„Der Leutnantshund”

Ein Bild aus dem Offiziersleben.
Von Freiherr v. Schlicht (Schleswig).
in: „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt”, Nr. 202 vom 23.7.1899,
in: „Düsseldorfer Volksblatt” vom 9.8.1899,
in: „Der Gefechtsesel” und
in: „Die Kommandeuse”


Dieser Text wird von Staatsanwalt Liebenow in seinem Plädoyer im Prozeß gegen Schlicht-Baudissin wegen Beleidigung des preußischen Offizierkorps erwähnt.

Zu dem Thema „Leutnant und Hund” vergleiche auch: „Der falsche Adjutant”, Seite 132:
Wenn wir wirklich so dumm sind, wie man offiziell behauptet, können wir nur über drei Dinge reden: über Pferde, Frauen und Hunde. Unsere Gäule und unsere Hunde haben wir ja nun hier, ...


„Der Leutnantshund”

Es ist mehr als ein Witz, ich möchte fast sagen, es ist eine traurige Tatsache, daß der Leutnant auf der Welt nur für drei Dinge Interesse hat: für Weiber, Pferde und Hunde.

Wenn der Leutnant über Weiber spricht, unterscheidet er zwei Arten: solche, die hübsch und zugänglich sind und nicht daran denken, einmal geheiratet zu werden, und ferner solche, die zwar nicht hübsch und auch nicht zugänglich, aber reich sind, dafür aber daran denken, einmal geheiratet zu werden. Man könnte noch eine dritte Klasse von Weibern nehmen, die „Kommißfrau” das ist diejenige, die weiter nichts besitzt als das obligate Kommißvermögen von dreiund­achtzigtausend­vierhundert Mark in dreipro­zentigen preußischen Konsols – aber die kommt gar nicht in Frage. Wer kann denn heutzutage mit 2500 Mark Zinsen im Jahr leben? Auf solche Geschichten läßt sich ein Leutnant gar nicht ein.

Weiber, Pferde und Hunde – wird die Sache gar zu langweilig, dann spricht man einmal über Hunde, Weiber und Pferde, das ist wenigstens eine kleine Abwechslung.

Es gibt Garnisonen, die so entsetzlich langweilig sind, daß selbst die Eisenbahnen in einem großen Bogen um sie herumfahren, aber damit nicht genug, die Lokomotive stößt dann jedesmal einen Schrei des Entsetzens aus, der durch Mark und Bein geht, sie bekommt Angst, sie fürchtet sich, daß man sie hier festhalten könnte.

Es gibt solche Garnisonen, es gibt sogar noch viel schlimmere – nomina sunt odiosa – aber es gibt Städte, die mit Berlin weiter nichts gemeinsam haben, als daß es auch in ihren Mauern Weiber, Pferde und Hunde gibt. Es ist eine alte Geschichte, daß man über die Dinge am klügsten redet, von denen man nichts versteht. Jeder Leutnant, und wäre er der Jüngste, kennt die Weiber aus dem Fundament.

Jeder Leutnant, und wäre er der Jüngste, hat nach seiner Meinung einen ausgeprägten „Pferdeverstand” – ist er Kavallerist, so ist ihm dieser „Pferdeverstand” angeboren, dafür hapert's manchmal mit dem gesunden Menschenverstand. Das geniert einen Infanteristen selten, einen Kavalleristen nie. Gewohnt, die schwierigsten Hürden zu nehmen, setzt er einfach darüber hinweg.

Jeder Leutnant, und wäre er der Jüngste, versteht kolossal viel von Hunden, er kann, selbst im Dunklen, eine Ulmer Dogge von einem Teckel unterscheiden. Nur Wahnsinnige können behaupten, daß das schwierig ist. Es gibt wenige Leutnants in der Armee, die keinen Hund besitzen, und das hat seinen guten Grund.

