Plauderei von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Das kleine Journal” Nr. 167 vom 20.Juni 1898,
in: Der stumme Kerl und
in: Was ist los?
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Wenn man als Kind in der Schule das ABC lernt, denkt man sich weder bei dem Buchstaben A noch bei B etwas Böses und man läßt sich zu Hause von den Eltern, Tanten, Basen, Vettern, Großeltern und allen, die einem sonst noch anverwandt und zugethan sind, mit einem großen Stück Zucker belohnen, wenn man es in der Bildung soweit gebracht hat, daß man die ersten beiden Buchstaben des Alphabetes ohne stecken zu bleiben hersagen kann.
Ich hoffe, daß „der in Musik gesetzte” Räuber Gasparone, den ich dem „in Raserei versetzten” entschieden vorziehe, nicht aus dem Busch hervorstürzen wird, um mich mit einem bei Hippolit Mehles gekauften Dolchmesser wegen des an ihm begangenen Diebstahles zu ermorden. Erfüllt sich meine Hoffnung, wie so vieles in diesem sogenannten „schönen” Leben nicht, so erwarte ich wenigstens, daß Herr Gasparone mich aus eigener Initiative ins bessere Jenseits befördert und nicht „a. B.” irgend einer weitverzweigten Räuberbande. — |
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Der Herr Premier befindet sich in der denkbar besten Laune. Er ist fünfunddreißig Jahre alt und vierzehn Jahre Lieutenant, aber er kann sich nicht entsinnen, jemals so gern gelebt zu haben. Er ist augenblicklich sogar gern Soldat und das hat seinen guten Grund. Der Herr Premier hat fünfundvierzig Tage Urlaub und hofft, daß noch weitere vierzehn Tage folgen werden — er ist im Winter einmal vom Gaul gefallen und behauptet, immer noch die Folgen des Sturzes zu fühlen. Da erfordert seine Gesundheit es unbedingt, daß er ein Bad aufsucht. Es hat viel Arbeit gemacht, den Urlaub zu erhalten, aber jetzt ist es so weit: um 3 Uhr geht sein Zug, um 7 ist er in Berlin, er will den heutigen Abend und den morgigen Sonntag dazu benutzen, um sich endlich einmal wieder „standesgemäß” zu amüsiren. Eigentlich fängt sein Urlaub erst Montag an, aber das schadet nichts, Dienst hat er nicht, abgemeldet hat er sich auch schon, da am Sonntag die Geschäftszimmer geschlossen sind, wer soll es da merken, wenn er heute schon fährt? |
Der Herr Premier befindet sich in der denkbar besten Laune. Er ist fünfunddreißig Jahre alt, aber er kann sich nicht entsinnen, in seinem reich bewegten Leben schon jemals so glücklich gewesen zu sein, wie in diesem Augenblick. Ja, noch mehr, er behauptet sogar, noch nie so gerne Soldat gewesen zu sein. Und das will viel sagen. Was stimmt den Herrn Premier so freudig, was verschafft ihm mit einem Mal solche Lust und Liebe zu seinem Beruf? Ist er am Vormittag wegen einer hervorragenden Leistung auf dem Gebiet des Schnellaufens oder des lauten Kommandierens öffentlich belobt worden? Ist ein hohes, weises und gerechtes Militärkabinett endlich zu der Einsicht gekommen, daß es wahrlich lange genug ist, wenn man zwölf Jahre auf den Hauptmann wartet? Hat er Aussicht, befördert oder gar vorpatentiert zu werden? Hat er in Anbetracht der vorzüglichen Dienste, die er dem Staate leistet, eine besondere Gehaltserhöhung bekommen oder kam ein „Vogel” geflogen, der sich auf seine Brust setzte? Nichts von alledem. Aber irgend etwas muß es doch sein! Was ist es denn nur, das dem Herrn Premier plötzlich den Dienst so lieblich und angenehm erscheinen läßt? Im Vertrauen auf die strengste Diskretion aller sei es hiermit gesagt: „Der Herr Premier hat fünfundvierzig Tage Urlaub und er hofft, daß noch weitere fünfzehn Tage folgen werden.” Der Herr Premier ist im Winter während der Offizierreitstunde vom Gaul gefallen — das kommt zuweilen vor, besonders wenn man mit „Hüften fest” und ohne Bügel über die Stange springen muß. Der Herr Lieutenant fiel „vons Gerüste” und da er etwas über zweihundert Pfund wog, gab es eine „Dröhnung”, daß sämtliche andere Pferde, in dem Glauben, es sei soeben, mitten im tiefsten Frieden, mit Kanonen geschossen worden, durchgingen. Dem Herrn Premier war das sehr angenehm, denn neben ihm türmten sich die Leichen der Gefallenen. Geteilter Schmwez ist immer besser als keine halbe Freude. Alle kamen der freundlichen Aufforderung, das Rößlein wieder zu besteigen, nach, nur der Herr Premier nicht: der lag im Sand und schien gar nicht wieder aufstehen zu wollen. Das war ein interessanter „Fall” und mit großer Eile kletterte der Assistenzarzt von seinem Pferd herunter und machte sich daran, die Diagnose zu stellen. Die Untersuchung, während der die anderen Herren „im abgekürzten Tempo Tra—a—a—ab” ritten, damit