Fähnrich von Alten.

Humoreske von Freiherr v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 24.Feb. 1901 und
in: „Zurück - marsch, marsch!”.


Dem Husaren-Regiment Peter Paul stand eine hohe Auszeichnung bevor: Der hohe Chef, der mit seiner Gemahlin auf der Durchreise die Garnison berührte, wollte dort vierundzwanzig Stunden Aufenthalt nehmen und mit seiner Gemahlin im Officierscasino essen und auch den Abend im Kreise der Herren und Damen des Regiments verleben.

Auf diese frohe Nachricht hin hatte sich auf Befehl des Herrn Obersten sofort ein Vergnügungscomité gebildet, denn daß am Abend irgendwelche Aufführungen humoristischer Art stattfinden mußten, war sofort bei Jedem beschlossene Sache. Rittmeister von Neuhaus wurde officiell zu der Seele des Ganzen ernannt und ihm die Einstudirung des Programms vertrauensvoll in die Hand gedrückt — die Wahl fiel auf ihn, weil die Anderen von ihm zu wissen glaubten, daß er für derartige Dinge geeigneter sei, als sie selbst.

Heute fand Generalprobe statt. In dem großen Saale des Casinos war eine Bühne aufgeschlagen worden, und des Zeichens harrend, daß die Probe beginnen solle, drängten Alle, bereits in ihren Costümen, auf den Rittmeister von Neuhaus ein: Jeder hatte noch eine Frage an ihn zu richten, und Jede wollte von ihm wissen, ob ihr Costüm so richtig sei, ob sie gestern in dem lebenden Bild gut gestanden habe oder ob sie lieber den linken Fuß nicht doch noch eine Kleinigkeit vorschieben solle und was dergleichen wichtige Dinge mehr waren.

Wie ein Fels in der Brandung stand der Rittmeister von Neuhaus in dem Kreise der Herren und Damen. Er war der Typus eines Reiterofficiers: mittelgroß, schlank und geschmeidig. Sein Gesicht, das nicht ganz frei war von einigen Falten, hatte durch die lustigen, fröhlichen Augen und den flott aufgesetzten Schnurrbart doch noch beinahe etwas Jugendliches, und wie er nun so dastand, die Cigarette im Mund, das Monocle im Auge, die beiden Hände in den Taschen der Attila, sah er fast wie ein junger Leutnant aus.

„Aber so beantworten Sie doch wenigstens eine der vielen Fragen, Herr Rittmeister,” bat eine Dame.

Er nahm die Cigarette aus dem Munde und ließ das Monocle, wie stets beim Sprechen, fallen: „Es geht nicht, meine Gnädigste,” sagte er, „es geht nicht. Was dem Einen recht ist, ist dem Anderen billig — wenn man Proben leitet, muß man es machen, als wenn man exerciren läßt. Hält man den Leuten vorher eine lange Rede und sagt: „So müßt Ihr es machen, so dürft Ihr es nicht machen — Das will ich sehen, Das will ich nicht sehen,” dann gibt es ganz sicher große Confusion. Klare Anordnungen, kurze Correcturen — nur nicht reden.”

„Aber wir sind doch keine Recruten?” sagte die Sprecherin — ein Fräulein von Mortberg, die Schwester der Commandeuse, eine große, schlanke, sehr elegante Erscheinung in dem Anfang der Zwanzig.

„Leider nein,” gab er zur Antwort, „oder soll ich sagen: Gott sei Dank? Bei meinen Recruten setze ich meinen Willen durch, ob Dies aber auch der Fall wäre, wenn ich Hundert junge Damen, die Ihnen gleichen, gnädiges Fräulein, unter meinem Commando hätte? ich glaub's kaum.”

„Ein Brief für den Herrn Rittmeister,” meldete eine Ordonnanz.

