Zwei Brüder.

(In der Buchausgabe lautet der Titel „Zwie Brüder”)

Erzählung von Freiherrn von Schlicht.
in: „Um Ehre.”.


In dem Offizierkasino des Infanterie-Regiments Nr.X war großes Liebesmahl. Leutnant von Kurzbach II, oder wie die Kameraden ihn nur nannten, der „Boy” feierte seinen Geburtstag. Wenige im Regiment erfreuten sich einer so allgemeinen Beliebtheit bei den Kameraden und Vorgesetzten wie er, und so hatten sich nicht nur die Junggesellen, sondern auch die Verheirateten, an ihrer Spitze der Kommandeur, vollzählig eingefunden. Es war eine zahlreiche, glänzende Versammlung, die an der festlich geschmückten Tafel saß, an der das Geburtstagskind seinen Platz dem Oberst gegenüber hatte.

Der Kommandeur war es auch, der selbst den Toast ausbrachte: „Meine Herren, wir feiern heute den Tag, an dem vor fünfundzwanzig Jahren die beiden Kurzbach geboren wurden, die wir mit Stolz die unsrigen nennen. Wir alle bedauern es, daß der eine Zwillingsbruder heute nicht in unserer Mitte weilt, sondern sich auf Urlaub befindet. Der andere Zwilling, wenn ich mich so ausdrücken darf, ist aber bei uns, und wir danken ihm, daß er uns wenigstens Gelegenheit giebt, den heutigen Tag mit ihm zusammen zu feiern. Meine Herren, wir wissen alle, was wir an den beiden Brüdern haben, vieler Worte bedarf es da nicht. Von ganzem Herzen wünschen wir Ihnen, lieber Kurzbach, daß das neue Lebensjahr für Sie und Ihren Herrn Bruder dienstlich und außerdienstlich ein recht, recht glückliches sein möge. Meine Herren, die beiden Geburtstagskinder, das Zwillingspaar, es lebe: Hurra, Hurra, Hurra!”

Hell klangen die Gläser aneinander, die Kapelle blies einen Tusch und spielte dann die Melodie des bekannten Liedes: „So zwei Brüder, brav und bieder, so wie wir die giebt's nicht wieder.”

Das war ein Scherz, den der Adjutant in jedem Jahr anordnete, und der auch heute nicht seine Wirkung verfehlte. Erst leise, dann immer lauter sang die Tafelrunde den Text mit, und fröhliches Lachen ertönte überall.

„Haben Sie schon Nachricht heute von Ihrem Herrn Bruder?” fragte da der Kommandeur freundlich. „Haben Sie sich gegenseitig geschrieben?”

„Otto scheint seinen und meinen Geburtstag ganz vergessen zu haben,” erwiderte der junge Leutnant, „sehr schreiblustig ist er überhaupt nicht, ich habe seit mehr als acht Tagen keine Nachricht von ihm.”

„Na, solche brüderliche Vernachlässigung würde ich mir aber nicht gefallen lassen,” erwiderte der Oberst scherzend, „wo steckt Ihr Herr Bruder denn eigentlich?”

„Auch das weiß ich nicht einmal, Herr Oberst, der letzte Brief war aus Hamburg.”

„Das finde ich aber wirklich sehr unfreundlich, Sie so schlecht über seinen Aufenthalt zu unterrichten — Schreiben Sie ihm nur von mir, wenn er Ihnen nicht fleißiger Nachricht schickte, würde ich ihm das nächste Mal keinen Urlaub geben.”

In demselben Augenblick näherte sich dem Geburtstagskind eine Ordonnanz und überreichte ihm auf einem Teller ein Telegramm.

„Na ja also, da ist ja der brüderliche Glückwunsch,” sagte der Oberst, „nun ist ja alles in Ordnung.”

Hastig ergriff der junge Offizier die Depesche: „Gestatten der Herr Oberst? —”

„Aber selbstverständlich,” lautete die Antwort.

Leutnant von Kurzbach löste die Oblate und faltete das Papier auseinander.

„Nun, wo ist denn Ihr Herr Bruder?” fragte der Kommandeur voll freundlicher Teilnahme den jungen Offizier — der aber blieb ihm die Antwort schuldig und schien gar nichts zu hören und zu bemerken von dem, was um ihn herum vorging. Mit zitternden, bebenden Händen hielt er das Papier, auf das er mit stierem Blick hinstarrte. Angst, Verzweiflung und Entsetzen sprachen aus seinen Zügen, und eine fahle Totenblässen bedeckte sein sonst so rotwangiges, jugendfrisches Antlitz.

„Um Gottes willen, es ist doch kein Unglück passiert ” fragte der Oberst, der in dem Gesicht seines Gegenüber die schreckliche Verwandlung bemerkte: „Ihr Herr Bruder ist doch nicht krank?”

