Von Freiherr v. Schlicht.
in: „Das kleine Journal” Nr. 295 vom 25.Okt 1897 und
in: Excellenz kommt
Die Zeiten werden immer schlechter und beim Militär wird's immer gräulicher — nur ungeborene Waisenknaben oder solche, die es werden wollen, können auf den Gedanken kommen, daß ich die Absicht habe, die Zeiten im Allgemeinen und das Militär im Besonderen zu beleidigen und zu beschimpfen. So mir Einer diesen Vorwurf machen sollte, wehre ich mich mit Händen und Füßen dagegen und bedauere auf das Lebhafteste, hierzu von besagten beiden Gliedern nur je ein Paar zur Verfügung zu haben: mitleidsvollen Seelen kann ich aber zur Beruhigung mittheilen, daß beide Extremitäten von gutem Umfang sind.
Mit den schlechten Zeiten will ich mich gar nicht aufhalten, es ist traurig genug, daß sie sich bei mir aufhalten, wohl aber möchte ich bei dem seit Einführung der grauen Mäntel „gräulichen” Militär etwas verweilen. Wenn ich diesen uralten Witz läse, so würde ich sagen: „So oft ich ihn auch schon hörte, immer wieder bereitete er mir dasselbe Vergnügen.”
Aber nicht nur die Mäntel sind grau geworden beim Militär — auch die Haare der Vorgesetzten, die zu alt sind, um sich an die praktischen Neuerungen zu gewöhnen: statt des Waffenrockes trägt man jetzt vielfach die Litewka, die bei der Kavallerie und bei einigen Fußtruppen grau ist, und über den blitzenden Helm zieht man einen Ueberzug. Wie lange noch wird es dauern, dann sind auch die blanken Knöpfe abgeschafft und nur blanke Stiefel werden die Epigonen dann daran erinnern, daß einst beim Militär Alles blinken und blitzen mußte. Das „warum” wird wohl nie aufgeklärt werden — leichter ist es, einzusehen, warum man heute alles Blitzende abschafft. Die Feuerwirkung der Waffen ist eine derartige, daß nur Derjenige ganz sicher ist, nicht todtgeschossen zu werden, der bei Beginn des Krieges „unendlich” bedauert, augenblicklich nicht momentan zu sein.
Todtgeschossen zu werden, ist nicht Jedermanns Sache, obgleich jeder chacun seine chacune und jede chacune ihren chacun hat, und an todtgeschossenen Soldaten liegt den Führern ebenso wenig wie mir an einem Paar neuer Stiefel, die ich nicht tragen kann, weil der Schuster die Schäfte zugenäht hat und die Absätze nicht unter die Hacken, sondern oben auf die Stiefelspitzen gemacht hat. Es muß auch solche Käuze geben.
Schießen thut der Feind — wer kann es ihm verdenken? Todtgeschossen wollen wir nicht werden — wer kann es uns verdenken? Und darum machen wir uns, soweit wie möglich, unkenntlich, wir ziehen uns Sachen an, die sich vom Gelände — so nennt der Soldat bekanntlich die Natur — möglichst wenig abhebt.
Ein großer General — Generale sind immer groß — hat einst das große Wort gesprochen: „Der größte Fehler, den man im Kriege begehen kann, ist der, daß man den Feind für ebenso dumm hält wie sich selbst.”
Recht hat der Mann — und so ist es ganz selobstverständlich, daß der Feind ebenso klug, nein, noch viel klüger ist, als wir, und sich auch unkenntlich macht.
Und so entsteht der l'ennemi masqué — das heißt auf deutsch: da haben Sie den Thee!
Mit dem l'ennemi masqué ist es wie mit dem berühmten l'homme masqué eine heikle Sache: man sieht ihn und man sieht ihn doch nicht.
Nur wer ganz, ganz scharfe Augen hat, kann durch die Maske hindurchsehen und sagen: Ah, vous, voilà.
Man schießt heutzutage nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Entfernungen, und zwar auf Entfernungen, die so weit sind, daß man, um sie zu durchmessen, in früheren Zeiten eines Dampfrosses sich bediente.
Mit dem scharfgeladenen Gewehr unter dem Arm steht der brave Musketier mit einem anderen Kameraden in Kriege zusammen als Doppelposten. Schon eine ganze Weile ist vergangen, ohne daß sich etwas von Bedeutung ereignet hätte, da fühlt der Musketier plötzlich ein eigenthümliches Gefühl in der Nase, er faßt hin und hält zu seiner größte Ueberraschung seine Nase, die von rechtswegen anders wo hingehört, in der Hand.
