„Du bist verlobt!”

Militär-Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Arme Schlucker” und
in: „Die Fürstentreppe”


Nachdem der Hauptmann a. D. Alfred Möhring vor nunmehr 5 Jahren seinen Abschied eingereicht hatte, war er nach seiner gewissenhaften Überzeugung noch keine fünf Minuten glücklich gewesen. Und doch hatte er den Tag mit Ungeduld herbeigesehnt, an dem er endlich die Uniform für immer in den Kleiderschrank hängen würde, an dem es vorbei sei mit der „ewigen dienstlichen Plackerei”, mit den Besichtigungen durch die Vorgesetzten und all den anderen zahllosen Dingen, die ihm das militärische Leben zur Hölle machten. Der Inbegriff aller Seligkeit war für ihn, Zivilist zu werden, aber als er es war, da wünschte er sich wieder zurück in den bunten Rock. Er begriff jetzt überhaupt nicht mehr, weshalb der Mensch denn geboren sei, wenn er nicht Rekruten ausbilden und Kompagnie­exerzieren abhalten könne! Und doch wäre er der unglücklichste Europäer gewesen, wenn eines Tages sein sehnlichster Wunsch erfüllt worden wäre, wenn er sich auf dem Kasernenhofe wiedergefunden hätte. Dann wäre die Sehnsucht nach dem Zivil wieder mit aller Gewalt in ihm erwacht, und als Zivilist hätte er sich dann wieder nach dem Militär zurückgesehnt. Denn er gehörte zu jenen unglücklichen Naturen, die da nie recht wissen, was sie wollen und sollen, die heute diesen und morgen jenen Entschluß fassen, die alles von der Zukunft erwarten und nie ganz glücklich werden, weil sie den Augenblick nie ganz zu genießen verstehen — —.

Er wurde Pessimist und Hypochonder, er war immer unzufrieden. Er zog beständig um, die eine Wohnung war ihm zu groß, denn da verirrte er sich in den vielen Zimmern, es war ja mehr als genug, daß er in einem beständig allein saß. Wozu brauchte er denn noch ein halbes Dutzend anderer? Und wenn er eine kleine Etage genommen hatte, konnte er da nicht frei atmen, er brauchte als alter Soldat Luft, viel Luft, und viel Bewegungsfreiheit! So zog er in einem fort, er machte nur Kontrakte mit vierteljährlicher Kündigung, und alle halbe Jahre zog er aus.

Es war ein verpfuschtes Leben, keine Tätigkeit, keine Arbeit, — und immer allein!

Das war das sachlimmste.

Wenn er noch verheiratet wäre, Frau und Kinder hätte, für die zu leben es sich lohnte! Aber so? Für wen war er eigentlich auf der Welt? Für sich selbst? Ihm lag nichts an diesem Dasein. Für seine Geschwister? Die wohnten nicht, wie er, in Berlin. Er hing mit großer Liebe an ihnen, aber er sah sie nur selten. Er lehnte jede Einladung von ihnen ab, er wollte ihnen die gute Laune nicht verderben, und wenn er sich dann doch einmal überreden ließ, sie zu besuchen, und dann mit eigenen Augen das glückliche Eheleben seines Bruders oder seiner Schwester sah, da wurde er erst recht wütend, schalt und fluchte vor sich hin und war erst wieder froh, wenn er auf dem Bahnhof stand und auf seinen Zug wartete. Aber sobald er im Kupee saß, tat es ihm schon wieder leid, abgereist zu sein. Es war doch etwas Schönes um ein glückliches Familienleben! Warum konnte er sich nur nicht neidlos daran erfreuen?

