

Der Schrecken ist ihm derartig in die Kinnbacken gefahren, daß er einen Anfall von Maulsperre hat und den Mund nicht aufmachen kann.

Exzellenz sieht seinen Leutnant an und als er in dessen blöde Augen blickt, ahnt ihm etwas und kraft der ihm innewohnenden Weisheit weiß er plötzlich alles.

Aber vielleicht täuscht er sich doch! Bevor er grob wird, will er darüber erst Gewißheit haben. So fragt er denn: „Was haben Sie denn eigentlich vorhin gemacht?”

Langsam findet der Leutnant die Sprache wieder: „Exzellenz gaben mir den Befehl zu reiten und ich bin geritten!”

Trotzdem dem armen Amberg garnicht danach zu Mute ist, bringt er die letzten Worte doch sehr stolz hervor und mit freudiger Genugtuung sieht er, daß sie auch ihren Eindruck nicht verfehlen.

Exzellenz versinkt für einen Augenblick in tiefes Nachdenken.

„Er denkt darüber nach, wie er das mir zugefügte Unrecht wieder gut machen kann,” glaubt der Leutnant.

Aber Exzellenz denkt in Wirklichkeit etwas ganz anderes, er macht sich klar, daß ein Ordonnanz­offizier, der einfach blindlings darauf losreitet, für ihn absolut unbrauchbar ist und so sagt er denn, nach langer Pause sich an seinen Galoppin wendend: „Sie haben vollständig Recht, Herr Leutnant, Sie sind geritten!”


Fußnote:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „keinen”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „in dem Sattel”. (zurück)


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© Karlheinz Everts