Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Zu dumm!”
Es war im Manöver. Auf einer Anhöhe hatte Se. Exzellenz, der Herr Divisionskommandeur, die Offiziere seines Detachemants um sich versammelt und hielt ihnen eine seiner schönen Reden, die sich nur deshalb bei den Zuhörern einer nur sehr geringen Beliebtheit erfreuten, weil sie nicht kurz und schmerzlos, sondern lang und inhaltslos waren.
Auch heute redete er nach Ansicht seiner Untergebenen sehr viel Blödsinn zusammen; am liebsten hätten sie „Schluß” gerufen, aber das ging ja leider nicht, ohne daß man selbst ging. Und das wollte keiner, sie hatten alle die Absicht, wenn auch nicht den Reitstock, so doch wenigstens das Gehalt eines Generalfeldmarschalls zu erhalten.
„Meine Herren, nun zum Schluß noch eine Bemerkung, aber eine sehr, sehr wichtige!”
Exzellenz sprach's und alle spitzten die Ohren — einige, die besonders diensteifrig waren oder wenigstens den Eindruck hervorrufen wollten, als ob sie es wären und die sich dadurch bei dem Vorgesetzten „schustern” wollten, legten die rechte Hand an das Ohr, um ja keine Silbe von dem zu verlieren, was der hohe Herr in seiner Weisheit zum besten geben werde.
Exzellenz machte eine kleine Pause, um die Neugier noch um einige Prozent zu steigern, dann sagte er: „Meine Herren, während Sie heute Nacht schliefen, habe ich von meinen Generalstabsoffizieren und von meinen Adjutanten das Gelände, in dem wir heute kämpfen werden, rekognoszieren lassen, und bei der Gelegenheit habe ich eine Entdeckung gemacht, auf die ich sehr stolz bin.”
„Sehr mit Unrecht!” dachte ein junger frecher Leutnant. „Auf die Entdeckungen, die deine Untergebenen machen, brauchst du gar nicht stolz zu sein, höchstens auf deine Untergebenen selbst, daß sie in diesem Falle trotz ihres geringeren Gehalts klüger gewesen sind als ihr hoher Herr. Auch als Vorgesetzter muß man sich bemühen, sich immer korrekt und genau auszudrücken.”
Aber das alles dachte der junge, freche Leutnant nur — sagen, ja sagen tat er gar nichts. Wozu auch? Man würde es doch „unbegreiflich” gefunden haben.
„Meine Herren,” begann Exzellenz von neuem, „bitte, nehmen Sie Ihre Karten hervor. Sie finden dort etwa einen Kilometer westlich des Nordrandes von Adorf einen Bach gezeichnet, der aber in Wirklichkeit ein Mittelding zwischen einem Teich und einem kleinen Fluß ist. Ich weiß nicht mehr, wie ich es nennen soll, ich möchte sagen: es ist ein Gewässer, oder noch besser: ein Wasser. Meine Herren, über dieses Wasser führt da, wo Sie auf der Karte den Buchstaben r des Namens Adorf sehen, eine Brücke. Meine Herren, diese Brücke ist neu, sie ist erst vor einigen Wochen fertig gestellt und infolgedessen auf unseren Karten, die ja schon einige Jahre alt sind, noch nicht verzeichnet, sie kann dort auch noch nicht verzeichnet sein.”
„Sehr richtig,” dachte der freche Leutnant, „es ist zuweilen wirklich überraschend, wie manchmal selbst die höchsten Vorgesetzten die törichsten Sachen in geradezu verblüffend wundervoller Weise vorzubringen verstehen.”
„Meine Herren!” fuhr Exzellenz fort, „Ich bin kein Prophet und vermag nicht in die Zukunft zu sehen, und so bin ich nicht in der Lage, anzugeben, wie der Verlauf des heutigen Gefechtes sein wird, das hängt nicht von mir allein , sondern auch von dem Gegner ab. Trotzdem, meine Herren, glaube und hoffe ich, daß es mir möglich sein wird, die Brücke, die über das Wasser bei Adorf führt, zu benutzen. Daß der Übergang dem Feinde ebenfalls bekannt ist, glaube ich bezweifeln zu dürfen, wenigstens haben meine Herren heute Nacht dort keine feindlichen Rekognoszierungspatrouillen angetroffen. Wie dem aber auch immer sei, ich habe die Absicht, die Brücke für alle Fälle für mich offen zu halten, und zu diesem Zweck werde ich dort sofort eine Kompagnie hinsenden, die den Übergang für uns frei hält und den Gegner, falls dieser sich überhaupt zeigen sollte, energisch, aber sehr energisch zurückweist.”
