Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Deutsche Romanzeitung” 51.Jahrgg. 1914, 3.Band, Seite 46 bis 51, und
in: „S.M. kommt”
Der Herr Oberst von Kaltenbach befand sich in der denkbar schlechtesten Stimmung, und das nicht ohne Grund, er hatte niederträchtige Zahnschmerzen. Das einfachste Mittel dagegen wäre ja nun gewesen, zu einem Zahnarzt zu gehen, aber wie so oft, war auch hier der einfachste Weg der schwierigste. So verschob der Herr Oberst den Gang von einem Tag auf den anderen. Nicht etwa, weil er Angst gehabt hätte, denn er war kein Feiglng. Aber zu dem ersten besten Doktor wollte er nicht gehen und der erste und beste Zahnarzt in der Stadt war zwar wegen seines großen Könnens, aber auch zugleich wegen seiner hohen Preise bekannt. Außerdem war dieser Zahnarzt, der Doktor Müller, zugleich Reserveoffizier und sollte in den allernächsten Tagen zu einer vierwöchentlichen Übung eingezogen werden. Da war dieser Doktor ja also eigentlich gar kein Doktor mehr.
Und noch eins kam hinzu, daß der Herr Oberst sich nicht entschließen konnte, zu dem Doktor Müller zu gehen. Der hatte seine Augen zu des Herrn Oberst neunzehnjährigen sehr hübschen Töchterlein Namens Anna erhoben und die Anna, das Mädel, schien auch ihrerseits an dem Doktor Gefallen gefunden zu haben, den sie auf einer Gesellschaft kennen gelernt hatte. Das aber war gar nicht nach dem Sinn des Herrn Oberst. Gewiß, an und für sich war an dem Doktor nicht das geringtste auszusetzen. Er war von großer, schlanker Figur und hatte im Gegensatz zu den meisten anderen Reserveoffizieren auch nicht den leisesten Ansatz eines Bäuchleins, das in der Paradeaufstellung die Front verdarb. Der Arzt besaß eine sehr gute Praxis, hatte sein sehr reichliches Auskommen, aber er war und blieb Zahnarzt. Als eingefleischter Soldat wünschte sich der Herr Oberst aber als Schwiegersohn einen aktiven Offizier. Was sollte er später zur Antwort geben, wenn die übliche Frage an ihn gerichtet wurde: „Wo steht Ihr Schwiegersohn?” Dann konnte er nicht sagen, bei dem und dem Regiment, sondern mußte bekennen, der steht in seiner Wohnung neben dem großen Operationsstuhl und bohrt den Leuten mit der amerikanischen Tretmaschine im Mund herum. Das war nicht nach seinem Geschmack. Aber gleichviel, die Anna fand das ganz natürlich und selbstverständlich und hatte sich tatsächlich in den Doktor verliebt. Und wenn er, der Herr Oberst, den nun, wenn auch nur als Patient, aufsuchte, dann konnte der andere vielleicht den Schluß daraus ziehen, daß er eines Tages von dem Vater keinen Korb bekommen würde, wenn er einmal um die Anna anhalten sollte.
