U. U.

Ein Bild von der Kehrseite des Soldatenlebens.
Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt” vom 16.Nov.1898,
in: „Pittsburger Volksblatt” vom 4.12.1898,
in: „Neue Hamburger Zeitung” vom 2.12.1899,
in: „Das Manöverpferd”,
in: „Der schwerfällige Major” und
in: „Aus Heer und Marine”


In einer Instruktionsstunde war es einmal. Die Rekruten, die am Tage vorher erst in die Armee eingestellt waren, waren zum Unterricht angetreten und warteten des Herrn Lieutenants, der da kommen sollte, um seinen Zöglingen die Kriegsartikel vorzulesen. Statt des Offiziers erschien aber der Herr Feldwebel und mit gelassener Stimme sprach er das große Wort: „An Stelle des Herrn Lieutenant, der anderweitig dienstlich beschäftigt ist (in Wirklichkeit lag der Offizier, der in der Kaserne wohnte, mit einem grausamen Jammer im Bett und konnte sich nicht rühren), werde ich Euch die Kriegsartikel vorlesen. Was die Kriegsartikel sind, weiß natürlich Keiner von Euch, ich will es Euch sagen. Sie sind die Stütze der Armee. Ohne Kriegsartikel gibt es kein Vergehen, ohne Vergehen gibt es keine Strafe — Strafe aber muß sein. So, nun wißt Ihr, was die Kriegsartikel bedeuten und nun schreibt sie Euch gefälligst hinter die Ohren, sonst thue ich es!”

Auf kurze und bündige Art war mit diesen Worten den jungen Soldaten Achtung und Ehrfurcht vor dem Gesetz eingeflößt — wenn Keiner sich etwas zu Schulden kommen lassen würde, konnte der Feldwebel hoffen, dem Staat durch seine Rede gute Untergebene gewonnen zu haben.

Die Zahl der Untergebenen ist beim Militär weit größer als die der Vorgesetzten, trotzdem können aber nur Thoren behaupten, daß es nicht viel zu viel Vorgesetzte gibt. Am glücklichsten ist bekanntlich der Mann zu preisen, der als sein eigener Herr im Besitz einer jährlichen Rente von hunderttausend Mark durch das Leben wandelt, weniger glücklich ist schon derjenige, der Einen über sich hat, dessen Anordnungen er sich fügen muß, am unglücklichsten aber ist der, der nicht Einen, sondern Unzählige über sich hat. So kommt es, daß man beim Militär selten oder nie seines Lebens froh wird. Die Vorgesetzten werden, wie Jeder nicht weiß, der nie Soldat war, in fünf Klassen eingetheilt, in Generale, Stabsoffiziere, Hauptleute (bei der Kavallerie Rittmeister genannt), in Subaltern–Offiziere und in Unteroffiziere. Diese Eintheilung ist in jedem Instruktionsbuch zu finden.

Die Untergebenen werden in zwei Klassen eingetheilt: in die bequemen Untergebenen und die unbequemen Untergebenen. Diese Eintheilung ist in keinem Instruktionsbuch zu finden, aber sie besteht dennoch . . . .

Der Herr Hauptmann von Bottwitz soll am nächsten Tag seine von dem Gesetz vorgeschriebene alljährliche Offiziers–Aufgabe machen. Der Herr Oberstlieutenant, der die Pflicht hat, den Auftrag zu stellen, hat in einer schlaflosen Nacht sich eine wundervolle Aufgabe ausgedacht, mit der er sicher den Beifall des Herrn Oberst finden wird. Bei der Kritik wird nämlich nicht nur die Lösung der Aufgabe, sondern auch die Aufgabe selbst besprochen, und es ist schon manchmal vorgekommen, daß der Herr Oberst bei der Kritik sagte: „Ja, Herr Oberstlieutenant, die Aufgabe hätte ich auch nicht lösen können”, und dann ist es doch ganz klar, daß die Aufgabe schlecht gestellt war, denn daß es etwas gibt, was der Herr Oberstlieutenant könnte, was der Herr Oberst aber nicht kann, das gibt es doch einfach nicht. Wenn der Herr Oberstlieutenant aber selbst den Auftrag nicht erfüllen kann, den er einem Anderen gibt, dann ist das sehr traurig.

Dieses Mal ist der Herr Etatsmäßige sehr mit sich zufrieden und er sieht dem morgigen Tage mit der größten Seelenruhe entgegen, lieber wäre es ihm natürlich, wenn der morgige Tag erst vorüber wäre, denn wissen kann man ja nie, wie solche Sache abläuft. Da erhält der Lenker der Schlacht die Meldung, daß der Herr General morgen der Uebung beiwohnen werde, und der Herr Oberst läßt sagen, er erwarte bestimmt, daß morgen Alles „klappen” werde.