Bei der lauten Frage des Vorgesetzten kam er wieder zu sich, er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, auf der kalter Schweiß perlte, und strich durch die dichten, blonden Locken. Dann gab er sich, wie man als Soldat zu sagen pflegt, einen innerlichen Ruck, und mit einem Mal hatte er seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen. Er faltete das Telegramm ruhig zusammen und steckte es in die innere Brusttasche seines Ueberrocks, dann sagte er: „Ich bitte um Verzeihung, Herr Oberst, wenn ich mich nicht genug beherrscht habe. Die Depesche bringt mir eine unangenehme Nachricht, sie ist nicht von meinem Bruder.”

„So, so, Gott sei Dank,” klang es zurück, „ich fürchtete schon das Schlimmste. Nun lassen Sie sich den heutigen Tag nur nicht verderben — so manches, was im ersten Augenblick uns trübe und traurig erscheint, wendet sich oft zum guten. Aus manchem Glück ward schon oft ein Unglück und umgekehrt. Möchte sich auch bei Ihnen dies Wort bewahrheiten, darauf leere ich mein Glas.”

„Der Herr Oberst sind wirklich zu liebenswürdig.” Fritz von Kurzbach war aufgestanden und leerte sein Glas auf einen Zzg, um dann nach höflicher Verneigung gegen den Kommandeur sich wieder hinzusetzen.

Die Unterhaltung wurde allgemeiner, auch die Nachbarn zogen das Geburtstagskind ins Gespräch, und kaum waren die Lichter auf den Tisch gestellt und die Cigarren herumgereicht, als auch schon die jungen Kameraden kamen, um Kurzbach zu entführen. „So, Fritze, alter Boy, für die nächsten vierundzwanzig Stunden setzest du dich nun hier bei uns her. Wenn du glaubst, dich den ganzen Abend bei den hohen und höchsten Vorgesetzten einschmeicheln und in ein gutes Licht setzen zu können, so irrst du dich! Wir wollen auch etwas von dir haben und zwar nicht zu wenig. Und nun Prosit.”

Wieder klangen die Gläser aneinander, aber Fritz nippte nur an seinem Sektkelch. „Seid nicht böse,” bat er, „mir ist ganz erbärmlich zu Mut, thut mir den einzigen Gefallen, und laßt mich bald nach Haus gehen. Der Oberst geht gleich, dann möchte auch ich verschwinden.”

„Na, so etwas ist doch noch nie dagewesen,” klang es zur Antwort, „erst stürzen wir uns deinetwegen in Unkosten, und dann willst du dich drücken, das giebt es nicht.”

Aber als sie sein bleiches Gesicht sahen, als sie das Zittern und Beben bemerkten, das durch seinen Körper ging, ohne daß er es hätte unterdrücken können, da wurden sie besorgt um ihn und bestanden selbst darauf, daß er ging.

Wenig später schon hatte er seine Wohnung erreicht, der Bursche machte ein sehr erstauntes Gesicht, seinen Herrn so früh zu Haus zu sehen, und fragte, ob er noch irgend etwas besorgen solle, ob der Herr Leutnant vielleicht noch Besuch bekäme —

Der junge Offizier winkte seinem Burschen zu gehen: „Ich habe weiter nichts, laß mich allein.”

Kopfschüttelnd verschwand der Bursche, solche Geburtstagfeier war ihm denn doch noch nicht vorgekommen, da feierte er denn doch ganz anders!

Der Offizier war allein, allein mit sich und seinen Gedanken, die so wild auf ihn einstürmten, daß er nicht klar zu sehen, nicht ruhig zu überlegen vermochte.

Immer und immer wieder las er das Telegramm, das die Worte enthielt: „Dem besten Bruder die herzlichsten Glückwünsche. Ich komme nicht wieder. Verzeihe mir.”

Wie war das möglich? Wie hatte so Entsetzliches geschehen können? Wie war es möglich, daß sein Bruder noch lebte, daß er sich nicht lieber eine Kugel durch den Kopf jagte und damit seine Schuld sühnte, als daß er zu der alten Schuld eine neue hinzufügte? Für leichtsinig hatte er den Bruder immer gehalten und nicht ohne Grund, aber für schlecht nie. Er dachte zurück an die vielen, vielen Jahre, in denen sie gemeinsam erzogen und erwachsen waren; im Fluge ging das ganze bisherige Leben an ihm vorüber.