Aber vielleicht wäre der Herr Oberst trotz all seiner Bedenken doch zu ihm hingegangen, wenn seine Frau und seine Tochter ihm nicht fortwährend damit in den Ohren gelegen hätten, daß sie ihm beständig zuriefen: Aber Mann, aber Vater, so geh' doch endlich zu dem Doktor Müller, damit du deine Schmerzen los wirst. Recht hatten sie ja mit dem, was sie sagten, aber er glaubte die geheimsten Gedanken seiner Damen zu erraten. Die wollten nur, daß er hinging, damit auch er sich davon überzeuge, ein wie reizender Mensch dieser Doktor Müller sei. Und deshalb ging er erst recht nicht hin, sondern verbiß tapfer den Schmerz, ließ die linke Wange dicker und dicker werden, so daß er schließlich kaum noch sprechen und seine Reserveoffiziere nur mit einigen schwerverständlichen kurzen Worten begrüßen konnte, als diese sich wenige Tage später bei ihm zum Antritt ihrer Übung meldeten. Aber gerade, weil ihm das Sprechen Schwierigkeiten machte, betrachtete er sich die Herren, die vor ihm standen, um so genauer, und er mußte sich eingestehen, der Leutnant der Reserve Müller war entschieden die vorteilhafteste Erscheinung. Dem merkte man die Reserve wirklich nicht an und angezogen war er, wie aus dem Ei gepellt! Man sah es auf den ersten Blick, der hatte im Gegensatz zu seinen Kameraden die alte Uniform nicht mit ängstlichen und sparsamen Augen daraufhin geprüft, ob sie nicht auch noch für dieses Jahr ginge, sondern der Rock, den er trug, kam frisch vom Schneider, als hätte er es sich vorgenommen, durch sein Äußeres den Vorgesetzten für sich einzunehmen.
„Den Vorgesetzten schon, aber den Vater meiner Tochter nicht,” dachte der Herr Oberst. Aber in demselben Augenblick fühlte er in seinem kranken Zahn einen so rasenden und stechenden Schmerz, daß er in dieser Minute dem Doktor mit Freuden seine Tochter gegeben hätte, wenn der ihm dafür seinen Zahn kuriert hätte.
Und während sonst die Schmerzen sonderbarerweise nachzulassen pflegen, wenn man sich in der Nähe des Arztes befindet, hielten die Schmerzen jetzt an, aber das nicht allein, sie wurden immer größer und unerträglicher, je länger der Doktor ihn prüfend und forschend ansah, als wollte er schon aus der Entfernung ergründen, was ihm denn eigentlich fehle.
„Wenn du den Doktor nicht mehr siehst, wird es besser werden,” dachte der Herr Oberst im stillen. So entließ er denn die Herren der Reserve sehr bald, um sich gleich darauf nach Hause zu begeben. Von den wahnsinnigen Schmerzen gepeinigt, lief er in seinem Zimmer auf und ab und trank einen Kognak nach dem anderen, aber auch das half nichts.
Der Oberst kletterte vor Schmerzen, wenn auch nur in Gedanken, sämtliche Wände in die Höhe. Als es zu Tische ging, war er nicht imstande, etwas zu essen, und so setzten seine Damen es denn endlich durch, daß er am Nachmittag den Doktor Müller aufsuchte.
Aber als er dann dessen Wohnung betrat, in der Hoffnung, von diesem sofort in Behandlung genommen zu werden, war der nicht da. Nur der Assistenzarzt war zugegen. Der aber getraute sich nicht, nachdem er dem Herrn Oberst in den Mund gesehen hatte, einen so kranken Zahn zu behandeln, das mußte schon der Herr Doktor selbst machen. Der aber war nicht da, sondern hielt in seiner Eigenschaft als Reserveoffizier gleich heute nachmittag seinen Dienst ab.
Nur ein Glück, daß die Kaserne nicht weit entfernt war. Am liebsten wäre der Assistenzarzt selbst gegangen, um seinen Chef zu benachrichtigen, aber das konnte er nicht. Er durfte den Patienten nicht allein lassen, sondern mußte wenigstens versuchen, dem dadurch Linderung zu verschaffen, daß er ihm eine Einspritzung machte. Es blieb nur eins, er mußte das nicht mehr allzu junge Mädchen, die Marie, schicken, die als Mädchen für alles den Junggesellenhaushalt des Doktors besorgte. Der Assistenzarzt wa in seinem Leben nie Soldat gewesen, so war er sich des unmilitärischen dessen, was er tat, gar nicht bewußt, als er den Herrn Oberst nun für eine Minute allein ließ, um draußen schnell das Mädchen zu instruieren.
