Von Freiherrn von Schlicht
in: „Simplicissimus”, VIII.Jahrgg. Nr. 16, S. 122-123, 14.7.1903,
in: „Die Frau Oberst” und
in: „Rekrutenbriefe”
Als der jetzige Leutnant von Aberg noch ein Säugling war an der Ammenbrust, hatte die Spreewälderin eines Tages ihren Schutz- und Brustbefohlenen auf die Erde fallen lassen. Für die Amme bedeutete dieses Ereignis die sofortige Rückkehr in die heimatlichen Wälder, für den Säugling aber eine schwere Gehirnerschütterung, deren Folgen er nie ganz überwand, er war und blieb in geistiger Hinsicht etwas schwach auf der Brust. Äußerlich dagegen war dem Offizier nichts anzumerken, er war groß und schlank gewachsen und hatte ein paar Beine, die nicht nur, wenn sie tanzten, das Entzücken der jungen Mädchen,sondern auch, wenn sie Parademarsch machten, das Entzücken der Vorgesetzten bildeten. Um dieser Beine willen verzieh man ihm alles, ja, man mußte es ihm sogar verzeihen, denn hätte man keine Rücksicht und Nachsicht bei ihm walten lassen, dann hätte man ihn schon als Fahnenjunker zu einem Bezirkskommando versetzen müssen, allwohin man alle diejenigen schickt, die in der Front nicht mehr zu gebrauchen sind.
Leutnant von Aberg aber hatte nicht nur zwei sehr schöne Beine, sondern auch ein wunderschönes Monocle, es mußte sehr, sehr wertvoll sein, denn er nahm es nie aus dem Auge, er fürchtete, es sonst zu verlieren. In dem rechten Auge aber saß es fest, da rührte und regte es sich nicht, viele glaubten, es sei da festgewachsen, denn Aberg schlief sogar nachts mit dem Monocle, ja noch mehr: er hatte in seinem Testament bestimmt, daß er mit dem Monocle im Auge beerdigt werden wollte, die Spötter behaupteten, er fürchte sonst die Himmelsthür nicht finden zu können.
Äußerlich betrachtet hatte Aberg – bitte von Aberg, uralter Adel – somit eigentlich alles, was er brauchte, um eine glänzende Karriere zu machen, und zu diesen Vorzügen kam noch ein anderer: er war in der Wahl seines alten Herrn sehr vorsichtig gewesen, er verfügte über eine glänzende Zulage und später würde er einmal Millionen sein Eigen nennen. Für einen so begüterten jungen Mann in der Blüte seiner Jahre giebt es naturgemäß nur eine standesgemäße Beschäftigung auf der Welt, so war er denn Offizier geworden. Hätte er allein zu bestimmen gehabt, so wäre er natürlich Gardekavallerist geworden, aber die Natur sprach da auch ein Wort mit: die hatte ihn mit einem Reitknochen beschenkt. Was er im Gehirn zu wenig hatte, hatte er an einer anderen Stelle seines Körpers zu viel, na, Gott sei Dank konnte man für gewöhnlich ja nicht in sein Beinkleid hineinsehen, so ahnte niemand etwas von seinem körperlichen Leiden, das ihn hinderte, Kavallerist zu sein.
Unter den Kameraden erfreute sich Aberg – bitte von Aberg – großer Beliebtheit, seine Dummheit fiel nicht besonders auf, weil die anderen auch nicht sehr viel klüger waren. Es gab sogar einige, die ihn für sehr geistreich hielten und die jede Dummheit, die er sagte, als brillanten Witz belachten – das waren die Klugen, die da allen Ernstes glaubten, er könne gar nicht so dumm sein, wie er es allem Anschein nach war.
Er war aber sogar noch dümmer.
Da geschah es, daß der hohe Chef des Regiments, ein regierender Fürst, seinen Besuch anmeldete. Von einer Inspizierung nahm der hohe Herr Abstand, einmal, weil man von ihm doch nichts anderes wie Lob erwartete, ganz einerlei wie die Besichtigung ausfiel, dann aber auch, weil der hohe Herr ehrlich genug war, sich selbst einzugestehen, daß er von dem Soldatenhandwerk nicht allzuviel verstand. Na, und als Chef wollte er sich doch nicht gerne blamieren. Damit aber auch die Mannschaften etwas von seinem Besuch hätten, sollten sie in Paradeuniform auf dem Kasernenhof Aufstellung nehmen und ihn mit einem dreimaligen Hurra begrüßen, so wurde auch für sie der Tag zu einem Freuden- und Ehrentag. Den Rest seiner zur Verfügung stehenden Zeit wollte der Chef mit den Offizieren im Kasino verleben.