Im Kadettenkorps waren sie groß geworden — ihre Geburt hatte der Mutter das Leben gekostet, und auch der Vater war, als sie kaum acht Jahre alt waren, einem alten Leiden erlegen. Der Wunsch des Vaters war es gewesen, daß seine Söhne Offiziere werden sollten, wie auch er in den früheren Jahren es gewesen war. Innige Freundschaft, treueste Bruderliebe verband die Geschwister, die nun ganz auf sich allein angewiesen waren, die nur ganz entfernte Verwandte besaßen, bei denen sie zuweilen ein [sic! D.Hrsgb.] Teil der Ferien zubrachten, und die genug zu thun glaubten, wenn sie die immer hungrigen Kadetten einmal gehörig herausfütterten. Sonst kümmerte sich kein Mensch um sie, sie hatten kein Haus, in dem sie verkehrten, keine Familie, in der eine edle Frau auf die Ausbildung ihrer Seele und ihres Charakters ein wachsames Auge hatte. In der strengen, männlichen Zucht des Kadettenkorps wuchsen sie auf, und beide waren fleißige begabte Schüler, gute Soldaten. Beide leisteten sie gleich Gutes, auf ihren Zeugnissen hatten sie stets dieselben Censuren, ihr Wissen war in allen Fächern dasselbe. Wie sie sich äußerlich zum Verwechseln ähnlich sahen, so anscheinend auch innerlich. Sie hatten dieselben Neigungen, dieselben Interessen, dieselben Freunde und Feinde.

Immer näher kam der Termin, an dem sie in die Armee eintreten sollten und endlich auch der heißersehnte Tag, an dem die Kadetten vor ihrem Scheiden aus dem Korps ihrem Kaiser vorgestellt wurden.

Mit Wohlgefallen ruhten die Augen des obersten Kriegsherrn auf den beiden schlanken, hübschen Kadetten.

„Wohl Brüder?” fragte er scherzend.

„Zwillinge,” klang es wie auf Kommando gleichzeitig aus beider Mund.

„Wollt ihr zusammenbleiben oder getrennt werden?” fragte der hohe Herr gnädig weiter.

„Zusammenbleiben, Majestät,” ertönte wieder die prompte Antwort.

„Wir wollen sehen, was sich machen läßt,” lautete der freundliche Bescheid, und nach glänzend bestandenem Examen wurden die beiden Brüder auf Allerhöchsten Befehl demselben Regiment als Fähnriche zugeteilt.

Der strengen Zucht des Korps entronnen, zeigte sich aber bald, daß die Charaktere der Brüder verschieden waren. Fritz war ein gediegener, ruhiger, ernster Charakter, während Otto jetzt in der Freiheit übermütig und leichtlebig wurde. Am Tage ihrer Mündigkeit, als sie beide zwei Jahre Offizier waren, erhielten sie die freie Verfügung über das von ihren Eltern ererbte, nicht unbedeutende Vermögen, und Otto, der bisher ebenso wie sein Bruder mit einer nur geringen Zulage, die der Vormund zahlte, hatte auskommen müssen, sah sich nun im Besitz von großen Barmitteln, die nach seiner Meinung unerschöpflich waren. Schon vom ersten Tage an lebte er über seine Verhältnisse und reichte nicht mit seinem Geld, schon im ersten Jahr griff er das Kapital an. Vergebens waren die Bitten und Vorstellungen des Bruders, ihm die gemeinsame Verwaltung des Vermögens zu übertragen und es so anzulegen, daß nicht jeden Tag eine Summe erhoben werden könnte. Aber Otto ging nicht darauf ein: „Du hast dein Geld, ich hab mein Geld, das ist viel besser als gemeinsame Kasse. Und schilt mich nicht, wenn ich einmal etwas zu viel gebrauche, dafür bin ich dann ein anderes Mal solide und schränke mich wieder ein. Du hast das Blut der Mutter, ich das des Vaters, schilt mich nicht mehr.”

Und der Bruder hatte das Schelten aufgegeben, weil es, wenigstens vorläufig, zwecklos war. „Mit der Zeit wird er schon vernünftig werden,” dachte er.

Im Regiment erfreute Fritz sich der größten Beliebtheit, und das stimmte ihn oft seines Bruders wegen traurig. Was man Otto verdachte, war, daß er sich häufig von den Kameraden absonderte, daß er die Kameradschaft nicht genug pflegte. Er ging oft seine eigenen Wege, ohne selbst seinen Bruder wissen zu lassen, wo er war. Dennoch war auch Otto beliebt und ein Offizier, der sich im Dienst nicht das geringste zu schulden komen ließ.

Die Brüder wohnten zusammen. Jeder von ihnen sollte die Hälfte der Miete bezahlen; aber um seinem Bruder, der nie mit seinen Zinsen reichte, eine Hilfe zu bieten, bezahlte Fritz stets den ganzen Betrag, ja, oft beglich er für den Bruder auch die Kasinorechnung.

Zu wiederholten Malen war es zwischen den Brüdern deswegen zur Aussprache gekommen: „Sag' mir doch nur, Otto, wo bleibst du mit dem Geld? Ich verstehe es nicht, wofür du alles ausgiebst,” hatte Fritz einmal gesagt, „wollen wir nicht einmal zusammenrechnen, genau festsetzen, wie viel du im Jahr für die einzelnen Sachen ausgeben kannst? Vor allen Dingen sage mir: wie oft hast du das Kapital angegriffen? Wieviel hast du noch? Und noch eins will ich wissen, der Wahrheit gemäß: spielst du?”