Der Leutnant liegt zu Haus in seinem Bett, er ist vom Dienst gekommen. Er hätte sich gerne auf seine Chaiselongue gelegt, aber er besitzt leider keine, und auf dem alten harten Ledersofa mit den steifen, hohen Seitenlehnen bekommt man im Liegen die Genickstarre – da hat er sich einfach ins Bett gelegt. Er versucht zu schlafen, aber obgleich er sich beim Frühschoppen bemüht hat, die nötige Bettschwere zu bekommen, gelingt es ihm nicht. Er kann nicht schlafen, mit offenen Augen liegt er und „döst”. Es ist eigentlich entsetzlich langweilig, und uneigentlich erst recht. Er überlegt, ob er aufstehen soll, aber er verwirft den Gedanken. Jetzt ist es zwölf – um halb fünf Uhr hat er wieder Dienst, um sechs Uhr ißt er im Kasino zu Mittag, er hat noch viel, viel Zeit.

Ihm fällt ein, daß er notwendig einen Brief schreiben muß, sein alter Herr will wissen, wie es denn nur möglich ist, daß die Zulage wieder nicht gereicht hat – antworten muß er ja, aber der Brief erfordert höchstens fünf Minuten, deswegen aufzustehen lohnt sich doch wirklich nicht.

Er könnte lesen, er hat einen ganzen Stapel von Leih­bibliotheks­romanen auf seinem „Arbeitstisch” liegen, aber du großer Gott, ob der Roman nun von Hans oder von Peter ist und sich um Heinz oder um Kunz dreht, es ist ja immer dasselbe, sie kriegen sich doch, das weiß man ja von Anfang an, da kann man sich die Mühe des Lesens sparen.

Er könnte arbeiten, gute Bücher lesen – aber das tut der Durschnitts­leutnant nie, das gibt es nicht.

Einen Augenblick denkt er daran, aufzustehen und in die Kneipe zu gehen, aber man kann doch nicht den ganzen Tag Bier trinken, besonders dann nicht, wenn man kein Geld hat.

Der Durchschnittsleutnant hat nie Geld, weder am ersten, noch am letzten, noch an einem der anderen Tage des Monats. Stelle den ersten Leutnant, der dir begegnet, auf den Kopf und schüttle und rüttle ihn soviel du willst – klirrend wird ein Monokle zur Erde fallen, aber Geld? Nein. Wenn aber wider Erwarten dennoch ein Geldstück zum Vorschein kommen sollte, so wette ich 10:1, daß das Vermögen geborgt ist.

Unser Leutnant liegt immer noch im Bett und „döst”. Er nimmt das Lokalblatt, das auf dem Nachttisch liegt, zur Hand. „Zuchthausvorlage – Neues zur Krisis in Ungarn – die preußischen Konsols fallen immer noch.” Unmutig wirft er das Blatt wieder fort, was interessieren ihn diese Dinge, ins Zuchthaus kommt er hoffentlich nicht, Ministerpräsident wird er nicht und Konsols hat er nicht, na ja, also, was geht ihn das alles an.

Er langweilt sich entsetzlich, und diese Langeweile gebiert den „Leutnantshund”.

Der vorschriftsmäßige, wenn auch nicht vorgeschriebene Leutnantshund ist der Terrier, und auch der im Bett liegende Leutnant wünscht sich plötzlich einen solchen.

Wenn er wenigstens einen Hund hätte, mit dem man sprechen, spielen und toben könnte, dann ließe sich dieses Dasein vielleicht noch ertragen, aber so ist es einfach furchtbar – er wird sich einen Hund kaufen, das „wovon” ist ihm jedoch noch schleierhaft, aber das wird sich schon finden, irgend einen Dummen wird es wohl noch geben, der ihm zwanzig Mark pumpt.

Er hat Glück, er findet sogar einen sehr Dummen, der ihm dreißig Mark borgt, und am nächsten Tag gibt es in der Armee einen „Leutnantshund” mehr, der von dem Tage seines Diensteintritts an die Verpflichtung übernimmt, seinem Herrn die Langeweile fernzuhalten.

Leutnantshunde sind wie ihre Herren Antisemiten – kein Leutnantshund rührt das schönste Futter an, wenn man sagt: „Das ist von einem Juden.” Bei diesen Worten der Versuchung zu fressen, zu widerstehen, ist das erste Kunststück, das dem Leutnantshund beigebracht wird. Herr und Hund denken sich aber nichts dabei, der Herr vielleicht noch weniger als sein Köter – beide sind Antisemiten, weil es in der Armee „Mode, Brauch und Überlieferung” ist.