Da tauchte immer wieder seine einstige Liebe vor ihm auf, die Tochter seines alten Oberst, ein auffallend schönes und lustiges junges Mädchen von kaum zwanzig Jahren. Nur einen Fehler hatte Schön-Ellen, wie sie immer genannt wurde, in den Augen aller Offiziere gehabt: sie war arm, und das strenge Gesetz erforderte den Nachweis eines bestimmten Vermögens. Da muß sich oft das Herz dem Verstande fügen. Trotzdem hatten alle Leutnants sie umschwärmt, und auch er selbst hatte ihr den Hof gemacht, obgleich er schon damals ein alter Oberleutnant war. Zuerst dachte er sich nichts Böses dabei, es gehörte nach seiner Meinung gewissermaßen mit zu seinen Dienst­obliegenheiten, der Regimentstochter zu huldigen. Aber allmählich merkte er, wie sein Herz Feuer fing. Und eines Tages ertappte er sich dabei, daß er sich sagte: die wird geheiratet, oder keine andere! Er war auch nicht reich, aber er besaß doch immerhin ein kleines Vermögen, und außerdem wurde er ja bald Hauptmann. So warb er weiter um ihre Gunst, und eines Tages gestand er ihr seine Liebe.

Ein Riesenkorb war die Antwort.

Er schauderte noch zusammen, wenn er nur daran dachte. Zuerst war er ganz verzweifelt, schalt sie kalt und herzlos, aber dann fing er immer mehr an, sie zu begreifen. Sie war zu schön, zu begehrt, sie konnte ganz andere Partien machen als ihn, dem selbst die wohlwollendsten Vorgesetzten kein glänzendes Avancement prophezeiten, schon deshalb nicht, weil er nicht mit Lust und Liebe Soldat war.

Ich werde Ellen vergessen, gelobte er sich, ich will nicht mehr an sie denken.

Aber er dachte doch immer an sie. Und einmal schrieb er ihr sogar einen langen, ausführlichen Brief, als er aus den Zeitungen ersah, daß ihr Vater bei einer Besichtigung mit dem Pferde gestürzt und an den Folgen gestorben sei. Da kamen die Gedanken an Ellens Schicksal eigentlich gar nicht mehr aus seinem Kopfe heraus, was würde aus ihr werden? Nun war sie noch ärmer als zuvor! Schwerlich würde sie jetzt, wo sie doch inzwischen auch älter geworden war, noch einen Mann finden. Und ihm war. als hätte sich sein eigenes Lebensschicksal zum Besten entschieden, als er erfuhr, sie hätte in einer sehr reichen und angesehenen Familie eine Stellung als Hausdame angenommen.

Von dem Tage an, da er Ellen vergebens um ihre Hand gebeten hatte, war er nie wieder in Versuchung gekommen, zu heiraten. Und doch besaß er alle Eigenschaften, die ein Mann braucht, um ein guter Ehemann zu werden. Er litt täglich darunter, unbeweibt zu sein, je älter er wurde, desto mehr. Und dementsprechend wurde auch seine Stimmung immer schlechter, er wurde immer nervöser, immer verdrießlicher, immer mehr Einsiedler, und öfter als sonst suchte er sich in seiner Einsamkeit durch ein Glas Wein zu trösten. Aber anstatt ihn zu beruhigen, erregte der Wein seine Nerven noch mehr, und er hätte unfehlbar eines Tages ganz auf der Nase gelegen, wenn nicht plötzlich sein älterer Bruder bei ihm erschienen wäre, um mit ihm über seinen Lebenswandel zu sprechen.

Und der Hauptmann a. D. mußte sich gestehen, im Laufe seiner ganzen langen Dienstzeit nicht so viel Grobheiten gehört zu haben, wie an diesem Tag! Er wurde ganz kleinlaut, als sein Bruder ihm den Standpunkt klar machte, dann fragte er: „Was soll ich tun, um in Zukunft meines Lebens wieder froh zu werden?”

Der Bruder entwickelte ihm seinen Plan. „Zunächst gehst du erst irgendwohin zur Kur, beruhigst deine Nerven, trinkst ein Vierteljahr keinen Tropfen Wein, rauchst anstatt fünfzig Zigaretten pro Tag höchstens zehn, und läufst täglich ein paar Stunden spazieren. Und während du gesund wirst, suchen deine Schwester und ich für dich eine gute Haushälterin, die später für dich sorgt, damit du nicht nötig hast, zu jeder Mahlzeit ins Restaurant zu gehen, und die zugleich auch so gebildet ist, daß du dich mit ihr unterhalten kannst.”