Otto antwortete ausweichend: „Was heißt spielen? Daß man hin und wieder nach einem großen Diner einmal die Karten zur Hand nimmt, ist ja eigentlich ganz selbstverständlich; man kann sich nicht immer so ausschließen, wie man möchte.”

„Thu' alles, was du willst,” bat Fritz, „gieb dein Geld aus mit vollen Händen, nur das schwöre mir, daß du nie, nie mehr eine Karte anrühren willst.”

„Wie mann man nur so etwas verlangen?” gab Otto zur Antwort, „ich bin doch kein Kind mehr und weiß ganz genau, was ich thue.”

Die Bitte seines Bruders schien auf Otto aber doch einigen Eindruck gemacht zu haben. Er wurde ruhiger, solider und blieb öfter als sonst des Abends im Kameradenkreise, und in dieser Zeit erzählte er seinem Bruder zum erstenmal davon, daß er sich um die Hand einer in der ganzen Stadt bekannten Schönheit bewürbe. „Sie vereinigt in sich alle Vorzüge,” lobte Otto, „sie ist hübsch, aus vornehmem Hause, sehr reich, und vor allen Dingen habe ich sie sehr lieb.”

„Und weißt du, ob sie deine Neigung erwidert?” fragte Fritz.

„Ich glaube mit aller Bestimmtheit auf ein ,ja' bei meinem Antrag rechnen zu können,” gab Otto zur Antwort, „in einem Monat ist das Trauerjahr für ihre Mutter abgelaufen, dann will ich in aller Form um ihre Hand anhalten, und dann, Bruder,” setzte er jubelnd hinzu, „wenn sie einwilligt, wenn sie meine Frau wird, dann paß auf, dann beginnt ein ganz anderer Lebenswandel, dann lebe ich so solide, daß kein Mensch mich wieder erkennt. Dann haben auch endlich diese schauderhaften Geldgeschichten ein Ende, und dann mache ich es so, wie du mir einmal rietest: dann laß ich den Schwiegervater das Kapital so anlegen, daß ich nur die Zinsen in die Hände bekomme. Weißt du, solch Vermögen schrumpft doch gewaltig zusammen, wenn man alle Monat oder noch öfter einen Posten abhebt.”

In seiner Herzensfreude hatte er offener und aufrichtiger über seine Verhältnisse gesprochen als je.

Anscheinend ruhig, aber voller Angst und Furcht, fragte Fritz: „Sag' mal, Otto, hast du überhaupt noch Vermögen?”

„Viel nicht, geliebter Großinquisitor, aber etwas ist doch noch da, ich glaube so zwei- oder dreitausend Mark.”

„Das ist alles?” Entsetzt sah Fritz den Bruder an.

„Ja, Liebster,” gab Otto heiter zur Antwort, „das ist alles, aber das ist mehr als genug. Bis ich verheiratet bin, langt es, und dann habe ich so viel Geld, daß ich gar nicht weiß, wohin ich damit soll. Morgen bin ich auf einem Diner mit meinem zukünftigen Schwiegervater zusammen, er hat schon so oft nach dir gefragt, warum hast du zu morgen abgesagt?”

„Weil ich Ortsdienst habe,” lautete die Antwort, „geh' nur allein, und von ganzem Herzen wünsche ich dir, daß dir zuteil wird, was du ersehnst.”

Erst spät in der Nacht kam Otto von dem Herrendiner zurück, und Otto erschrak bei dem Anblick seines Bruders.

„Otto, was giebt's? Hast du mit dem Vater gesprochen und hat er dich zurückgewiesen?”

„Nein, nein,” lachte Otto gezwungen, „das giebt es nicht. Bin ich der Tochter sicher, so habe ich auch die Einwilligung des Vaters. Und soweit bin ich noch nicht.”

„So habt ihr gespielt, und du, du hast verloren? Wie viel ist's? Sprich, ich will dir helfen, wenn es sein muß!”

Angst und Verzweiflung sprachen aus den Zügen des Bruders, und krampfhaft umschloß er Ottos Hand.

„Wer wird sich denn so erregen?” erwiderte Otto, „ja, wir haben gespielt, und ich habe Pech gehabt, scheußliches Pech, nicht eine einzige Karte schlug für mich, und die Aufregung, in die ich schließlich geriet, ließ mich unüberlegt darauf lossetzen, ließ mich die Warnungen der Freunde überhören.”

„Und wieviel hast du verloren? Nenne mir die Summe, ich will sie wissen, verstehst du, ich will!”

Zum erstenmal trat Fritz mit Energie und mir Bestimmtheit gegen seinen Bruder auf, und dies verfehlte seine Wirkung nicht. Otto schlug beschämt den Blick zu Boden und nannte die Summe.

Wie vom Blitz getroffen taumelte Fritz zurück: „Sechzigtausend Mark? Sag', daß du übertreibst, daß du mich nur hast erschrecken wollen. Es ist ja nicht möglich, es kann ja nicht sein, daß du, der du fast nichts mehr besitzest, um solche Summen spielst. Wer soll das bezaheln? Ich kann es nicht, du weißt, so viel habe ich nie besessen.”