Herr von Neuhaus nahm das Billett, öffnete es mit einem „Pardon, meine sehr verehrten Herrschaften,” überflog die wenigen Zeilen und sagte dann: „Verehrte Anwesende, ich bitte Sie um freundliches Gehör und um Ihr stilles Beileid. Soeben läßt mir Fräulein von Alten schreiben, sie sei an der Influenza erkrankt, sie müsse das Bett hüten, und es sei vollständig ausgeschlossen, daß sie morgen Abend hier erscheinen könne. Meine verehrten Herrschaften,” fuhr er nach einer kleinen Pause fort, „Ihr Stimmengewirr beweist mir, daß Sie erschrocken sind, mich läßt der Brief ganz kalt, ich will Ihnen sogar sagen, daß ich mich insofern über ihn freue, als ich ihn schon lange erwartet habe: Alles ist auf der Welt schon dagewesen, daß aber ein derartiges Fest, wie wir es planen und vorbereiten, zu Ende gegangen ist, ohne daß eine Dame im letzten Augenblick absagte, das war noch nie da. Die Sache ist also nunmehr in schönster Ordnung, wir lassen das Theaterstück, in dem Fräulein von Alten mitspielen sollte, fort und schieben dafür die beiden komischen Herrennummern ein, die ursprünglich auf dem Programm standen, aber wegen eines embarras de richesse gestrichen wurden.”

Es war beinah ein Schrei der Entrüstung, den die in dem kleinen Lustspiel beschäftigten Herren und Damen ausstießen: sollten sie die Rollen umsonst gelernt, alle Mühe und Arbeit für nichts und wieder nichts gehabt haben?

Beinahe mit Thränen in den Augen trat Fräulein von Berken(1) auf den Rittmeister zu: sie war ein bildhübsches, junges Mädchen von neunzehn Jahren, mit einem zarten, feingeschnittenen Gesicht, mit tiefen, schwarzen Augen und dichtem schwarzen Haar. Sie hatte etwas Zigeunerhaftes in ihrem ganzen Wesen.

„Herr von Neuhaus,” sagte sie, „was Sie da soeben äußerten, kann Ihr Ernst nicht sein. Wenn Sie auch nur einen Funken von Mitleid und Mitgefühl besitzen, bringen Sie es ja gar nicht über das Herz, mir die schöne Rolle fortzunehmen und mich zur Unthätgkeit zu verdammen — ich hatte mich so schrecklich darauf gefreut, mitspielen zu dürfen.”

„Halten Sie mich nicht für schlechter, als ich es wirklich bin, gnädiges Fräulein,” gtab er zur Antwort, „ich schwöre es Ihnen, Sie thun mir leid, denn Sie haben ja die Hauptrolle — aber ich bitte Sie, wer soll denn die Rolle des Fräulein von Alten, Ihrer Busenfreundin aus dem Stück übernehmen? Wie sagt doch Schiller: „Kann ich denn Damen aus der Erde stampfen?” Wir haben im Regiment kein weiteres junges Mädchen — wenn Sie wissen, gnädiges Fräulein, wer die Rolle übernehmen kann, will ich mich Ihrer Entscheidung fügen.”

Wer sollte nur für Fräulein von Alten eintreten? Alle discutirten diese Frage, bis schließlich einer der Herren sagte: „Warum in die Ferne schweifen, denn das Gute liegt so nah — wozu haben wir einen Fähnrich, der außerdem das Glück hat, der Bruder des Fräulein von Alten zu sein — da kann er sich gleich von der Schwester die Garderobe leihen.”

„Der Fähnrich, der Fähnrich, selbstverständlich muß der die Rolle spielen,” jubelten Alle auf, glücklich, eine Lösung gefunden zu haben, und Sendboten wurden ausgesandt, um ihn zu suchen.

Wenig später stand der Fähnrich von Alten im Saal und meldete sich in dienstlicher Haltung ganz gehorsamst zu Stelle — eine Ordonnanz hatte ihn auf dem Casernenhofe in dem Augenblick erwischt, als er mit der Schwadron von einer großen Felddienst­übung zurückkam.

