Humoreske von Freiherr von Schlicht,
in: König Eduards Testament” und
in: Der Mann mit den vier Frauen”
Wie er, der stadtbekannte Weiberfeind, dazu gekommen war, sich so plötzlich zu verloben, das hätte er selbst nicht anzugeben vermocht, und dennoch war das Unglaubliche geschehen. Er, der reiche Rittergutsbesitzer von Hagen, der so stolz war, daß er es für eine Selbsterniedrigung hielt, jemand eine Verbeugung zu machen, und der einmal, als es ihm nahegelegt worden war, daß es ihm nur ein Wort kosten würde, um eine hohe Anstellung zu bekommen, stolz auf seine Brust geschlagen und ausgerufen hatte: „Was denkt Ihr von mir, ich bitte keinen Menschen um etwas!”
Dieser Hagen hatte vor der kleinen Ellinor von Druse auf den Knien gelegen und sie himmelhoch angefleht, seine Werbung nicht zurückzuweisen. Errötend hatte sie eingewilligt, die Seinige zu werden — da war er aufgesprungen und hatte sie immer und immer wieder geküßt im Übermaß seines Glückes.
Seines Glückes?
Würde es wirklich sein Glück sein? Das war der Gedanke, der ihn beschäftigte, während er allein den Weg nach seiner Wohnung zurücklegte, die er sich während des Winters in der Residenz gemietet hatte. War es die kleine Ellinor, der er in einer plötzlichen Aufwallung seines Herzens seine Hand angeboten hatte, denn wirklich wert, daß er ihr alles opferte, was ihm bisher das liebste gewesen war: seine goldene Freiheit, seine vielen teuren Passionen und das schöne, sorgenlose Leben auf dem Lande?
„Denn das sag' ich Dir aber gleich, nie und nimmer ziehe ich mit Dir auf das Land, weder im Frühling noch im Sommer, oder im Herbst und Winter, nur in der Stadt kann ich leben!”
Er hatte ihr, um ihren letzten Widerstand zu brechen, versprochen, sein Gut zu verkaufen und in der Residenz ein schönes Haus zu mieten; es war ein unüberlegtes Wort gewesen, das fühlte er jetzt, als er ruhiger geworden, sehr wohl, aber was verspricht der Mensch nicht alles, wenn er verliebt ist?
Mit großer Herzlichkeit wurde Hagen am nächsten Mittag bei seinem feierlichen Besuch begrüßt, aber als er mit seiner Werbung herausrückte, war Frau von Druse über das Unerwartete und Plötzliche seines Antrages so erstaunt, daß sie sich Bedenkzeit ausbat. Seit Wochen hatte sie schon mit Luchsaugen nach ihm ausgeschaut, aber der gute Hagen, dem auf seinem Gute zwischen Hunden und Pferden Frauenlist und -tücke unbekannte Dinge geblieben waren, hatte die Angeln nicht bemerkt, die nach ihm ausgeworfen wurden. Ihr, der armen Witwe, die außer ihren drei unversorgten, heiratsfähigen Töchtern auf der ganzen weiten Welt nichts besaß, konnte ein solcher Freier nur willkommen sein; aber Frau von Druse war viel zu klug und gewandt, um ihre Freude offen zu zeigen, mit kummervollem Gesicht hörte sie ihn an, dann kamen die Bedenken: Ellinor war erst neunzehn Jahre alt — noch ein solches Kind — so unerfahren — die Bekanntschaft wäre doch noch so kurz — wie leicht könnte er es später bereuen, unüberlegt einen so wichtigen Schritt getan zu haben und so weiter. Da vernahm man aus dem Nebenzimmer, dessen Tür nur angelehnt war, leises Weinen und Jammern. Plötzlich stürzte Ellinor herein und fiel ihrer Mutter zu Füßen: „Mama, schicke ihn nicht so fort, ach, ich liebe ihn doch über alles in der Welt!” Und er, der bisher so stolze, freie Mann, beugte zum zweitenmal innerhalb eines einzigen Tages sein Knie und vereinte seine Bitten mit denen seiner Braut. Zögernd gab Frau von Druse endlich ihre Einwilligung, und dankbar drückte Hagen einen Kuß auf die Stirn seiner zukünftigen Schwiegermutter.