Exzellenz schwieg und sah sich die ihm unterstellten Kommandeure der Infanterie-Regimenter an: „Herr Oberst, darf ich Sie bitten, eine Kompagnie Ihres Regiments zu bestimmen,” wandte er sich schließlich an einen Herrn.
„Zu Befehl, Exzellenz,” klang es zurück, und prüfend sah sich der Oberst die ihm unterstellten Bataillonskommandeure an. „Herr Major, darf ich Sie bitten, eine Kompagnie Ihres Bataillons zu bestimmen,” wandte er sich schließlich an einen Herrn.
„Zu Befehl, Herr Oberst,” klang es zurück, und prüfend sah sich der Major die ihm unterstellten vier Hauptleute seines Bataillons an: „Herr Hauptmann, darf ich Sie bitten, mit Ihrer Kompagnie den von Seiner Exzellenz befohlenen Brückenschutz zu übernehmen.”
„Zu Befehl, Herr Major,” und prüfend sah sich der Herr Hauptmann die ihm unterstellten drei Leutnants darauf hin an, ob sie wohl mit ihm zusammen imstande sein würden, den ehrenvollen Auftrag zur höchten Zufriedenheit Seiner Exzellenz auszuführen.
„Mir wäre es lieber gewesen, Herr Oberst, Sie hätten den Herrn Hauptmann selbst bestimmt,” sagte da Seine Exzellenz, „die betreffende Kompagnie begibt sich da auf einen sehr exklusiven Posten und mir liegt daran, daß ich mich absolut auf den betreffenden Herrn verlassen kann.”
Das war eigentlich ein Mißtrauensvotum, das Exzellenz da dem auf dem Instanzenweg ausgesuchten Herrn Hauptmann ausdrückte, aber der Herr Oberst nahm seinen Untergebenen in Schutz: „Ich würde auch die fünfte Kompagnie bestimmt haben,” sagte er mit fester Stimme.
„Das freut mich, das freut mich,” erwiderte Exzellenz, „dann also rücken Sie, bitte, ab, Herr Hauptmann, ich werde auch sofort mit dem Detachement antreten.”
„Zu Befehl, Euer Exzellenz.”
Der Hauptmann schälte sich mit seinen drei Leutnants aus dem großen Kreis der Seine Exzellenz umringenden Offiziere heraus und marschierte wenig später mit Sicherheitsmaßregeln nach dem von Seiner Exzellenz ihm bezeichneten Punkte.
Das Verhältnis, das zwischen dem noch sehr jugendlichen Hauptmann und seinen Offizieren herrschte, war das denkbar beste — und der Ton, in dem sie miteinander verkehrten, war ein wirklich kameradschaftlicher.
„Kinder,” sagte der Hauptmann zu seinen Leutnants, „wir haben heute wahrhaftig mehr Glück als Verstand, ohne mit dieser Bemerkung meinem eigenen Schädel nahe treten zu wollen, ich dachte dabei mehr an euch als an mich. Wenn Exzellenz den geplanten Angriff in der Art und Weise durchführt, wie er das in dem Befehl, den er vorlas, zum besten gab, dann kann das für das Detachement ein sehr genußreicher Tag werden, dann können sich die Leute Hacken und Zehe ablaufen und schwitzen werden sie bei der Temperatur auch nicht schlecht. Na, mir soll's recht sein, wir haben es dafür desto bequemer.”
Nach einem Marsch von einer kleinen Stunde erreichte die Kompagnie das Wasser und fand nach einigem Suchen auch die kleine, sehr primitive Brücke.
Der Hauptmann betrachtete die seinem persönlichen Schutz unterstellten Holzbohlen mit einiger Hochachtung und Neugier, und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte er sich bei dem Wasser und der Brücke zur Stelle gemeldet.
Der Häuptling rief die Offiziere und Unteroffiziere zu sich heran: „Wenn ich es zwar nicht glaube, daß wir hier angegriffen werden, so ist dies doch immerhin möglich. Wir wollen uns jetzt eine Verteidigungsstellung aussuchen, in der wir für den Fall eines Angriffs gute Übersicht und gutes Schußfeld haben. Wir lassen die Leute dann zur Übung die Stellung ein paar Mal besetzen, schätzen einige Entfernungen, stellen einige Posten aus und warten dann ab, was der Tag uns bringt.”
Und nachdem das durchaus sachgemäße Programm durchgenommen war, wartete man.
Hinter einer Anhöhe, nur mit den Augen und der Nasenspitze über dieselbe hervorragend, standen einige Posten und beobachteten das Vorgelände — die übrige Kompagnie lag und schlief und schnarchte. Auch die Herren Offiziere schliefen — offiziell hatten sie nur die Augen zugemacht, damit die Sonne ihnen nicht weh täte, offiziös waren aber auch sie der rauhen Wirklichkeit entrückt.