„Aber davon kann doch auch gar nicht die Rede sein,” antwortete Otto, „kommt Zeit, kommt Rat. Man hat mir auf meine Bitten hin in Anbetracht der hohen Summe eine achttägige Frist gegeben, inzwischen wird sich schon ein Ausweg finden lassen. Das soll meine Sorge sein, darüber ängstige du dich nicht.”

Schreckliche Tage gingen für Fritz dahin. Viel mehr als der Bruder sorgte und grämte er sich: was sollte werden, wenn die Schuld nicht getilgt wurde? Er ging einher, als wenn er selbst der Schuldige wäre.

Fast ohne miteinander zu sprechen, lebten die Brüder in den nächsten Tagen. Fritz konnte es sich nicht über sich gewinnen, gleichgültige Dinge zu berühren, und auf die Spielaffäre wollte er nicht zurückkommen, da er sah, wie entsetzlich der Bruder litt, da er merkte, wie dieser sich erfolglos bemühte, die Angelegenheit zu ordnen.

Verzweifelt kam Otto eines Abends von einem Gang in die Stadt zurück und suchte sofort den Bruder in dessen Zimmer auf. „Fritz,” bat er, „laß uns ein ernstes, vernünftiges Wort miteinander reden. Du weißt, wie es um mich steht, ich habe alles versucht, die Angelegenheit zu ordnen, es war alles vergebens. Mein Kredit ist erschöpft, und dennoch kann ich das Geld bekommen, sobald meine Verlobung veröffentlicht ist, oder wenn du für mich die Bürgschaft übernimmst. Bitte, bitte, unterbrich mich nicht, laß mir [sic! D.Hrsgb.] dir alles sagen,” fuhr er mit erhobener Stimme fort, als er sah, daß Fritz ihm ins Wort fallen wollte, „höre mich noch einen Augenblick an. Ich bin sicher, ja ich weiß es, daß ich keinen Korb bekommen würde, wenn ich morgen hinginge und meinen Antrag machte; aber ich thu' es nicht, ich kann es nicht. Ich würde es nicht wagen, meiner Braut, meiner Frau jemals offen ins Auge zu sehen, wenn ich mir sagen müßte: du hast dich eher verlobt, als es ursprünglich deine Absicht war — nur des Geldes wegen. Schon als Verlobter hast du auf die Mitgift deiner Frau hin Geld geliehen, das Geld deiner Braut hat dazu gedient, dich aus einer unsauberen Affäre zu erretten. Das will ich nicht, und das thu ich nicht. Die Sache könnte eines Tages bekannt werden, und ich müßte mich dann in die Erde schämen. Auch dem Vater kann ich mich nicht vertrauen; er würde mir aus meiner Not helfen, das weiß ich, aber nie und nimmer würde er mir sein Kind geben, wenn er erführe, daß ich gespielt hätte.”

„Das weißt du alles und hast es dennoch gethan,” klagte Fritz vorwurfsvoll.

„Ja, ich that's, weil der Spielteufel einmal in mir steckt, weil er stärker ist als alle meine guten Vorsätze. Wie oft sagte ich mir nicht: du rührst keine Karte mehr an, und ich that es dennoch. Ich habe mich oft vor mir selbst geschämt, und das war auch der Grund, weshalb ich dir gegenüber nie offen war. Doch nicht darum handelt es sich jetzt. In wenigen Tagen muß ich das Geld bezahlen — nur ein Ausweg bleibt, du mußt für mich bürgen.”

„Nie und nimmer,” klang es von den Lippen des Bruders zurück. „Otto, bedenke, was du von mir forderst. Ich will dir alles geben, was ich habe, da es gilt, die Ehre unseres Namens zu retten, ich will auf alles verzichten. aber mehr kann ich nicht für dich thun.”

„Höre mich an,” bat Otto, „dein Vermögen ist nicht ausreichend, um meine ganze Schuld zu bezahlen, es wäre also zwecklos, wolltest du dich von allem entblößen. Du giltst in der Stadt für reicher, als du bist; auf deine Bürgschaft hin bekomme ich das Geld, das ich brauche, und noch mehr. Ich habe mich erkundigt, alles ist schon abgemacht, es fehlt nur noch deine Unterschrift, dann ist alles erledigt.”

Aus seiner Brusttasche zog er einen Wechsel und hielt ihn dem Bruder hin, der aber nahm das Papier nicht an.

„Unmögliches verlangst du,” erwiderte Fritz, „wie soll ich es wagen, jemals einen Menschen wieder frei und offen anzusehen, wenn ich deine Bitte erfülle, wenn ich bürge für eine Summe, die ich gar nicht besitze, die zu bezahlen mir eine völlige Unmöglichkeit ist.”

