"Ein Wiedersehen”

Von Freiherrn von Schlicht

aus: Das kleine Witzblatt, Nr. 48, Berlin 1905

„Endlich.”

Mit einem Freudenschrei fiel sie ihm um den Hals und bedeckte sein Gesicht immer und immer wieder mit flammenden Küssen. „Endlich habe ich Dich wieder.”

„Und ich Dich.” Er zog sie an sich, küßte sie auf das dichte, hellblonde Haar, auf die blauen Augen und auf den kleinen Mund, deren [sic!] rothe Lippen sie ihm verführerisch entgegenhielt.

„So,” meinte er schließlich halb ernsthaft und halb lachend, „so, Ellen, nun ist aber auch vorläufig genug mit dem Küssen. Wir haben ja noch den ganzen Abend vor uns.”

„Du.”

Abermals schmiegte sie sich fest an ihn und sah mit verliebten Blicken zu ihm empor: „Hast Du mich noch lieb?”

Statt jeder Antwort griff er in die Tasche und holte einen Diamantschmuck hervor. „Sieh, das habe ich Dir mitgebracht. Glaubst Du nun, daß ich dich noch lieb habe?”

„Aber Egon, das ist ja märchenhaft schön, ist das wirklich für mich?” fragte sie endlich ganz verwirrt und ganz überrascht. „Aber nein, das ist ja gar nicht möglich, das ist ja viel zu kostbar für mich.”

„Dann kann ich es ja wieder nach Konstantinopel zurückschicken,” meinte er anscheinend ganz ernsthaft, „ich sah den Schmuck dort in der Perastraße liegen und dachte gleich an Dich. Fünf Tage lang habe ich darum gehandelt, bis ich ihn zu einem verhältnismäßig billigen Preise erhielt, aber wenn er Dir trotzdem zu werthvoll erscheint.” –

„Ach nein, laß ihn mir doch,” bat sie, „Gott, wie ist er schön!” Noch immer stand sie in stummem Entzücken da, dann legte sie den Schmuck auf den Tisch.

„Willst Du ihn nicht anstecken?” fragte er.

Aber sie lehnte ab. „Heute nicht, aber morgen. Jetzt, bei diesem Kleid kommt er nicht zur Geltung, dazu muß man in Toilette sein. Morgen Abend essen wir irgendwo zusammen, bei Dressel oder im Monopol, wo recht viele Menschen sind, wo mich recht viele beneiden und bewundern. Dann mache ich mich sehr hübsch und lege den Schmuck an, da sollst Du mal sehen, wie herrlich er sich ausnimmt. Aber nun mach es Dir doch endlich bequem, warum hast Du den gräßlichen Pelz immer noch nicht abgelegt.”

„Weil Du mir noch gar keine Zeit dazu gelassen hast,” lachte er, „aber Du hast Recht, ich will mich nur etwas zurechtmachen. Das Abendbrot ist doch fertig?”

„Nebenan ist gedeckt und alles ist da, was Du Dir gewünscht hast, Austern und Kaviar, Dein heißgeliebter Rehrücken, die Flasche Mumm.” – „Dann komm,” bat er, „ich habe eine Eisenbahnfahrt von 24 Stunden hinter mir und trotz des Speisewagens habe ich der Versuchung widerstanden und seit heute Mittag nichts gegessen, lediglich um mir den Appetit und die Freude an unserm ersten gemeinsamen Abendbrot nach langer Zeit nicht zu verderben.”

Wenig später saßen sie sich in dem reizenden Eßzimmer an dem mit schönem Kristall und frischen Blumen geschmückten Tisch gegenüber.

„Weißt Du wohl,” sagte er, „daß das Schönste an dieser ganzen Reise doch eigentlich dieses Wiedersehen ist? Wie oft habe ich mich nach diesen Räumen gesehnt, wie oft hätte ich auf alle Schönheiten, die ich sah, verzichtet, wenn ich Dich dafür hätte sehen können. Wie oft habe ich mich auf diesen Augenblick gefreut, nun ist er da, und das ist fast zu schön, als daß ich es glauben kann.”

Sie ergriff seine Hand und küßte sie: „Wie lieb Du bist!”

„Nicht im geringsten,” wehrte er das Lob ab: „Ich habe Dich nur lieb!”

Und Ellen wußte, daß er die Wahrheit sprach.