die Zeit ausgenutzt wurde, ergab, daß die rechte Schulter ausgerenkt sei. Mehrere Wochen war der Herr Premier krank gewesen, dann hatte er sich eines schönen Tages wieder gesund gemeldet. Ihm fehlte gar nichts mehr, dennoch empfand er nach ganz kurzer Zeit wieder Schmerzen und antwortete auf die teilnehmenden Fragen: „Nun, wie geht's?” stets mit den Worten: „Danke gehorsamst, nicht besonders, ich glaube, ich werde doch noch ein Bad aufsuchen müssen.” Verständnisinnig hatten die anderen ihn angeblickt und gesagt: „Natürlich, natürlich, man kann nie vorsichtig genug sein.” Und jetzt war es soweit, die Zeiger der Uhr wiesen auf eins. Um ein halb drei ging sein Zug, um sieben Uhr abends war er in Berlin und er wollte den heutigen Sonnabend Abend und den morgigen Sonntag benutzen, um sich einmal gehörig zu amüsieren. Gute Freunde und alte Kameraden waren benachrichtigt — um neun Uhr war Rendezvous der fashionablen Welt in den Blumensälen, na, das sollten vergnügte Stunden werden. Seine Freude wollte er sich auch dadurch nicht trüben lassen, daß er eigentlich noch keinen Urlaub hatte, der fing erst mit dem Montag an. Morgen war ja aber Sonntag, die Bureaus waren geschlossen, so hatte er sich, wie es Brauch ist, schon heute abgemeldet. Wer würde es merken, wenn er schon heute nachmittag führe? Kein Mensch. Kirche war morgen nicht, er hatte sich erkundigt, anderer Dienst durfte nicht stattfinden, mit seinem Hauptmann hatte er gesprochen und dessen Einwilligung erhalten — kurz und gut, die Reise konnte losgehen. |
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Die Koffer sind gepackt, gleich geht die Reise los — „Berlin freue Dich, bald bin ich bei Dir,” denkt der Herr Premier und betrachtet wohgefällig sich selbst und seinen sehr hellen, sehr kurzen, sehr unpraktischen, aber sehr modernen Paletot. Dann ruft er seinen Burschen herbei, um ihm die letzten Instruktionen zu geben. „Es wird also täglich gelüftet, Peter, verstanden? Die Fenster kannst du in der Zwischenzeit auch einmal putzen. Halte überhaupt die Wohnung in Ordnung und zieh Dir die Stiefel aus, ehe Du Dich Mittags auf meine Chaiselongue legst. Bringe die Wäsche zur Waschfrau und sag, Du müßtest sie in den allernächsten Tage wieder haben. Vergiß das nicht, Peter, denn sonst ist die Wäsche bei meiner Rückkehr noch nicht fertig. Auf die Frauen ist kein Verlaß, auf die Waschfrauen am allerwenigsten, merke Dir das, Peter. Hier, mein Sohn Peter, hast Du einen Thaler, möchte er dazu beitragen, Dir den Trennungsschmerz zu versüßen. Ich gehe jetzt zum Mittagessen, daß Du mir pünktlich mit den Sachen auf der Bahn bist.” |
Die Koffer waren gepackt und in tadelosestem Civil, angethan mit einem sehr hellen, sehr kurzen, sehr unpraktischen, aber sehr modernen Paletot stand der Her Premier in der Mitte seines Wohnzimmers und gab seinem Burschen genaue Instruktionen: „Es wird also täglich gelüftet, Peter, verstanden? Die Fenster kannst du in der Zwischenzeit auch einmal putzen und vergiß nicht, die Kaffeetasse von heute morgen aufzuwaschen, damit sie rein ist, wenn ich wieder zurückkomme. Die Butter, die noch in der Dose ist, kannst Du aufessen, die schenke ich Dir, sonst wird sie ranzig, und vergiß auch nicht, den kleinen Milchtopf auszuwaschen. Halt überhaupt die Wohnung in Ordnung und wenn Du mittags auf meiner Chaiselongue liegst, zieh Dir vorher die Stiefel aus — im Waschtisch stehen meine alten roten Lederpantoffeln, die schenke ich Dir. Bring' die schmutzige Wäsche zur Waschfrau und sag', Du müßtest sie in den allernächsten Tage wieder haben. Vergiß das nicht, Peter, denn sonst ist die Wäsche noch nicht fertig, wenn ich nach sechs, oder will es Gott, nach acht Wochen zurückkehre. Ich kenne die Weiber, auf die ist kein Verlaß, auf Waschfrauen am allerwenigsten. Das merke Dir, Peter. Im übrigen mache nicht solch ein schafsdämliches Gesicht und zerdrücke die Thräne, die sich heimlich in Dein rechtes Auge gestohlen hat. Jeder Schmerz ist egoistich, auch der Deine. Du bist nicht traurig, daß ich jetzt eine Zeit lang fortgehe ud nicht mehr jeden Morgen nötig habe, mich von Dir aus dem Bett herauswerfen zu lassen — das betrübt Dich nicht. Nein, Du denkst nur daran, daß Duwährend meiner Abwesenheit nicht so gute Tage haben wirst, wie bisher. Aber beruhige Dein Gemüt: ich habe mit dem Feldwebel gesprochen und ihn gebeten, Dich nicht mehr zum Dienst heranzuziehen, als unbedingt nötig ist. Tot arbeiten wirst Du Dich nicht, im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, Dich bei meiner Rückkehr wohler und dicker als je anzutreffen. Hier, mein Sohn Peter, hast Du einen Thaler, möchte er dazu beitragen, Dir den Trennungsschmerz zu versüßen. Ich gehe jetzt, ich will noch in einem Restaurant Mittag essen. Daß Du mir pünktlich mit den Sachen auf dem Bahnhof zur Stelle bist. So, nun gieb mir meinen Cylinder.” Noch einen Blick wirft der Herr Premier in den Spiegel, dann schreitet er, mit seinem Exterieur sehr zufrieden, der Thür entgegen, die Peter ihm öffnen will. |