„Aber wer spricht denn von Bezahlen,” fiel Otto ihm erregt ins Wort, „das Ganze ist doch nur eine Formsache, davon, daß du je den Wechsel einlösen sollst, kann doch nicht die Rede sein. Alles ist abgemacht, der Wechsel wird prolongiert, bis ich verheiratet bin, und dann —”

„Und wenn du nun nicht heiratest?” fragte Fritz, ihn unterbrechend, „wenn die Partie sich im letzten Augenblick zerschlägt, wenn die Vermögens­verhältnisse nicht so günstig sind, wie du glaubst, wenn du oder deine zukünftige Braut krank werden solltet oder gar stürbet? An alles muß man denken, ehe man bürgt — in diesem Falle aber zu bürgen, verbietet mir meine Ehre. Dringe nicht weiter in mich, es wäre zwecklos, du änderst meinen Entschluß nicht.”

Mit bleichen Zügen, an den blutleeren Lippen nagend, saß Otto ihm gegenüber: „Das, das hatte ich nicht erwartet, und was denkst du, daß nun aus mir werden soll? Soll ich meinen Aschied nehmen? Damit ist die Spielschuld nicht bezahlt, und was dann, wenn ich nicht mehr im bunten Rock bin? Soll ich mir eine Kugel durch den Kopf jagen und damit meine Ehre retten? Verlangst du das von mir?”

„Um Gottes willen, sprich nicht so,” bat Fritz, „sprich so Entsetzliches nicht aus, es muß sich doch noch ein Ausweg finden lassen. Ich ehre deine Gründe, die dich abhalten, dich jetzt zu verloben; aber dennoch sehe ich kein anderes Mittel, um dich zu retten. Geh hin und halte an.”

Einde dunkle Röte bedeckte Ottos Wangen. „Fritz,” sagte er, „ich will ganz offen und ehrlich sein, ich kann dich nicht belügen. Ich habe mit dem Vater gesprochen.”

„Nun, und was sagte er?”

Mit tödlicher Spannung blickte Fritz seinen Bruder an.

>„Nun, und was sagte er?” wiederholte er, da die Antwort nicht gleich erfolgte.

Einen Augenblick zögerte Otto noch, dann sagte er: „Der Vater nahm mich freundlich auf und lobte mich, daß ich erst zu ihm käme, bevor ich mit seiner Tochter spräche. Dann fuhr er fort: ,Es zirkulieren allerlei Gerüchte über Sie, ich habe gehört, daß Sie kürzlich spielten — ordnen Sie die Angelegenheit, dann wollen wir weiter miteinander sprechen, wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben wollen, nie wieder eine Karte anzurühren. Erst aber machen Sie reinen Tisch.' Damit war ich entlassen; so befinde ich mich in einer Lage, die mir die Aussicht auf große Mittel gewährt und die es mir dennoch unmöglich macht, das zu erhalten, was ich brauche. ,Erst die öffentliche Verlobung, dann bekommen Sie das Geld,' sagen die einen, und der Vater sagt: ,Erst die Schulden bezahlen, dann gebe ich Ihnen meine Tochter.' So weiß ich nicht ein noch aus — und darum bitte und beschwöre ich dich noch einmal: bürge für mich,” und als er sah, wie der Bruder mit sich kämpfte, fuhr er fort: „Bedenke, was entsteht, wenn du mir meine Bitte abschlägst. Löse ich mein Wort nicht ein, so ist es zu spät, meinen Abschied einzureichen, die ehrengerichtliche Untersuchung wird gegen mich eingeleitet werden, man wird mich verabschieden, mit Schimpf und Schande aus dem Heer stoßen. Denk an die Eltern, hilf mir in der Erinnernung an sie, thue es ihretwegen, laß der Verstorbenen wegen keine öffentliche Schande auf unseren Namen kommen. Bei dir steht es, mir zu helfen, und darum zum letztenmal, rette mich.”

„Nein, Otto, ich kann es nicht,” rang es sich da von den Lippen des Bruders, „es hieße nicht eine Schuld sühnen, sondern eine neue an Stelle der alten setzen, wollte ich deine Bitte erfüllen.”

„Wie du willst,” antwortete Otto mit erwachendem Trotz, „dann muß ich sehen, wie ich fertig werde.”

„Was ich habe, stelle ich dir zur Verfügung,” wiederholte Fritz noch einmal, „nimm so viel du brauchst, wenn es sein muß: alles. Ich werde mich einschränken, wie so viele andere Kameraden in der Armee werde auch ich fortan ohne Zulage auskommen können, denn man kann alles, was man will.”

Am nächsten Tag überraschte Otto seinen Bruder mit der Mitteilung, daß er einen vierzehntägigen Urlaub erbeten und erhalten habe. „Ich bin auf der Bank gewesen und habe mir von deinem Gelde zehntausend Mark erhoben,” setzte er hinzu, „ich werde damit einen Teil meiner Spielschuld begleichen und wenigstens meinen guten Willen zeigen. Wohin mich mein Weg führt, kann ich selbst dir nicht sagen, ich weiß es in diesem Augenblick auch selbst noch nicht genau. Frage mich nicht, was ich mit dieser Reise bezwecke, ich könnte es dir doch nicht sagen.”