Der Hauptmann a. D. sagte zu allem ja und Amen. Im Grunde seines Herzens war er selbst sehr froh, für ein paar Wochen aus dem lauten Berlin mit seiner entsetzlichen Unruhe herauszukommen. Wie schön mußte es sein, irgendwo in der Nähe eines Waldes zu wohnen und nicht täglich von morgens um fünf Uhr bis nach Mitternacht das Klingeln der elektrischen Straßenbahnen mit anhören zu müssen, an das man sich trotz allen Scheltens doch so gewöhnt, daß man schließlich wach liegt, so lange die Elektrische nicht fährt. Und der Hauptmann war seinem Bruder dankbar, daß der es in die Hand genommen hatte, sein späteres Leben zu gestalten. Bei der Unentschlossenheit, die sich seiner bemächtigt hatte, würde es ohne fremde Hilfe doch nie anders geworden sein.

So suchte er denn in einem Sanatorium Gesundheit und Stärkung seiner Nerven, und sein Bruder suchte unterdessen in den Zeitungen für ihn eine Art Hausdame, die zugleich die Führung der ganzen Wirtschaft mit übernehmen könnte.

Etwa ein Vierteljahr ging so dahin. Der Hauptmann a. D. war ein ganz anderer Mensch geworden, aber hin und wieder überfiel ihn doch noch die Angst vor dem großen Berlin und dem ewigen Alleinsein. „Wenn ich erst wieder in meiner Wohnung sitze, ist es nach ein Paar Wochen doch wieder die alte Geschichte,” klagte er dann, und auf das Zureden der Ärzte, lieber in eine andere Stadt zu ziehen, pflegte er stets zu entgegnen: „Wenn ich mich schon in der Residenz so langweile, wie langweile ich mich da erst in Posemuckel!” Ein Leben in einer anderen Stadt konnte er sich gar nicht vorstellen.

Da geschah es, daß der Hauptmann eines Mittags ein Telegramm erhielt, daß er immer und immer wieder las, und das er doch nicht verstand.

„Habe glänzende Hausdame für dich gefunden. Du hast dich heute morgen um 10 Uhr 13 Minuten mit ihr verlobt. Gratuliere dir herzlichst. Dein Bruder Fritz.”

Eine Stunde studierte er an der Depesche herum, dann ging er zu seinem Arzt. „Sagen Sie mir bitte, Herr Doktor, bin ich verrückt geworden, oder ist es mein Bruder?”

Der wußte es auch nicht. Antwort haben wollte der Hauptmann aber. So telegraphierte er denn mit bezahlter Rückantwort an seinen Bruder: „Wer von uns beiden ist verrückt?”

Die Antwort lautete: „Du, wenn du deine Braut nicht heiratest. Die Hochzeit ist auf den 6. Juni festgesetzt.”

Der Hauptmann telegraphierte zurück: „Laß die faulen Witze! Habe einem befreundeten Herrn versprochen, ihn Anfang Juni auf seinem Gut zu besuchen, kann schon aus diesem Grunde nicht heiraten. Denke auch sonst gar nicht daran. Wer ist es denn überhaupt.”

Auf die letzte Frage brachte in den nächsten Tagen ein ausführlicher Brief Antwort: in den glühenden Farben schilderte dort der Bruder die Braut, die er für ihn ausgesucht habe. Nicht mehr so ganz jung, im Alter zu ihm passend, immer noch eine Schönheit, äußerst tüchtig und erfahren in allen häuslichen Tugenden, klug und gebildet, kurz, eine Frau, wie er sie sich nicht besser wünschen könne. Daß er sich über kurz oder lang doch in seine neue Hausdame verlieben würde, sei ganz selbstverständlich, deshalb habe der Bruder ihr gleich von ihm erzählt, ihr sein Bild gezeigt und sie gefragt, ob sie wohl später eine eventuelle Neigung erwidern könne. Daraufhin habe sie „ja” gesagt, und der Einfachheit halber habe er die Verlobung gleich vollzogen. Der Arzt melde ja über sein Befinden stets das Allerbeste, so möge er baldmöglichst kommen und seine Braut besuchen.