Selbstverständlich mußte dem Fürsten für die Dauer seines Besuches ein Ordonnanzoffizier gestellt werden und niemand eignete sich nach Ansicht des Herrn Oberst hierfür besser als Leutnant von Aberg: der sah gut aus, war tadellos angezogen, machte die besten Verbeugungen, hatte die am schönsten gepflegten Hände und einen breiten Brustkasten, auf dem sich die natürlich nicht ausbleibende Ordensdekoration sehr gut machen würde. Dazu kam, daß Aberg nicht nur nicht sprach, wenn er nicht gefragt wurde, sondern meistens auch dann nicht, wenn er gefragt wurde, und je weniger ein Ordonnanzoffizier spricht, desto besser ist es. Aberg wurde also zum Ehrendienst kommandiert. Jeder andere hätte ein Wort der Freude über diese Auszeichnung geäußert, aber Aberg sagte gar nichts, er nahm das Kommando als etwas ganz selbstverständliches hin.
Mit der fahrplanmäßigen Verspätung traf wenige Tage später der hohe Chef in der Garnison ein, und Aberg meldete sich bei ihm zum Ehrendienst – der hohe Herr wandte sich an seinen Adjutanten, dieser holte ein kleines Etui hervor und gleich darauf prangte an Aberg's Brust der Verdienstorden. Aberg war über diesen Beweis fürstlicher Huld so beglückt, daß er dem hohen Herrn die Hand küßte. Der Orden kam etwas früh, das sagte sich der Chef des Regiments selbst, aber ob er ihn jetzt gab oder später, das blieb sich ja ganz gleich – Aberg hatte jetzt keine Verdienste um ihn und nach einigen Stunden würde er auch keine Verdienste haben, also warum sollte er da die Dekoration nicht gleich erhalten, dann war der Adjutant sie wenigstens los und brauchte sie nicht länger in der Tasche spazieren zu tragen. Aberg erkundigte sich nach den Befehlen des hohen Herrn, der aber hatte keine, so ging es denn in mehreren Wagen zur Kaserne und nachdem die Leute dort dreimal Hurra gerufen hatten, ins Kasino. Als Ordonnanzoffizier war Aberg in der Nähe des hohen Chefs gesetzt und, um wenigstens etwas zu thun, sah er von Zeit zu Zeit hin, wie diesem das Essen schmeckte. Und zur Freude des Herrn Oberst, der Herren von der Tischkommission, des Ökonomen, der Ordonnanzen und aller anderen schmeckte es dem hohen Herrn ausgezeichnet. Auch der Wein war gut und so geriet der Chef in eine sehr behagliche und gemütliche Stimmung und mit Freuden gab er seine Zustimmung, als nach aufgehobener Tafel der Herr Oberst im Namen seiner Offiziere um Erlaubnis bat, ihren Gast durch einige humoristische Vorträge unterhalten zu dürfen.
„Famos, ganz famos", meinte Se. Hoheit, schon bevor die Vorstellungen nur ihren Anfang nahmen und bei seinem „famos" blieb er auch hinterher – er amüsierte sich köstlich über die Coupletsänger, über die Zauberkünstler und über die anderen harmlosen Scherze. Immer neue Zugaben mußten gegeben werden und selbst als das längliche Programm zu Ende war, hatte Se. Hoheit noch nicht genug, das Repertoire der bisherigen Künstler war erschöpft, nun mußten andere Herren in die Verlängerung springen. Der hohe Chef wandte sich an die Offiziere: „Nun, meine Herren, wer will uns jetzt erfreuen?" Aber niemand antwortete, der Wille war gut, aber die Kräfte fehlten. Da fiel der Blick Sr. Hoheit auf seinen Ordonnanzoffizier: „Nun, Herr Leutnant von Aberg, wie ist es mit Ihnen?"
Der wurde mehr als verlegen; wenn es einen Menschen auf der Welt gab, der in dieser Hinsicht völlig talentlos war, so war er es und er stotterte um Entschuldigung, in der er sein Bedauern ausdrückte, gänzlich ohne Stimme und ohne Witz auf die Welt gekommen zu sein.
Der hohe Herr machte ein sehr erstauntes Gesicht und sah fragend den Herrn Oberst an: „Aber Ordonnanzoffiziere pflegen doch sonst immer sehr gute Gesellschafter zu sein", sagte er endlich, „die Aufgabe des Ehrendienstes besteht doch in erster Linie darin, für die Unterhaltung des Gastes, dem er zuerteilt ist, zu sorgen."
Die Ansicht Sr. Hoheit war vielleicht nicht ganz richtig, auf jeden Fall aber war sie jetzt maßgebend und so sagte der Herr Oberst denn: „Hoheit haben vollständig recht, Leutnant von Aberg wird natürlich gleich etwas vortragen, er geniert sich natürlich noch, weil es sich nichts Besonderes einstudiert hat, er möchte selbstverständlich vor Eurer Hoheit sein Bestes geben, er ist ein großer Vortragskünstler, ganz besonders, ganz besonders –"
Der Oberst log, daß er Blut schwitzte. Jetzt saß er fest, aber das half nun nichts, zu Ende mußte er seinen Satz bringen, so fuhr er denn fort: „Ganz besonders groß ist seine trockene Komik, er mag vortragen was er will, allein durch die Art seines Vortrages entfesselt er Lachstürme."
„Na, da bin ich aber nachher sehr begierig."