„Meine Damen, bekommen Sie keinen Schreck,” bat der Rittmeister von Neuhaus, „Sie wissen ja, Schmutz ehrt den Krieger.”

Nach der Definition dieses Wortes mußte der Fähnrich ein sehr ehrenwerther Mann sein — er war von oben bis unten mit Schmutz bespritzt, im Gesicht, auf den Backen, ja selbst auf der Nasenspitze lag der Straßenschmutz, den die Pferdehufe aufgewirbelt hatten, fast fingerdick, und er konnte kaum aus den Augen sehen. Selbstverständlich trug er den Dienstanzug: dicke, mit Leder besetzte Beinkleider und große wasserdichte Stiefel.

Schön sah der Fähnrich nicht aus, aber als er eine halbe Stunde später im Kasino wieder erschien, war er kaum wieder zu erkennen: in tadelloser Extrauniform, in hohen, eleganten Lackstiefeln, sauber, wie aus dem Ei gepellt, sah er brillant aus. Er war noch zu jung, kaum zwanzig, um schon ein ausgeprägtes männliches Gesicht zu haben, aber, schlank und rank gewachsen wie eine Tanne, mit seinem fast mädchenhaften rosigen Teint und seinen hellblauen Augen, bot er eine Erscheinung, der Jeder von vornherein gut sein mußte.

Und Eine war ihm besonders gut, das war Fräulein v. Mortberg, und der Fähnrich liebte sie wieder mit jener Leidenschaft, deren nur eine Fähnrichsseele fähig ist.

Aber während der Fähnrich darüber strahlte, mit der Angebeteten seines Herzens zusammen Komödie spielen zu dürfen, war Fräulein v. Mortberg darüber fast entsetzt: sie gedachte des Kusses, den sie in dem Stück ihrer Busenfreundin geben mußte und der in dem kleinen Lustspiel gleichsam den gordischen Knoten bildete — ohne den Kuß ging es nicht, und sie konnte doch nicht den Fähnrich küssen, auch dann nicht, wenn er Damenkleider anhatte, das ging doch nicht!

„Ihren stolzen Bart brauchen Sie sich nicht abschneiden zu lassen,” erklang da die Stimme des Herrn von Neuhaus, „den können Sie stehen lassen, Fähnrich.”

Laute Heiterkeit folgte diesen Worten, denn der Fähnrich war so bartlos wie nur möglich. Er entgegnete sein: „Zu Befehl, Herr Rittmeister!” so stramm er nur konnte, trotzdem wurde er etwas verlegen, und er sah, daß auch Fräulein v. Mortberg, der es leid that, daß er geneckt ward, etwas roth wurde. Er warf ihr einen dankbaren Blick zu. Dann begann die Probe.

Er hatte seiner Schwester so oft die Rolle überhört und so oft den Proben beigewohnt, daß er fast Wort für Wort wußte, was er zu sagen hatte, und wo er stockte, half der Souffleur.

Bis zur Kußszene ging Alles gut, dann aber kam die Sache ins Wanken.

Es hieß da:

Ida (Fähnrich Alten): Darf ich dir wirklich trauen?

Ella (Fräulein v. Mortberg): So wahr der Kuß, den ich dir hiermit gebe (küßt sie) ein Freundschaftskuß ist, so wahrhaftig habe ich nie daran gedacht, dir deinen Leutnant, den du liebst, abtrünnig zu machen.

Leutnant Aberg (in das Zimmer hineinsehend, für sich): Wie können die jungen Damen sich nur untereinander küssen, versteh' ich nicht — wir sind doch auch noch auf der Welt.

Aber weiter bis zu den Worten: „So wahr der Kuß, den ich Dir gebe,” kam er nicht.

Den Kuß erwartend, stand der Fähnrich mit schüchternen, verschämten Wangen vor seiner Partnerin, aber sie küßte nicht.