Alles stand in dem Brief, nur nicht, wie die Braut hieß. Aber das war dem Hauptmann auch ganz einerlei. Was lag daran, ob sie Klara oder Frida getauft war, heiraten wollte er sie ja doch nicht. War sein Bruder, von den besten Absichten geleitet, wirklich so übermütig und leichtsinnig gewesen, ihm solche Suppe einzubrocken, dann mochte er sie auch selbst ausessen! Er wünschte ihm von ganzem Herzen guten Appetit, aber das war auch alles, was er tun konnte.

Doch was er selbst nicht für möglich gehalten hatte, geschah dennoch: Die Neugierde wurde in ihm wach, seine sogenannte Braut wenigstens von Angesicht zu Angesicht einmal zu sehen. Daß er seine Hausdame jemals heiraten würde, war ja ein Unsinn, und wenn sie wirklich so klug war, wie der Bruder schrieb, dann nahm sie die Verlobungs­geschichte ebenso wenig ernst wie er selbst.

Ansehen konnte er sie sich ja aber 'mal, das mußte er sogar, denn wenn er später jahraus-jahrein mit ihr zusmamen leben sollte, dann mußte er sich davon überzeugen, ob ihr Äußeres und ihr ganzes Wesen ihm wenigstens einigermaßen sympathisch war.

So telegraphierte er denn eines Morgens seinem Bruder, daß er am Nachmittag bei ihm zum Besuch eintreffen werde. Und der nahm ihn auf dem Bahnhof in Empfang.

„Wenn du nur vierundzwanzig Stunden eher depeschiert hättest! Gestern ist deine Braut nach Berlin gefahren, um Einkäufe zu machen. Statt dessen findest du bei uns einen Hausbesuch vor, der sicher abgereist wäre, wenn du dein Kommen früher gemeldet hättest: Deine einstige Liebe Ellen —”

Der Hauptmann fühlte, wie er rot und verlegen wurde wie ein Schulknabe: „Sie ist hier? Wie kommt sie denn zu Euch?”

„Durch eine Freundin meiner Frau, die sie zum Besuch geladen hatte, die dann aber plötzlich zu einer erkrankten Verwandten abberufen wurde. Für die Zwischenzeit, bis die Freundin zurückkommt, nahmen wir sie zu uns ins Haus, damit sie nicht so allein sei.”

„Und weiß Ellen, daß ich komme?” erkundigte sich der Hauptmann.

„Gewiß. Zuerst wurde sie natürlich sehr verlegen und wollte unter allen Umständen abreisen, aber ich redete es ihr aus, denn was zwischen Euch gewesen ist, liegt ja schon viele Jahre zurück, und ihr denkt ja beide nicht mehr daran.”

„Nein, daran denken wir beide schon lange nicht mehr,” stimmte der Hauptmann seinem Bruder bei, aber man hörte es ihm deutlich an, daß die Worte nicht so recht von Herzen kamen.

Und daß ihn das Wiedersehen mit Ellen mehr beschäftigte, als er zugeben wollte, ging auch schon daraus klar hervor, daß er unterwegs gar nicht nach seiner Braut fragte, sondern schweigend seinen Gedanken nachhing.

Als sie die Villa seines Bruders erreichten, trat ihnen nur Ellen entgegen, ihn zu begrüßen.

„Ach so, ja, ganz richtig —” meinte der Bruder, „das habe ich in der ersten Freude des Wiedersehens ganz vergessen: meine Frau läßt sich entschuldigen, die kann erst zum Abendessen zurück sein. Sie hatte eine Einladung zum Kaffee angenommen und konnte die im letzten Augenblick unmöglich absagen.”