Und nun begann der Brautstand, die Zeit, in der man von nichts anderem spricht als von dem Tage, an dem man sich zum erstenmal gesehen, von der Stunde, in der man zuerst merkte, daß man sich gegenseitig nicht mehr gleichgültig sei, von der bevorstehenden Hochzeit, der Hochzeitsreise und der eigenen Einrichtung.
Aber das Glück, das Hagen von dieser vielbesungenen seligen Zeit erwartet hatte, blieb aus, im Gegenteil, er fühlte sich recht unbehaglich und unglücklich.
„Was hast Du nur?” fragte ihn eines Tages seine Braut, als er ihr ungeduldig gegenübersaß, „so oft Du bei mir bist, bist Du mürrisch, ungeduldig und still, aber in dem Augenblick, da Du Dich zum Aufbruch rüstest, wirst Du lustiger und gesprächiger.”
Er küßte ihr die Hand. „Zürne mir deswegen nicht, dieselbe Entdeckung habe ich auch schon selbst an mir gemacht und mich nach der Ursache gefragt. Ich glaube, es liegt daran, daß ich als einzelner Herr mir zwischen Euch vier Damen etwas überflüssig vorkomme. Noch heute will ich mit Deiner Mutter sprechen, wir wollen die Hochzeit beschleunigen; worauf sollen wir auch warten? Eine passende Wohnung ist bald gefunden, in wenigen Tagen ist sie eingerichtet, die ganze Aussteuer kaufen wir fix und fertig, und in vierzehn Tagen feiern wir Hochzeit. Dann beginnt ein neues Leben, dann sind wir allein und leben nur füreinander.”
Der Hochzeitstag wurde festgesetzt, und schon am nächsten Morgen machte sich Hagen auf den Weg, um eine Wohnung zu suchen. Glücklich kehrte er heim, in der Z.-Straße hatte er ein sehr schönes Parterre gefunden, und unverzüglich ging es an das Einrichten. Die Hochzeit wurde gefeiert, und das junge Paar trat zunächst eine längere Reise nach dem Süden an. Die Flitterwochen vergingen den Neuvermählten im heitersten, sonnigsten Glück.
„Laß uns heimwärts fahren,” bat er eines Tages, „es fehlen zwar noch acht Tage an dem uns selbst gesteckten Ziel, aber ich sehne mich nach Ruhe und Bequemlichkeit, die man nur im eigenen Hause findet.”
Gern willigte sie ein.
„Auch mir ist das Hotelleben und das Zusammensein mit so vielen Menschen über. Noch heute laß uns reisen, aber versprich mir, Mama und die Schwestern nicht von unserer Rückkehr zu benachrichtigen, wir wollen sie überraschen. Was werden sie für Augen machen, wenn sie uns so plötzlich vor sich sehen.”
Nach einer endlosen Eisenbahnfahrt langten sie endlich wieder in der Residenz an, und bald darauf hielt die Droschke vor ihrem Haus. Verwundert sah Hagen, daß seine Fenster erleuchtet waren.
„Sollten etwa gar Diebe bei uns zu Besuch sein,” murmelte er leise vor sich hin, um seine junge Frau nicht zu erschrecken, und stieg die Treppe hinan. Aber sein Erstaunen wuchs, als aus seiner Wohnung Sprechen und die Töne des Klaviers vernehmbar wurden. Er öffnete mit einem Drücker die Tür und stand seiner Schwiegermutter und seinen beiden Schwägerinnen gegenüber.
„Ihr —?”
Es war das einzige Wort, das er vor Erstaunen zu sagen vermochte. Aber schon lag Ellinor weinend und schluchzend an dem Halse ihrer Mutter. Frauen weinen bekanntlich immer, bei dem Abschiednehmen und beim Wiedersehen, bei der Taufe, Verlobung, Hochzeit und zehntausdend anderen Gelegenheiten.
„Sag, Marie,” wandte sich Hagen an seine Schwägerin, „wie kommt Ihr hierher, ich verstehe dies alles nicht.”
„Erkläre Du es ihm, Anna,” erwiderte die Gefragte und wandte sich an ihre Schwester, „ich muß aufpassen, daß die Milch nicht überkocht.”
