Von Freiherr von Schlicht
in: „Deutsche Romanzeitung” 52.Jahrgg. 1915, 1.Band, Seite 27 - 31 und
in: „Unsere Feldgrauen”
An Stelle des plötzlich anderweitig dienstlich beschäftigten Oberleutnants hielt der Wachtmeister Wrowka in höchsteigener Person in der offenen Reitbahn den Reitunterricht ab, und schon, als er auftauchte, wußten die Husarenjacken: verdammt noch mal, heute gibt es nichts zu lachen. Denn wenn der Herr Wachtmeister auch dann und wann einen Witz zu machen geruhte, vor dem Witz kam mindestens tausendmal der Dienst, und nach dem Witz kam der Dienst erst recht.
Jetzt hatte sich der Wachtmeister Wrowka, eine mehr als mittelgroße, starke Erscheinung mit rollenden Augen und einem durch verschiedene Anleihen fast übermäßig stark und dicht gewordenen Schnurrbart, den Einjährig-Freiwilligen-Gefreiten Wambold, seinen ganz besonderen Liebling und Verzug, vorgenommen. Der Herr Einjährige hatte ihm eben seine Künste vorführen müssen. Erst im Schritt, dann im Trab und schließlich im Galopp war der Einjährige an dem hohen Vorgesetzten vorbeigeritten und hatte die vorgeschriebenen Übungen mit der Lanze ausgeführt, um mit dieser dann als Schlußeffekt nach den verschiedenen Zielen, den imitierten feindlichen Köpfen und Menschenleibern zu stoßen. Jetzt hielt er vor dem Vorgesetzten und erwartete dessen Urteil, das denn auch nicht auf sich warten ließ: „Ich muß Ihnen auch heute wieder aussprechen, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, was ich Ihnen schon oft gesagt habe: Sie mögen ein geistig geradezu hervorragender Zivilist sein, aber ein Soldat werden Sie nie werden, trotzdem Ihre einjährige militärische Dienstzeit mir und Ihrem Gaul zuliebe ja nun bald beendet ist. Was glauben Sie wohl, wie wir beide uns freuen werden, Ihre Stute, die Fanny, und ich! Ich glaube, die Fanny kann es schon gar nicht mehr abwarten, bis sie mal endlich wieder einen Reiter tragen darf, der von der edlen Reitkunst wenigstens den Schimmer einer Ahnung hat. Na, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, für Ihre militärischen Schwächen können Sie ja schließlich nicht allzuviel, denn Sie sind ja in einer Zivilistenfamilie geboren und die militärischen Grazien haben eben nicht neben Ihrem Taufbecken gestanden. Aber wissen Sie, was ich trotzdem möchte? Mit Ihnen einmal in den Krieg ziehen, denn ich möchte es gern mit eigenen Augen sehen, wie die Franzosen sich totlachen, wenn Sie denen mit Ihrer Lanze in den Rippen kitzeln. Und wenn Sie solchem französischen Kerl mit der Lanze in den Schädel piken sollten, dann kriegt der das Niesen, weil das nur so juckt, als hätten Sie ihm Insektenpulver in die Augen gestreut. Durch und durch müßten Sie in Wirklichkeit Ihren Gegner mit der Lanze bohren, aber Sie haben keine Kraft in den Gedärmen, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, Sie gehen mit Ihrer Lanze um wie ein altes Weib mit der Nähnadel, und mich wundert's nur, daß Sie sich nicht jedesmal eine Brille aufsetzen, wenn Sie die Lanze in die Hand nehmen, damit Sie es auch immer sehen können, ob Sie die noch in Händen haben. Na, wie gesagt, mit Ihnen möchte ich in den Krieg ziehen, denn wenn Sie kommen, gibt es für die Franzosen tatsächlich etwas zu lachen, während den Kerls bei uns schon das Lachen vergehen würde. Aber einen Krieg werden wir beide ja leider Gottes nicht erleben.”
Aber sie erlebten ihn doch, wider alles Erwarten schnell war der plötzlich ausgebrochen, und in endlos langen Eisenbahnzügen wurden die mobil gemachten Truppen an die Grenzen befördert. Zu den ersten Kavallerieregimentern, die gegen den Feind vorgeschoben wurden, gehörten auch die Husaren, bei denen der Einjährig-Freiwillige-Gefreite, der den Dienst als schließender Unteroffizier versah, auf der Chaussee neben seinem gestrengen Wachtmeister ritt.
„Dürfte ich dem Herrn Wachtmeister eine Zigarre anbieten?” erkundigte der Einjährig-Freiwillige-Gefreite sich, der es bemerkt zu haben glaubte, daß der Wachtmeister den Duft seines guten Tabaks mit Wohlbehagen einatmete.