Und der Instruktion gemäß, lief das kaum fünf Minuten später zur Kaserne, um dort vor dem Portal von dem Posten mit der Frage angehalten zu werden: „Na, Fräulein, wo wollen Sie denn hin? Bei welcher Kompagnie steht denn Ihr Schatz?”
„Bei der Ihrigen ganz gewiß nicht,” gab die Marie entrüstet zur Antwort, „ich bin überhaupt ein ehrbares Mädchen, das lassen Sie sich gesagt sein.”
„Aber durchlassen darf ich Sie trotzdem nicht,” meinte der Posten schadenfroh, als die Marie den Versuch machte, an ihm vorbei zu schlüpfen. „Erst muß ich wissen, wo Sie hin wollen, und was Sie hier zu suchen haben.”
„Als wenn Sie das was anginge,” meinte die Marie schnippisch, „aber wenn Sie denn mal so neugierig sind, ich suche den Herrn Doktor Müller, er soll sofort zu dem Herrn Oberst kommen.”
„Doktor Müller,” meinte der Posten nachdenklich, „den kenne ich nicht. Von unseren Militärärzten ist das jedenfalls keiner,” bis er dann plötzlich ausrief: „Ach so, das ist wohl einer von den heute eingezogenen Reserveoffizieren, und der soll zu dem Herrn Oberst kommen? Hat der denn jetzt schon was ausgefressen, daß er gleich heute eins auf den Hut kriegt? Der fängt ja früh damit an. Na, da sieht man es mal wieder, die Herren Leutnants sind die besten Brüder auch nicht, die tun nur immer so, als ob sie nichts täten. Aber wenn der Herr Oberst den Herrn Doktor erwartet, muß ich Sie natürlich passieren lassen. Warten Sie einen Augenblick, ich werde Ihnen einen Mann aus der Wachstube mitgeben.”
Doch so viel Zeit hatte die Marie nicht mehr. Noch während der Posten an das Fenster der Wachstube klopfte, um durch dieses Zeichen einen Kameraden herauszurufen, lief sie davon und stand nun plötzlich mitten auf dem Kasernenhof, wo ihr Erscheinen natürlich nicht nur bei den Offizieren, sondern auch bei den Mannschaften das größte Aufsehen und eine Heiterkeit erweckte, die nur durch die strengen Gesetze der Disziplin in Schranken gehalten wurde.
Aber die Marie merkte nichts davon, sie sah sich nur suchend nach ihrem Doktor um. Aber als sie ihn dann endlich entdeckt hatte, wagte sie es doch nicht, zu ihm hinzugehen, sondern winkte nur heimlich und verstohlen, er möchte zu ihr kommen.
Der Herr Leutnant der Reserve Doktor Müller sah es endlich, zugleich bemerkte es aber auch sein Hauptmann, der neben ihm stand, und der fragte nicht gerade erfreut: „Wer ist denn das Mädchen, und was will die hier?”
„Die erste Frage kann ich beantworten, die zweite nicht,” lautete die Antwort, „ich kann höchstens annehmen, daß in meiner Praxis ein schwieriger Fall vorliegt, und daß meine Hilfe gebraucht wird.”
„Sie sind aber doch nicht als Zahnarzt, sondern als Leutnant der Reserve eingezogen,” schalt der Vorgesetzte. „Ihre Patienten gehen Sie während Ihrer Dienstleistung gar nichts an und wenn der Kaiser von China auf Ihrem Marterstuhl säße, der müßte auch warten.”
Aber als der Herr Hauptmann dann wenig später von der Marie, die er zu sich heranrief, erfahren hatte, daß zwar nicht der Kaiser von China, wohl aber der Herr Oberst auf dem Operationsstuhl säße, da änderte der Herr Hauptmann seine Ansicht gewaltig: „Das ist natürlich etwas ganz anderes, Herr Leutnant, selbstverständlich dispensiere ich Sie unter diesen Umständen für heute vom Dienst — selbstverständlich.”
