Von Freiherr von Schlicht
in: „Auer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge” vom 11.09.1913,
in: „Mußestunden”, Tägl. Unterhaltungsblatt zur „Dortmunder Zeitung”, vom 13.9.1913,
in: „Czernowitzer Tagblatt” vom 14.09.1913,
in: „Gablonzer Tagblatt” vom 20.9.1913,
in: „Mülheimer Zeitung” vom 27.9.1913,
in: „Kölner Local-Anzeiger” vom 22.10.1913,
in: „Hermanner Volksblatt” vom 21.11.1913,
in: „Aachener Anzeiger” vom 26.11.1913,
in: „Die Ehestifterin”
Meine Frau war, wie jeden Sonnabend vormittag auf den Wochenmarkt gegangen, um ihre Einkäufe zu machen und hatte mich gefragt, ob ich ihr nicht noch ein paar Mark zu ihrem Geld hinzugeben könne, denn sie hätte nur zwölf Mark Silber. Gold besaß sie im Augenblick nicht und einen Hundertmarkschein wollte sie auf den Markt nicht mitnehmen. Ich sollte aushelfen, mit drei oder vier Mark, höchstens fünf. „Also mindestens mit sechs,” dachte ich im stillen, „am liebsten sogar mit zehn.” Dann griff ich in die Tasche, aber es ging mir wie meiner Frau, Silber hatte ich gar nicht, Gold erst recht nicht, wohl aber einen Fünfzigmarkschein. Meine Frau hatte zuerst Bedenken, den mitzunehmen, dann mußte sie auf dem Markt Geld wechseln und wie leicht verzählt man sich nicht in dem Gedränge, wie leicht kann man da etwas auf die Erde fallen lassen, um es dann nicht wiederzufinden. Meine Frau hatte sehr große Bedenken, das Geld mitzunehmen, trotzdem steckte sie den Schein blitzschnell in ihr Portemonnaie,denn die Frau, die einen Fünfzigmarkschein in Händen hat und ihn freiwillig wieder zurückgibt, soll noch geboren werden und meine Frau war schon geboren!
Meine Frau hatte sich von mir verabschiedet, nachdem sie mir erklärte, ich würde von den fünfzig Mark natürlich so gut wie alles wiederbekommen, ja, um nicht wechseln zu müssen, wollte sie sogar versuchen, mit ihrem Silbergeld zu reichen, wenn wir uns nachher um halb zwölf in der Stadt träfen, wolle sie sofort mit mir abrechnen.
Meine Frau war gegangen, ich setzte mich an meinen Schreibtisch und als wir uns dann in der Stadt trafen, war es durch meine Schuld nicht halb zwölf, sondern sogar schon nach zwölf geworden.
Aber das nicht allein, als wir uns in der Stadt trafen, hatte meine Frau einen neuen Hut auf dem Kopf.
Man soll sich bei einer Frau über nichts wundern, aber von Zeit zu Zeit verfällt man trotzdem in den alten Fehler und so wunderte ich mich denn, nicht darüber, daß meine Frau einen neuen Hut hatte — du großer Gott, wann hat eine Frau, die Wert darauf legt, gut angezogen zu sein, keinen neuen Hut? Ich wunderte mich nur darüber, daß meine Frau, die auf den Wochenmarkt gegangen war, um Gemüse einzukaufen, sich statt dessen bei der Putzmacherin einen Hut gekauft hatte. Bis ich denn darüber belehrt wurde, daß meine Frau natürlich beides gekauft hatte, den Hut und das Gemüse, nein, das Gemüse und den Hut, denn heute am Markttag war das Gemüse das Wichtigere.
„Schön,” meinte ich, „wenn du das selbst einsiehst, dann verstehe ich nicht, warum du dir überhaupt einen Hut gekauft hast.”
Meine Frau sah mich vorwurfsvoll an, dann meinte sie: „Warum hast du mich solange warten lassen? Ich konnte doch nicht die ganze Zeit auf der Straße auf und ab gehen.”
Unwillkürlich dachte ich daran, wie endlos lange ich schon oft auf der Straße warten mußte, wenn meine Frau in einem Laden war, und mir fiel ein, daß sie mir dann stets, wenn sie mich bei dem Wiedersehen etwas ungeduldig vorfand, zurief: „Aber es regnet doch nicht.”
So meinte denn auch ich jetzt: „;Aber es regnet doch nicht.”
„Aber es hätte regnen können,” verteidigte meine Frau sich schnell, obgleich an dem blauen Himmel auch nicht die leiseste Wolke zu sehen war, „aber davon ganz abgesehen, für eine Dame schickt es sich nicht, so lange auf der Straße zu promenieren, ich mußte in einen Laden gehen und da mir einfiel, daß ich meine Putzmacherin schon längst einmal fragen wollte, wieviel ich ihr noch schulde, so ging ich zu ihr.”