„Auch diese Frage beweist Ihre gänzlich unmilitärische Erziehung, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter,” lautete die Antwort, „denn auch ohne, daß Sie mich fragten, mußten Sie wissen, daß Sie mir eine Zigarre geben dürfen. Im Frieden wäre das natürlich so etwas Ähnliches wie Bestechung eines Vorgesetzten gewesen, aber im Kriege, wo es nicht nur keine politischen Parteien mehr gibt, sondern auch gewissermaßen keine Vorgesetzten mehr, sondern nur noch Kameraden, da gibt es keine Bestechung, wenn es natürlich trotzdem noch Vorgesetzte gibt. Also her mit der Zigarre, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, und lassen Sie sich bei der Gelegenheit eins sagen: Sie wissen, ich habe es immer gewünscht, gerade mit Ihnen in den Krieg zu ziehen. Nun ist der Freudentag ja da und wenn nicht alle Anzeichen trügen, werden wir schon morgen oder übermorgen mit dem Feinde zusammenstoßen, denn daß wir über die Grenze geritten sind, um uns hier die schöne Gegend etwas genauer anzusehen, das ist doch klar. Und dann möchte ich Ihnen noch etwas sagen, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, ich habe Sie in der Garnison nicht gerade mit Glacéhandschuhen angefaßt, das brachte der Dienst so mit sich, und was ich Ihnen zu Hause sagte, kann ich jetzt natürlich nicht zurücknehmen. Aber trotzdem wäre es mir ein angenehmes Gefühl, von Ihnen zu hören, daß Sie keinen Freudenjodler ausstoßen, wenn ich morgen oder übermorgen mit meinen Zähnen anstatt in ein frisches Kommißbrot in das Gras beiße.”
„Aber so etwas dürfen der Herr Wachtmeister doch gar nicht denken,” erlaubte sich der Einjährig-Freiwillige-Gefreite gehorsamst zu widersprechen, um gleich darauf fortzufahren: „Ich wollte natürlich sagen, daß der Herr Wachtmeister weder an das eine noch an das andere denken dürfen. Sollten der Herr Wachtmeister wirklich fallen, was ich natürlich nicht hoffe, dann würde das auch mich aufrichtig traurig stimmen, ich sage das aus ehrlichster Überzeugung, denn wenn der Herr Wachtmeister mich auch manchmal gehörig angeschnauzt haben, so geschah es doch immer im Interesse des königlichen Dienstes.”
„Der bekanntlich kein Minnedienst ist, bei dem man Süßholz raspelt,” meinte der Herr Wachtmeister beistimmend; „im übrigen freue ich mich natürlich über Ihre Worte, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, und je länger ich Ihre wirklich ausgezeichnete Zigarre rauche, die sich leider nur zu schnell ihrem Ende nähern wird . . .”
„Wenn ich dem Herrn Wachtmeister noch eine geben dürfte, ich bin reichlich mit Zigarren versehen.”
„Auch wenn das letztere nicht der Fall wäre, dürften Sie es natürlich trotzdem, das auch schon deshalb, weil man heute nicht weiß, ob man morgen überhaupt noch rauchen kann, denn wenn man erst alle Viere von sich gestreckt, auf dem grünen Rasen liegt, der meistens gar kein Rasen, sondern ein Sturzacker ist, dann hat es sich ausgeraucht.”
„Aber wer wird denn nur so an Todesahnungen leiden, Herr Wachtmeister,” erlaubte sich der Einjährige abermals zu widersprechen. „Der Herr Wachtmeister werden den späteren Einjährigen, die nach uns kommen, zuliebe noch ein langes Leben führen, und warum sollten auch wohl gerade der Herr Wachtmeister fallen? Das ist doch überhaupt so gut wie ausgeschlossen, denn wenn es zur Attacke kommt, reiten der Herr Wachtmeister doch hinter der Front.”