„Bitte, bitte,” meinte der Hauptmann. Er war so verwirrt, daß er kaum wußte, was er sagen sollte. Er hörte auch kaum hin, als sein Bruder unter dem Vorwande, für ein paar Minuten beschäftigt zu sein, aus dem Zimmer ging und ihn mit Ellen allein ließ.

Schweigsam und verlegen saßen sie sich am Teetisch gegenüber, er wagte kaum, sie anzusehen, sonst hätte er das leise, glückliche Lächeln bemerken müssen, das ihren Mund umspielte.

„Trinken Sie noch eine Tasse Tee, Herr Hauptmann?”

„Sehr gerne. Sie sind wirklich zu liebenswürdig, gnädiges Fräulein,” stotterte er ganz verwirrt.

Warum pochte sein Herz nur so unruhig? Wie viele Jahre waren es nicht schon her, daß er um ihre Hand gebeten hatte? Sieben wenigstens. Sollte er sie da immer noch lieben? Das war doch ein Unsinn! Er hatte sie doch schon lange vergessen, ebenso wie sie ihn. Und sie hatte sich doch überhaupt nie etwas aus ihm gemacht. Sonst — er dachte an den Riesenkorb.

„Nehmen Sie ein Stück zucker, oder zwei, Herr Hauptmann?”

„Eins, wenn ich bitten darf, gnädiges Fräulein.”

Ellen machte ihm die Teetasse zurecht und hielt sie ihm dann hin.

Er nahm sie ihr aus den Händen, und als er dabei aufsah, entdeckte er plötzlich an ihrer linken Hand den Verlobungsring.

Einen Augenblick sah er sie ganz fassungslos an — er fühlte in seinem Herzen einen stechenden Schmerz. Und wieder begriff er sich nicht: was ging ihn das an, ob sie verlobt war oder nicht?

„Sie sind auch verlobt, gnädiges Fräulein?” fragte er schließlich fast wider Willen.

„Allerdings — ich auch.”

„Schon lange?”

„Morgen sind es drei Wochen.”

„Also genau so lange wie ich — das heißt,” verbesserte er sich, „ich bin noch gar nicht verlobt, aber ich soll mich verloben — mein Bruder hat sich das so ausgedacht.” Und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: „Und gedenken Sie bald zu heiraten?”

„Allerdings — am 6. Juni.”

„Also auch an genau demselben Tage wie ich! Das heißt — ich bin ja noch gar nicht verlobt — und ob ich je heirate, weiß ich auch noch nicht, aber mein Bruder hat sich das so ausgedacht. — Und wohin wollen Sie Ihre Hochzeitsreise machen?”

„Natürlich nach Italien, wohin denn sonst?”

„Natürlich nach Italien,” stimmte er ihr bei, „dahin wollte ich auch — natürlich nur, wenn meine Frau auch will — und immer vorausgesetzt, daß ich wirklich heirate.” — Und einem plötzlichen Gedanken nachgehend, sagte er: „Wissen Sie was, gnädiges Fräulein, da könnten wir doch eigentlich unsere Hochzeitsreisen zusammen machen — wir haben uns doch so lange Jahre nicht gesehen, da müssen wir uns einmal ganz gehörig aussprechen — und in ein paar Tagen ist das doch nicht getan. Dazu haben wir doch viel zu viel gemeinsame Bekannte — und wissen Sie, es ist dann doch auch nicht so einsam auf der Hochzeitsreise. Wir müssen dann natürlich alle in demselben Hotel wohnen, wir nehmen die Mahlzeiten zusammen, wir machen gemeinsame Ausflüge, kurz, wir verleben die ganze Zeit à quatre.”

Sie sah ihn etwas verlegen, aber doch leise lächelnd an: „Glauben Sie nicht, daß Ihre Frau Gemahlin etwas eifersüchtig würde?”

„Die — eifersüchtig?” Er zuckte geringschätzig die Achseln. „Dazu hat sie gar kein Talent — oder besser gesagt: sie darf dafür keins haben, denn sonst heirate ich sie einfach nicht. — Ich bitte Sie: eine eifersüchtige Frau! Lieber sterben.”

