Die Weihnachtskiste.

Von Graf Günther Rosenhagen,
in: „Kleine Geschichten”


Wir saßen bei Tisch und plauderten von dem bevorstehenden Feste, von den Geschenken, die wir für unsere Lieben fortgeschickt hatten und den Gaben, die wir von außerhalb erwarteten, als plötzlich die Glocke ertönte. Das Mädchen öffnete und trat gleich darauf ins Zimmer, um zu melden, daß soeben ein Packet abgegeben sei und daß der Fuhrmann auf ein Rollgeld warte. Ich ging hinaus um die Sache zu ordnen und besah mir das Packet. Dasselbe bestand aus einer etwa 1½ Meter langen und einem Meter hohen Kiste. Neugierig las ich den Frachtbrief: „deklarierter Werth: Fünfzig Mark, Inhalt, —” Nein, den wollte ich nicht verraten, darum steckte ich den Schein in die Tasche, betrat wieder das Zimmer, setzte mich an den Tisch und aß ruhig weiter.

„Willst du mir bitte sagen, für wen das Packet ist,” fragte meine Frau.

„Für Dich, mein Schatz natürlich,” antwortete ich, „Du weißt ja, daß ich außer Dir keinen Menschen besitze, der auf den Gedanken käme, mir ein Weihnachtsgeschenk zu machen.”

„Für mich,” sagte meine Frau, „bitte, bitte sage mir von wem?”

„Warum,” entgegnete ich, „Zweimal werden wir noch wach, Heissah, dann ist Weihnachtstag! dann stelle ich Dir das Packet unter den Tannenbaum und wenn du ganz artig bist, hat das kleine Packet sich bis dahin vielleicht in eine große Kiste verwandelt!”

Mit einem Jubelschrei flog mir meine kleine Frau um den Hals, „Ach du Lieber, Guter, eine große Kiste? Da hast Du mir gewiß den theuren Pelz gekauft, den ich mir so furchtbar wünschte. Du bist immer so gut und liebevoll mit mir, es ist wirklich nicht recht von dir, dir meinetwegen solche Unkosten zu machen.” Meine Frau küßte und küßte mich immer von neuem. Es wurde mir schwer, aber ich mußte die Wahrheit gestehen.

„Du irrst Dich, Liebe, die Kiste ist nicht von mir und ich muß dir zu meinem größten Bedauern sagen, daß ich dir in diesem Jahr ein so theures Geschenk unmöglich machen kann. Du weißt —”

„Nicht von dir,” unterbrach mich meine kleine Hausfrau, „ja von wem denn?”

„Weiß nicht,” antwortete ich, „Du wirst es ja bald erfahren. Du kannst mich bitten und fragen, soviel du willst, verrathen thue ich es doch nicht!”

Schmollend schwieg meine Frau und wir fuhren in unserem Mittagsmahl fort. Wir plauderten weiter, mitten aber in einem Gespräch über Jean Paul sagte meine Frau plötzlich:

„Darf ich einmal aufstehen und mir die Kiste ansehen?”

„Bitte sehr,” entgegnete ich, „darf ich Dich vielleicht begleiten?”

Wir gingen auf den Korridor. Meiner Frau entfuhr ein Freudenschrei, als sie die große Kiste sah und kopfschüttelnd ging sie ins Zimmer zurück.

„Könnten wir nun vielleicht ohne Unterbrechung zu Ende speisen,” erlaubte ich mir zu bemerken, „ich bin wirklich hungrig und es wird sonst alles kalt.”

Wieder saßen wir einen Augenblick still, aber meine Frau ließ die Weihnachtskiste wirklich keine Ruh.

„Ich finde es wirklich im höchsten Grade unrecht von Dir, daß Du mir den Absender nicht nennen willst. Du weißt, der Arzt hat mir jede Aufregung auf das Strengste verboten.”

Aber auch dieser Versuch, mich zum Sprechen zu bringen, scheiterte.

Plötzlich schrie meine Frau laut auf. „Um Gotteswillen, Kind, was ist Dir,” fragte ich.

„Nun weiß ich es ganz gewiß, die Kiste ist von Tante Guste, die Kiste sah mir gleich so aus!”

„Die Ähnlichkeit zwischen Tante Guste und der Kiste will mir nicht recht einleuchten, aber wenn Du es meinst, gut, also die Kiste ist von Tante Guste.”

„Aber wie kommt sie dazu, mir ein solches Geschenk zu machen,” fragte mein kleiner Quälgeist weiter. „Was kann da nur drin sein? Vielleicht Eingemachtes? Ach, denk Dir mal, wie herrlich das wäre! Dann brauchte ich zum nächsten Jahr gar nichts einzukochen. — Oder glaubst Du nicht vielleicht doch, daß Onkel Karl es uns geschickt hat? Als er hier war, erzählte ich ihm, wir wollten so gerne einen neuen Teppich für unser Eßzimmer haben. Ich glaube wirklich, es ist von ihm. — Wundern aber sollte es mich doch, er hat uns doch noch nie etwas geschenkt. Nein, ich glaube es doch nicht. Laß mich einmal denken.”

Ich zündete mir eine Cigarre an, nahm die Zeitung, vertiefte mich in die neuesten Telegramme und ließ meiner Frau Zeit zum Denken. Ich hörte sie leise mit sich selbst sprechen, sie zählte sich sämmtliche Tanten, Onkel, Vettern und Kousinen auf, bei Jedem fragend: was könnte der mir schenken, was der? Alles Sinnen war vergebens, alles Denken umsonst und von neuem wurde ich mit Bitten bestürmt. „Nur einen Buchstaben, nur einen einzigen Buchstaben sage mir. Pfui, wie magst Du nur so garstig sein und mich so quälen?”