Der Herr Etatsmäßige gerieth in die größte Aufregung: es soll Alles „klappen”, es wird sogar bestimmt erwartet, daß Alles klappt, das ist viel leichter gesagt, als gethan, er kann doch schließlich nichts dafür, wenn die Sache morgen schief geht, er wenigstens doch nicht allein, der Hauptmann ist doch eigentlich und uneigentlich derjenige, der die Sache machen muß. Ja, wenn er sicher wäre, daß der Herr Hauptmann das Gefecht so machen würde, wie er, der Herr Oberstlieutenant sich das dächte, dann würde der Erfolg, ein großartiger Erfolg nicht ausbleiben. Aber so ist der Ausgang doch immer zweifelhaft.

Da kommt ihm ein wahrhaft genialer Gedanke. Er ruft seinen Burschen und befiehlt ihm, zu Herrn Hauptmann von Bottwitz zu gehen: Der Herr Hauptmann möchte doch, wenn er im Laufe des Nachmittags „zufällig” vorbeiginge, einen Augenblick zu ihm, dem Herrn Oberstlieutenant, heraufkommen.

Der Bursche geht fort und der Herr Etatsmäßige frohlockt; das war einmal wieder ein gescheiter Gedanke, wenn der Hauptmann kommt, wird er mit ihm über die morgige Uebung sprechen, natürlich nur ganz im Allgemeinen, aber wenn der Hauptmann schlau ist, wird er doch aus seinen Worten herauslesen können, worauf es morgen ankommt.

Nach einer halben Stunde kommt der Bursche wieder: „Der Herr Hauptmann ließe sagen, es thäte ihm sehr leid, er ginge heute nicht „zufällig” an der Wohnung des Herrn Oberstlieutenant vorbei.”

Das ist stark! Der Herr Etatsmäßige ist außer sich, wie kommt der Hauptmann dazu, nicht „zufällig” vorbeizugehen, wenn man extra den Burschen hinschickt, um fragen zu lassen? Das ist ja unerhört! Er könnte dem Hauptmann ja den Befehl schicken, zu ihm zu kommen, aber das wagt er nicht, das sieht so aus, als wenn ihm etwas daran läge, mit dem Hauptmann zu sprechen. Na, und davon kann doch keine Rede sein, ihm persönlich ist es ja ganz gleichgültig, wie das Gefecht verläuft, aber lieber wäre es ihm natürlich, wenn es so käme, wie er es sich dächte.

Am nächsten Morgen ziehen die Truppen in den Kampf.

In frühester Morgenstunde rückt der Feind ab, gegen den Bottwitz kämpfen soll. Auch der Gegner in der Stärke einer Kompagnie wird von einem Hauptmann geführt: für den braucht der Herr Oberstlieutenant sich aber nicht zu beunruhigen, dessen Auftrag ist so klar und einfach, daß ein Mißlingen ausgeschlossen ist. Der Gegner wird eine ihm genau bezeichnete Stelle durch Vorposten sichern, das kann Jeder, zumal wenn man schon im Voraus genau weiß, wo in Folge alter Tradition und Ueberlieferung die einzelnen Posten zu stehen haben.

Als zwei Stunden später die Kompagnie des Hauptmanns von Bottwitz abrückt, erscheint der Herr Oberstlieutenant auf dem Kasernenhof.

„Nun, Herr Hauptmann, haben Sie Ihren Auftrag schon gelesen?”

„Nein, Herr Oberstlieutenant, auf dem Couvert steht: zu öffnen auf dem Rendez–vous–Platz. Das haben der Herr Oberstlieutenant selbst so bestimmt.”

Natürlich weiß der das ganz genau, dennoch sagt er: „Richtig, richtig, das hatte ich ja ganz vergessen. Na, dann auf Wiedersehen auf dem Rendez–vous–Platz.”

„Mir wäre es lieber, ich sähe Dich nicht wieder,” denkt der Untergebene, „man merkt es Dir an, wie aufgeregt Du bist, das könnte ansteckend wirken und das ist nicht gut.”

Aber die Wünsche der Untergebenen erfüllen sich selten oder nie.

Als die Kompagnie auf dem Rendez–vous–Platz anlangt, wartet dort bereits der Herr Etatsmäßige. Der Hauptmann läßt halten, die Gewehre zusammensetzen, die Leute forttreten, steigt vom Pferde, sieht nach der Uhr, zündet sich eine neue Cigarre an und geht gemüthlich auf und ab.

