Ein Wort der Anregung an die deutschen Autoren.
Von Freiherrn v. Schlicht.
in: „Berliner Tageblatt”, Jahrgg. 1912, Nr. 231, 7.Mai 1912.
Vor einigen Tagen erhielt ich den Brief eines mir auch dem Namen nach völlig unbekannten Vortragskünstlers: „Es ist mir ein besonderes Vergnügen, Ihnen, hochgeehrter Herr, mitteilen zu können, daß ich wieder etliche Ihrer Werke auf mein diesjähriges Programm gesetzt habe, um so Ihrem Schaffen neue Freunde zu erwerben.” Und dann kam die Bitte, ihn in jenen Gesellschaften und Vereinen, zu denen ich Beziehungen hätte, zu empfehlen. Um meinem Schaffen neue Freunde zu gewinnen? O nein, sondern lediglich, um dazu beizutragen, daß er durch mein Schaffen und durch das, was viele andere Schriftsteller gleich mir schafften, möglichst viel Geld verdiene, von dem er uns, den Schaffenden, natürlich nicht einen Pfennig abgibt, weil er nach dem Gesetz nicht dazu verpflichtet ist. Und daß jemand anstandshalber etwas zahlt, wenn er gesetzlich nicht dazu gezwungen ist, kommt selten vor. Ernst v. Wolzogen tat es bei seinem Ueberbrettl; und wenn es auch nicht viel war, was die Autoren erhielten, deren Geschichten dort vorgetragen, deren Lieder in der Komposition von Oskar Strauß gesungen wurden, es war doch immerhin etwas und mit der Zeit läpperte es sich zusammen.
Was Ernst Freiherr v. Wolzogen damals freiwillig tat, das müßten nach meiner Meinung alle anderen modernen Vortragskünstler von Ruf und Ansehen heute auch freiwillig tun. Können sich die Herren dazu aber nicht entschließen, dann möchte ich mit diesen Zeilen die Anregung dazu geben, daß die deutschen Schriftsteller entweder in ihrer Gesamtheit, oder wenigstens soweit sie jetzt auf dem Vortragsprogramm stehen, sich zusammentun, um möglichst ein Gesetz herbeizuführen, das ihr geistiges Eigentum in dieser Hinsicht schützt. Was dem Komponisten recht ist, sollte dem Schriftsteller billig sein. Jeder Musiker, der eine Komposition vorträgt, muß das Aufführungsrcht mit bezahlen, wenn er sich die Noten kauft, und selbst die kleinste Schmiere muß ein paar Mark Tantieme bezahlen, wenn sie ein noch so kleines Lustspiel eines lebenden oder noch nicht dreißig Jahre verstorbenen Autors aufführen will. Aber wenn heutzutage ein mehr oder weniger bekannter Vortragskünstler einen Wilhelm Busch, einen Liliencron, einen Gerhart–Hauptmann–Abend veranstaltet, der ihm, falls der Vortragende berühmt ist, unter Umständen einen Reingewinn von zweitausend Mark und mehr pro Abend bringt, dann zahlt er an den Autor, dessen Werke ihm dazu verhelfen, diese Einnahme zu erzielen, keine zehn Pfennige, weder an die lebenden Autoren, noch an die Erben der verstorbenen.
Ist das gerecht? Als Detlev v. Liliencron starb, wurden fast in jeder großen Stadt Liliencron–Abende veranstaltet. „Dem Titan zur Erinnerung”, so stand es meistens auf dem Programm. In Wirklichkeit aber lasen die Herren die Sachen des Verstorbenen doch nur, um selbst möglichst viel Geld damit zu verdienen, und mir ist nicht ein Fall bekannt, daß einer der Vortragskünstler den Erben Liliencrons, die doch gewiß nicht in glänzenden Verhältnissen zurückblieben, von den Tausenden, die durch diese Abende eingingen, nur einen Hundertmarkschein zahlte.
Warum auch? Gesetzlich waren sie nicht dazu verpflichtet; unsere Arbeiten sind für den Vortrag frei, und sie sind auch in einer anderen Hinsicht nicht geschützt. Jeder Vortragskünstler hat das Recht, unsere Sachen für seine Zwecke zusammenzustreichen und ganz so zu ändern, wie es ihm paßt. Manchmal erkennt man dann seine eigenen Sachen nicht wieder. Dafür nur ein Beispiel, wie ich es am eigenen Leibe erlebte. Vor vielen Jahren habe ich einmal eine Militärhumoreske „Meiers Hose” verfaßt, die literarisch natürlich nicht das Geringste wert ist, aber die gerade deshalb überall bekannt geworden ist. Eines Abends hörte ich sie in einem Berliner Kabarett, aber nicht als Humoreske, sondern in Verse gesetzt und komponiert. Aus meiner Arbeit war ein Couplet geworden, und selbstverständlich wurde ich auch nicht einmal als Verfasser genannt, und vielleicht mit vollem Recht, denn in dieser Bearbeitung war die Sache ja freies geistiges Eigentum des vortragenden Humoristen.
