Friedrich der Große als Ehestifter.

Skizze von Freiherrn von Schlicht-Weimar.
in: Weimarische Landeszeitung Deutschland, Weimar, vom 24. Jan. 1912 und
in: „;Der rote Pierrot”


Unter drei Kaisern hatte Graf von Raden gedient, bis er vor kurzem aus Gesundheitsrücksichten, mit allerhöchsten Gnadenbeweisen gelohnt, als General seinen Abschied nahm. Die Bilder der drei Kaiser fehlten natürlich nicht in seinem großen Arbeitszimmer, aber trotzdem, den Ehrenplatz über dem schweren Eichenschreibtisch nahm das Bild des großen Preußenkönigs, Friedrich II., ein, nicht weil es sich bei diesem Bild um eine sehr wertvolle und künstlerisch vollendete Zeichnung von der Hand des verstorbenen Meisters Exzellenz von Menzel handelte, sondern weil die gräfliche Familie von Raden alles, was sie heute war, Friedrich dem Großen verdankte, der im Jahre 1742 den tapferen General Heinrich Christoph von Raden in den Grafenstand erhob und ihm den Uradel verlieh. Aber das nicht allein, auch mit reichem Grundbesitz hatte Friedrich der Große den ersten Grafen von Raden beschenkt und ihm am Tage seiner Hochzeit als besonderes Zeichen seines königlichen Wohlwollens ein Meißner Tafelservice für zahlreiche Personen verehrt, das den bestehenden Bestimmungen gemäß immer in den Besitz des Ältesten der Familie überging.

Seit zehn Jahren befand es sich nun in den Händen des jetzigen Generals und wurde dort wie ein Heiligtum gehütet. Nur an den allerhöchsten Festtagen, an dem Geburtstag Friedrich des Großen, oder bei einer anderen ganz besonders hohen Feier wurde es in Gebrauch genommen, und ein solcher Festtag lag heute vor. Ganz plötzlich und unerwartet, so schnell, daß der General nicht einmal Zeit fand, die nötigsten Erkundigungen über die Familie seiner Schwiegertochter einzuziehen, hatte sich gestern sein ältester Sohn Kurt, der als Oberleutnant einem sehr vornehmen Garde-Regiment der Residenz angehörte, verlobt, und das mußte der General seinem Sohn lassen, eine hübschere und liebenswürdigere Braut hätte er sich nicht aussuchen können. Gewiß, er selbst war gestern nur kurze Zeit mit den Neuverlobten zusammen gewesen, aber die hatte dennoch genügt, um seine Tochter von Herzen lieb zu gewinnen. Wohl hätte er gern etwas Näheres über die Familie gewußt, bevor er nun heute in seinem Hause, wenn auch nur im allerkleinsten Kreise, das offizielle Verlobungsdiner gab, aber er beruhigte sich damit, daß sein Sohn, der in den Anschauungen seines Vaters groß geworden war, sich ganz sicher keine Braut ausgesucht hatte, die nicht in jeder Hinsicht allen Anforderungen entsprach, die man an die spätere Gemahlin seines Sohnes, der da einst vielleicht das Oberhaupt der gräflichen Familie sein würde, stellen mußte.

Der General ging ungeduldig in den Räumen seiner eleganten Wohnung auf und ab und wartete auf den Augenblick, da seine Gemahlin mit der Toilette fertig sein würde, und wohin er seine Schritte lenkte, und wohin seine Blicke fielen, überall stieß er auf ein Andenken oder auf eine Erinnerung an die Zeit Friedrichs des Großen, mit dessen Person aus tiefster und dankbarster Verehrung heraus in seinem Hause ein förmlicher Kultus getrieben wurde.

Auch jetzt sah er sich dessen Bild immer wieder von neuem an, und ihm war, als blicke der große König ihn mit seinen klugen Augen heute ganz anders an als sonst.

Natürlich bildete er sich das nur ein, aber wie kam er dazu, sich so etwas einzureden? Oder sollte der König sich wirklich mit ihm über das Glück seines Sohnes freuen? Das war natürlich heller Wahnsinn, in Wirklichkeit sah ihn der König genau so an wie sonst, und alles andere entsprang lediglich seinen freudig erregten Gedanken.