Leutselig wandte sich Se. Hoheit einigen Stabsoffizieren zu, der Oberst aber zog mit Aberg in ein Nebenzimmer: „Aberg", begann der Kommandeur, „Sie müssen etwas vortragen; daß Sie es nicht können, weiß ich, aber das hilft Ihnen nichts, Hoheit erwartet , daß Sie für den Orden, den er Ihnen gab, wenigstens etwas leisten. Infolge eines glücklichen Einfalls habe ich Ihnen die Sache sehr erleichtert, ich habe Sr. Hoheit erklärt, Sie wären ein großer Komiker, das Renommee eines Künstlers ist bekanntlich alles, passen Sie auf, Hoheit lacht über jedes Wort, das Sie sagen, und wenn Hoheit lacht, dann lachen die andern mit, auch wenn die es gar nicht lächerlich finden." –
„Aber ich kann doch nichts, ich kann doch absolut gar nichts", stotterte Aberg, dem der Angstschweiß auf der Stirne stand.
Der Oberst wurde grob: „Ob Sie etwas können oder nicht, ist mir ganz einerlei, Hoheit wünscht, daß Sie etwas können und der Wunsch Sr. Hoheit giebt den Ausschlag. Machen Sie, was Sie wollen, können Sie nicht singen, dann deklamieren Sie irgend etwas, erzählen Sie Anekdoten, laufen Sie auf den Händen spazieren, es ist alles einerlei, aber in zehn Minuten stehen Sie auf der Bühne, so lange werde ich Se. Hoheit noch hinhalten, damit Sie sich irgend etwas ausdenken können."
Der Kommandeur ging und Aberg blieb mit einem Gesichtsausdruck zurück, den man beim Militär vom Feldwebel abwärts „schafsdämlich", in den höheren Chargen aber „höchlichst verwundert" nennt. Er stand da, ohne sich zu rühren und zu regen.
„Festgemauert in der Erden", zitierte da neckend ein Kamerad und Aberg fuhr aus seinem Sinnen empor: „Ich hab's, ich hab's", rief er freudestrahlend, „ich werde die Glocke aufsagen."
Der Andere sah ihn mit großen Augen erstaunt an: „Sie sind –", er wollte sagen „verrückt", aber im letzten Augenblick verbesserte er sich noch: „Sie sind komisch."
„Das soll ich doch auch sein, Hoheit verlangt es", erwiderte Aberg ernsthaft – da winkte der Kommandeur mit dem Finger, die zehn Minuten waren verstrichen und Aberg stieg auf die kleine Bühne. Ein lautes Bravo Sr. Hoheit, der wirklich etwas Komisches erwartete, begrüßte ihn und die Kameraden, die den Hereinfall Abergs sicher vor Augen sahen, empfingen ihn mit schallendem Gelächter.
Aber Aberg ließ sich nicht irritieren: „Ich werde mir erlauben, die Glocke von Friedrich von Schiller vorzutragen."
„Famos, ganz famos!" rief Hoheit, der eine Parodie oder etwas ähnliches erwartete, aber als Aberg die wirkliche Glocke, noch dazu ohne jede Betonung aufzusagen begann, sah er den Oberst mit sehr erstaunten Augen an.
Der schwitzte vor Angst: Aberg mußte wirklich verrückt geworden sein. „Das ist nur die Einleitung, Hoheit," sagte er endlich, „es kommt gleich anders."
Und es kam auch gleich anders, denn mit einem Mal saß Aberg fest, er legte sinnend die Hand vor die Augen, aber ihm fiel die Fortsetzung absolut nicht ein. „Vielleicht erlauben Hoheit, daß ich den Gang nach dem Eisenhammer aufsage, es ist schon lange her, daß ich die Glocke lernte", und ohne die Erlaubnis erst abzuwarten, begann er mit der Geschichte des treuen Knechtes Fridolin, aber weit kam er damit auch nicht, so ging er denn zur Bürgschaft über, um schließlich bei den Kranichen des Ibikus zu landen.
Hoheit hatte es schon lange aufgegeben, ein erstauntes Gesicht zu machen, obgleich es eigentlich seiner Charge nicht entsprach, amüsierte er sich königlich über den Leutnant, der alle drei Minuten, wie Hoheit annahm, absichtlich festsaß: „Famos, ganz famos", flüsterte er dem Oberst zu, „dieses ernsthafte Gesicht, mit dem Aberg die Sachen vorträgt, ist geradezu unbezahlbar, Aberg ist ein phänomenaler Komiker, Sie haben ganz recht."
Hoheit schüttelte sich vor Lachen und die Kameraden lachten erst recht – ausnahmsweise nicht nur weil Se. Hoheit zu lachen geruhten.
Endlich war Aberg mit seinem Vortrag fertig, stürmischer Applaus belohnte ihn, und nachdem er den Dank Sr. Hoheit entgegengenommen hatte, sprach er zu einem Kameraden gelassen das große Wort: „Euer Lachen hat mir meine Ansicht, zu der ich mich nach langen Studium durchgerungen, vollauf bestätigt: Schillers Gedichte sind idiotenhafter Unsinn."
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© Karlheinz Everts