„Aber wenn Sie ihr nun Grund zur Eifersucht gäben?”

„Völlig ausgeschlossen,” entgegnete er. „Wenn schon, denn schon. Nehme ich wirklich das Kreuz auf mich, dann ertrage ich es auch mit Anstand und Würde. Dann bin ich auch tatsächlich ein braver Ehemann, dann soll, wenigstens soweit es an mir liegt, kein Schatten meine Ehe trüben. Nein, eifersüchtig darf sie nicht sein, selbst dann nicht, wenn ich den ganzen Tag auf der Hochzeitsreise mit Ihnen zusammen wäre.”

„Und was soll denn mein Mann in der ganzen Zeit machen?”

„Ach der!” sagte er wieder gerinmgschätzig. „Pardon — ich meine natürlich — so war es natülich nicht gemeint — ich wollte sagen: der kann sich ja mit meiner Frau unterhalten. Eifersüchtig sein darf er natürlich auch nicht, dazu hat er ja auch gar keine Veranlassung — ich bitte Sie: Sie sind verheiratet — ich bin verheiratet — er ist verheiratet — meine Frau ist verheiratet, na, und Eheleute unter sich — so 'was gibt es doch gar nicht.”

„Aber wenn mein Mann nun doch anders denkt?”

„Dann lassen wir ihn einfach zu Hause. Dann darf er gar nicht mitreisen. Ach so — das geht ja aber leider nicht — mitkommen muß er schon. Na, er wird schon vernünftig sein, sonst sage ich ihm einfach unter vier Augen ganz gehörig meine Meinung. Ich bitte Sie: so alte Freunde, wie wir es sind.” Er schwieg eine ganze Weile, dann fragte er plötzlich: „Sagen Sie mir bitte, gnädiges Fräulein, jetzt können wir ganz ruhig darüber sprechen — wir sind ja inzwischen beide älter geworden — wenigstens bin ich es geworden. Ich meine: was war, ist längst gewesen, also sagen Sie mir bitte: warum haben Sie mir eigentlich damals einen solchen Riesenkorb gegeben?”

„Warum?” wiederholte sie mit leiser Stimme: „Wollen Sie es wirklich wissen? Aber Sie haben recht — ich kann es Ihnen jetzt ja ruhig sagen — denn wir beide sind ja nun verlobt — —. Ich war damals ein verwöhntes, junges Ding, das sich von jedem den Hof machen ließ, das da gar nicht wußte, was wirkliche, ernste Liebe ist. Deshalb habe ich Sie damals ausgelacht, — aber glauben Sie mir: ich habe es später oft bitter bereut und manche Nacht deswegen durchweint, daß ich damals so herzlos gegen Sie war. Denn wie gut Sie es mit mir meinten, das zeigte mir Ihr Brief, als mein Vater gestorben war.”

Ganz verwirrt saß er ihr gegenüber: „Aber jetzt sind Sie glücklich?” fragte er endlich.

„Ich hoffe es wenigstens zu werden.”

„Sie sollen es werden!” sagte er mit fester Stimme, „wenigstens werde ich in dieser Hinsicht alles tun, was ich kann. Ich werde mir Ihren Herrn Bräutigam einmal vornehmen, und wenn er Sie nicht so glücklich macht, wie Sie es verdienen, dann schieße ich ihn einfach im Duell tot — und dann — heirate ich Sie! Und ich mache Sie glücklich, — darauf können Sie sich verlassen.”

„Aber Sie sind dann doch auch verheiratet?” fragte sie lächelnd.