„So küssen Sie doch,” rief der Rittmeister von Neuhaus in seiner Eigenschaft als Regisseur, „Kuß, gnädiges Fräulein, Kuß.”

Aber Fräulein von Mortberg streikte: „Die Scene muß geändert werden,” erklärte sie bestimmt.

„Das heißt mit anderen Worten: das ganze Stück umarbeiten, das zum Ueberfluß auch noch den Titel „Ein Kuß” führt,” erwiderte der Rittmeister, „das geht absolut nicht. Mein Gott, wir sind doch ganz unter uns, warum wollen Sie denn aber den Fähnrich nicht küssen — Sie können es ja markiren, wie die Schauspieler es auf der Bühne thun.”

Aber Fräulein von Mortberg hatte ihre gewichtigen Gründe, Dies nicht zu thun: wenn ihr Partner ihr ganz gleichgültig gewesen wäre, hätte sie nicht gezögert, ihm einen markirten Kuß zu geben — aber den Fähnrich wollte sie nicht nur zum Schein küssen, wenn schon, denn schon — aber das denn schon ging ja leider erst recht nicht.

Der Rittmeister wurde ungeduldig, er sah nach der Uhr: „Wir müssen weiter spielen,” sagte er, „es ist schon spät, und wir haben noch viel vor uns. Wir wollen uns jetzt nicht länger mit dem Kuß aufhalten, Fähnrich, nehmen Sie ihn für heute als genossen an — morgen müssen sich die Herrschaften aber wirklich küssen oder wenigstens so thun, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß es, wie in dem Textbuch steht, ein langer, heißer und inniger Kuß sein muß. Wie die Herrschaften sich bis morgen Abend über diesen Punkt einigen, überlasse ich Ihnen — bitte weiter.”

Nach einer guten Stunde war die Probe beendet und Alle vereinigten sich in einem kleinen Nebengemach zu einem einfachen Frühstück.

Fähnrich von Alten saß neben Fräulein von Mortberg und das Gespräch drehte sich nur um seine erkrankte Schwester.

„Ich glaube es noch gar nicht, daß sie so elend ist, wie sie schreibt,” sagte er schließlich. „Sie kennen ja auch unseren alten Hofrath, der hat meine Schwester natürlich ängstlich gemacht. Ich will nachher gleich nach Hause gehen und ein Wort mit ihr reden, ich bin fest davon überzeugt, daß sie morgen Abend spielen kann, wenn sie nur ein klein wenig Energie zeigt.”

„Glauben Sie das wirklich?” fragte sie erfreut. Sie sah den Schalk nicht, der aus seinen Augen sprach, als er ganz ernsthaft sagte: „Es ist meine felsenfeste Ueberzeugung — meine Schwester soll Ihnen heut Nachmittag gleich ein paar Worte schreiben, wie es mit ihr steht. Kommt sie nicht, dann können wir uns ja morgen vor der Aufführung immer noch über den Kuß einigen — vielleicht geht es so, daß Sie mich auf die Stirn küssen, gnädiges Fräulein, oder auf die Perrücke, na, wir werden schon einen Ausweg finden. Neugierig bin ich, ob mir die Kleider meiner Schwester passen werden — ein paar Taillenhaken müssen wohl versetzt werden.”

„Das wäre aber wohl auch das Einzige,” stimmte sie ihm bei, „ich habe noch nie einen Bruder und eine Schwester gesehen, die sich nicht nur in ihrem Gesicht, sondern auch in der ganzen Figur so lächerlich ähnlich sind.”

„Etwas muß man doch auch davon haben, daß man ein Zwilling ist,” erwiderte er.

„Gewiß,” stimmte sie ihm bei, „aber trotzdem ist die Aehnlichkeit wirklich manchmal erschreckend. Bitte grüßen Sie Claire vielmals von mir und nicht wahr, ich kann mich darauf verlassen, daß ich heute Mittag eine kurze Nachricht erhalte.”