„Mensch, ick glöw, hier werd schaten,” (Mensch, ich glaube, hier wird geschossen) ruft er seinem Nebenmann zu und dann gehen sie mit Blitzesschnelle in Deckung, d. h. sie werfen sich auf den Bauch, einmal weil das Gesetz es so befiehlt, dann aber auch infolge des jedem Menschen innewohnenden Selbsterhaltungstriebes. Nun liegen sie da und äugen — da fliegt ein Geschoß durch den Helm des Musketiers, durchbohrt denselben und geht dann weiter in die Welt.
„Ist das hier aber ungemüthlich,” stöhnt der Biedere, „wer ist denn nur der Kerl, der mich hier als Zielscheibe benutzt —” da hat er einen Schuß im Bein.
„Nu werde ich aber nächstens auch ungemüthlich, lange lasse ich mir das nun nicht mehr gefallen,” ruft er, „zum Donnerwetter, August, mach doch die Augen auf, wo ist denn der Kerl?”
Sie sehen nichts — gar nichts, weder den feindlichen Schützen, noch das Aufsteigen des Rauches; sie hören auch nichts, nicht den leisesten Knall, sie werden beschossen, ohne sich dagegen vertheidigen zu können.
Es soll, einem allerdings unverbürgten on-dit zufolge, angenehmere Situationen auf Erden geben.
Die militärischen Vorgesetzten sind bekanntlich stets darauf bedacht, ihren Untergebenen das Leben so angenehm wie möglich zu machen und sie vor jedem Leid und Ungemach zu hüten und zu bewahren.
Dazu gehört auch, daß sie die Leute so erziehen, daß sie im Stande sind, sich im Kriege zu vertheidigen. Das aber können die Untergebenen nur dann, wenn sie den bösen Feind sehen, und damit sie ihn sehen, werden „Sehübungen” abgehalten. Wie der Rekrut bei seinem Dienstantritt von dem Gebrauch seiner Gliedmaßen keine Ahnung hat, wie er z. B. keine Ahnung davon hat, daß er seine linke Schulter nur besitzt, um das Gewehr mit einem hörbaren Ruck in dieselbe hineinschieben zu können — so hat er auch keinen Schimmer, was er mit seinen „Glotzaugen” machen soll.
Sehen soll er, „daß ihm die Augen übergehen”, er sieht und sieht, aber er sieht doch nichts, das muß eben gelernt werden.
Mit fröhlichem Sing-Sang marschiert die Kompagnie zu einer Uebung im Gelände. Die Kerls sind froh, dem Kasernenhof, wenn auch nicht für ewig, so doch für einige Stunden Adieu gesagt zu haben und statt des ewigen en détail–Exerzierens nun einmal etwas Anderes zu thun. Der Herr Hauptmann ist vorausgeritten, um den Feind aufzustellen, und der Herr Premier führt die Leute nach dem befohlenen Rendezvous–Platz. Aber der Weg ist weit, und als die Leute die ersten zehn Kilometer im Magen haben, kommen sie zu der Ueberzeugung, daß solch bischen en détail–Exerzieren denn eigentlich doch besser sei, sie haben nun keine Lust mehr und zuerst erstirbt der Sing und gleich darauf auch der Sang.
Im Galopp kommt der Häuptling seinen Leuten entgegen — man ist da, wo man sein sollte, obgleich es Jedem lieber wäre, wenn er da wäre, wo er sein wollte.
Hoch richtet sich der Hauptmann im Sattel auf: „So, Leute, nun macht mal Eure Augen auf.”
Meilenweit, so weit das Auge reicht, breitet sich vor der Kompagnie eine Heide aus, eine wirkliche, wahrhaftige, unglaubliche Heide.
„Nun, was seht Ihr Leute?”
Keine Antwort.
„Hansen, Petersen, Meier, Caspar, Schulze, was seht Ihr?”
Keine Antwort, die Leute sehen nichts.
„Na, die Heide werdet Ihr doch wohl sehen, was?” donnert der Hauptmann von seinem Roß herab.
Und alle Leute stimmen ihm in ihrem Innern aus vollster Ueberzeugung bei, so blind sind sie nicht.