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Da klopft es. „Herein”. Eine Ordonnanz tritt ins Zimmer, den Helm auf dem Kopf, eine große Ledermappe in der Hand. |
Da klopft es. „Herein”. Eine Ordonnanz tritt herein, eine lebendige, zweibeinige Ordonnanz, den Helm auf dem Kopf, eine große Ledermappe in der linken Hand. |
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Dem Herrn Premier ahnt nichts Gutes. |
Dem Herrn Lieutenant ahnt nichts Gutes. Eine Ordonnanz bringt nie etwas Gutes, selbst am Ersten des Monats nicht, da bringen sie statt des erhofften Plus meistens ein Minus. „Wollen Sie zu mir?” fragt endlich der Herr Premier. Diese Frage ist eigentlich und uneigentlich überflüssig, aber es ist schon zuweilen vorgekommen, daß eine Ordonnanz sich verlaufen hat; an diese Hoffnung, daß dies auch jetzt der Fall sein möchte, klammert sich der Herr Premier. „Wollen Sie zu mir?” wiederholt der Herr des Hauses — der Herr des Zimmers wäre richtiger — seine Frage. „Zu Befehl, Herr Lieutenant.” Dem Herrn Premier wird es etwas ungemütlich, was will der Knappe nur von ihm und noch dazu jetzt, da er im Begriff ist, abzureisen? „Was giebt es denn?” |
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Die Ordonnanz holt aus der großen Mappe einen kleinen Zettel hervor und reicht diesen dem Vorgesetzten; der liest die wenigen Worte und sinkt vernichtet auf einen Stuhl. |
Aus der großen Ledermappe holt der Gefreite eine etwas kleinere Schreibmappe, blättert eine halbe Stunde in derselben herum und findet endlich einen kleinen Zettel, den er dem Vorgesetzten überreicht. Der liest die wenigen Worte und taumelt dann, wie von sämtlichen Taranteln der Welt gestochen, zurück Das ist ja gar nicht möglich, solche Gemeinheit ist ja gar nicht denkbar, das muß ein Irrtum, ein Versehen sein! |
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„Sagen Sie dem Feldwebel, er solle sofort herkommen,” stöhnt er endlich, aber er besinnt sich. Was soll der Feldwebel, der ist ja schuldlos, das „a. B.” „aus Befehl”, das auf dem Zettel steht, bedeutet ja, daß er nicht aus eigener Initiative, sondern einer höheren Macht gehorchend, den Befehl sendet. |
„Gehen Sie hin zu dem Feldwebel, aber Galopp, mein Sohn, ich ließe ihn bitten, sofort herkommen zu wollen.” Das hat die Mutter der Kompagnie vorausgesehen, sie hat den Gefreiten schon für diesen Fall instruiert und so sagt dieser: „Der Herr Feldwebel lassen dem Herrn Lieutenant sagen, der Herr Feldwebel könnten nichts dafür.” Das sieht der Herr Premier ja auch ein, die Unterschrift lautet ja:
Der Feldwebel selbst ist schuldlos, das „a. B.” — „auf Befehl” bedeutet ja, daß er nicht aus eigener Initiative, sondern einer höheren Macht gehorchend, die Nachricht sendet. |
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Da hat er den Salat: um drei Uhr geht sein Zug und um drei Uhr ist er zum Verhör kommandirt! |
Wie ein Löwe, der sich noch nicht in der Dressur von Julius Seeth(1) befunden hat, geht der Herr Premier wütend, grollend und brüllend in seinem Käfig auf und ab: er ist gefangen, er kann nicht fort, um einhalb drei Uhr geht sein Zug und um drei Uhr ist er zum Verhör kommandiert. Solche Niedertracht giebt es in den vereinigten fünf Weltteilen nicht wieder! „Scheeren Sie sich raus,” donnert er die Ordonnanz an. Der Herr Gefreite aber steht und rührt sich nicht. „Rrrrrraus,” brüllt der Herr Premier. „Wollen der Herr Lieutenant nicht erst den Zettel unterschreiben?” „Rrrrraus sage ich.” Aber der Herr Gefreite geht nicht, erst muß er die Unterschrift haben. Fluchend unterschreibt der Herr Lieutenant endlich seinen eigenen „Arrestantenzettel”, dann aber flieht der Gefreite von dannen. Herr und Diener bleiben allein zurück. |
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„Berlin, nun sehe ich Dich heute nicht,” stöhnt er, „ wie wirst Du ohne mich den Tag verleben!” Schnell setzt er ein Telegramm auf, damit die Freunde ihn nicht vergebens erwarten. „Hier, Peter, lauf schnell damit zur Post. Was sagst Du nur zu der Geschichte?” Nachdenklich kratzt Peter sich mit der Rechten hinter dem linken Ohr und sagt dann mit dem Brustton tiefinnerster Ueberzeugung: „Das is man asig.” Sein Herr pflichtet ihm bei, nach seiner Meinung ist es sogar noch mehr als asig, aber gegen das „a. B.” ist er machtlos. |