Wo bleibt da der Schutz des geistigen Eigentums? Was haben wir davon, daß unsere Namen auf dem Programm stehen, die den Saal füllen?
Wenn man einen Vortragenden danach fragt, dann wirft er sich stolz in die Brust und sagt: „Wir machen euch und eure Werke bekannt.” Sehr schön, aber es gibt doch eine ganze Menge Autoren, die schon bekannt sind. Braucht ein Wilhelm Busch, ein Detlev v. Liliencron, ein Hermann Sudermann noch erst bekannt gemacht zu werden?
Und weiter antworten die Vortragenden auf unsere Frage: „Wir fördern den Absatz eurer Werke.”
Auch das ist nicht der Fall, wenigstens nicht in nennenswerter Weise. Ich habe darüber, soweit es mich betrifft, ziemlich genau Buch geführt. Wenn einer unserer bekanntesten Vortragskünstler an seinem Premierenabend in Berlin eine meiner Humoresken herausbringt, erhalte ich im Laufe des Winters vielleicht hundert Anfragen, in welchem Band die betreffende Humoreske zu finden ist. Nehmen wir selbst im besten Fall an, daß von diesen hundert Neugierigen wirklich fünfzig den betreffenden Band kaufen, der durchschnittlich zwei Mark kostet, so verdient der Autor an dem Absatz seiner Bücher durch diese Vortragskünstler vielleicht fünfzehn bis zwanzig Mark im Winter.
Was aber verdient der Vortragende selbst? Der ausverkaufte Beethovensaal bringt nach Abzug aller Unkosten sicher einen Reingewinn von 1500 Mark. Selbst wenn an diesem Abend zwanzig verschiedene Erzählungen und Humoresken vorgetragen werden, so bringt jede unserer Arbeiten dem Vortragskünstler achtzig Mark, und zwar an einem einzigen Abend. Es gibt in Berlin Herren, die im Laufe eines Winters sechs solche ausverkaufte Häuser haben, so daß sie allein in Berlin mit jeder Arbeit sechsmal achtzig Mark, also rund fünfhundert Mark verdienen. Und dazu kommen noch die Einnahmen in den anderen großen Städten und alles das, was den ganzen Winter hindurch die vielen kleinen Städte einbringen, und in den Sommermonaten kommen die großen und die kleinen Bäder, von Bad Elster angefangen bis Karlsbad, Marienbad und Norderney.
Und es ist doch nicht nur ein Vortragskünstler, der mit unseren Sachen reist, es sind Dutzende, und auf allen Programmen prangen dieselben Namen: Presber, Moszkowsky, Schlicht, Rideamus, Liliencron, Ludwig Thoma, Busch, Roda Roda usw. usw.
Wieviel Zehn- und vielleicht wieviel Hunderttausende werden im Laufe eines Jahres an diesen Vortragsabenden durch uns in das Rollen gebracht, und was haben wir Autoren davon?
Und da meine ich nochmals, es müßte ein Gesetz geschaffen werden, das unsere Arbeiten davor schützt, jederzeit vorgetragen werden zu können, ohne daß wir etwas dafür erhalten. Die Autoren müßten sich dagegen wehren und auch unsere Verleger. Die Vortragskünstler müßten gezwungen sein, sich mit den Autoren über ein Honorar zu einigen. Entweder müßten die Herren für jedes Jahr eine Pauschalsumme zahlen, oder sie müßten sich von Fall zu Fall mit dem Autor einigen. Das jedesmalige Honorar müßte sich natürlich nach der Größe der Stadt richten.
Das wäre gerecht, und dann hätte der Autor auch einen praktischen Nutzen davon, daß seine Sachen zum Vortrag gelangen; dann kann er auf diese Art im Laufe eines Jahres nicht nur 20 oder 30 Mark verdienen, sondern vielleicht 2- bis 3000 Mark, wenn nicht noch mehr. Und wenn das Geld ja auch nur Schimäre ist, eine Schimäre von 3000 Mark ist mir persönlich sehr viel lieber als eine von 30.
„Berliner Tageblatt” vom ...Mai 1912.