Vor mehr als zwei Jahren hatte Egon von Adlersbach sie kennen gelernt; sie studierte damals auf dem Konservatorium und hatte ihn eines Abends auf einer kleinen Gesellschaft, zu der sie zusammen geladen waren, ebenso durch ihren Gang entzückt, wie sie ihn durch ihre schlanke, biegsame Figur, ihr zartes, feingeschnittenes Gesicht und die ganze Art ihres Wesens bezaubert hatte. Fast ein ganzes Jahr hatte er um ihre Gunst werben müssen, bis sie ihn endlich erhörte. Er hatte ihr eine herrliche Wohnung genommen und erfüllte jeden ihrer Wünsche, er war glücklich, über ein Vermögen zu verfügen, das ihn in keiner Hinsicht zu irgend welcher Einschränkung zwang. Nach dem Tode seines Vaters war er Besitzer mehrerer Millionen geworden, und er hatte seine juristische Laufbahn sofort aufgegeben, um sich ganz dem Nichtsthun zu ergeben. So hatte er Zeit genug, sich um seine Ellen zu kümmern, und alle Stunden, die er nicht im Klub zubrachte, verlebte er mit ihr zusammen. Er konnte sich eine Trennung von ihr, selbst für eine noch so kurze Zeit, gar nicht vorstellen, und doch hatte er sie jetzt ein Vierteljahr allein gelassen. Zwei seiner Klubfreunde hatten ihm zugeredet, mit ihnen zusammen eine Orientreise zu machen, zuerst hatte er garnicht daran gedacht, sich daran zu betheiligen, aber die Freunde hatten ihm die Schönheiten des Orients in den glühendsten Farben geschildert, vor allen Dingen aber hatten sie ihm auseinandergesetzt, wie gut, sowohl für ihn wie für Ellen, eine kurze Trennung wäre, wie die Liebe und die Leidenschaft dann von neuem erwachen würden, und schließlich hatte auch Ellen ihm zugeredet, sich an der Reise zu betheiligen. Am liebsten hätte sie ihn ja begleitet, aber sie war klug und verständig genug gewesen, um einzusehen, daß das nicht ging. So hatte er sich denn an der Vergnügungsfahrt betheiligt, und heute war er zurückgekehrt.

Gestern hatte der Dampfer in Genua Anker geworfen, die Freunde waren noch nach Rom und Florenz weitergereist, aber Egon hatte es vor Sehnsucht nach Ellen nicht mehr ausgehalten, mit dem Süd-Express war er zu ihr geeilt.

„Und nun erzähle,” bat sie, „was hast Du alles Schönes gesehen?”

Er berichtete von den Wundern des Orients. Und von dem vielen, was er gesehen und erlebt, wußte er das, was sie interessierte, herauszufinden und ihr in fesselnder Weise zu schildern.

„Und die Frauen?” fragte sie, als er jetzt schwieg, „wie oft warst Du mir untreu?”

„Nicht ein einziges Mal,” log er mit solcher Entschiedenheit, daß er selbst an die Wahrheit seiner Worte glaubte. Und doch tauchte gerade bei ihrer Frage das Gesicht einer süßen, kleinen Französin, einer entzückenden Brünette, mit der er in Monte Carlo und in Nizza selige, frohe Stunden verlebt hatte, in seiner Erinnerung auf.

„Na, na,” meinte sie lachend, „nur ein Glück, daß Du heute Abend über keine Brücke zu gehen brauchst.”

„Mich und mein gutes Gewissen trägt jede,” vertheidigte er sich, „aber ich will der Wahrheit die Ehre geben und offen bekennen, mein Verdienst allein ist es nicht, wenn ich Dir treu bin. Wer da nach dem Orient fährt, um galante Abenteuer zu bestehen, der kommt nicht auf seine Kosten, wenn er sich nicht in Kairo in eine Französin oder in Konstantinopel in eine echte Berlinerin verlieben will. Die Frauen des Orients sind für den Fremden nicht zu haben. Ach, und was giebt es da für schöne Frauen!” Und er erzählte von den Harems-Damen, die er so oft gesehen, und die ganz leicht verschleiert weit zum Wagen herausgebeugt, neugierig die Fremden musternd, in ihren eleganten Gespannen, unter dem Schutz von Eunuchen und Reitern durch die Straßen gefahren waren. „Weiber waren darunter, Ellen, Weiber, sage ich Dir, –” und er schloß die Augen und beschwor so manche schöne Gestalt herauf, die ihn bezaubert hatte.

„Armer Egon,” meinte sie lachend, „was mußt Du bei dem Anblick dieser Schönheiten gelitten haben!”

„Du ahnst es nicht,” stöhnte er schwer auf.

Und einem plötzlichen Gedanken folgend, fragte er: „Sag mal, Ellen, aber ganz offen und ehrlich, warst Du mir in der ganzen Zeit wirklich treu?”

Sie lachte hell auf: „Aber Egon, ob ich Dir treu war? Das weißt Du doch selbst am besten. Habe ich Dir es nicht in jedem Brief geschrieben?”

„Das eine schließt das andere nicht aus,” dachte er, dann aber sagte er: „Gewiß thatest Du das, aber dennoch –”

Sie sah ihn strafend an: „Egon, so darfst Du nicht zu mir sprechen, auch im Scherz nicht, Du weißt, daß ich Dir so unendlich viel verdanke, vor allem aber, daß ich Dich über alles liebe. Wie hätte ich Dir da wohl untreu werden können und mit wem?”

„Na, was das anbetrifft,” meinte er, „ein junges Weib, das so schön, so begehrenswerth ist wie Du, findet immer einen Herrn, der mit Freuden bereit ist, ihr die einsamen Stunden zu verkürzen.”