Wieder läuft der Herr Lieutenant im Zimmer auf und ab: er, der vor einer Viertelstunde noch so lebenslustig war, hätte nicht wenig Lust, sich aufzuhängen. Nun kann er heute nicht mehr Berlin erreichen, der schöne Bummel, auf den er sich so gefreut hatte, geht ihm in die Brüche, vergebens werden die Kameraden ihn erwarten. Er setzt ein Telegramm an sie auf und ärgert sich über die fünfzig Pfennig, die er dafür ausgeben muß — ebenso viele Mark hätte er für den Bummel mit Freuden bezahlt. „Hier, Peter, lauf schnell damit zur Post. Was sagst Du nur zu der Geschichte?” Nachdenklich kratzt Peter sich mit der Rechten hinter das linke Ohr und spricht dann mit dem Brustton tiefinnerster Ueberzeugung: „Ja, Herr Lieutenant, das is man was asig.” Sein Herr pflichtet ihm bei, nach seiner Meinung ist es sogar noch mehr als asig, aber gegen das „a. B.” ist er machtlos. Wenn er nur wüßte, wer den Befehl gegeben hätte, ob er vom Bataillon, vom Regiment oder gar von der Kommandantur als Beisitzer bestimmt sei! Jeden, der einen Befehl gegeben hat, kann man bitten — auch wenn dies unmilitärisch ist — ihn wieder rückgängig zu machen. Hier aber ist nichts zu wollen. |
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Als der Herr Premier zur befohlenen Zeit zum Verhör als Beisitzer erscheint, unterschreibt der Angeschuldigte schon das Protokoll. „Seien Sie mir nicht böse,” sagt der Adjutant, „daß ich schon anfing. Ich glaubte, das wäre auch Ihnen lieber, auch Sie brauchen nun nur noch zu unterschreiben.” Da aber reißt dem Herrn Premier die Geduld: „Und deshalb habe ich nicht abreisen können? Wenn Sie der Vater dieses von seltener geistigen Begabung zeugenden Befehls sind, mache ich Ihnen hiermit mein Kompliment.” Er kanzelt den jüngeren Kameraden gehörig ab und geht dann nach Haus in dem stolzen Bewußtsein, dem Tintenkleckser einmal gehörig den Standpunkt klar gemacht zu haben. |
Mit Hilfe seines Burschen — Lieutenants können sich, wie die meisten Damen, nicht alleine anziehen — vertauscht er das Civil wieder mit der Uniform und erscheint pünktlich zu dem befohlenen Verhör. Als er die Thür des Sitzungszimmers öffnet, sieht er, wie der Angeschuldigte das Protokoll schon unterschreibt. „Seien Sie mir nicht böse,” begrüßt ihn der untersuchungsführende Offizier, „daß ich schon angefangen habe. Ich dachte, das würde auch Ihnen lieb sein, Sie brauchen jetzt nur noch Ihren Namen zu ‚unterhauen’, dann sind Sie fertig! Es ist Ihnen doch recht so?” Da aber reißt dem Herrn Premier die Geduld: „Und deswegen habe ich hierbleiben müssen? Deswegen konnte ich nicht fortreisen? Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich finde das einfach hanebüchen von Ihnen. Wenn Sie der Vater dieses von seltener geistiger Begabung zeugenden Befehls sind, so mache ich Ihnen mein Kompliment. Daß Adjutanten klug sind, habe ich schon lange gewußt, daß sie aber so klug sind, erfahre ich erst heute.” Der Herr Premier befindet sich in der denkbar schlechtesten Laune und so kanzelt den jüngeren Kameraden denn ganz gehörig ab. Endlich weiß er nichts mehr zu sagen, schreibt seinen Namen und verläßt, ohne den Kameraden eines Blickes zu würdigen, das Zimmer. Er ist froh, es dem Adjutanten endlich einmal gehörig gegeben zu haben; die Leute sind so groß, halten sich für so unfehlbar und sind derartig von sich überzogen, daß es ihnen gar nichts schadet, wenn ihnen von Zeit zu Zeit einmal gehörig der Standpunkt klar gemacht wird. Im Gegenteil, das ist ihnen sehr bekömmlich. Der Herr Premier ist wohl mit sich zufrieden. |
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Zu Hause angekommen, studirt er den Fahrplan für den nächsten Tag. Um sechs Uhr Morgens will er reisen, er befiehlt Peter, ihn rechtzeitig zu wecken, und begiebt sich dann auf den Bummel, von dem er erst Abends um zwölf Uhr zurückkehrt. |
Im elegantesten Tändelschritt begiebt er sich nach Haus und studiert eingehend den Fahrplan; endlich hat er gefunden, was er sucht, er will am nächsten Morgen um elf Uhr fahren, dann ist er zu einer anständigen Zeit in Berlin und er braucht nicht zu früh aufzustehen. Er giebt seinem Peter die nötigen Instruktionen und geht dann in die Kneipe, wo er zuerst seinen gewaltigen Hunger stillt und dann den Kmeraden seine Heldenthat erzählt, wie er den Adjutanten gehörig auf den Schwung gebracht hat. |
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Da findet er auf seinem Nachttisch einen Brief liegen. Neugierig öffnet er das Couvert und liest:
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Als er am Abend nach Haus kommt, findet er auf dem Nachttisch einen Brief. Die ihm wohlbekannte gelbe Farbe des Couverts sowie die fehlende Freimarke sagen ihm ohne weiteres, daß es sich um eine dienstliche Angelegenheit handelt. Zum Überfluß trägt der Umschlag auch noch den Vermerk: „Militaria”, das raubt die letzten Zweifel. „Nanu? Was ist denn jetzt schon wieder los?” denkt der Herr Premier. „Angenehmes enthält das Schreiben sicher nicht, das beste ist, ich öffne das Couvert erst morgen früh.” Er geht zu Bett und schiebt den Brief weit, weit von sich, aber er kann nicht einschlafen, die Neugierde plagt ihn. Er will nicht unterliegen, er wälzt sich eine Stunde nach der anderen auf dem Lager hin und her, er will einschlafen. Er denkt an die langweiligsten Geschichten, die ihm jemals in seinem Leben erzählt worden sind; er denkt an die grausam langweiligen Kriegsspielabende, denen er beiwohnen mußte; er denkt an die jeder Beschreibung spottenden Kritiken, die er anhörte und bei denen er sonst im Stehen einschlief; er rechnet aus, wie viel Sekunden er noch bis zum Hauptmann hat; er denkt an Morphium, an Dantes Göttliche Komödie, an Klopstock, Messias und alle anderen Schlafmittel. Er steht auf, geht an den Vogelkäfig, nimmt sich Sand heraus und streut es sich selbst in die Augen, weil der Sandmann immer noch nicht kommen will. Er besucht im Geiste gleichzeitig sämtliche Kommiß–Peccos, die er hat über sich ergehen lassen müssen und auf denen er abends um neun Uhr aus Langeweile schon todmüde war. In Gedanken geht er über den zwei Kilometer langen Exerzierplatz „sprungweise” vor — um die Sache möglichst der Wirklichkeit nachzubilden, streckt er sogar die Zunge bis zu jener Stelle seiner Heldenbrust aus, wo unter normalen Bedingungen der dritte Rockknopf sitzt — es hilft alles nichts, er schläft nicht ein, er kann nicht schlafen, erst muß er wissen, was in dem Briefe steht. Er zündet sich das Licht an und öffnet das Couvert — aber als er es gelesen, ist seine Ruhe erst recht dahin.
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Das ist derselbe, dem der Herr Premier am Nachmittag gehörig seine Meinung gesagt hat. „Solch infamer Kanarienvogel,” wüthet der Herr Premier, „nun kann ich morgen früh wieder nicht reisen! Na wart' geliebter Alexander, wir sprechen uns einander!” Natürlich hat er sich bei seinem Major darüber beschwert, daß ich ihm grob geworden bin, und nun will dieser mir wieder grob kommen. Die Sache kann genußreich werden. |
Das ist derselbe, dem der Herr Premier am Nachmittag einmal gehörig seine Meinung gesagt hat. „Solch infamer Kanarienvogel,” wüthet der Herr Premier in seinem Bett, „diese Niedertracht, das Wort ‚sämtliche’ zu unterstreichen, das geht auf mich. Mit seinem Unterthansverstand wird er sich sagen, daß ich morgen früh reisen will, und um mir die Freude zu rauben, hat er mich schnell bei dem Kommandeur verklagt. Mit welchem Raffinement er die Stunde der Besprechung ausgewählt hat, er muß sogar das Kursbuch studiert haben. Na wart' geliebter Alexander, wir sprechen uns einander!” Der Herr Premier befindet sich in der denkbar schlechtesten Laune. Der Ärger, daß er nun auch morgen früh wieder nicht reisen kann, macht dem weit größeren Verdruß Platz, daß er sich von dem jungen Lieutenant, dem er vorhin so gewaltig die Wahrheit sagte, etwas befehlen lassen muß. Das bringt sein Blut in Wallung, läßt ihn die Fäuste ballen und mit den Zähnen knirschen. Es ist nicht jedermanns Sache, sich von jedermann etwas befehlen zu lassen und gehorchen zu müssen. Die Zahl der Vorgesetzten ist Legion, denn jeder nur um einen Tag „militärisch” Ältere kann dem Jüngeren als Vorgesetzter gegenübertreten. Aber auch der jüngste Lieutenant des Regiments kann zuweilen dem ältesten Premier einen Befehl erteilen, dem dieser gehorchen muß; der Jüngere legitimiert sich dann durch das „A. B.” als Bevollmächtigter. Einem Älteren gehorchen zu müssen, ist fürchterlich — wahrhaft grausig ist es, einem Jüngeren unterthan zu sein. Auch die Adjutanten und die Herren Schreiber sind Menschen und könnenn irren. Zuweilen irren sie sich sogar absichtlich, wer will es ihnen verdenken? Als eins der vielen Geheimbücher, die das Auge eines gewöhnlichen Sterblichen nicht einmal von außen betrachten darf, liegt auf jedem Bureau eine Kommandierrolle für die einzelnen Kommandos, als da sind: „Ortsdienst, Kirche, Brotempfang, Kasernendienst” und andere schöne Sachen. Bei der Verteilung der Kommandos