Eine kleine Viertelstunde später stand der Doktor Müller in voller Uniform neben dem Herrn Oberst. Der konnte gar nicht sprechen, sondern machte den Mund nur ganz weit auf, um dem anderen die Untersuchung zu erleichtern. Ihm war alles egal. Der Schmerz war durch die Einspritzung etwas gelindert, aber diese hatte ihn, da sie sich mit dem am Mittag genossenen Alkohol nicht gut vertrug, in eine gewisse Betäubung versetzt, aus der er erst erwachte, als der Doktor zu seinem Assistenten sagte: „Bitte die Zange für die großen, oberen Backenzähne.”
„Um Gottes willen, Doktor, Sie werden doch nicht,” fuhr der Oberst auf und machte Anstalten, von dem Stuhl aufzuspringen.
Aber der andere beruhigte ihn: „Ich werde gar nicht, Herr Oberst, ich will nur mal nachsehen, ob der Zahn sehr fest sitzt, ich verbürge mich dafür, daß es nicht den leisesten Schmerz verursacht.”
Und da die Einspritzung ihre Schuldigkeit getan hatte, tat es wirklich nicht weh. Der Oberst fühlte nur, daß die Zange sich um den Zahn legte, und daß die ein paarmal hin und her bewegt wurde.
„Da kannst du lange rütteln,” dachte der Herr Oberst, „ich habe ein gesundes Gebiß, meine Zähne sitzen fest, wie — —”
Er fand nicht gleich den passenden Vergleich und es hatte auch keinen Zweck, weiter darüber nachzudenken, denn plötzlich hielt ihm der Doktor den großen Backenzahn schon vor die Augen, um gleich darauf zu sagen: „Wenn ich bitten dürfte, einmal auszuspülen.”
Der Herr Oberst spülte und spülte, bis er dann endlich sagte: „Mußte der 'raus?”
„Es war die allerhöchste Zeit, Herr Oberst,” lautete die Antwort, „ich muß morgen sogar noch zwei andere herausnehmen und im Zusammenhang damit, soweit ich das bis jetzt übersehen kann, mindestens fünf Zähne in Behandlung nehmen, die von den total kranken Zähnen mehr oder weniger angegriffen sind.”
„Na, seien Sie so freundlich, Herr Doktor,” entfuhr es dem Herrn Oberst unwillkürlich, bis er dann fragte: „Sagen Sie mal, Herr Doktor, oder richtiger gesagt, Herr Leutnant, ich muß offen gestehen, ich weiß selbst nicht, was richtig ist. Soll ich Sie nun als Doktor Herr Leutnant, oder als Leutnant Herr Doktor nennen? Daß man sich als Soldat von einem Militärarzt behandeln läßt, dem die Anrede Herr Assistenzarzt oder Herr Stabsarzt zusteht, ist ja nichts Besonderes. Aber ein Zahnarzt in der Uniform als Reserveofizier seine Praxis ausübend — wissen Sie was, wir durchhauen den Gordischen Knoten, und wenn ich morgen zu Ihnen komme, ziehen Sie sich Ihren langen, weißen Doktorkittel an.”
Das tat der Doktor denn auch, aber da sein langer Kittel nur aus einer kurzen, weißen Jacke bestand, war das auch nicht richtig. Oben war der Doktor Zivilist, unten dagegen Militär, da er, kurz bevor der Herr Oberst erschien, eben vom Dienst gekommen war und nachher gleich wieder in den Dienst mußte. Er hatte nicht allzu viel Zeit, so fing er denn gleich mit der Behandlung an, und ehe der Oberst wußte, wie ihm geschah, hatte der andere ihm die beiden Zähne, die noch heraus mußten, ausgezogen. Auch heute hatte der Herr Oberst dabei nicht den leisesten Schmerz verspürt, und so konnte er nicht umhin, dem Arzt seine Anerkennung auszusprechen. Aber er tat es ganz unwillkürlich, in der Art einer militärischen Kritik, als er nun mit lauter Stimme, wie auf dem Exerzierplatz, sagte: „Das haben Sie gut gemacht, Herr Doktor, und ich muß wirklich gestehen —”
Aber er kam nicht dazu, dem anderen ein Geständnis zu machen, denn der sagte jetzt seinerseits: „Wenn ich bitten dürfte, jetzt nicht zu sprechen, sondern nur den Mund auszuspülen.”