„Das ist es ja gerade, was mich quält und beunruhigt,” brauste der Wachtmeister Wrowka auf, während es in seinen dunklen Augen aufblitzte und während die langen Schnurrbartspitzen zu zittern begannen, bis er dann nach einer kleinen Pause hinzusetzte: „Sehen Sie mal, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, Sie sind mir vielleicht deshalb menschlich nähergetreten, weil ich im Frieden keinen so angeschnauzt habe, wie Sie, und da möchte ich Sie fragen, glauben sie wirklich, daß ich nur in den Krieg gezogen bin, um hinter der Front zu reiten? Für den, der in den Krieg zieht, gibt es nur zweierlei, entweder wird man verwundet, und zwar derartig, daß man später den Leuten die vernarbten Wunden zeigen kann, oder aber man fällt mit Gott für König und Vaterland. Und wenn ich daran denke, daß ich vielleicht ganz heil und unversehrt aus dem Kriege zurückkehren soll und so viele andere sind auf dem Kampfplatze geblieben, oder haben wenigstens einen Arm oder ein Bein verloren, oder sind sonst irgendwie Staatskrüppel geworden — meinen Sie da, daß die Aussicht, vielleicht gar nichts abzubekommen, für mich etwas Verlockendes hat? Der Wahrheit die Ehre, mir graut davor, gerade weil ich der Wachtmeister bin. Da müßte ich mich ja schämen, später wieder unter meinen Zivilistenbekannten am Stammtische zu erscheinen. In das Gesicht werden sie es mir natürlich nicht sagen, aber hinter meinem Rücken werden sie es sich zutuscheln: natürlich, daß der Wrowka heil zurückgekommen ist, ist ja auch weiter kein Wunder. Als Wachtmeister reitet er ja weiter hinten, wo ihm nichts passieren konnte, für den war der ganze Feldzug weiter nichts als ein Spazierritt im Feindesland. Wissen Sie, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, ich höre diese Stimme schon jetzt so deutlich, daß ich am liebsten gleich heute von hier aus mit der Faust dazwischenfahren möchte, wenn meine Faust nur soweit reichte. Die Zivilistenbande wird mir vielleicht sogar nicht einmal glauben, ich hätte wirklich mitgemacht, sondern die würden am Ende denken, ich hätte mich in den Quartieren, bei der Bagage oder sonstwo herumgedrückt und mit dem Schwadronschreiber die Stammrollen und die anderen Bücher in Ordnung gehalten. Und darum und deshalb habe ich beschlossen, nicht darauf zu warten, bis ich durch einen Zufall verwundet oder getötet werde, sondern ich will diese Gelegenheit, sobald es irgendwie geht, suchen. Weib und Kind habe ich nicht, und selbst wenn ich es hätte, was gingen die mich jetzt angesichts des Feindes an. Und darum und deshalb, diese lange Rede, die ich Ihnen hier gehalten habe, um mir die Zeit zu verkürzen, und weil mir zum Reden zumute war, bleibt natürlich unter uns, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, aber wenn sich eine Gelegenheit bietet, freiwillig an den Feind heranzukommen, dann melde ich mich, darauf können Sie sich verlassen.”
Und die Gelegenheit bot sich ein paar Tage später. Es galt, einen gefährlichen und wichtigen Rekognoszierungsritt zu unternehmen, für den nur ein äußerst gewandter Unteroffizier und die allerbesten Leute in Frage kamen.
„Wen nehmen wir da nur?” wandte sich Wrowkas Rittmeister fragend an seinen Wachtmeister; aber als der dann sich selber als Führer der Patrouille in Vorschlag brachte, widersprach der Vorgesetzte: „Das geht auf keinen Fall, Wachtmeister, jeder andere, nur Sie nicht. Was sollte die Schwadron wohl anfangen, wenn Sie nicht wiederkämen? Denken Sie an Ihre schriftlichen Arbeiten und an all Ihre sonstigen Pflichten. An den Feind lasse ich Sie nur dann heran, wenn es sein muß. Wenn ich später selber falle, ist es für die Ordnung in der Schwadron nicht halb so schlimm, als wenn Sie fallen.”
„Und ich möchte trotzdem bitten, mich heute reiten zu lassen, wenigstens heute, Herr Rittmeister. Einmal möchte ich doch auch mit dem Feind zusammengestoßen sein, wenigstens einmal möchte ich während des Krieges doch auch wirklich Soldat und nicht nur die Mutter der Schwadron sein, das werden der Herr Rittmeister mir doch nachfühlen.”
„Das schon,” gab der ausweichend zur Antwort, „aber trotzdem — jeder andere wäre mir lieber, als gerade Sie.”