soll die größte Gerechtigkeit herrschen, es soll der Reihe nach gehen, aber du großer Gott, zwischen Theorie und Praxis ist ein großer Unterschied. Die wenigsten Lieutenants gehen gerne zur Kirche und kein Lieutenant geht bei schlechtem Wetter gerne nachts um zwei Uhr stundenlang Ronde. Da sucht man denn den Adjutanten auf: „Bitte, kommandieren Sie doch, falls ich an der Tour sein sollte, für mich einen anderen Kameraden, ich habe eine Verabredung, die ich nicht gerne aufgeben möchte.” Steht der Bittende bei dem Adjutanten oder bei dem Schreiber in Gunst, so wird der Wunsch natürlich erfüllt, im entgegengesetzten Falle bedauert der „Tintenspion” sehr, keinen anderen kommandieren zu können: „Es geht immer der Reihe nach, wen das Geschick ereilt, den trifft es, da ist nichts zu machen.” „Ja, ja, so ist es,” knurrt der Herr Premier ingrimmig vor sich hin, „es giebt keine Gerechtigkeit mehr auf Erden, beim Militär am allerwenigsten. Unter dem Deckmantel „A.B.” läuft alles mögliche in der Welt herum. Der Herr Major bekommt die Kommandierrolle nur in die Hand, wenn sich irgend ein Lieutenant über ein ihm ungerecht scheinendes Urteil beschwert, sonst sagt er einfach zu seinem Adjutanten: „Kommandieren Sie die Offiziere.” Der kommandiert dann darauf los, oft sieht er auch gar nicht selbst in das Buch hinein, sondern sagt zu seinem Schreiber: „Kommandieren Sie.” Der Schreiber kommndiert, der Lieutenant muß gehorchen, das machen die beiden Buchstaben „A.B.”. „So, nun habe ich mich aber wirklich genug geärgert,” denkt der Herr Premier, „nun will ich schlafen. Daß ich morgen nun auch noch, anstatt nach Berlin zu fahren, mich in diesem elenden ‚Lauseloch’” (jeder Lieutenant nennt seine Garnison so) „aufhalten muß, ist ja zwar fatal, aber bei einem langen Urlaub kommt es auf einen Tag mehr oder weniger ja nicht an. Was der Major mir morgen sagen wird, ist mir ganz gleichgültig, man ist ja Kummer und Schmerzen gewöhnt, meine Urlaubsfreude werde ich mir durch ihn nicht rauben lassen. Darauf, daß er mir saugrob werden wird, bin ich gefaßt, denn er hat ja an seinem Adjutanten einen Narren gefressen, und wer dem grob wird, bekommt es mit dem Alten zu thun, das kenne ich ja schon. Na, nun aber sage ich mir selbst: ‚Gute Nacht.’” |
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Der Herr Major führt den Beinamen „der Grobian”, und wahrlich nicht ohne Grund. Er hatte einmal einen jungen Offizier derartig angehaucht, daß dieser ohnmächtig zusammenbrach. Stolz hatte der Herr Major das Werk seines Mundes betrachtet und dann das große Wort gesprochen: „Das soll mir erst mal Einer nachmachen.” Bis jetzt aber war dies Kunststück noch Keinem gelungen. |
Aber er schläft trotzdem nicht ein: Die bevorstehende Offiziersbesprechung liegt ihm schwer auf dem Magen. Sein Bataillonskommandeur führt den Beinamen „Der Grobian”, und wahrlich nicht ohne Grund: er hatte einmal einen jungen Offizier derartig „angehaucht”, daß dieser ohnmächtig zusammenbrach. Stolz hatte der Herr Major das Werk seines Mundes betrachtet und dann das große Wort gesprochen: „Das soll mir erst mal einer nachmachen.” Bis jetzt war dies Kunststück noch keinem gelungen. Unruhig wälzt sich der Herr Premier auf seinem Lager hin und her. Der Schlaf will nicht kommen. Er will es sich nicht eingestehen und gesteht es sich auch nicht ein, aber die Thatsache bleibt deshalb doch bestehen: er hat ganz gewaltige Manschetten. Er fürchtet sich vor der Offiziersbesprechung. Er ist der älteste Premierlieutenant nicht nur des Bataillons, sondern des ganzen Regiments und er hat somit Aussicht, wenn er nicht vorher stirbt, noch einmal Hauptmann zu werden. Je älter der Mensch ist, desto schwerer wird es ihm, sich wie ein dummer Junge behandeln und öffentlich abkanzeln zu lassen. Und an der Öffentlichkeit wird es nicht fehlen: Alle sind geladen, der erhebenden Feier beizuwohnen. Wer geladen ist, kommt auch, Absagen und Abhaltungen giebt es nicht — sie alle kommen, der älteste Kapitän des Bataillons und der jüngste Lieutenant und coram publico wird er etwas auf den Hut bekommen, daß ihm die Haare ausgehen werden. Das ist scheußlich — er war von jeher ein großer Gegner der Öffentlichkeit bei dem Militärgerichtsverfahren — jetzt ist er es noch mehr als früher. Wird er öffentlich heruntergemacht, so leidet sein Ansehen bei den jüngeren Kameraden, denen er als ein Muster in dienstlicher und außerdienstlicher Hinsicht gelten soll und muß. Oft kommt er in die Lage, den Lieutenants des Regiments seine Meinung sagen zu müssen — hören diese nun, daß auch er nicht frei von Schuld und