„Ach was — Unsinn!” fuhr er auf. „Ich entlobe mich wieder, und zwar heute noch. Ich denke ja gar nicht daran, zu heiraten, nur, weil mein Bruder mich verlobt hat. — Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht seinen Rat befolgt. Aber jetzt, wo ich weiß, daß Sie meinetwegen Tränen vergossen haben, daß auch Sie mich doch ein klein wenig gern hatten — da soll ich eine andere heiraten? Das kann ich nicht, — denn nun kann ich es Ihnen ja gestehen, daß ich nie aufgehört habe, Sie zu lieben — und daß ich Sie auch heute noch liebe — natürlich nur noch so weit, wie ich Sie noch lieben darf — — aber wenn der Himmel mir gnädig ist, werden Sie bald Witwe werden, und dann — —”

„Aber Herr Hauptmann,” unterbrach sie ihn. „Was sind das für unchristliche Wünsche!”

Er ließ sich nicht beirren, er war Feuer und Flamme. Die alte Leidenschaft war wieder in ihm wach geworden, und er fühlte sich wieder jung und lebensfroh, wie damals als Leutnant: „Ach was, unchristlich oder nicht,” rief er übermütig — „in der Liebe ist sich jeder selbst der Nächste — einmal lebt der Mensch nur, und ich warte auf Sie, denn ich weiß: die Stunde wird doch noch für mich kommen, in der ich glücklich werde.”

„Wenn das mein Verlobter hörte —”

„Er soll es sogar hören, denn ich werde zu ihm sagen: mein Herr, entloben auch Sie sich, wie ich es tat. Glauben Sie wirklich, daß Sie mit einer Frau glücklich werden können, die in früheren Jahren einen anderen liebte, die diesem sogar Tränen nachweinte? Die wahre Liebe erstirbt nie in einem Menschen, — dafür bin ich das glänzendste Beispiel. Und können Sie, mein Herr, überhaupt glücklich sein, wenn Sie wissen, daß jemand täglich und stündlich auf Ihren Tod wartet, nur um Ihre Witwe dann heiraten zu können? Ich rate Ihnen: nehmen Sie beizeiten Vernunft an und entloben Sie sich, ehe es zu spät ist. — So werde ich zu ihm sprechen, und wenn der Mensch dann einen Dickkopf hat und nicht will, wie er soll, dann müssen Sie die Verlobung auflösen, gnädiges Fräulein — nicht nur mir zuliebe, sondern vor allen Dingen um Ihrer selbst willen —”

„Glauben Sie wirklich?” fragte sie anscheinend ganz ernsthaft.

„Von ,glauben' ist überhaupt keine Rede — es ist meine felsenfeste Überzeugung.”

Sie tat, als überlege sie noch einen Augenblick, dann meinte sie: „Sie haben recht — ich sehe es ein — ich will tun, wie Sie mir raten. — Aber können Sie mir den Riesenkorb von damals denn wirklich vergeben? Und soll ich Sie wirklich so glücklich machen, wie Sie es verdienen —”

Stürmisch zog er sie an sich und bedeckte ihr Antlitz mit Küssen.

Dann aber bat er: „Nimm den Ring dort vom Finger — nichts soll mich jetzt mehr an den anderen erinnern.”

Sie tat, wie er verlangte. Aber als er den Ring nun in Händen hielt, las er darin seinen eigenen Namen eingraviert.

Einen Augenblick sah er sie fassungslos an. Dann erriet er den Zusammenhang:

„Na warte, das sollst du mir büßen — mich so auf die Folter zu spannen!”

„Hast du denn wirklich geglaubt, daß dein Bruder dir eine andere Braut ausgesucht hätte, als mich?” fragte sie, sich an ihn schmiegend.

Der Wahrheit gemäß hätte er darauf mit einem lauten, vernehmlichen „Ja” antworten müssen. Aber zur rechten Zeit besann er sich darauf, daß er als Mann nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hatte, schlauer zu sein, als seine zukünftige Frau, und alle ihre kleinen Intrigen zu durchschauen.

So sagte er denn: „Aber Ellen — würdest du mich auch dann nehmen, wenn ich wirklich so einfältig und so blind wäre, wie du es zu glauben scheinst?”

Sie schüttelte ihm zuliebe den Kopf, — aber im stillen lautete die Antwort auf seine Frage: ich hätte dich auch dann genommen.


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