„Aber mir nicht, Herr Rittmeister,” gab der Wachtmeister mit leuchtenden Augen zur Antwort, und endlich setzte er auch seinen Willen durch. Ja, da er die Leute seiner Schwadron noch besser kannte, als der Herr Rittmeister, bekam er auch die Erlaubnis, sich selbst die Mannschaften auszusuchen, die ihn auf diesem Ritt begleiten sollten. Jeder von den Husaren, der vorgerufen wurde, wußte, welche Auszeichnung ihm damit widerfuhr, aber keiner wußte das besser, als der Einjährig-Freiwillige-Gefreite Wambold, denn, als die Patrouille in Stärke von sechszehn Pferden bald darauf antrabte und als er dann abermals neben dem Wachtmeister ritt, rief dieser ihm zu: „Sie habe ich mitnehmen müssen, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter, denn nun werde ich es vielleicht mit eigenen Augen ansehen dürfen, wie Sie den Franzosen zuleibe gehen. Na, ich bin neugierig darauf, ob sich die Kerls wirklich totlachen, wenn Sie die mit Ihrer Lanze kitzeln, oder ob Sie die auf andere Weise ins Jenseits befördern. Mir persönlich soll keiner zunahe kommen, denn sonst renne ich ihm das Eisen in die Rippen, daß er das Aufstehen für alle Zeiten vergißt. Nun aber Vorsicht, erst kommt die Ausführung unseres Auftrages, das Privatvergnügen, ein paar Franzosen zur Strecke zu bringen, kommt hoffentlich später.”
Unter genauester Befolgung aller Sicherheitsmaßregeln, im tiefsten Schweigen, unter möglichst geschickter Ausnutzung des Geländes trabte die Patrouille auf weichen Sandwegen fast unhörbar und lautlos dahin, es war weit und breit nichts zu hören, als das leichte Schnaufen der Pferde und hin und wieder ein Klirren der Lanzen. Von Zeit zu Zeit wurde auf ein Zeichen des Führers halt gemacht, und mit scharfen Augen und mit noch schärferen Ferngläsern das Gelände abgesucht, um in Erfahrung zu bringen, ob diese Gegend hier tatsächlich vom Feinde ganz frei sei, oder ob sich hier doch noch schwächere Abteilungen zeigten, die dann ein Beweis dafür waren, daß stärkere Abteilungen diese schwachen vorgeschickt hätten.
Aber der Geländeabschnitt schien tatsächlich von jedem Gegner frei zu sein, und schon schickte Wachtmeister Wrowka sich an, mit seinen Leuten zu seiner Schwadron zurückzukehren, um dem Herrn Rittmeister wahrheitsgemäß zu melden: es ist mir und meinen Leuten nicht gelungen, im Vorgelände auch nur das geringste Verdächtige zu entdecken — schon wollte Wachtmeister Wrowka mit seinen Leuten wieder nach Hause reiten, wie man das so nennt, als dem Gehege seiner Zähne plötzlich ein so gotteslästerlicher Fluch entfuhr, daß selbst seine Leute, die ihn und seine Donnerwetter doch kannten, es mit der Angst bekamen. Und so von Herzen, wie in diesem Augenblick, war dem Wachtmeister noch nie ein Fluch entflohen, denn, wenn der starke Zug feindlicher Dragoner, der da plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, Gott weiß wo, aus welchem Hinterhalt hervor, nicht doch noch vor ihm aufgetaucht wäre, dann hätte er seinem Rittmeister bei der Rückkehr eine falsche Meldung abgestattet und daß ihm, dem alten, erfahrenen Wachtmeister, das beinahe passiert wäre, das erfüllte ihn mit einer so ingrimmigen Wut, daß es schien, als würde er heute mit dem Fluchen gar nicht mehr aufhören.
Bis sein Fluchen dann doch verstummte und bis er mit scharfen, hellen Kommandoworten seine Mannschaften zur Attacke und zum Handgefecht gegen die Übermacht ansetzte und diesen dann zurief: „So, Kinder, nun gilt's! Wer sich gefangen nehmen läßt, ist ein ehrloser Schuft. Auf jeden von uns kommen höchstens fünf Franzosen, nun drauf und braucht die Lanzen, das gilt auch für Sie, Einjährig-Freiwilliger-Gefreiter Wambold.”
Wie der Wind kamen die französischen Dragoner dahergesetzt, die aber schon bald das Tempo ihrer Pferde mäßigten, als sie merken mußten, daß die paar Deutschen gar nicht daran dachten, linksum Kehrt zu machen, sondern daß die nun ihrerseits die Lanzen einlegten und ihren Gäulen die Schenkel und die Sporen in die Weichen drückten. Hell schmetterte die Stimme des Wachtmeisters Wrowka das Signal: „Zur Attacke, die Lanzen gefällt — Eskadron Galopp — Marsch!”