„Erlaube mal,” erwiederte ich, „mir liegt Nichts ferner, aber Du quälst Dich ja selbst mit diesem fruchtlosen Denken und Grübeln. Wenn Dir übrigens mit einem Buchstaben gedient ist, da hast Du ihn „V!” Wieder verging eine Viertelstunde mit tiefem Nachdenken. Ich hatte mich inzwischen an die Arbeit gesetzt, als ich auf einmal leises Schluchzen hörte, ich trat auf meine Frau zu und fragte, weshalb sie weine.

„Ach,” sagte sie, „ich mag denken soviel ich will, ich habe gar keine Bekannte, dessen Name ein V enthält.”

„Wer hat denn das behauptet,” entgegnete ich, „Du hast mich ja nur um einen einzigen Buchstaben gebeten, den habe ich Dir genannt.”

„Pfui, Du bist eklig,” erwiederte sie, „mit Dir will ich nichts mehr zu thun haben.”

Ich wollte sie küssen, aber sie wandte sich erzürnt von mir ab. Aber schon nach wenigen Minuten stand sie hinter meinem Schreibstuhl und sagte:

„Komm, sei wieder gut. Ich will Dir auch einen Kuß geben. Nun sei aber süß und sag auch, wer mir die Kiste schickt.”

Wieder setzte ich ihren Bitten ein tiefes Schweigen entgegen und die Versöhnung dauerte nur wenige Minuten.

Der Abend ging zu Ende und wir suchten unser Lager auf. Kaum lagen wir im Bett, da ging das Bitten und Flehen von neuem an. Auf einmal sagte meine Frau:

„Weißt Du, es ist von Onkel Lademann. Ganz bestimmt, wie konnte ich nur so thöricht sein und nicht gleich darauf kommen. Erinnerst Du Dich nicht mehr, als im Sommer Tante starb, sagte Onkel zu mir, er wollte mir das Spinnrad und die Spindel von Tante schenken. Du, das ist zu freundlich von ihm, er ist immer schon so nett mit mir gewesen, schon in meiner Kinderzeit. Wie thut es mir nun leid, daß ich für ihn gar keine Kleinigkeit gearbeitet habe. Glaubst Du, daß er mir es übel nehmen wird? Aber ahnen konnte ich das doch eigentlich nicht?”

„Und eigentlich brauchst Du ihm gar kein Geschenk zu machen, denn er schenkt Dir auch nichts. Wenigstens ist die Kiste nicht von ihm. Im Übrigen „Gute Nacht”, ich bin müde und muß wieder früh auf!”

Wie lange ich geschlafen, weiß ich nicht. Ich wurde wach, als meine Frau mich beständig beim Vornamen rief, „Du wünschest, Liebling,” sagte ich zu ihr.

„Sei nicht böse,” antwortete sie, „aber ich kann gar nicht einschlafen, ist die Kiste vielleicht von Onkel Schütze?”

Ich schwieg einen Augenblick, ärgerlich wegen dieser Kleinigkeit geweckt zu sein und ich verwünschte den alten Kasten Gott weiß wohin.

„Siehst Du, Du antwortest nicht, das ist ein Beweis, daß ich endlich das Richtige gerathen habe. Wie ist das niedlich von ihm, er hat selbst so wenig zum Leben und uns macht er solch ein großes Geschenk. Was nur drin sein mag? Denk Dir mal, wenn es ein großer Regulator wäre, das wäre himmlisch. Dann schieben wir vorne das Bücherbort etwas zur Seite und stellen den einen großen Lehnstuhl in dein Zimmer hinein. Ach Du, das wäre zu herrlich, dann hätten wir bei Dir zwei große bequeme Stühle, in dem einen säßest Du, in dem andern ich. Dann stellen wir den kleinen Tisch ins Eßzimmer, den kann ich da schön gebrauchen.”

„Halt,” rief ich, „hör auf, du kramst ja unser ganzes Haus um. Und alles vergebens und umsonst! Denn erstens ist das Geschenk nicht von Onkel Schütze und zweitens ist es kein Regulator! Wenn Du es denn absolut wissen willst, so höre und staune: es ist ein immenser ausgestopfter Vogel.”

„Um Himmelswillen, das wäre ja entsetzlich!” entgegnete meine Frau. „Wo sollten wir nur damit hin? Wir haben ja nirgends Platz dafür! Aber nein, Du lügst, ich habe mehrmals die Kiste angestoßen, für einen ausgestopften Vogel ist sie viel zu schwer!”

Nun schliefen wir Beide und die Tage vergingen mit Besorgungen und Vorbereitungen. Meine Frau fragte mich nicht mehr; sie hatte doch wohl noch heimlich allerlei schöne Hoffnungen.

Aber die Augen, als am Weihnachtsabend die Kiste geöffnet ward!

Kein Pelz, kein Spinnrad, kein Regulator, nicht einmal Eingemachtes, sondern jener langbeinige, weiße Vogel, der manchmal am Ufer des Nils fischt und bei seiner Rückkehr das Entzücken aller kleinen Kinder, aber zuweilen den Schrecken der Eltern bildet.

„Ein Storch,” rief meine Frau entsetzt, „wie schändlich. Fort mit ihm auf den Boden!” —

Und seit der Zeit hat sich die Neugier meiner Frau auf den Inhalt aller Weihnachtskisten gelegt.


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