Marcell Salzer ersucht uns um Aufnahme der folgenden Zeilen:
„Aus einigen Zuschriften ersehe ich, daß mehrere meiner Bekannten der Ansicht sind, Freiherr v. Schlicht könnte in seinem Artikel über: „Vortragskünstler und Schriftsteller” auf meine Person und meine Tätigkeit angespielt haben. Ich bemerke deshalb folgendes: Freiherr v. Schlicht, der mich häufig um Aufnahme seiner Dichtungen in mein Programm ersuchte, erhielt von mir immer auch dann freiwillig ein würdiges Honorar, wenn die betreffenden Humoresken schon im Druck erschienen und dadurch der freien Vortragsbenutzung sämtlicher anderer Rezitatoren für überall ausgeliefert waren. Auch in der letzten Saison honorierte ich wie stets Arbeiten des Freiherrn v. Schlicht in würdiger Art, obwohl ich nicht dazu kam, sie vorzutragen. Ich habe mich also — entgegen den Schlichtschen Ausführungen — längst „enstchlossen, solche Leistungen freiwillig zu tun”. Wie ich durch diese meine dauernden Zahlungen bewiesen habe, stehe ich (und zwar nicht nur dem Herrn Freiherrn v. Schlicht gegenüber) auf dem Standpunkt, daß der Autor nicht leer dabei ausgehen solle, wenn der Vortragskünstler seiner bedarf. Die meisten der Herren Autoren betrachten sich freilich im persönlichen Verkehr nur selten als die Geschädigten. Im Gegenteil, sie halten den Hinweis auf ihre Werke, den ihnen der Rezitator bietet, für wertvoll. „Nur duch Sie, mein lieber Marcell Salzer, geht mein Name von Stadt zu Stadt, von Land zu Land”, schreibt mir Freiherr v. Schlicht.”
„Berliner Tageblatt” vom 9.Mai 1912.
Die Anregung des Freiherrn v. Schlicht, daß auch die Vortragskünstler den Schriftstellern, deren Werke sie rezitieren, ein Honorar zahlen mögen, hat uns eine große Anzahl von Zuschriften eingebracht. Wir haben bereits den Brief von Marcell Salzer veröffentlicht, der sich prinzipiell zu der Idee des Freiherrn v. Schlicht bekennt und freiwillig diesem und anderen deutschen Autoren Honorare gezahlt hat. Diese Tatsache wird uns durch ein Schreiben des Schriftstellers Karl Schüler–Charlottenburg und durch einen neuen Brief des Freiherrn v. Schlicht bestätigt, der ausdrücklich erwähnt, daß er mit seinem Artikel Herrn Marcell Salzer nicht habe treffen wollen. Er schreibt:
„Ich dachte bei meinem Artikel an die Vortragskünstler im allgemeinen, und da meine ich, die Vortragskünstler sollten nicht danach fragen, ob der Autor eines Honorars bedarf, sondern sie sollten dem Reichen ebenso wie dem Bedürftigen geben, was ihnen gerechterweise an dem finanziellen Erfolg des Vortragenden zusteht. Auch die Theater und die Verleger machen da ja keinen Unterschied, höchstens, daß die Reichen noch höhere Resultate erzielen als die Armen.”
Herr Marcell Salzer ist also als Bahnbrecher für die Idee der Vortrags–Tantiemen feierlich anerkannt, und wir wünschen, daß die übrigen Rezitatoren seinem Beispiel folgen mögen. Daß es freilich auch bei Marcell Salzer vorläufig noch Ausnahmen gibt, zeigt ein Schreiben Julius Stettenheims, mit dem wir die Diskussion schließen wollen. Kollege Wippchen schreibt:
„Es freut mich ungemein, aus der Berichtigung des Herrn Marcell Salzers zu erfahren, daß er den Freiherrn v. Schlicht und vielleicht auch andere Autoren freundlicher behandelt habe, als mich. Vor Jahren schrieb er mir, er wolle auch aus meinen Schriften vortragen, ich solle ihm nur die Bücher zusenden, denen er die geeigneten Humoresken entnehmen könne. Ich erlaubte mir nun, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß ich diese Bücher kaufen müsse und daß es mir angenehmer sei, wenn er diesen Kauf selber besorge. Er wußte nicht und weiß es vielleicht noch heute nicht, daß der Schriftsteller, wie selbstverständlich, seine Bücher kaufen muß, wenn er die ihm von seinem Verlag bewilligten Freiexemplare verwidmet hat. Herr Salzer war von meiner Mitteilung so erschreckt, daß er mir sofort antwortete, er habe meinen Namen aus seinem Programm gestrichen.
Nie bin ich wieder so herausgestrichen worden . . .
An dieser Stelle ist es vielleicht interessant, einen kleinen, bei weitem wohl nicht vollständigen Überblick über die Zahl der Vortragskünstler zu bekommen, die Texte von Schlicht in ihrem Programm hatten.
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© Karlheinz Everts