„Selbstverständlich, selbstverständlich,” pflichtete er ihr bei, und er hielt Wort — wenige Stunden später hatte sie von ihrer Freundin ein Billett.

„Zwar geht es mir noch sehr, sehr schlecht,” schrieb Claire, „und ich habe so rasende Kopfschmerzen, daß ich kaum denken kann, trotzdem aber werde ich morgen kommen und selbst spielen — ich muß es schon deshalb, weil meinem cher frère meine Taillen wenigstens um sieben Centimeter zu eng sind und weil er außerdem von morgen bis übermorgen Mittag Unterofficier du jour ist; er wird wohl überhaupt nicht auf das Fest kommen können. Und dann noch eins: werdet nicht ängstlich, wenn ich erst im letzten Augenblick erscheine, so lange es geht, bleibe ich im Bett liegen, aber ich komme bestimmt.”

„Gott sei Dank,” dachte Fräulein von Mortberg, „Gott sei Dank!” Aber gleich darauf wurde sie traurig, als sie daran dachte, daß der Fähnrich dem Festzug(2) fern bleiben würde. Mit einem Mal war ihr die ganze Freude genommen und am Liebsten wäre auch sie krank geworden, um absagen zu können. Aber das ging ja leider nicht — so tröstete sie sich mit der Hoffnung, daß er sich vielleicht doch noch für eine Stunde frei machen und erscheinen könne — sie wollte schon dankbar sein, wenn sie morgen nur einen einzigen Walzer mit ihm tanzen könnte. Niemand tanzte auch nur annähernd so schön wie er, weder die Leutnants, noch der lange Rittmeister, der wegen seines Tanzens berühmt war — gegen den Fähnrich kamen sie Alle nicht auf, er war überhaupt ein zu lieber, netter Mensch. Schade, daß er noch Fähnrich war, sehr schade, aber spätestens in zwei Monaten mußte er Leutnant werden, die Kriegsschule hinter sich, bald würden die silbernen Tressen von seinem Kragen verschwinden. Er sah zu hübsch aus in der kleidsamen, blau und weißen Uniform. Ob er morgen wirklich nicht kommen würde.”

Aber vergebens sah sie am nächsten Abend nach ihm aus. Der große Saal war dicht gefüllt, aber von dem Fähnrich war nichts zu entdecken.

Auf der kleinen Bühne herrschte eine begreifliche Aufregung — die Anwesenheit der hohen Herrschaften mit ihrem glänzenden Gefolge machte die Mitwirkenden doch etwas unruhig.

Einige lustige Nummern bildeten den Anfang der Vorstellung, den Schluß machte das kleine Lustspiel, das lebhaften Beifall fand, sogar bei offener Scene. Fräulein von Alten hatte Wort gehalten, sie war pünktlich eingetroffen und wenn nicht eine leise Blässe ihre Wangen gefärbt hätte, würde Niemand ihr angemerkt haben, daß sie gestern noch so elend gewesen war.

„Wer sind denn die beiden entzückenden jungen Damen?” fragte der hohe Chef den Herrn Oberst, der neben ihm saß, „charmant, ganz charmant!”

„Fräulein von Mortberg und Fräulein von Alten, Königliche Hoheit,” lautete die Entgegnung.

„Charmant, ganz charmant,” sagte der hohe Herr noch einmal, zwar nur mit halblauter Stimme, aber die beiden jungen Damen, die sich allein auf der Bühne befanden, hatten die Worte doch gehört, sie wurden beide verlegen, und um sich wieder zu sammeln, dauerte die Umarmung und der Kuß länger, als unbedingt nöthig war.

Unter lautem Beifall fiel endlich der Vorhang und gleich darauf wurden die Mitspielenden in den Saal befohlen, um den hohen Herrschaften vorgestellt zu werden und um aus ihrem Munde den Dank entgegen zu nehmen.