„Was seht Ihr sonst noch?”
Einen Augenblick herrscht wieder tiefe Stille, dann sagt ein Rekrut treuherzig: „Heidekraut, Herr Hauptmann.”
„Nachtrath,” donnert der capitano, „das kann ich mir denken.”
„Na, daß wir die Heide sehen, konntest Du Dir auch denken,” sagt der Rekrut — selbstverständlich nur zu sich selbst, und zwar auch nur in Gedanken.
„Was seht Ihr sonst noch?”
Die Leute machen die Augen auf und sehen allerlei: Maulwurfshügel, eine Sandkuhle, Torfschubben, und was sie sehen, verkünden sie dem Hauptmann.
Der aber wird immer ungeduldiger: „Gewiß, gewiß, es ist ja Alles richtig, aber was seht Ihr sonst noch?”
Da ruft Einer: „Einen Baum, Herr Hauptmann.”
„Richtig,” lobt der Hauptmann, „wer sagte das?”
„Ich, Herr Hauptmann.”
„Wer ist „ich”?”
„Igel, Herr Hauptmann.”
„Das war gut, Igel, das werde ich mir merken, fahren Sie so fort, dann werden Sie ein tüchtiger Soldat werden.”
„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”
„Nun, was seht Ihr sonst noch?”
Selbst in dem dicksten Bauernschädel dämmert es, daß die Sache mit dem Baum nicht ganz koscher ist, da muß irgend etwas los sein, aber was?
„Nun, was seht Ihr?”
„Eine Helmspitze.”
„Schafskopf, wo sehen Sie eine Helmspitze?”
„Links vom Baum, Herr Hauptmann.”
Der Häuptling sieht hin und Schrecken erfaßt ihn beim Anblick: wahrhaftig, da leuchtet und glänzt eine Helmspitze in der Sonne.
„Solch Neger,” donnert der Hauptmann, „ich hatte dem Bengel extra gesagt, er solle sich seine Mütze aufsetzen!”, und seinem Pferd, das kein Berberhengst ist, weil es eine ostpreußische Stute ist, die Sporen gebend, jagt er davon, um sich zu erkundigen, warum der Soldat trotz des ausdrücklichen Befehls nicht die Mütze aufgesetzt hat.
Da hört doch wirklich Meyer's Konversations–Lexikon in zwanzig Bänden auf.
Nach einiger Zeit kommt der Hauptmann zurück und wendet sich an seine Lieutenants: „Es ist wirklich zum Verzweifeln, man mag sich noch so viel Mühe geben, eine Uebung auszudenken, immer geht sie an der Dummheit der Leute zu Grunde. Bitte, Herr Premier, marschiren Sie mit den Leuten nach Haus.”
„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”
Eine Minute später marschiert die Kompagnie mit fröhlichem Sing-Sang nach Haus, sie freut sich darauf, bald den Kasernenhof wiederzusehen, denn wenn sie erst auf dem Kasernenhof ist, ist sie auch in der Nähe der Küche, und das ist für sie die Hauptsache.
Mißmuthig schreitet der Herr Premier an der Tête der Kolonne, er ist ärgerlich, daß er zwanzig Kilometer laufen muß, nur um einen auf dem Bauch liegenden Soldaten zu sehen. Das hätte man nach seiner Meinung einfacher haben können.
Und mißmuthig reitet auch der Herr Hauptmann nach Haus: er hatte sich das so schön gedacht, wenn die Leute eine halbe Stunde und länger vergebens nach dem Mann gesucht hätten, er hatte den Betreffenden so instruirt und so placirt, daß Niemand ihn sehen konnte. Er hätte die Leute ruhig suchen lassen und dann wäre er vorgetreten und hätte gesagt: „Da sieht man Euer ungeübtes Auge, das zu schulen Euer eifrigstes Bestreben sein muß, ich habe den Mann gleich entdeckt, dort liegt er.”
Und voller Verwunderung hätte ihn alle angeschaut.
Natürlich passiren bei dem Bestreben der Vorgesetzten, den Feind so gedeckt wie nur möglich aufzustellen, zuweilen ganz spaßhafte Geschichten.
In einem Regiment war einmal ein Major, der es in dem verdeckten Aufstellen des Feindes zu einer fabelhaften Virtuosität gebracht hatte; natürlich wurde er infolge dessen den Anderen als ein leuchtendes und nachahmenswerthes Vorbild geschildert, und je mehr er gelobt wurde, desto verrückter wurde er.