Der Herr Oberst tat, wie ihm geraten, und unterdessen machte sich der Herr Doktor in so verdächtiger Weise an der amerikanischen Bohrmaschine zu schaffen, daß der Herr Oberst, trotzdem er nicht sprechen durfte, jetzt ausrief: „Um Gottes willen, Sie werden doch nicht etwa schon heute — —”
Der Doktor zuckte die Achseln: „Es tut mir leid, Herr Oberst, aber es geht nicht anders, mein Hauptmann hat es mir befohlen.
Verständnislos blickte der Kommandeur auf: „Das ist mir zu hoch, Ihr Hauptmann hat Ihnen das befohlen? Was versteht denn der von zahnärztlicher Behandlung, und inwiefern lassen Sie sich von dem in dieser Hinsicht Befehle geben? Ich würde mir das an Ihrer Stelle schön verbitten.”
„Als Arzt täte ich das auch ganz gewiß,” stimmte der Doktor ihm bei, „aber als Leutnant der Reserve? Was soll ich da machen? Da habe ich den Mund zu halten. — Sie aber, Herr Oberst, bitte den Mund ganz weit auf. So ist es gut. Aber was ich sagen wollte, der Herr Hauptmann hat mir befohlen, mit der zahnärztlichen Behandlung sobald wie möglich fertig zu werden, damit ich auf dem Kasernenhof wieder Dienst tun könne.”
„Und damit du Dienst tun kannst, soll ich mich hier schinden lassen, noch dazu auf Befehl deines Hauptmanns? Na warte, mein sehr verehrter Herr Hauptmann, das werde ich dir gelegentlich gedenken. Wenn ich als Oberst so zu deinem Zahnarzt gesprochen hätte, wäre das etwas anderes, aber daß du so zu meinem sprichst — darüber sprechen wir mal.”
Das und noch manches andere gelobte sich der Herr Oberst im stillen, als wenig später die Bohrmaschine in seinen Zähnen zu arbeiten begann. Das tat verdammt weh und an diesem Schmerz war der Hauptmann schuld, nein, eigentlich der Zahnarzt, nein, der auch nicht, sondern seine Frau und seine Tochter, die ihm zugeredet hatten, bis er endlich auf diesem Stuhl Platz nahm. Auf alle kriegte er eine Wut, und als er endlich wieder, zu Hause angekommen, von seiner Tochter ebenso wie gestern gefragt wurde: „Nicht wahr, Papa, der Doktor Müller ist wirklich ein reizender Mensch?” da stimmte er ihr ingrimmig bei: „Sogar ein ganz allerliebster Mensch. Eine geschlagene halbe Stunde hat er mich angebohrt und hat nicht geruht, bis alle Nerven bloß liegen. Morgen will er sie herausziehen, und für die Schinderei muß man hinterher auch noch bezahlen!”
„Hoffentlich sogar feste!” rief die Tochter übermütig.
„Du bist ja eine sehr liebevolle Tochter,” meinte der Oberst ganz entsetzt. „Anstatt mir zu wünschen, daß er die Sache so billig wie nur irgendmöglich macht —”
„Aber Vater, das könntest du doch gar nicht annehmen,” fiel ihm seine Tochter in das Wort, „bedenke doch, der Doktor Müller ist augenblicklich als Reserveoffizier dein Untergebener, und von dem kannst du dir doch keine Ausnahmepreise machen lassen. Das sähe doch so aus, als wenn du von einem Untergebenen ein Geschenk annähmst.”