Die beiden jungen Damen ernteten ganz besonderes Lob und während die Frau Prinzessin sich mit Fräulein von Mortberg unterhielt, sprach der hohe Chef mit Fräulein v. Alten.

„Haben Sie noch Geschwister, gnädiges Fräulein?”

„Zu Befehl, Königliche Hoheit, noch eine Schwester.”

Bei [den] Worten „Zu Befehl” umspielte ein leises Lächeln den Mund des hohen Chefs.

„Hier im Regiment scheinen sogar die Damen militärisch erzogen zu sein,” sagte er neckend, „ist Ihr Fräulein Schwester auch hier?”

„Zu Befehl, nein, königliche Hoheit, sie hat heute Unterofficier du jour.”

„Nanu?”

Das war Alles, was der hohe Herr auf diese sonderbare Antwort zu entgegnen vermochte, er wandte sich fragend an den Herrn Obersten, und dieser blickte verwundert auf Fräulein von Alten. Die merkte jetzt erst, daß sie sich versprochen hatte, und sagte nun, über und über roth werdend:

„Königliche Hoheit wollen verzeihen — ich habe einen Bruder, der Fähnrich im Regiment ist, und der hat heute Dienst.”

„Heute?” fragte der hohe Herr verwundert, denn der Fähnrich gehört bei solchen Gelegenheiten auch in das Casino.

Der Herr Oberst warf dem Rittmeister des Fähnrichs einen fragenden Blick zu, und der sagte:

„Das gnädige Fräulein muß sich irren, ich selbst habe dem Fähnrich von Alten heute Mittag eine Urlaubskarte ausgestellt.”

Der hohe Herr machte ein ziemlich ungnädiges Gesicht.

„Wo steckt der Fähnrich denn nur?” fragte er.

Und da geschah etwas Unerwartetes: mit einer blitzschnellen Bewegung nahm Fräulein von Alten die Perrücke herunter und sich stramm hinstellend sagte er: „Portepee–Fähnrich von Alten meldet sich ganz gehorsamst bei Ew. Königlichen Hoheit zur Stelle.”

„Nanu?”

Der hohe Herr fragte es zum zweiten Mal, jetzt aber belustigt, und als er erfahren, warum der Fähnrich diese Komödie gespielt, und warum er den Dienst vorgeschützt, und daß Fräulein von Mortberg sich sonst nicht hätte küssen lassen wollen, hörte er sichtlich amüsirt zu.

Dann wandte der hohe Herr sich an Fräulein von Mortberg, neckte sie mit ein paar Worten, daß sie sich so hatte täuschen lassen, und er sprach dann mit den übrigen Mitwirkenden.

Der Fähnrich aber trat auf Fräulein von Mortberg zu: „Können Sie mir verzeihen, gnädiges Fräulein? Sie wissen nicht, welche Angst ich ausgestanden habe und wie ich mich schäme, Sie so angelogen zu haben. Aber es ging nicht anders — meine Schwester muß wenigstens noch acht Tage lang das Bett hüten — bitte, seien Sie nicht böse — wenn ich mich nicht dem hohen Chef gegenüber verplappert hätte, würden Sie nie erfahren haben, wen Sie küßten. Bitte, seien Sie nicht böse!”

„Ich hasse Sie!” gab sie empört zur Antwort — aber daß sie in ihrem Haß nicht unversöhnlich war, bewies sie dadurch, daß sie ein Vierteljahr später die Erlaubnis gab, Karten drucken zu lassen, auf denen Fräulein von Mortberg und Leutnant von Alten sich als Verlobte empfehlen.


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Zurück - marsch, marsch!” heißt es hier: „Fräulein von Mortberg”. (zurück)

(2) In der Fassung von „Zurück - marsch, marsch!” heißt es hier: „dem Feste fern bleiben”. (zurück)


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