Die Brüder waren sich fremd geworden in der letzten Zeit, so viel stand zwischen ihnen. So ward der Abschied beiden leicht, ja Fritz freute sich, daß Otto auf einige Zeit fortging, er hoffte, daß der Bruder seine Angelegenheit inzwischen ordnen würde, und daß dann mit der Zeit wieder das alte, herzliche Verhältnis zwischen ihnen entstände.

Otto war gereist, ein kurzer Brief aus Hamburg hatte dem Bruder mitgeteilt, daß es ihm noch einmal gelungen sei, einen Aufschub von vierzehn Tagen für die Bezahlung seiner ehrenwortlichen Spielschuld zu erlangen, dann war Fritz ohne Nachricht geblieben bis zum heutigen Tag.

Und noch einmal las Fritz die Depesche: „Ich komme nicht wieder. Verzeihe mir.”

Das Telegramm war aus New York, und so sehr Fritz auch gegen die Ueberzeugung ankämpfte, die sich ihm immer und immer mehr aufdrängte, an der zu zweifeln thöricht war, er wollte und konnte es nicht glauben, daß sein Bruder fahnenflüchtig war.

Er war geflohen, er hatte die Fahne verlassen, der er die Treue geschworen! Aus Feigheit, aus Furcht vor der Strafe einer schimpflichen Verabschiedung, aus Furcht, die Folgen seines Leichtsinns zu tragen, aus Furcht vor einem ehrenvollen Tod, mit dem er seine Schuld gesühnt hätte, war er geflohen, hatte er das Heer und seinen Truppenteil verlassen und hatte Schmach und Schande gehäuft auf den ehrlichen Namen seiner Eltern.

Fritz stöhnte auf und barg das Gesicht in seinen Händen. Wie war es möglich, daß jemand so handeln, so feige sein konnte? Lieber tot als ehrlos — in diesem Grundsatz, nach diesem Wort waren sie erzogen worden. „Die Ehre, das höchste Gut eines jeden Menschen, rein und fleckenlos zu erhalten, muß die höchste und heiligste Pflicht eines jeden Offiziers sein.” So hatte ihr Kaiser zu ihnen gesprochen, bevor er sich von ihnen verabschiedete, und unauslöschlich hatten sich diese Worte Fritz eingeprägt. Wie konnte man sie vergessen, gegen sie verstoßen?

In vielen schlaflosen Nächten hatte Fritz über die Zukunft seines Bruders nachgedacht und sich vergebens über eine Rettung, einen Ausweg aus diesem Labyrinth zergrübelt. Oft stieg der Gedanke in ihm auf: „Rette deinen Bruder, du kannst es allein” — aber immer war ihm zum Bewußtsein gekommen, daß er dann eine ehrlose Handlung begehen würde.

So gerne hätte er sich an einen älteren Kameraden gewandt und diesen um Rat gefragt. Aber das konnte nicht sein, niemand im Regiment durfte erfahren, wie es um den Bruder stand — der Mitwisser wäre verpflichtet gewesen, den Fall dem Ehrenrat vorzulegen, und anstatt zu helfen, hätte Fritz seinem Bruder geschadet, er hätte die Verabschiedung herbeigeführt, anstatt sie zu verhindern.

Und endlich, endlich war Fitz zu der Ueberzeugung gelangt: „er wird, er muß sich töten, es bleibt ihm nichts anderes übrig.” Ein Gefühl der Ruhe kam über ihn, als er sich zu dieser Ueberzeugung durchgerungen hatte, ja, er war nicht einmal traurig, obgleich er den Bruder über alles liebte. Lieber tot als ehrlos, das Wort half ihm hinweg über die bevorstehende Trennung, das ließ ihn dem Entsetzlichen fast gleichgültig entgegensehen. Er hatte sich schon alles ausgedacht, er wollte sein Vermögen opfern, um die Schuld zu tilgen, und den Rest in späteren Jahren, wenn er Hauptmann geworden sei, abtragen.

Dann war die Abreise des Bruders gekommen, plötzlich, unerwartet. „Vielleicht ist ihm ein rettender Gedanke gekommen,” dachte Fritz, „wie er sich aus der Affäre ziehen kann. Gebe Gott, daß dem so sei — ich wünsche es ihm von genzem Herzen, ich wünsche es ihm noch mehr, als ich es mir in einer ähnlichen Lage wünschen würde.” Er begriff den Bruder nicht: wie konnte man nur durch eigene Schuld, durch eigenen Leichtsinn ein Unglück heraufbeschwören, an dem man zu Grunde gehen mußte und andere mit in das Verderben hinabzog?

Sein Bruder — ein Deserteur!