„Hm, hm,” meinte der Herr Oberst nachdenklich. Seine Tochter hatte Recht mit dem, was sie sagte, aber trotzdem, der Gedanke an eine sehr hohe Rechnung hatte für ihn wenig verlockendes.
„Paß mal auf, Vater,” fuhr seine Tochter da fröhlich fort, „ich glaube sogar, er wird dir eine ganz besonders hohe Rechnung schicken, denn jetzt während seiner Reserveübung hat er doch die ganze Praxis an seinen Assistenzarzt abgegeben, und wenn er dich trotzdem behandelt, so ist das eine große Gefälligkeit, und die muß er sich natürlich auch besonders honorieren lassen, schon damit er dir beweisen kann, wie teuer er ist, wie große Einnahmen er hat, und daß er imstande ist, aus eigenen Mitteln eine Frau zu ernähren.”
„Und diesen Beweis will er ausgerechnet mir erbringen,” fuhr der Oberst unwillkürlich auf.
„Aber wem denn wohl sonst?” rief seine Tochter. „Wenn nicht alle Anzeichen trügen, werde ich doch sehr bald seine Frau sein. Jetzt kann ich es dir ja gestehen, wir haben uns gestern abend noch auf dem Tennisplatz getroffen. Er hat mir so rasend den Hof gemacht, wie noch nie. Er war ganz glücklich, daß du dich bei ihm in Behandlung gegeben hast. Nur eins bedrückte ihn, wie er mir anvertraute, daß du von ihm vielleicht verlangen würdest, er solle dir später, wie jedem anderen Patienten, eine Rechnung schicken. Er sagte, das könne er unter gar keinen Umständen, aber das habe ich ihm gründlich ausgeredet. Ebensowenig wie du als Vorgesetzter dir von ihm etwas schenken lassen darfst, ebensowenig darf er dir als Untergebener etwas schenken, wenn er sich nicht dem aussetzen will, daß du ihm in deiner Eigenschaft als Oberst sacksiedegrob wirst.”
„Das mit dem Grobwerden hättest du ruhig abwarten können,” dachte der Oberst, „so schnell bin ich damit auch nicht bei der Hand, es kommt doch immer auf die begleitenden Nebenumstände an.” Aber all das sagte er seiner Tochter nicht, sondern meinte nur: „Na, hoffentlich hat es noch lange Zeit, bis er die Rechnung schickt.”
„Aber das geht doch unmöglich,” widersprach die Tochter. „Die muß er dir doch gleich schicken, sobald er mit der Behandlung fertig ist, und du mußt sie natürlich an demselben Tag bezahlen, denn als Oberst darfst du doch deinem Leutnant, auch wenn es nur ein Reserveoffizier ist, nicht etwas schuldig sein. Soviel verstehe ich denn auch von militärischen Dingen. Du kannst dich nicht dem aussetzen, daß der Leutnant der Reserve Müller, wenn du ihn vielleicht dienstlich einmal anfahren mußt, im stillen sagt: „Der Oberst sollte auch lieber seine Rechnung bei mir bezahlen, als daß er mir hier eine Grobheit nach der anderen an den Kopf wirft.” Habe ich da recht, Vater?”
„Leider,” stimmte er ihr nach kurzem Besinnen bei, bis er dann fragte: „Sag' mal, Mädel, wenn du das alles wußtest, und dir das so klar gemacht hast, während ich selbst, von meinen Zahnschmerzen gepeinigt, das unterließ, warum hast du mir denn trotzdem so zugeredet, gerade zu diesem Doktor zu gehen?”
Der Herr Oberst war wirklich etwas verstimmt und blickte mißmutig vor sich hin, so merkte er nichts von dem Schalk, der aus den Zügen seiner Tochter sprach, als diese ihm nun zur Antwort gab: „Warum ich das tat, Vater? Doch natürlich nur, weil ich wollte, daß du dich mit deinen Schmerzen nicht dem ersten, besten Arzt anvertraust, sondern dem ersten und besten.”