„Und machtest zu den alten Schulden neue hinzu,” warf ich ein.
„Bitte sehr,” verteidigte meine Frau sich schnell und sich stolz aufrichtend, erklärte sie: „Diesen Hut habe ich sofort bar bezahlt, er ist so spottbillig, daß ich ihn glücklicherweise gleich bezahlen konnte, er kostet nur fünfundvierzig Mark.”
„Das heißt also mit anderen Worten,” rief ich ziemlich ärgerlich, „daß ich von meinem Fünfzigmarkschein nichts wieder zu sehen bekomme?”
Meine Frau sah mich mit dem unschuldigsten Gesicht von der Welt an und fragte ganz verwundert: „Ja, wolltest du das denn? Davon hast du mir doch keine Silbe gesagt.”
„Aber du hast mir doch ausdrücklich erklärt, daß du mir alles bis auf ein paar Mark zurückgeben würdest. Du wolltest sogar versuchen, mit deinem Silbergeld auszukommen, nur um den Schein nicht wechseln zu müssen.”
„Das habe ich auch gar nicht getan,” verteidigte meine Frau sich abermals, „mein Marktgeld hat gereicht und gewechselt habe ich den Schein auch nicht. Der Hut kostet fünfundvierzig Mark und dann habe ich mir noch für fünf Mark einen Schleier gekauft, da machte es gerade fünfzig.”
„Und wenn ich dir hundert Mark gegeben hätte, dann hättst du dir noch einen Hut für fünfundvierzig Mark und noch einen Schleier für fünf Mark gekauft,” schalt ich, „und das hätte dann alles zusammen hundert Mark gemacht.”
Aber meine Frau widersprach, absichtlich meinen Vorwurf überhörend und erklärte: „Nein, dann hätte ich mir den Hut zu achtzig Mark gekauft, den die Putzmacherin mir zeigte.” Und mich mit flehenden Augen ansehend, bat sie: „Was meinst du, ob ich mir den nicht auch noch kaufe? Du solltest ihn dir wenigstens einmal ansehen, er ist einfach ein Traum.”
Wehe dem Mann, der sich irgend etwas, das seine Frau sich wünscht, wenigstens einmal ansieht. Der ist verloren und wäre sein Herz aus Eisen.
So blieb ich standhaft, trotzdem meine Frau weiter bat und schmeichelte, bis ich dann endlich ausrief: „Nun hör' aber schon damit auf, ich finde wirklich, du gibst für deine Toiletten und deine Hüte etwas reichlich viel Geld aus.”
Einen Augenblick ging meine Frau betrübt neben mir her, dann meinte sie mit ganz zaghafter Stimme: „Gott, laß mir doch das Vergnügen, mich hübsch anzuziehen, ich habe doch sonst weiter nichts auf der Welt.”
Und das klang so rührend und so überzeugend, daß ich ihr glaubte.
Eine halbe Stunde später — solange brauchte sie, bis sie ihn sich richtig aufgesetzt hatte — hatte sie den neuen Hut für achtzig Mark auf dem Kopf und nun erklärte sie mir auch, daß sie sich den Hut für fünfundvierzig Mark nur gekauft habe, damit ich ihn scheußlich fände und damit ich ihr den teueren Hut schenkte.
Trotzdem aber gab sie den Hut für fünfundvierzig Mark nicht zurück, sondern behielt auch den, „denn weißt du, so scheußlich ist er eigentlich gar nicht und für schlechtes Wetter ist er sogar zu gut.”
So war ich denn glücklich einhundertunddreißig Mark losgeworden und ich konnte mir nicht helfen, ich war ein klein wenig verstimmt, weniger über meine Frau, als über meine eigene Schwäche. Meine Frau merkte mir das natürlich an, aber auf der Straße sprah sie nicht weiter darüber, bis sie zu Hause, um mich mit mir selbst auszusöhnen, zu mir sagte: „Gott, gönne es mir doch, daß ich mich hübsch kleide, ich habe doch sonst weiter nichts auf der Welt.”
Aber dieses Mal glaubte ich ihr nicht und so erklärte ich ihr denn, als wir in meinem Zimmer zusammensaßen: „Du mußt dir solchen Unsinn auch nicht einreden, du hast doch auch sonst noch eine ganze Menge auf der Welt, soll ich es dir einmal aufzäheln?”