Da geschah es, daß, wie in jedem Jahr, die Zeit des gefechtmäßigen Abtheilungsschießens herankam. Dieser Dienstzweig ist, wie jeder andere, „äußerst wichtig”, und wenn er gerade der Zeit nach „dran” ist, der allerwichtigste. Der Herr Major wandte daher auch diesem zukünftigen Schießen sein ganzes Interesse zu und damit seine vier Hauptleute mit den ihnen unterstellten Kompagnien nicht zu großen Unfug machten, beschloß er, die Sache erst einmal mit Pla–Pla–Platz–Patronen durchzumachen. Er selbst stellte jeder Kompagnie eine Aufgabe, baute die Ziele auf und wollte die Truppen dagegen exerzieren lassen — erst wenn dies zu seiner Zufriedenheit ausfiele, sollten die Kompagnien die Erlaubniß zum Scharfschießen erhalten.
Der Herr Oberst erfuhr zufällig die Absicht des Herrn Majors und fand dieselbe „vortrefflich, ganz vortrefflich”. Er beschloß, dieser äußerst lehrreichen und interessanten Uebung in persona als Zuschauer beizuwohnen, und befahl, daß sämmtliche Hauptleute des Regiments sich ihm anschließen sollten.
Als der Herr Major diesen Parolebefehl las, strahlte er vor Wonne und vor Stolz.
Er schickte seinen Burschen aus und ließ die Unteroffiziere, die am nächsten Tage bei der Uebung den l'ennemi masqué führen sollten, zu sich kommen und instruirte sie nochmals auf das eingehendste: „Sie stellen sich hier auf — Sie dort — Sie hier an dieser Waldparzelle — Sie bei diesem Haus,” und mit dem Finger bezeichnete er auf der vor ihm liegenden Karte einem Jeden den Punkt, auf den er hingehörte.
„Bin ich von Ihnen verstanden worden?”
„Zu Befehl, Herr Major.”
„Nun, dann danke ich Ihnen schön: dann erinnere ich Sie Alle aber nochmals, wer sich morgen nicht kriegsgemäß benimmt, wer sich unnöthig zeigt und die Deckungen des Geländes nicht ausnutzt, fliegt erbarmungslos drei Tage in den Kasten. Und nun gute Nacht.”
Muthig zog am nüächsten Morgen der Heerbann dem vom Herrn Matjor, wie die Leute sich ausdrückten, aufgestellten l'ennemi masqué entgegen und die Begeisterung wuchs, als sie, an Ort und Stelle angekommen, die vielen Zuschauer sahen, die nur gekommen waren, um ihrem geschickten Vorgehen im Gelände und ihrem Heldenmuth Achtung und Bewunderung zu zollen.
„Darf ich Sie bitten, anzufangen, wenn Sie mit Ihren Vorbereitungen fertig sind?”
Der Herr Oberst sprach's und der Herr Major versicherte, das Alles fix und fertig sei.
„Dann bitte.”
„Zu Befehl, Herr Oberst.”
Die erste Kompagnie bekam ihren Auftrag.
„Herr Hauptmann, Ihr Bataillon befindet sich im Gefecht gegen einen stärkeren Feind. Sie selbst bekommen den Auftrag, gegen den Süden des Wäldchens, der sich hier vor Ihnen befindet, vorzugehen und die dort befindliche Artillerie zum Rückzug zu zwingen.”
„Zu Befehl, Herr Major.”
„Nun dann bitte, los.”
Der Herr Major sprach's und erhob gleichzeitig den rechten Zeigefinger; das war das Signal für die Flaggenhalter Ziel 1, die feindliche Artillerie erscheinen zu lassen.
Die erste Kolonne entwickelte sich und ging vor: der Herr Hauptmann vor der Mitte der Kompagnie, die drei Offiziere vor der Mitte ihrer Züge, Jeder zu seiner Rechten und zu seiner Linken mit einem lebendigen Entfernungsschätzer bewaffnet — Alle von Zeit zu Zeit stehen bleibend und durch das Fernglas den Südrand des Wäldchens beobachtend.
Hinter der Schützenlinie gingen der Herr Oberst, die Herren Stabsoffiziere und die als Zuschauer kommandirten Offiziere.
„Herr Hauptmann, sehen Sie denn immer noch nichts?” rief da der das Ganze leitende Herr Major.