Von dem Oberstlieutenant nimmt er gar keine Notiz und das ärgert diesen ganz gewaltig.

„Nun, Herr Hauptmann, haben Sie Ihren Auftrag schon gelesen?”

„Noch nicht, Herr Oberstlieutenant, es fehlen noch drei Minuten an der befohlenen Zeit.”

Der Herr Oberstlieutenant zieht seine Uhr hervor: „Sie irren sich, Herr Hauptmann, nach der Kriegsuhr ist es bereits zwei Minuten über die befohlene Zeit.”

„Mit welchem Recht Du Deine Uhr die „Kriegsuhr” nennst, ist mir nicht ganz klar,” denkt der Hauptmann, „vielleicht weil im Krieg hin und wieder die Uhren verglichen werden, um ein gleichzeitiges Handeln zu veranlassen. Mich geht's ja aber nichts an.”

„Bitte, Herr Hauptmann, lesen Sie jetzt Ihren Auftrag!”

Der thut, wie ihm geheißen, nimmt den Auftrag und die Karte hervor, überlegt sich die Gefechtslage und die zu gebenden Befehle und steckt dann die Papiere wieder in die Satteltasche.

„Nun?”

Der Herr Oberstlieutenant vergeht beinahe vor Ungeduld.

„Der Herr Oberstlieutenant befehlen?”

„Ich meine — hm, hm — es wäre mir lieb zu erfahren, wie Sie Ihren Befehl auffassen? Wie ist nach Ihrer Meinung die Situation?”

„Sehr einfach!” lautet die Antwort.

Der Herr Oberstlieutenant rutscht vor Ungeduld in seinem Sattel hin und her, daß der Gaul nicht übel Lust zeigt, seinen Herrn abzusetzen.

„Sehr einfach! Ds dürfte doch wohl kaum die richtige Antwort auf meine Frage sein. Wollen Sie mir Ihre Auffassung nicht etwas ausführlicher auseinandersetzen?”

Der Hauptmann sieht nach der Uhr: „Ich bitte an die Gewehre gehen zu lassen, um die Leute zu instruiren und dann antreten zu können.” Und ohne die Antwort abzuwarten, kommandirt er: „An die Gewehre!”

Der Herr Oberstlieutenant gibt seinem Gaul, der nicht ruhig stehen will, einen starken Hieb mit der Reitgerte, und der Gaul sagt sich: „Der Hauptmann soll eigentlich die Prügel haben und ich bekomme sie, es ist die alte Geschichte: der Unschuldige muß leiden.”

Mit klarer, deutlicher Stimme theilt der Hauptmann seinen Unteroffizieren, Offizieren und Mannschaften den Auftrag mit, setzt ihnen die Gefechtslage auseinander und gibt dann seine Befehle.

Aufmerksam, mit der Karte in der Hand, lauscht der Herr Etatsmäßige und plötzlich fällt er beinahe vor Schrecken vom Pferde: der Hauptmann hat eine Lösung der Aufgabe gefunden, auf die er selbst gar nicht gekommen ist und er ist doch Oberstlieutenant.

„Herr Lieutenant, treten Sie sofort mit der Spitze an.”

„Noch einen Augenblick, meine Herren!” ruft der Oberstlieutenant, „bitte noch eine Minute. Ich möchte mir noch eine Bemerkung erlauben, dürfte ich Sie bitten, sich einen Augenblick zu mir zu bemühen, Herr Hauptmann!”

Der Hauptmann kommt dem Wunsche des Vorgesetzten nach und nun redet dieser auf ihn ein: „Ihren Anordnungen stimme ich vollkommen bei, Herr Hauptmann, aber bitte überlegen Sie sich Ihren Auftrag doch noch einmal. Mir will es scheinen, als ob es noch eine andere Lösung gäbe, die einfacher ist und schneller zum Ziel führt.”

Selbstverständlich ist der Herr Oberstlieutenant fest davon überzeugt, daß seine Lösung die allein richtige ist.

„Sehen Sie sich einmal das Gelände hier an,” fährt der Etatsmäßige fort und deutet auf einen Punkt der Karte, „vielleicht kommen Sie dann doch zu einem andern Entschluß. Sie sollen Ihren Auftrag erfüllen, ich nicht, natürlich liegt mir nichts ferner, als Ihnen irgendwelche Vorschriften machen zu wollen, aber überlegen Sie sich Ihren Entschluß doch noch einmal! Was meinen Sie z.B., wenn Sie nicht die linke, sondern die rechte Flanke des Feindes anzugreifen sich entschlössen? Machen Sie es, wie Sie es für richtig halten, ich lasse Ihnen noch zehn Minuten Zeit, dann treten Sie bitte an, ich reite inzwischen zu der anderen Partei.”