Meine Frau machte ein so gespanntes Gesicht, als sei ich im Begriff, ihr ein Märchen aus „Tausendundeiner Nacht” zu erzählen, dann sagte sie: „Da bin ich aber begierig.” Und sie hörte voller Aufmerksamkeit zu, als ich nun zu ihr sagte: „Außer den Kleidern und Hüten hast du zunächst in meiner Person einen Mann, der dich tatsächlich auf Händen trägt und es gibt viele Frauen, die keine solche Männer haben” —
„Witwen haben aber doch nie Männer,” warf meine Frau ein, die mich natürlich absichtlich falsch verstanden hatte.
Ich vermied es, weiter darauf einzugehen, sondern fuhr fort: „Außerdem bewohnst du ein wunderhübsches Haus, das alle, die zu uns kommen, nicht genug bewundern können. Ich erinnere dich ferner an die schönen Reisen, die wir alljährlich machen. Wir sind den ganzen Sommer über fort, bald in Bayern, bald in Tirol, bald in der Schweiz und wenn wir im August heimkehren, packen wir schon bald wieder für die Herbstreise, die uns nach Montreux, Meran, oder sonst irgendwohin führt.”
„Aber wir reisen doch hauptsächlich deinetwegen,” rief meine Frau, „damit du neue Eindrücke für deine Arbeiten empfängst.”
„Und hauptsächlich, damit du neue Toiletten siehst,” verteidigte ich mich wahrheitsgemäß, „aber wie dem auch immer sei, wir reisen und diese Reisen gehören doch auch zu den Freuden des Lebens. Ich kenne viele, die uns darum beneiden, weil die nicht in der glücklichen Lage sind, sich die Welt so ansehen zu können, wie wir es tun.”
„Aber ich kann doch nichts dafür, daß die anderen Leute kein Geld haben,” rief meine Frau.
„Gewiß nicht,” beruhigte ich sie, „aber du solltest froh sein, daß du es hast, daß du keine Sorgen kennst. Und wenn du schließlich noch wissen willst, was du sonst noch auf der Welt hast — du hast Gesundheit und Genußfähigkeit. Du kannst das Leben genießen und du hast die Gabe, die vielen abgeht, es auch wirklich genießen zu können. Du erfreust dich an der Natur, an der Kunst und Literatur, du hast für alles Interesse, du liebst die Blumen und die Tiere, du kannst dich wie ein Kind freuen, wenn im Winter die kleinen Blaumeisen sich vor deinem Fenster aus dem Körbchen Futter holen, kurz, das Leben bietet dir soviel, daß du mit deinem Wort ,ich habe doch sonst weiter nichts', geradezu eine Sünde begehst.”
Meine Frau mochte wohl einsehen, daß ich recht hatte, sie war verstimmt und um mir das nicht zu verraten, nahm sie ihre Häkelarbeit zur Hand, ohne weiter mit mir zu sprechen. Und ich schwieg schon, um meiner Frau Zeit zu lassen, über meine Worte nachzudenken.
Meine Frau häkelte, ich rauchte und blätterte in der Zeitung, bis es dann plötzlich an die Tür klopfte und das Mädchen hereintrat, um die neuen Jornale zu bringen.
Auf gut Glück nahm ich eins zur Hand, die anderen überließ ich meiner Frau, ohne weiter danach hinzusehen, was die sich nahm. Aber es mußte ein sehr interessantes Blatt sein, denn plötzlich hörte ich aus ihrem Munde einen halbunterdrückten Schrei.
„Ist denn die Geschichte, die du da liest, so spannend und aufregend?” fragte ich verwundert.
Aber meine Frau gab lange keine Antwort, bis sie mir dann zurief: „Bitte, komm her, dieses Bild mußt du dir ansehen, es ist zu entzückend.”
„Was gibt es denn?” fragte ich neugerig nähertretend und sah gleich darauf in einem Modejournal die Abbildung eines allerdings bildhübschen Abendmantels.
Mir ahnte nichts Gutes und meine Ahnung trog mich nicht, denn aufspringend und mich umarmend, bat meine Frau: „Wenn du nur einen Funken Liebe für mich empfindest, dann mußt du mir erlauben, daß ich mir einen solchen Mantel machen lasse. Nein, nein, du darfst mir die Bitte nicht abschlagen,” rief sie erregt, als ich unwillig den Kopf schüttelte und um mich milde zu stimmen, setzte sie hinzu: „Ich will ja auch gerne zugeben, daß ich deinen Tadel verdiene und du mit deinen Worten vorhin recht hattest. Ich will es auch nie wieder sagen, niemals, ich schwöre es dir, aber trotzdem, lasse mir doch das Vergnügen, mich hübsch anzuziehen, ich habe doch sonst wirklich gar nichts auf der Welt!”