„Nein, Herr Major.”
„Mir ganz unbegreiflich, das Ziel ist doch so deutlich zu sehen, bitte, lassen Sie hier halten, gehen Sie nicht weiter vor, wie das im Ernstfalle auch gar nicht möglich wäre, sondern eröffnen Sie, sobald Sie das Ziel sehen, das Feuer.”
„Zu Befehl, Herr Major. Halt — hinlegen.”
Nun lagen sie Alle auf dem Bauch — der Herr Hauptmann, die Lieutenants, die Unteroffiziere und einhundert Mann. Alle sahen nach dem Südrand des Gehölzes, um die Artillerie zu entdecken, aber Keiner sah was.
Der Herr Major frohlockte.
„Nun, sehen Sie immer noch nichts?” fragte da der Herr Oberst.
„Nein, Herr Oberst.”
„Ja, ja, mein Lieber, Augen auf — ohne das geht es nicht, im Ernstfall werden Sie womöglich noch weniger vom Ziel sehen.”
„Noch weniger als nichts?” dachte der Herr Hauptmann.
„Herr Major, ich spreche Ihnen meine vollste Anerkennung über die Anlage der Uebung aus, sie ist im höchsten Grade lehrreich und interessant.”
Der Herr Major wußte vor Wonne und Entzücken gar nicht, wohin er sollte.
„Aber Herr Hauptmann, sehen Sie denn immer noch nichts?”
Der Herr Hauptmann bedauerte lebhaft, immer noch blind zu sein.
„Das ist mir ganz unverständlich,” erwiderte der Herr Major, und zu dem Herrn Oberst gewendet, fügte er halblaut hinzu: „Das Ziel ist doch ganz deutlich zu sehen, das linke Flügelgeschütz steht unmittelbar an der linken Waldecke und die übrigen Geschütze mit einem Zwischenraum von je vierzig Schritt rechts daneben.”
Der Herr Oberst, der sehr kurzsichtig war, keine hundert Meter weit sehen konnte, sein Leiden aber sehr gewandt zu cachiren wußte, selbstverständlich dsa Ziel auch noch gar nicht entdeckt hatte, nahm erneut das Glas vor die Augen.
„Gewiß, ja, die einzelnen Geschütze heben sich sehr deutlich ab — vortrefflich, ganz vortrefflich — sehen Sie immer noch nichts, Herr Hauptmann?”
„Nein, Herr Oberst.”
„Unbegreiflich, ganz unbegreiflich,” lautete die Antwort, obgleich der Herr Oberst selbst auch nichts sah. Trotzdem wandte er sich an seine Begleitung:
„Meine Herren, sehen Sie das Ziel?”
Alle verneinten, nur Einer nicht, das war der Herr Oberstlieutenant — der sah auch nichts, aber weil er sich mächtig „schusterte”, sagte er: „Jawohl, Herr Oberst, die Geschütze sind ja ganz deutlich zu erkennen.”
„Natürlich, ganz selbstverständlich,” lautete die Antwort und der Herr Oberstlieutenant und der Herr Major freuten sich.
Der Herr Hauptmann aber sah immer noch nichts.
„Nun, Herr Hauptmann, dann bitte ich Sie, das Feuer zu eröffnen, ohne daß Sie das Ziel sehen, auch das wird oft genug im Kriege vorkommen.”
„Zu Befehl, Herr Oberst.”
Und wenig später wurde mit Platzpatronen ein vernichtendes Feuer gegen die Batterie abgegeben.
Als man glaubte, daß die Artillerie in Wirklichkeit todt sein würde, kommandirte man „stopfen” und ließ des grausamen Spiels genug sein.
Dann kam die Kritik, bei der der Herr Major sehr viel, der Herr Hauptmann aber sehr wenig Lob erntete.
Und als die schöne Rede aus war, ritt ein jeder Mann vergnügt nach Haus.
Damit auch der l'ennemi masqué, der seine Sache so vorzüglich gemacht hatte, in die Kaserne abrücke, wurde von dem Hornisten das Signal „Das Ganze sammeln” geblasen.
Alle, Alle hörten es — nur Einer hörte es nicht, das war der Führer der Artillerie, der sich mit seiner Artillerie verlaufen hatte und der nicht, wie er sollte, am Südrande des Gehölzes stand, sondern am — Nordrande.