Weder ein Leutnant noch ein Leutnantshund dürfen eine eigene, selbständige Meinung haben. Die Ansicht der Vorgesetzten und der älteren Kameraden ist in dienstlicher und außerdienstlicher Hinsicht maßgebend.

Leutnantshunde bilden das Entsetzen der Vorgesetzten, die in ihrer Jugend natürlich selbst Hunde hatten, es aber nun ganz unbegreiflich finden, daß man sich solches Viehzeug halten kann.

Hunde zum Dienst mitzubringen, ist verboten, wer dennoch seinen Köter mitbringt, wird gewaltig angefahren, besonders dann, wenn der Vorgesetzte etwas wacklig auf seinem Pferd sitzt und der Hund das edle Roß bellend umspringt.

„Herr Leutnant, pfeifen Sie Ihrem Hund,” ruft der Hauptmann.

Der Leutnant pfeift sich für seine zwei Mark fünfzig Pfennig Gehalt die Lunge aus dem Leib, zuerst zart und leise, daß es lieblich klingt wie süßer Sirenengesang, dann stärker, drohender.

„Ich bin der Herr!” klingt das Pfeifen.

„Ich bin der Hund!” klingt das Bellen.

Eine wilde Jagd wird veranstaltet, bis man den Hund endlich erwischt hat.

„Schäme dich!” sagt sein Herr zu ihm.

Der Hauptmann aber sagt seinem Leutnant ganz andere Dinge.

Es gibt Leutnantshunde, die „selbständig” Dienst abhalten.

Als ich noch Leutnant war, hatte ein Kamerad einen Hund namens Karo, der jeden Mittag die Wache aufziehen ließ. Nach der Garnison­dienst­vorschrift soll der Offizier vom Ortsdienst dies besorgen, aber Karo machte seine Sache ebenso gut. Um ein halb ein Uhr zog die Wache auf – fünf Minuten vorher erschien Karo auf dem Kasernenhof und lief die Front entlang. Wir nannten das „Er sieht den Anzug nach”.

Sobald die Uhr schlug, bellte Karo, der zehn Schritt vor der Front stand, und sobald der Hund bellte, nahm die kleine Wache des selbständigen Bataillons „Das Gewehr über” und marschierte dann ab.

Die Sache ging gut, bis sie schief ging. Als der Major eines Mittags auf dem Kasernenhof erschien und den vierbeinigen „Offizier vom Ortsdienst” sah, gab es ein Unglück. Nicht nur die ältesten Leutnants, sondern auch die ältesten Exerzierplätze und Kasernenhöfe erinnerten sich nicht, jemals ein derartiges Gebrüll, wie der Major es anstimmte, gehört zu haben. Karo hörte sich die Rede mit an und machte ein Gesicht, als wollte er sagen: „Ich verstehe deine Aufregung nicht, ein Leutnantshund ist zum mindesten ebenso pflichtgetreu wie ein Leutnant, ich habe meine Sache gut gemacht, du solltest mich loben!” Als der Major aber immer gröber wurde, klemmte er plötzlich seine Rübe ein und lief laut heulend davon.

In diesem Augenblick habe ich zum ersten-, aber auch zum letztenmal in meinem Leben bedauert, nur ein Leutnant, und kein Leutnantshund zu sein.

Habent sua fata libelli – auch die Leutnantshunde haben ihr Schicksal.

Einmal war es vorgekommen, daß der Herr Oberst und Regiments­kommandeur vom Pferde fiel, weil ein Leutnantshund sich nicht standesgemäß betrug.

Selbstverständlich sperrte der Oberst den Leutnant drei Tage ein, weil dieser nicht dafür gesorgt hatte, daß der Köter zu Hause blieb.

Der Leutnant saß und dachte: „Wenn ich eingesperrt bin, sperr' ich dich auch ein,” und schon nahm er seinen Hund am Kragen und sperrte ihn in den Waschtisch: „Drei Tage strengen Arrest” verfügte er kraft seines Amtes.