Der Oberst knurrte noch etwas vor sich hin, aber darin mußte er seiner Tochter doch beistimmen, der Doktor Müller war wirklich gut und wie ausgezeichnet er seine Sache verstand, wie schnell und leicht er arbeitete, das merkte er von Tag zu Tag mehr, je öfter er ihn aufsuchte, und je länger er auf seinem Operationsstuhl saß.
Bis dann eines Tages auch der letzte kranke Zahn plombiert war, so daß der Arzt seinen Patienten entlassen konnte.
„So, nun kommt die Rechnung,” dachte der Herr Oberst, als er wieder zu Hause war, „aber hoffentlich hat der Doktor es damit nicht allzu eilig, und hoffentlich berechnet er mir auch keine Phantasiepreise.”
Der Oberst wartete auf die Rechnung in der Hoffnung, sehr lange darauf warten zu müssen, aber der Doktor Müller schien es mit der Übersendung sehr eilig zu haben, denn schon am Abend, wenige Stunden nach der Beendigung der Behandlung, wurde dem Herrn Oberst ein Brief in das Haus geschickt, auf dessen Kuverts oben fett gedruckt stand: Zahnarzt Dr. Müller.
„Der hat es aber weiß Gott verdammt eilig,” schalt der Oberst vor sich hin, dann aber öffnete er das Kuvert, nahm die Rechnung heraus und faltete die ganz langsam auseinander, um sich in Ruhe auf den Schreckschuß vorzubereiten, den er jetzt gleich bekommen würde.
Und der kam wirklich, schlimmer, als er ihn erwartet hatte, denn auf dem Rechnungsformular stand geschrieben: „Als Hnorar für meine zahnärztlichen Bemühungen erbitte ich im Einverständnis und nach Rücksprache mit Ihrem Fräulein Tochter von Ihnen deren Hand.”
„Na, so 'ne Rasselbande,” schalt der Oberst laut vor sich hin, „das haben die beiden sich ja sehr schön ausgedacht, aber wenn die glauben, daß ich diese Rechnung begleiche und noch dazu sofort, dann irren sie sich sehr.”
So rief er denn nach seiner Tochter, um sie ganz gehörig auszuschelten, aber die nahm seinen Tadel gar nicht ernst, sondern meinte nur fröhlich und übermütig: „Gott, Papa, wenn du nicht willst, dann natürlich nicht, dann mußt du eben die andere Rechnung bezahlen, die auf der Rückseite näher detailliert ist.”
„Nanu,” meinte der Oberst ganz entsetzt, dann las er, was er vorhin übersehen hatte: Drei Zähne gezogen, vier Nerven gezogen, fünf kranke Wurzeln behandelt, drei Goldfüllungen gemacht, zwei Porzellanzähne eingesetzt — das gind noch eine ganze Weile so weiter und zum Schluß kam eine so hohe Zahl, daß der Oberst sich platt auf einen Stuhl setzte und sein Kind fassungslos anstarrte.
„Und das soll ich bezahlen?” fragte er endlich. „In barem Gelde, noch dazu heute?”
Aber anstatt ihn zu trösten, lachte seine Anna hell auf und rief ihm zu: „Es ist doch deine eigene Schuld, Vater, wenn sich das Blatt so zu deinem Schaden gewendet hat, aber noch kann es sich ja wieder zu deinen Gunsten wenden.”
Wenn auch nur langsam und zögernd, wandte der Herr Oberst das Blatt um, aber nicht, wie er sich in diesem Augenblick einredete, weil er dadurch sein Kind glücklich machte, sondern nur, weil er die Rechnung sofort bezahlen konnte und weil es die Disziplin und die Subordination erforderte, daß er seinem Untergebenen nichts schuldig blieb.