Fehle bewahrt hat seine Lieutenantsseele, so riskiert er, daß die jungen Kameraden, wenn er sie in Zukunft aus irgend einem Grunde einmal wieder rektifizieren muß, leise das Lied anstimmen: „Du bist der beste Bruder auch nicht.” Sobald die Untergebenen merken, daß der Vorgesetzte auch nur ein Mensch ist, sobald der göttliche Nimbus schwindet, mit dem er sich selbst zu umgeben pflegt, sobald sie nicht mehr an seine Unfehlbarkeit glauben, ist er unten durch. Dann kann er sich nur ruhig einen Dampfer bauen lassen und nach Patagonien auswandern, dann hat er seine Rolle ausgespielt. Das sagt sich der Herr Premier alles, während er sich andererseits sagt, daß es viel verständiger wäre, einzuschlafen. Aber erst können vor Lachen, ich meine vor Grausen. Gegen Morgen erbarmt sich der Schlaf endlich seiner und stärkt seine Glieder für die Schrecken, die ihm bevorstehen. |
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Pünktlich stellt der Herr Premier sich am nächsten Mittag im Kasino ein, gleich darauf erscheint auch der Herr Major. |
Pünktlich zur befohlenen Zeit stellt sich der Herr Premier im Kasino ein, wo er bereits mit Ungeduld erwartet wird. Selbst „der Grobian” ist schon anwesend — durch einen schnellen Blick auf die Uhr überzeugt sich der Sünder davon, daß er trotzdem nicht zu spät gekommen ist. Er atmet dreimal erleichtert auf — einmal genügt nicht bei der Angst, die seine Heldenbrust zusammenschnürte. „Ich melde mich gehorsamst zur Stelle.” Keiner nimmt von ihm Notiz, kaum, daß die Kameraden seinen Gruß erwidern, er ist der Sünder — wer wird es wagen, öffentlich für einen Schuldigen Partei zu ergreifen, ihm öffentlich die Hand zu geben? Damit würde oder könnte man vielleicht in den Augen des Herrn Majors in falschem Lichte erscheinen, der „Grobian” könnte daraus schließen, daß man die Ansichten des Delinquenten teilte und man würde dann vielleicht, nein sicher, auch gewaltig angehaucht werden. Nein, das giebt es nicht, da hört die viel gerühmte Kameradschaft auf. |
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„Meine Herren,” beginnt der Gestrenge, „ich habe Sie hierher gebeten, um mit Ihnen über die Wichtigkeit der beiden Buchstaben „a. B.” zu sprechen, über deren Bedeutung völlige Unklarheit zu herrschen scheint. Denken Sie sich, was gestern ein Lieutenant des Bataillons sich geleistet hat, und zwar nicht ein junger, dessen Handlungsweise man mit Unkenntniß entschuldigen könnte, sondern der älteste Lieutenant des Bataillons, dessen Namen ich nicht nennen will, um ihn nicht bloßzustellen.” |
„Meine Herren,” beginnt der Gestrenge, „ich habe Sie zunächst um Verzeihung zu bitten, daß ich Ihre freie Zeit am Sonntag Vormittag in Anspruch nehme.” Alle sehen sich erstaunt an, der Grobian bittet um Verzeihung, er ist höflich, sollte er sein physisches oder militärisches Ende fühlen? „Aber es ging nicht anders, meine Herren, denn der, um dessen willen wir uns hier versammelt haben, trägt sich mit dem Gedanken, morgen auf Urlaub zu fahren, ob etwas daraus wird, ist eine andere Sache. Ich möchte gleich sagen, daß der betreffende Herr schon gestern, als sein Urlaub noch gar nicht begonnen hatte, abreisen wollte — über das unglaublich Unmilitärische dieser Absicht offen und frei meine Ansicht zu sagen, behalte ich mir bis zum Schluß vor.” „Vorläufig handelt es sich um eine andere Sache, meine Herren,” fährt der Major fort, „nämlich um die Bedeutung der beiden Buchstaben ‚A. B.’. Es hat sich gestern herausgestellt, daß über deren Sinn völlige, unbegrifliche Unklarheit herrscht und ich halte es für meine Pflicht, Sie eingehend darüber zu belehren. Ich glaube das am besten in der Weise zu thun, daß ich Ihnen die falsche, zu Tage getretene Auffassung mitteile und daß ich Ihnen dann meine eigene Ansicht sage. Denken Sie sich also, was sich gestern ein Lieutenant des Bataillons geleistet hat und zwar nicht ein junger, dessen Handlungsweise man mit Unkenntnis und Unerfahrenheit entschuldigen könnte! sondern der älteste Lieutenant des Bataillons — seinen Namen will ich, um ihn nicht zu sehr bloß zu stellen, nicht nennen.” |
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„Diese Rücksichtnahme auf meine Person beschämt mich auf das tiefste und ich weiß nicht, wodurch ich sie verdient habe,” denkt der Herr Premier, „ob Du aber meinen Namen nennst oder mich, wie Du es gethan, mit mathematischer Genauigkeit bezeichnest, ist Jacke wie Hose.” |