Der Leutnant saß drei Tage, und der Hund saß auch drei Tage – der Leutnant schlief in diesen drei Tagen ordentlich aus und der Hund auch, als aber der Leutnant und sein Hund die drei Tage verbüßt hatten, war der Leutnant gesund, der Hund aber mausetot. Sein Herr und Gebieter hatte ihm absichtlich nichts zu fressen gegeben, er sollte zur Strafe einmal ordentlich hungern, und nun hatte er sich totgehungert. Ohne militärische Ehren wurde er begraben.

Gar nicht verwandt mit dem vierbeinigen Leutnantshund ist der andere Hund, auf den jeder Leutnant in jedem Monat wenigstens einmal kommt und auf dem so mancher die ganzen Leutnantsjahre hindurch reitet. Vom ersten bis zum letzten Tage begleiten ihn die finanziellen Sorgen, und ihm graut vor dem Ersten des Monats, an dem er sein Gehaltsbuch, aber kein Gehalt bekommt. Erst stärkt er sich durch einen Kognak, dann klappt er das kleine Buch auf und liest. Soll haben: Gehalt, Wohnungsgeld­zuschuß, Servis, Tischgelder.

Vier Posten, die etwas bringen.

Darunter steht: Davon ab.

Und nun geht es los: Kleiderkasse, Regimentsmusik, Regiments­bibliothek, Repräsentationsfonds, Medizinkasse, Kasinobeitrag, Schießverein, Ressource, Blumen für ein Geburtstagsfest, Anteil an einem Abschieds­geschenk, Rennverein und so weiter bis in die Puppen. Zwanzig Posten, die nichts bringen, sondern nur viel kosten.

Jede Monatsabrechnung eines Leutnants beginnt folgendermaßen: „– – – –”

Das heißt: Mein sehr verehrter Herr Leutnant, Sie kriegen nicht nur nichts, sondern Sie müssen sogar noch etwas dazu bezahlen. Schelten Sie nicht, das hat gar keinen Zweck. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, daß Sie wieder einen Monat die Ehre und die Auszeichnung genossen haben, Offizier zu sein. Glücklich, so sagt man, ist der Mensch, der etwas zu tun hat, und Sie, Herr Leutnant, haben den ganzen Tag zu tun gehabt, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. „Bewegung ist gesund.” An Bewegung hat es Ihnen nicht gefehlt, Sie haben die größten Märsche machen dürfen, auch in dieser Woche wurde Ihnen Gelegenheit gegeben, sich auf dem Exerzierplatz ordentlich auszulaufen.

„Zu viel Schlaf ist ungesund.” Ihre Vorgesetzten sorgten dafür, daß Sie früh aufstanden, daß Sie nicht zu lange schliefen.

„Morgenstunde hat Gold im Munde,” und auch dies haben Sie erfahren, denn schon morgens um vier und fünf Uhr konnten Sie goldene Worte aus dem Munde Ihres Hauptmanns hören, von den goldenen Worten der anderen Herren gar nicht zu reden.

„Ärger und Verdruß macht schlank.” Auch in diesem Monat haben Sie wieder zwei Pfund abgenommen, Ihre Taille ist noch schlanker geworden, als sie schon war.

„Armut schändet nicht.” Sie hatten nie Geld und nehmen doch die angesehenste Stellung in der Gesellschaft ein, während man jeden anderen, der keinen Pfennig in der Tasche hat, über die Achsel ansieht. Trotz Ihrer schlechten Finanzlage hatten Sie sogar Kredit; alles, was Sie kauften, wurde Ihnen, obgleich Sie es schuldig blieben, pünktlich zur gewünschten Stunde ins Haus geschickt.

Sie genossen nur Gutes im vergangenen Monat, und nun wollen Sie über dieses Minuszeichen, und wenn es noch so groß ist, schelten?

Aber Herr Leutnant!

Zum Leutnant gehört der Hund, das war doch schon, solange die Armee besteht, und bis auf weiteres wird es wohl auch so bleiben.


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© Karlheinz Everts