„Herr Hauptmann, Herr Hauptmann, sie kommen!” Der Vorgesetzte sprang in die Höhe und rieb sich den Schlaf aus den Augen — vor ihm stand einer der Posten; seiner Aufregung merkte man an, daß Gefahr im Verzug sei.
„Auf — an die Gewehre — Gewehr in die Hand — die Stellung besetzt, marsch — marsch,” erfolgten die Kommandos.
Es war aber auch die höchste Zeit — ein feindliches Bataillon, das anscheinend eine Umgehung machen sollte, war schon auf siebenhundert Meter an die Brücke herangekommen. Es schien auf einen Widerstand nicht vorbereitet zu sein, denn man sah deutlich die Unruhe, die entstand, als nun von der Anhöhe herab ein schnelles Feuer gegen sie eröffnet wurde.
Dem Herrn Major schien das gar nicht recht zu ein, er gestikulierte heftig auf seinem Gaul herum und gab dann die nötigen Befehle.
Der Kampf begann: vier Kompagnien gegen eine.
Der Herr Ober duzte sich mit seinem Hauptmann, und so sagte er jetzt zu diesem: „Tu mir die einzige Liebe und denk nicht daran, die Stellung zu räumen. Bilde dir ein, du seiest Waldersee und hättest geschworen, daß der Befehl zum Rückzug nicht über deine Lippen kommen soll. Der Gegner ist in der Übermacht, aber unsere Position ist so vorzüglich, daß sie kaum einzunehmen ist — laß uns hier sterben oder siegen.”
„Glaubst du, daß ich Lust habe, nachher unter den Augen Seiner Exzellenz weiter zu fechten?” fragte der Hauptmann. „Ich bleibe hier, solange es geht, und wenn es geht, noch ein bißchen länger.”
Sprungweise ging der Gegner vor und kam immer näher und näher.
„Wer ist denn das da eigentlich drüben?” fragte der Major seinen Adjutanten mit so lauter Stimme, daß er auch von der anderen Partei gehört wurde. „Es ist ja der reine Wahnsinn, noch länger Widerstand zu leisten. Warum packt denn der Hauptmann nicht seinen Koffer und geht fort? Eine Kompagnie gegen vier — ist ja Unsinn. Hornist, blasen Sie! Seitengewehr pflanzt auf — wir wollen ihm einmal etwas sehr energisch auf den Leib rücken.”
Das Signal ertönte und wurde von der anderen Seite mit dem Kommando: „Schnellfeuer” erwidert.
Die Kerls schossen so toll sie nur konnten, aber da die Platzpatronen nicht treffen, ließ das Bataillon sich in seinem Sturmangriff nicht aufhalten: „Hurra — Hurra — Hurra.”
Mit hochgeschwungenem Säbel in der Rechten erreichte der Major, natürlich dank der flinken Beine seines Pferdes, zuerst die Anhöhe.
„Zurück,” donnerte er den Hauptmann an, „zurück, was wollen Sie hier noch?”
Das wußte der Hauptmann auch nicht genau. Zu verteidigen gab es nichts mehr, die Stellung war gestürmt, daran war nichts mehr zu ändern — das Bataillon ließ sich in seinem Weitermarsch nicht aufhalten, und wenn es durch war, hatte es noch weniger als gar keinen Zweck,daß er mit seiner Kompagnie hier blieb.
So gab er denn traurigen Herzens den Befehl zum Rückzug und machte sich mit seiner Kompagnie auf den Weg, um sich wieder bei Seiner Exzellenz zu melden — an ihm vorüber aber marschierte hohnlachend das feindliche Bataillon, um dem Gegner in den Rücken zu fallen.
Der Hauptmann sah es mit Ingrimm, aber er war nicht imstande, die Absicht des Feindes zu vereiteln.
„Hoffentlich fällt heute die Kritik aus,” stöhnte der Hauptmann im stillen. „Wenn Exzellenz erfährt, daß ich das Wasser preisgegeben habe, wird er nicht allzu freundlich mit mir umgehen!”
Ūnd da behielt der Hauptmann recht, denn Exzellenz wurde bei der Kritik sehr, sehr grob.
„Sie wissen, welchen Wert ich auf den Übergang über das Wasser legte,” schloß Exzellenz seine vernichtende Kritik, „wie ich Ihnen lang und ausführlich auseinander gesetzt habe, fehlen mir für Ihr Verhalten alle Worte. Nicht einmal eine Meldung haben Sie mir geschickt, so daß der Angriff des Gegners in unseren Rücken mir völlig überraschend kam — nicht einmal eine kurze Meldung. Und dafür bestrafe ich Sie mit vierundzwanzig Stunden Stubenarrest, denn es war Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit mir zu melden, daß Sie Ihr Wasser nicht länger halten konnten.” — —