„Diese Rücksichtnahme auf meine Person beschämt mich auf das tiefste und ich weiß nicht, wodurch ich sie verdient habe,” denkt der Herr Premier, „aber ob Du nun meinen Namen nennst oder mich, wie Du es gethan, mit mathematischer Genauigkeit bezeichnest — das ist Jacke wie Hose. Mein Inkognito ist gelüftet.” „Herr,” donnert da der Herr Major ihn an, „Sie scheinen Ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, während ich hier spreche, Herr, das verbitte ich mir, verstehen Sie wohl?” Ach und nun geht's los, armer, armer Premier, was mußt Du Dir alles sagen lassen, welches Ungewitter entladet sich über Deiner mit so vielem Geschmack gemachten Frisur! |
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„Meine Herren,” fährt der Herr Major fort, „wer sich gegen die beiden Buchstaben „a. B.” auflehnt, der lehnt sich gegen den auf, in dessen Namen der Befehl gegeben wurde, und das war in diesem Falle — ich.” Selbst Louis kann in keiner schöneren Pose gestanden haben, als er sein berühmtes „l'etat c'est moi” sprach. Alle bekommen es mit der Angst, als der Herr Major stolz das „Ich” in die Welt hinausruft — nur Einer nicht, der Adjutant. Der denkt: „Euch geschieht ganz Recht, warum wagt Ihr, Eure eigenen Gedanken zu haben.” Und dem Herrn Premier werden seine eigenen Gedanken ganz gewaltig ausgetrieben — er denkt sich nicht viel dabei, er denkt nur: „Laß ihn nur reden, heute Mittag bin ich in Berlin Unter den Linden, da könnt Ihr mir Alle gewogen bleiben.” Aber plötzlich zuckt er schmerzlich zusammen: „Herr Lieutenant,” bemerkt der Herr Major, „ich werde noch heute mit dem Herrn Oberst sprechen und Ihre Bestrafung erbitten. Dadurch, daß Sie den Adjutanten zur Rede stellten, stellten Sie mich zur Rede, und das lasse ich mir nicht gefallen.” Armer Herr Premier, es ist die alte Geschichte, wenn der Mensch Pech haben soll, hat er es gleich gründlich. |
„Wer sich gegen die beiden Buchstaben ‚A. B.’ auflehnt, der lehnt sich gegen den auf, in dessen Namen der Befehl gegeben wurde, und das war in diesem Falle — ich.” Selbst Louis kann in keiner schöneren Pose gestanden haben, als er sein „l'etat c'est moi” sprach, als der Herr Major in disem Augenblick, da er mit seines Basses Grundgewalt das „ich” in die Welt schleuderte. Alle, die es hören, bekommen es mit der Angst, nur einer nicht, der Adjutant. Der steht hinter seinem Kommandeur und die Schadenfreude spricht aus seinem Gesicht: „;Euch geschieht ganz Recht und Dir, mein sehr verehrter Herr Premier, an der Spitze. Warum wagtest Du es, mich zur Rede zu stellen, Du gabst mir etwas auf den Hut, ich hielt still, nun halte Du auch still.” Und der Herr Premier muß nolens volens stillhalten. Er hält still und er steht still — unbeweglich — nur einmal zuckt er schmerzlich zusammen, als der Herr Major sagt: „Ich werde noch heute dem Herrn Oberst die Sache vortragen und um Ihre Bestrafung bitten, ich wiederhole es: dadurch, daß Sie den Adjutanten zur Rede stellten, stellten Sie mich zur Rede und das lasse ich mir nicht gefallen, darauf können Sie so viel Eide schwören wie Sie wollen.” Noch eine halbe Stunde tobt der Herr Major, dann weiß selbst er nichts mehr zu sagen, die Besprechung ist zu Ende. Zu Ende? Nein, das dickste Ende kommt noch nach. |
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Fünf Stunden später ist der Herr Premier mit drei Tagen Stubenarrest bestraft. |
Fünf Minuten später ist der Herr Premier mit drei Tagen Stubenarrest bestraft, weil er einen Vorgesetzten wegen eines ihm erteilten Befehles zur Rede gestellt hat. Nun ist es wieder nichts mit der Reise nach Berlin, nun muß er sogar drei Tage warten. Armer Herr Premier, es ist eine alte Geschichte, wenn der Mensch Pech haben soll, hat er es gleich gründlich. |
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Drei Tage lang sitzt der arme Lieutenant in seiner Wohnung und lernt, damit ihm in Zukunft nicht wieder Aehnliches passirt, das militärische Alphabet auswendig: A = a. Als der Herr Premier so weit gekommen ist, hält er erschrocken inne und fängt wieder von Neuem an. Die Stunde, in der er das „a. D.” kennen lernt, wird auch für ihn noch früh genug kommen, warum in die Ferne schweifen? Vorläufig hat er an dem „A. B.” mehr als genug. |
Drei Tage lang sitzt der arme Lieutenant in seiner Wohnung und lernt, damit ihm Aehnliches in Zukunft nicht wieder passirt, das Alphabet auswendig: A = a. >Als der Herr Premier so weit gekommen ist, hält er erschrocken inne und fängt wieder von vorne an. Die Stunde, in der er das „a. D.” kennen lernt, wird auch für ihn noch früh genug kommen, warum in die Ferne schweifen? Vorläufig hat er an dem „A. B.” mehr als genug. |
(1) Julius Seeth (1863 - 1939) war ein deutscher Löwendompteur. (zurück)