Der General warf einen Blick auf die große Standuhr, er war einmal wieder zu früh mit dem Umkleiden fertig geworden, eine Stunde konnte sicher noch vergehen, ehe das Brautpaar und die übrigen Gäste kamen.

Um so erstaunter blickte er auf, als der Diener plötzlich seinen Sohn anmeldete, und als Graf Kurt, ein auffallend hübscher und eleganter Offizier, gleich darauf zu ihm in das Zimmer trat. Der Vater reichte seinem Sohn zum Willkommen die Hand, dann aber fragte er ganz überrascht: „Du kommst allein, ohne Deine Braut?”

Kurt versuchte, so unbefangen wie nur möglich zu lachen, um nicht allzu früh zu verraten, was ihn hierher führte, dann meinte er: „Aber, Vater, hast Du in Deinem reichbewegten Leben schon einmal ein junges Mädchen kennen gelernt, das nicht nur pünktlich, sondern sogar schon eine Stunde zu früh mit der Toilette fertig ist?”

Der General stimmte ihm bei, dann sagte er: „Offen gestanden ist es mir ganz lieb, Dich vorher noch einmal unter vier Augen sprechen zu können. Du wolltest Dich, soweit das bis heute möglich war, auf das eingehendste nach der Familie Deiner Braut erkundigen — ist das inzwischen geschehen?”

„Allerdings Vater.”

Der General blickte gespannt auf: „Nun und?”

Kurt antwortete nicht gleich, sondern sah seinen Vater so voller Liebe, aber auch zugleich so bittend und flehend an, daß der nun seinerseits den Sohn voller Besorgnis anblickte, dann sagte er: „Dein Schweigen verrät mir nichts Gutes, Kurt, ich fürchte, Du hast unüberlegt gehandelt, aber Gott sei Dank ist es ja noch Zeit, die Verlobung wieder zu lösen.”

Kurt sprang in die Höhe und stellte sich vor seinen Vater hin. „Das darf niemals geschehen, Vater, das wäre Cillis Tod und der meinige. Davon, daß ich unüberlegt handelte, kann nicht die Rede sein. Cillis Familie ist zwar nicht reich, aber überall genießt sie das höchste Ansehen. Sie ist der unsrigen durchaus ebenbürtig, und wenn ich mich nicht vorher danach erkundigte, und wenn Cilli es mir nicht früher eingestand, — sie glaubte, ich wüßte es von alleine, ich selbst aber kam gar nicht auf den Gedanken — — — —”

Mitten im Satz hielt Kurt inne, und sein Schweigen spannte die Erwartung des Generals auf das höchste, so daß er jetzt rief: „Mach meiner Ungeduld ein Ende, um was handelt es sich?”

Noch einmal warf Kurt seinem Vater einen flehenden Blick zu, dann sagte er mit leiser Stimme: „Cillis Familie ist katholisch, Vater, und sie selbst will unter allen Umständen ihrem Glauben treu bleiben.”

Wie vorhin Kurt, so sprang jetzt der General von seinem Stuhl auf, bis er dann ausrief: „Deine Braut ist katholisch, und ich, der ich durch und durch protestantisch bin, der ich keinen anderen Glauben als den meinigen für richtig halte, soll eine Katholikin als Tochter in mein Haus nehmen, soll sie an meinem Tisch bewirten und sie wie mein eigen Fleisch und Blut anerkennen? Alles kannst Du von mir verlangen, aber das nicht, das schwöre —”

„Schwöre nicht, Vater,” fiel ihm Kurt schnell in das Wort, „Du würdest es später bitter bereuen.” Und dann fragte er: „Gibt es wirklich keine Möglichkeit, Vater, daß Du jetzt oder später jemals anders denkst?”