„Aber Schwager, die Sache ist doch furchtbar einfach. Wir schrieben es Euch doch, daß Mama umziehen wollte, weil ihr die lte Wohnung jetzt, da Ellinor nicht mehr bei uns ist, zu groß und zu teuer war. Zufällig waren die Räume hier über Euch gerade zu vermieten, Mama meinte, es wäre für beide Teile so nett und bequem, dann könnten wir den ganzen Tag zusammen sein.”
„So, so,” erwiderte Hagen in gereiztem Ton, „meinte Deine Mama das? Aber ich verstehe immer noch nicht, wie kommt Ihr denn dazu, meine Wohnung zu benutzen, wie es allem Anschein nach geschieht?”
Seine Schwägerin lachte hellauf: „Aber Schwager, Du bist wirklich etwas schwer von Begriff. Die oberen Zimmer müssen doch erst noch neu tapeziert und gestrichen werden,und da dachte Mama, Du würdest Dich freuen, wenn wir inzwischen Deine Zimmer bewohnten, sie sähen dann bei Eurer Rückkehr nicht mehr so ungemütlich neu aus.”
„So, so, meinte Deine Mama das? Sie scheint ja sehr besorgt um unser Wohl und Wehe zu sein.”
Nun kam Frau von Druse herangerauscht. „Sei mir herzlich willkommen, mein lieber Sohn. Verzeih, daß ich Dich noch nicht begrüßte. Aber nicht wahr, Du verstehst, eine junge Frau, die ihre Mutter zum erstenmal nach der Hochzeit wiedersieht, hat so manches auf dem Herzen.”
Er küßte ihr ritterlich die Hand. „Du siehst wohler und gesünder aus denn je, Mama. Und darf ich fragen, ob meine Wohnung zu Euer aller Zufriedenheit ist? Ihr habt Euch doch hoffentlich in meinen Räumen wohl gefühlt?”
Sie tat, als wenn sie den Spott und die Ironie seiner Frage gar nicht bemerkt hätte, sondern ging mit Freuden auf dies Thema ein.
„Nicht wahr, mein Lieber, findest Du meinen Gedanken, zu Euch, in Eure unmittelbare Nähe zu ziehen, nicht auch sehr nett? Leicht ist es mir natürlich nicht geworden, mein mir lieb gewordenes kleines Häuschen zu verlassen, aber was tut eine Mutter nicht alles für ihre Kinder?”
„Wie gut Du bist!” Wieder lag in seinen Worten ein ganz niederträchtiger, ironischer Ton, aber auch diesmal ging er spurlos an Frau von Druse vorüber.
Hagen fing es an gar sonderbar zumute zu werden; wachte oder träumte er? Wer war denn eigentlich hier der Herr, er oder seine Schwiegermutter? Er wollte auffahren und sich sein Recht wahren, aber schon war sie davongeeilt, um für ihre Kinder zu sorgen. Aber die Zimmer waren so voll mit den beiderseitigen Möbeln gepackt worden, daß an ein Unterkommen für Hagen und seine Frau nicht mehr zu denken war. Was sollte er machen? Er ließ Ellinor, die sich unter keinen Umständen von ihrer Mutter trennen wollte, da sie ihr noch zuviel zu erzählen hätte, bei dieser zurück und fuhr allein in ein Hotel.
Als er am nächsten Morgen nach einer in dem unbequemen Bett schlecht verbrachten Nacht erwachte, stand sein Entschluß fest: Er wollte nicht eher in seine Wohnung zurückkehren, bevor sie nicht von den Gästen geräumt war. Seiner Frau schrieb er einen Brief und bat sie, unter Geheimhaltung des wahren Grundes, ihre Mutter zu veranlassen, möglichst bald in die oberen Gefilde hinaufzusteigen. Er selbst fuhr nach seinem Gut, auf dessen Verkauf Ellinor trotz aller Gegenvorstellungen noch immer bestand und den ins Werk zu setzen er ihr auf der Reise schweren Herzens versprochen hatte.
