Freiherr von Schlicht

„Meyers Taktgefühl.”

Ganz kurze Kurzgeschichte aus:

"Für unser Heim.
Bunte Spenden deutscher Dichter und Denker der Gegenwart
für das Deutsche Schriftstellerheim in Jena."

Herausgeber: Dr. phil. Timon Schroeter,
Schriftleiter des Personenvereins "Deutsches Schriftstellerheim in Jena"
Verlagsfirma J. J. Weber, Leipzig, 1902

Der Herr Oberst sucht einen neuen Burschen, und der zwölften Kompagnie ist die ehrenvolle Aufgabe zu teil geworden, den Mann zu stellen. Sehr erfreut ist der Herr Hauptmann über diese Auszeichnung nicht, denn er weiss im voraus, dass der Herr Kommandeur (und namentlich die Kommandeuse) ihn persönlich für alle Dummheiten und Thorheiten verantwortlich machen werden, die der Bursche mit tödlicher Sicherheit im Laufe der Zeit anstellt. Aber das nicht allein: der Oberst hat seinen letzten Burschen deshalb ablösen lassen, weil der es im Verkehr mit der Frau Oberst und den anderen weiblichen Mitgliedern des Hauses an dem nötigen Takt hat fehlen lassen. Also auch in dieser Hinsicht muss der neue Bursche ein Musterknabe sein.

Aufmerksam mustert der Hauptmann die Leute, die auf seine Anfrage hin vortraten, und immer wieder kehren seine Blicke zurück zu dem Musketier Meyer, der, eine hübsche, frische Erscheinung, einen sehr gewandten Eindruck macht. Der ginge vielleicht — und der Hauptmann winkt sich den Meyer heran, um dessen Äusseres noch einmal in allernächster Nähe zu prüfen.

„Werden Sie aber auch das nötige Taktgefühl haben?” fragt der Vorgesetzte schließlich.

„Zu Befehl, Herr Hauptmann”, klingt es stolz und zuversichtlich zurück. „Daran fehlt es bei mir nicht. Ich habe vor meinem Diensteintritt drei Jahre im Orchester die grosse Trommel gespielt und immer richtig Takt gehabt.”


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© Karlheinz Everts