„Niemals,” entgegnete der General mit so fester und entschlossener Stimme, daß Kurt nun doch für einenn Augenblick erschrak, aber er gab trotzdem noch nicht alle Hoffnung auf. Er kannte ja seinen Vater und dessen Verehrung für Friedrich den Großen, für alles, was der getan und gesagt hatte, und so führte er denn jetzt seinen Vater, der ihm willenlos folgte, vor das Bild des großen Preußenkönigs.

Und dann fragte Kurt plötzlich und unvermittelt: „Vater, wirst Du auch dann hart und unerbittlich bleiben, wenn dieser für mich bittet?”

„Der, der König? — ——” Ganz verwundert blickte der General seinen Sohn an, er verstand ihn wirklich nicht, dann meinte er: „Wie sollte der wohl dazu kommen, für Dich zu bitten? Und selbst, wenn er es wollte, seine Lippen sind verstummt für immer, und er kann nicht mehr sprechen.”

„Aber er hat gesprochen,” rief Kurt schnell, „und ich will Dir ein Wort von ihm zurufen, das ihn zu dem gemacht hat, was er auch heute noch ist: der Große König, der mit seinem scharfen Geist und mit seinem guten Herzen alles begriff und verstand; ich meine sein Wort: „In meinem Staate kann jeder nach seiner Fasson selig werden. Ob Christ oder Katholik, mir ist es gleich, ein Glaube gilt mir so viel wie der andere, und nicht darauf kommt es an, was einer glaubt, sondern daß er nur überhaupt glaubt und ein guter Mensch und ein guter Bürger ist.” Kennst Du das Wort, Vater?”

Und ob er es kannte! Gerade diesen Ausspruch hatte er so oft an dem König bewundert, aber daß er jemals selbst in die Lage kommen sollte, des Königs Wort zu seinem eigenen zu machen, daß er ebenso groß und gütig handeln sollte.

Mit großen Schritten ging der General erregt in seinem Zimmer auf und ab, aber jedes Mal, so oft er zu dem Schreibtisch kam, hielt er in seiner Wanderung inne und sah sinnend und in Gedanken verloren zu dem Bilde des großen Königs auf. Und immer wieder mußte er daran denken, daß es ihm vorhin so vorgekommen war, als sähe sein König ihn heute mit ganz anderen Augen an als sonst. Es herrschte ein langes, banges Schweigen, und Kurt wagte nicht, es zu unterbrechen, er erriet ja, was in seinem Vater vorging, aber er wußte auch, daß er, wenn auch nicht leichten Herzens, doch endlich seine Einwilligung geben würde.

Und wie Kurt es vorausgesehen hatte, geschah es denn auch. „Um des Königs Willen muß ich nachgeben,” sagte der General nach einer langen Pause, „ich hätte sonst nicht mehr den Mut, zu ihm hinaufzublicken, wenn ich anders und engherziger dächte als er. Aber glaube mir, leicht wird es mir nicht, meine Ansicht zu ändern.”

Nein, leicht wurde es dem General wirklich nicht, das merkte Kurt an der heftigen Erregung, die seinen Vater ergriffen hatte, und die dieser trotz Anstrengungen nicht zu verbergen vermochte, und so sagte er denn jetzt; „Vater, Cilli und ich werden nie aufhören, Dir zu danken, solange wir leben, aber Du darfst Dir die Sache auch nicht zu sehr zu Herzen nehmen,” und dann setzte er hinzu: „Laß mich Dich zu Deinem Trost noch an ein anderes Wort des alten Fritzen erinnern, das er einmal aussprach, als alles um ihn herum einzustürzen drohte und als alle aus seiner Umgebung ihre Ruhe verloren. Für keinen stand doch so viel auf dem Spiele als für den König, und trotzdem, oder gerade deshalb rief er seiner Umgebung zu: „Man muß observer toujours sa contenance,” auf gut Deutsch gesagt: „Man muß immer seine Ruhe und seine Haltung bewahren.”

Einen Augenblick stand der General noch nachdenklich da, dann reichte er seinem Sohn die Hand und rief ihm zu: „Auch in der Hinsicht will ich dem Rate des großen Königs folgen — — geh und hole Deine Braut, sie soll mir und meinem Hause herzlich willkommen sein!”


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