Nach etwa acht Tagen erhielt Hagen Nachricht von seiner Frau, daß sie ihn erwarte. Er wurde ziemlich ungnädig empfangen, Ellinor hatte sich über sein langes Fernbleiben geärgert und verhehlte ihre schlechte Lauen keineswegs. Er küßte sie auf den Mund und versuchte ihren Unwillen zu verscheuchen. Nach einiger Zeit war es ihm gelungen, und Arm in Arm betraten sie in heiterster Stimmung den Eßsaal, um das Abendbrot einzunehmen.
„Erwartest Du Besuch heute abend?” fragte er erstaunt, als er auf dem Tisch fünf Gedecke bemerkte.
„Nein, wir sind allein, nur Mama und die Schwestern . . .”
„ZumTeufel noch mal,” unterbrach er sie, „können wir denn nicht einen Abend allein sein? Wen habe ich eigentlich geheiratet, Dich oder Deine Familie?”
Ihre schönen Augen füllten sich mit Tränen.
„Pfui, wie Du immer unfreundlich mit Mama und den Schwestern bist! Ich dachte, es würde Dich freuen, heute abend, nachdem Du sie so lange nicht gesehen, einmal wieder mit ihnen zusammen zu sein.”
„Verzeih,” bat er, „ich wollte Dich nicht kränken. Aber wo bleiben denn die Deinigen?”
Sie drückte auf einen elektrischen Knopf, und in demselben Augenblick war der helle Ton der Glocke zu hören.
„Wir haben die Leitungen miteinander verbunden, es ist viel praktischer, wir können Mama und die Schwestern dann jeden Augenblick benachrichtigen, und das Mädchen verliert mit dem ewigen Treppenlaufen keine Zeit.”
„In der Tat sehr praktisch, gewiß eine Erfindung Deiner Mama?”
„Gewiß, auf solchen Gedanken kommt nur ein liebendes Mutterherz. Oder wärst auch Du etwa auf diesen Gedanken gekommen?”
„Ich? Ganz gewiß nicht!”
Erschrocken wich sie bei dem drohenden, zornigen Klang seiner Stimme zurück. Die Tür öffnete sich, und Frau von Druse mit ihren beiden Töchtern erschien.
„Ah,mein lieber Sohn, welche große Feude, Dich endlich wiederzusehen und wie liebenswürdig von Dir, gleich am ersten Abend uns durch eine Einladung zu erfreuen!”
„Bitte, bitte, nicht die geringste Ursache, im Gegenteil —”
„Du willst mir danken? Das kann ich wirklich nicht annehmen.”
Sie war die Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit selbst, obgleich sie sich über das Benehmen ihres Schwiegersohnes schwer geärgert hatte, und auch die beiden Töchter überboten sich in Aufmerksamkeiten gegen ihren Schwager; aber trotz alledem atmete Hagen erleichert auf, als sich nach etlichen Stunden die Tür wieder hinter ihnen schloß.
Am nächsten Tag, am Sonntag, stellten sich die drei Damen von oben wieder ein, um gemeinschaftlich den Festtag zu begehen, und mit diplomatischer Schlauheit wußte Frau von Druse ihrem Schwiegersohn die Bitte zu entlocken, daß sie jeden Sonntag seine Gäste sein möchten. Nach einiger Zeit fanden die Damen, daß es doch sehr wenig wäre, wenn man sich nur einmal in der Woche sähe, und der Mittwoch wurde als zweiter Tag festgesetzt. Bald kam der Montag hinzu, weil man da noch immer vom Sonntag so viele Reste hätte, die man doch unmöglich allein aufessen könnte; an einem Dienstag war die Verlobung, an einem Donnerstag der Polterabend, an einem Freitag die Hochzeit gefeiert worden, und an einem Sonnabend war das junge Paar von seiner Hochzeitsreise in sein eigenes Heim zurückgekehrt — es wäre mehr als unnatürlich gewesen, wenn man diese Festtage nicht in treuer Gemeinschaft verlebt hätte. So saßen denn die Damen von oben bald den ganzen Tag unten, und in ohnmächtiger Wut raufte sich Hagen manchmal die wenigen ihm aus seiner Junggesellenzeit gebliebenen Haare. Und was das Schlimmste war und ihn am meisten ärgerte: Er durfte seinen Zorn und seinen Ärger nicht einmal zeigen, denn Frau von Druse hatte es stets so einzurichten gewußt, daß sämtliche Aufforderungen von ihm ausgingen, und immer hatte sie erst nach langem Sträuben seine Einladungen angenommen. Nur abends, wenn seine lieben Gäste ihn verlassen hatten mit einem fröhlichen: „Auf Wiedersehen morgen!” machte er seinem Herzen Luft. Wie ein wildes Tier ging er dann in dem Zimmer auf und ab, polternd und scheltend, daß die Fensterscheiben zitterten und die Pagoden auf dem Nippschrank verwundert die Köpfe zu schütteln begannen. Aber wenn seine Frau dann zu ihm sagte: „Ich verstehe Dich wirklich nicht, Du selbst hast doch Mama und die Schwestern gebeten, täglich unsere Gäste zu sein — und außerdem bedenke, wie kurz das Leben ist, müßten wir uns nicht einst die heftigsten Vorwürfe machen über jede Stunde, die wir allein verlebt hätten?” Wenn seine Frau so zu ihm sprach, stöhnte er laut auf, stürzte in sein Zimmer, schloß die Tür zweimal hinter sich ab, warf sich auf seine Chaiselongue und rauchte im Bewußtsein seiner Ohnmacht eine Zigarre nach der anderen.