Mit lautem Krach stießen die beiden Abteilungen gleich darauf aufeinander. Pferd drängte sich an Pferd, Mann an Mann, und gar mancher Franzose kam schon bei dem ersten Zusammenstoß, von den preußischen Lanzen durchbohrt, aus dem Sattel, aber die da übrigblieben, waren immer noch die Mehrzahl, schwangen die großen, schweren Säbel. Doch die Husaren wehrten sich ihrer Haut, mit ihren Lanzen wehrten sie die Schläge ab, manch feindlicher Arm ließ, von der Lanze durchbohrt, karftlos die Waffe sinken, manches Pferd brach, in die Lunge oder in die Brust getroffen, in sich zusammen, um seinen Reiter unter sich zu begraben, und trotz der Übermacht hätten die Franzosen sich schon längst zur Flucht gewandt, wenn nicht ihr Anführer, ein großer, stämmiger, prachtvoll aussehender Korporal seine Leute nicht immer durch neue Zurufe ermuntert hätte.
Mit diesem Korporal befand sich Wachtmeister Wrowka im Handgefecht. Beide waren Meister im Fechten, der eine mit dem Säbel, der andere mit der Lanze, bis der Korporal sich plötzlich in den Bügeln ganz hoch aufrichtete und zu einem gewaltigen Hieb ausholte, der, wenn er traf, seinen Gegner kampfunfähig machen mußte. Nur einer sah die Gefahr, in der der Wachtmeister schwebte, der Einjährig-Freiwillige-Gefreite Wambold, und blitzschnell durchzuckte es ihn: nun zeige deinem Wachtmeister, was du kannst, daß du mehr verstehst, als den Feind durch deine Lanzenstiche, die nur kitzeln, zum Lachen zu bringen. Nun drauf!
Mit starker Faust umspannte er erneut den Lanzenschaft, und einen Augenblick später bohrte sich die scharfe Spitze dem Korporal in die Brust, daß dieser im Sattel hintenüber taumelte, das aber nur, um sich gleich darauf mit eiserner Energie, sich an den Zügeln in die Höhe ziehend, abermals aufzurichten und seinem Gegner, dem Wachtmeister Wrowka, mit einer Kraft, die nur der wahnsinnige Schmerz verleiht, mit einem Säbelhieb den Kopf zu spalten. Gleich darauf fiel er ebenso wie der Wachtmeister Wrowka vom Pferde, und während die Gegner, nachdem ihr Anführer gefallen war, sich zur schleunigen Flucht wandten, bemächtigte sich der Deutschen jetzt, als sie den Wachtmeister fallen sahen, erst recht eine namenlose Wut — sie mußten den Gefallenen rächen, und mancher der Feinde ließ auf der schmählichen Flucht, in den Rücken getroffen, noch sein Leben.
Als die Husaren dann endlich Kehrt machten, fanden sie den Wachtmeister zwar noch atmend, aber in seinem Blute schwimmend auf der Erde liegen. Neben ihm stand sein Pferd und wieherte leise, als wolle es seinen Herrn daran erinnern, daß es Zeit sei, wieder in den Sattel zu steigen.
Alle Husaren sprangen von den Gäulen, um ihrem Wachtmeister zu helfen, denn unmöglich konnte der hier doch liegen bleiben. Wenn er auch noch so schwer verwundet war, sie mußten ihn doch mit zur Schwadron bringen. In tiefer Ergriffenheit standen alle um ihn herum, aber keiner war so verzagt, wie der Einjährig-Freiwillige-Gefreite Wambold. Gewiß, er hatte seine ganze Kraft zusammengenommen und jeder andere, als dieser riesenhafte Korporal, wäre auf der Stelle aus dem Sattel getsürzt, als seine Lanze ihn traf, aber wenn er auch alle Kraft zusammennahm, die hatte doch nicht ausgereicht, um seinen Wachtmeister zu schützen und zu retten. Ihn allein traf die Schuld, und als der Wachtmeister nun die Augen aufschlug, mußte er in dem Gesicht seines Einjährigen, der sich über ihn beugte, alles lesen, was diesen beschäftigte, denn er winkte den noch näher zu sich heran, und als der dann sein Ohr fast an den Mund des Sterbenden legte, um dessen leise Worte zu vernehmen, da hörte er, wie der Wachtmeister ihm zuflüsterte: „Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Einjährig- . . ., sehr gut, denn wenn Sie es noch besser gemacht hätten — die verdammten Zivilisten mit ihrem Geschwätz — nun können mir die nichts mehr nachreden — die sehen mich nicht wieder — ich fühl's, gleich ist es mit mir vorbei —” und im Todeskampfe die Hand des Einjährigen ergreifend, setzte er fast unhörbar hinzu: „Nicht wahr, Einjährig- . . ., wenn die Zivilisten nun lesen, daß ich hier gefallen bin — dann müssen die mir doch glauben, daß ich nicht nur hinter der Front im Feindesland — spazieren geritten bin?”