Fritz sprang auf vor Entsetzen, und eine tiefe Röte der Scham bedeckte seine Wangen. Ein Fahnenflüchtiger, in wenigen Tagen schon steckbrieflich verfolgt, in contumaciam verurteilt, seiner Stellung, seines Titels verlustig erklärt, nein, nein, es war zu schrecklich, das durfte nicht sein. Der Bruder mußte zurück, er mußte die verdiente Strafe auf sich nehmen, er mußte sterben, wenn die Ehre es gebot, aber nicht fliehen, nicht feige bei Nacht und Nebel davongehen.

„Ich will ihm schreiben, ich will ihm depeschieren, daß er wiederkommt,” murmelte Fritz vor sich hin. Aber wo ihn finden? Wo ihn suchen in der großen Stadt, in dem großen weiten Land? Sicher würde der Bruder nicht in New York bleiben, er würde irgend eine andere Stadt aufsuchen, vielleicht in das Innere gehen und sich eine Farm kaufen, er hatte ja eine reichliche Summe bei sich.

Fritz fuhr plötzlich zusammen, als sei er bei einem Verbrechen ertappt. Hatte er nicht selbst dem Bruder das Geld gegeben? Hatte er nicht selbst ihm die Mittel zur Ausführung seiner That zur Verfügung gestellt? Würde man ihm glauben, daß er von dem Plan seines Bruders nicht unterrichtet gewesen sei? Würde man nicht Zweifel darein setzen, daß die beiden Zwillinge voreinander Geheimnisse hätten? Würde man ihm nicht den Vorwurf machen können, daß er die Absicht seines Bruders hätte erraten müssen? Könnte man nicht zu ihm sagen: „Du wußtest, wie die Sachen lagen. Als du deinem Bruder dein ganzes Vermögen anbotest, schlug er es ab, weil es ihm nichts helfen könne. Fiel es dir nicht auf, daß er plötzlich eine weitaus kleinere Summe von dir erbat? Warum wollte er jetzt auf einmal mit einem kleinen Betrag seinen guten Willen zu zahlen zeigen, wo er dies doch einige Tage früher mit einer größeren Summe viel besser hätte thun können? Fiel dir dies alles gar nicht auf? Kam dir die plötzliche Abreise, der Umstand, daß dein Bruder dir gar nicht sagte, wohin er führe, nicht verdächtig vor? Kamst du wirklich nicht auf den Gedanken, daß dein Bruder sich durch eine Flucht retten wollte?”

So würde man ihn fragen, so mußte man ihn fragen, wenn die ehrengerichtliche und die kriegsgerichtliche Untersuchung gegen seinen Bruder eingeleitet wurde. Er konnte sein Zeugnis verweigern, aber schloß das nicht den Verdacht in sich, Mitwisser gewesen zu sein? Würde man ihm glauben, nicht doch Zweifel in seine Worte setzen, wenn er sagte: „Ich habe nichts von alledem gewußt, was mein Bruder that.” Würde man ihm nicht den Vorwurf machen können, zu leichtgläubig, zu vertrauensselig gewesen zu sein und dadurch die Flucht ermöglicht zu haben?

Die Aufregung, in die ihn die That des Bruders versetzte, raubte ihm die ruhige Ueberlegung, ließ ihn nicht klar den Zusammenhang der Dinge sehen.

„Und was wird aus mir?” fuhr er in seinem verzweifelten Selbstgespräch fort, „aus mir, dem Bruder eines Deserteurs? Kann ich, darf ich noch länger Offizier bleiben? Soll ich mich dem aussetzen, daß man mich, wohin ich mich auch immer versetzen lasse, nach dem Bruder fragt? Soll ich dabei sitzen und schweigen, wenn durch Zufall einmal das Gespräch darauf kommt? Darf ich das erleben, daß das Allerhöchste Urteil über den Bruder den Offizieren der ganzen Armee bekannt gemacht wird? Kann ich mich noch sehen lassen in dem neuen Regiment, wenn sie alle über die That des Bruders unterrichtet sind?”

„Nein, und abermals nein,” schrie es in ihm auf, „ ich will es nicht, ich kann die Schande nicht überleben, der Bruder eines Deserteurs zu sein! — Otto, Otto, warum hast du das gethan? Nichts, nichts hast du dadurch erreicht, deine Schuld nicht gesühnt, dein Vergehen nicht gut gemacht — ja wärst du gestorben! Aber jetzt wird man dich verachten und verdammen. Dein Wort, das du gabst, lösest du nicht ein — was ich habe, will ich auch jetzt geben; die Schmach wird damit nicht getilgt, aber ich will, daß man wenigstens von mir sagt, ich hätte alles gethan, was ich konnte, um deine und meine Ehre zu retten. Otto, Otto, wie konntest du so handeln?”

Laut aufschluchzend sank er in einen Sessel zusammen, und dort fand ihn am nächsten Morgen der Bursche, als er kam, um seinen Herrn zu wecken.

Auf dem Teppich lag die Pistole, mit der er sich die Kugel in das Herz geschossen hatte.


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