So gingen Wochen und Monate dahin. Nirgends, weder im Theater noch im Konzert, auf der Promenade noch im Zirkus, sah man ihn ohne seine vier Damen, und bald war er bekannt in der ganzen Stadt unter dem Namen: Der Mann mit den vier Frauen. Nicht ohne Absicht ging Frau von Druse nie ohne ihren Schwiegersohn aus, denn auf diesen gemeinschaftlichen Spaziergängen machte sie stets ihre Einkäufe und Besorgungen. Sie liebte es, wenn sie etwas aussuchte, ihn dabei um Rat zu fragen, und so mußte er stets mit in die Läden hineingehen. Unmöglich konnte er dann doch als Kavalier zusehen, wie seine Begleiterin das Portemonnaie zog und selbst sein Geld in der Tasche behalten, und legte dann aus, aber die Wahrheit des Wortes: „Wiedersehen macht Freude” erfuhr er in bezug auf sein Geld nicht. So kam es mit der Zeit, daß die Kaufleute es als ganz selbstverständlich betrachteten, daß Hagen alles bezahlte, und wenn die jungen Damen sich irgendwo was kauften und sagten: „Bitte, schreiben Sie es an für —” so wurden sie stets mit den Worten: „für Ihren Herrn Schwager, gewiß, gnädiges Fräulein, ich weiß schon,” unterbrochen. Auf Hagens Schreibtisch häuften sich die Rechnungen, und als er einst in der Weisheit des Brahmanen las: Eine leichtsinnige Frau kann an einem Tage mehr ausgeben, als ein verständiger Mann in einem Jahre verdient, klappte er das Buch zu und dachte darüber nach, was der alte Weise wohl zu seinen vier Frauen gesagt haben würde.
„Das muß anders werden,” sagte Hagen eines Abends zu seiner Frau, als ihm der Postbote eine Rechnung über einen Schmuck brachte, den sich seine Schwägerin Anna gekauft hatte, „so geht das nicht weiter.”
Ruhig blickte Ellinor ihren Mann an. „Aber sie muß doch etwas anzuziehen haben,” meinte sie.
„Gewiß, aber wer bezahlte denn früher diese teuren Anzüge?”
„Früher, ja früher war das auch ganz etwas anderes. Aber jetzt, als Schwägerinnen des reichsten Mannes in der Stadt, der sich die schönsten Pferde hält und so viel von sich reden macht . . .”
„Durch seine vier Frauen allerdings.” Und erbittert und ironisierend fuhr er fort: „Aber Herz, hörst Du nicht die Schritte über uns — sie rüsten sich zum Aufbruch — gleich müssen sie wieder bei uns sein. Wir haben uns ja auch solange, seit einer ganzen Stunde, nicht gesehen, da ist es unumgänglich notwendig, daß sie sich nach unserem Wohlergehen erkundigen. Nun sind sie auf der Treppe — warum bricht das Ding nicht mal zusammen — hörst Du, wie sie husten — das ist Deine Mutter, es ist die Einleitung ihrer ewigen Begrüßung: ,Ah, mein lieber Sohn.' Warum sagt sie nicht: ,Mein lieber Mann,' warum nicht, warum nicht?”
Wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch, seine Augen weiteten sich, und dicke Adern schwollen auf seiner Stirn. Die Tür öffnete sich.
„Ah, mein lieber Sohn . . .”
„Ha!” Mit einem Schrei des Entsetzens fuhr er empor, seine Haare sträubten sich, abwechselnd streckte er seine beiden Arme aus, dann floh er wie gehetzt davon.
„Aber was hat nur unser Mann?” hörte er eine seiner Schwägerinnen ausrufen; er blieb stehen und schaute sie mit einem so wutverzerrtem Blick an, daß sie laut aufkreischend zurücktaumelte, dann fiel die Tür donnernd ins Schloß, der Schlüssel wurde umgedreht, etwas Schweres vor die Tür gerückt, und dann war die Ruhe wiederhergestellt. — —
Wieder waren Wochen vergangen, mit keinem Wort war man auf den Vorfall zurückgekommen, und das gewohnte Leben nahm seinen alten Fortgang.
„Hast Du schon an das Packen gedacht,” fragte Hagen eines Morgens seine Frau, als sie bei dem ersten Frühstück saßen. „Du weißt, in acht Tagen müssen wir die Wohnung geräumt haben.”
Vollständig sprachlos schaute sie ihn an.
„Ja, habe ich Dir denn das nicht gesagt? Ich habe in M. eine Anstellung bekommen, schon lange ist mir das untätige Leben zuwider, und in acht Tagen müssen wir reisen, die Wohnung ist auch bereits wieder vermietet.”
„Und Mama und die Schwestern?”
Es kam fragend, zweifelnd und zögernd über ihre Lippen, sie konnte so schnell das Unerwartete, Überraschende nicht fassen.
„Ängstige Dich nicht, für die ist gesorgt. Ich habe ihren Mietskontrakt vorläufig auf zehn Jahre verlängert und ihnen ein Jahresgehalt ausgesetzt, das sie in den Stand setzt, vollständig bequem und sorglos zu leben.”
„So ist es Dein Ernst, was Du sprichst?”
„Gewiß.”
Einen Augenblick später tönte der schrille Ton der elektrischen Glocke durch die Räume, und Hagen zog sich zurück, denn dem Sturm, der nun losbrechen würde, fühlte er sich denn doch nicht gewachsen. Kein gutes Haar würden sie an ihm lassen, und der Erfolg des von ihm seit einiger Zeit gebrauchten Haarwuchsmittels würde dadurch nur in Frage gestellt worden sein. — —
Vier Wochen weilte Hagen nun schon in seinem neuen Wohnort und fühlte sich so glücklich, wie sich jemand im Besitz eines großen Vermögens, einer nützlichen Tätigkeit und einer heißgeliebten jungen Frau fühlen kann. Wie sehr er seine Frau liebte, das hatte er in den wenigen Wochen erfahren, in denen sie nur füreinander gelebt hatten, war es doch die erste Zeit seit ihrer Hochzeit, daß sie wirklich einmal allein gewesen waren. Und fern von ihrer Mutter und ihren Schwestern kannte Ellinor kein größeres Glück, als für ihren Gatten zu sorgen und ihn zu erfreuen.
„Ist es nicht fast zuviel des Glückes, das wir genießen?” fragte Hagen eines Abends seine Frau, als sie ihm errötend in das Ohr geflüstert hatte, daß selbst die Erfüllung ihres heißesten Wunsches bevorstände, „ist es nicht zuviel Glückseligkeit, die uns beschieden ist? Fast fürchte ich den Neid der Götter.” —
Und als hätte er auf diese Minute gewartet, öffnete der Diener in demselben Augenblick die Tür und überreichte seinem Herrn ein Telegramm, es waren nur wenige Worte, die das kleine Papier barg, nur wenige Worte, aber sie ließen Hagen vernichtet in einen Stuhl zurücksinken, und mit lallender Stimme las er laut:
„Überglücklich. Vorgestern Aftermieter gefunden. Möbel bereits unterwegs. Morgen bei Euch.”