„Wenn sie ihn finden will,” erwiderte sie, „aber daß ich nicht wollte, brauche ich Dir nicht zu wiederholen. Quäle Dich und mich nicht mehr mit solchen Fragen und zerstöre uns durch solche Redensarten die Freude des Wiedersehens nicht.”

„Du hast Recht. Komm her, gieb mir einen Kuß und verzeih' mir, daß ich, wenn auch nur im Scherz, an Dir habe zweifeln können. Ich weiß ja, daß Deine Treue über jeden Zweifel erhaben ist.”

Sie küßte ihn auf den Mund, dann machte sie sich frei.

„Wohin willst Du?” fragte er.

„Den Schmuck holen, ich muß ihn nochmals bewundern.” Und als sie gleich darauf zurückkehrte, sagte er plötzlich: „Ellen, ich habe eine große Bitte an Dich.”

„Und die wäre?”

„Du versprachst mir vorhin, Du wolltest Dich morgen mir zu Ehren schmücken, thu' es schon heute abend. Ich möchte so gerne sehen, wie der Schmuck sich bei Deiner Toilette ausnimmt, ich habe ihn mit so viel Liebe für Dich gekauft, thu' mir den Gefallen.”

Leichter, als er es gegalubt hatte, gelang es ihm, sie zu überreden, sie wollte sich dem Freunde dankbar erweisen, auf der anderen Seite schmeichelte es aber auch ihrer Eitelkeit, sich in ihrer ganzen Schönheit zu zeigen, sich bewundern zu lassen. So willigte sie denn ein: „Aber eine halbe Stunde mußt Du Dich gedulden und Du darfst nicht in mein Zimmer kommen, solange ich mich umziehe. Du sollst mich erst sehen, wenn ich ganz fertig bin. Versprichst Du mir das?”

„Ich versprech' es Dir.” – „Schön, dann warte!” – Sie eilte davon, aber in der Thür drehte sie sich nochmals um: „Du wirst aber Augen machen!”

Und sie behielt Recht. Als sie nach einer halben Stunde in einer wahrhaft fürstlichen Robe wiedererschien, machte er wirklich Augen. Was war denn das für ein Kleid, was Ellen da trug? Das kannte er ja noch gar nicht. Gewiß hatte sie sich das in seiner Abwesenheit angeschafft, aber er konnte sich nicht entsinnen, daß sie ihm über diese Toilette, die mehrere Tausende kosten mußte, geschrieben hätte. Wie eine Königin stand sie ihm gegenüber, wie eine Königin der Schönheit und der lieblichsten Anmuth.

„Wie gefalle ich Dir?”

Er war hingerissen von ihrem Anblick. Die tiefausgeschnittenen Schultern, der bezaubernde Nacken, die wundervolle Büste, das alles versetzte ihn so in Ekstase, daß er gar keine Augen für den Diamantschmuck hatte, der im verführerischen Glanze an dem Ausschnitt ihrer Taille blitzte.

„Ellen, wie bist Du schön!” Es war alles, was er zu sagen vermochte.

„Gefalle ich Dir?” lachte sie glücklich, und dann fragte sie: „Und wie gefällt Dir die Robe?”

„Die ist wunderbar schön,” gab er zur Antwort, und scherzend fuhr er fort: „Ellen, Ellen, auf die Rechnung freue ich mich aber!”

Sie sah ihn ganz verwundert an: „Glaubst Du, ich hätte hinter Deinem Rücken und ohne Dein Wissen Schulden gemacht? Nein, Egon, sei ganz ruhig, die Toilette ist längst bezahlt. – Aber was hast Du denn nur?” fragte sie plötzlich. „Was machst Du den mit einem Mal für ein Gesicht? Ist Dir nicht wohl?” Und besorgt trat sie auf ihn zu.

„Doch, doch,” wehrte er sie ab, „eine plötzliche Abspannung, die lange Reise, die Freude des Wiedersehens, es geht gleich vorüber.”

„Wir wollen früh schlafen gehen,” meinte sie, „vorher aber hole ich Dir schnell einen Cognac, der wird Dir gut thun.” Sie eilte davon, und mit einem schnellen Blick prüfte Egon nochmals das Kleid, er war ein Kenner, er kannte den Werth solcher Toiletten. Eins beunruhigte ihn, die Toilette war bezahlt, aber wer hatte Ellen das Geld dazu gegeben? Er nicht, also ein anderer, aber wer war dieser andere? Ihre Untreue wurde ihm mit einem Mal offenbar, ein bitteres Gefühl gegen Ellen stieg in ihm auf, wie hatte sie ihm das anthun können?

Aber fast noch mehr beschäftigte ihn eine andere Frage: Wie konnte die kluge Ellen ihre Klugheit so weit vergessen, daß sie gleich bei dem ersten Wiedersehen ihre Eitelkeit zur Verrätherin werden ließ?


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© Karlheinz Everts