Er sprengt im Galopp davon und reitet nach der anderen „coté–Seite”, wo der Herr General, der Herr Oberst und sämmtliche als Zuschauer befohlenen berittenen Offiziere der Dinge harren, die da kommen sollen. Wären die Hauptleute und die Adjutanten allein, so würden sie sich die Zeit damit verkürzen, sich mehr oder weniger faule Anekdoten zu erzählen — jetzt aber heucheln sie großes Dienst­interesse, lauschen mit Andacht den Worten des Herrn Generals, der seine Ansicht über die heutige Uebung auseinandersetzt, und thun so, als wenn sie für weiter nichts auf der ganzen Welt das geringste Interesse hätten.

Und der Herr General freut sich über seine andächtigen Zuhörer, und je andächtiger sie lauschen, desto länger spricht er.

So geht eine Stunde dahin. Der Herr Oberst hat schon zu wiederholten Malen heimlich nach der Uhr gesehen und mit seinem Fernglas das ganze Gelände abgesucht, leider ohne das Geringste zu entdecken.

Er wirft dem Herrn Oberstlieutenant einen fragenden Blick zu. Der drängt sein Pferd dicht an das des Vorgesetzten heran und sagt: „Hauptmann von Bottwitz muß jeden Augenblick kommen.”

Und der Herr Oberst antwortet mit einem Blick, der da zu sagen scheint: „Ich will es ihm und Ihnen wünschen!”

„Das dauert ja sehr lange!” sagt da ganz unvermittelt der General.

Der Lenker der Schlacht fällt beinahe in Ohnmacht: „Die Südpartei hat einen sehr weiten Weg, Herr General!”

„Na, das mag sein, aber warum ist denn der Weg so weit? Das haben Sie doch selbst bestimmt, Sie haben doch die Uebung angelegt, Herr Oberstlieutenant.”

Nichts ist thörichter, als sich Vorgesetzten gegenüber rechtfertigen zu wollen — hat man einen Tadel bekommen, so soll man ihn ruhig auf sich sitzen lassen, sonst werden leicht aus dem einen zwei.

Auch der Herr Oberstlieutenant sieht, leider zu spät, ein, daß es besser gewesen wäre, zu schweigen.

„Wenn der Herr General gestatten, werde ich einmal zu der Nordpartei reiten und fragen, welche Nachrichten sie über den Vormarsch der Südpartei hat.”

„Bitte, bitte,” erwidert der Herr General, „lassen Sie sich durch mich absolut nicht stören, thun Sie, was Sie für richtig halten!”

Und der Herr Oberstlieutenant hält es für das Richtigste, sich vorläufig den Augen der höheren Vorgesetzten zu entziehen.

Er jagt davon; bei der Nordpartei wird er sich von dem ausgestandenen Schrecken erholen können, aber er täuscht sich. Als er bei Nord ankommt, hört er, daß Süd zwar im Vormarsch sei, aber nicht auf dem Weg, den der Oberstlieutenant dem Hauptmann von Bottwitz „zur Erwägung anheimgestellt hat”, sondern auf dem Weg, den der Hauptmann zuallererst einzuschlagen beschlossen hatte. Den Hauptmann von Bottwitz soll der Teufel holen!

„Das ist eine schöne Geschichte,” denkt der Etatsmäßige, „nun können wir noch lange warten, ehe es zum Gefecht kommt. Außerdem müssen die Zuschauer und unter ihnen der Herr General und der Herr Oberst sich nach einem anderen Punkt im Gelände begeben, denn da, wo sie jetzt sind, sehen sie nichts. Na, auf die Kritik kann der Hauptmann sich freuen. Ich weiß gar nicht, was denkt der Hauptmann sich eigentlich? Wenn ich ihm den Weg nahe lege, auf dem er gehen soll, dann hat er da gefälligst zu gehen. Das wäre ja immer schöner, wenn Jeder thäte, was er wollte, nein, mein sehr verehrter Herr Hauptmann, das gibt es nicht. Vorläufig aber bin ich begierig, wie die Sache endet.”

Das Ende beginnt damit, daß der Herr General, dem die Sache zu lange dauert, mit seinem Adjutanten nach Haus reitet. Der Herr Oberst sieht ihm mit einem sehr langen Gesicht nach, der Herr Oberstlieutenant mit einem noch viel längeren. Der Herr Etatsmäßige merkt es, daß der Herr Oberst ihm gleich sehr grob werden wird, es gilt, das Unheil abzuwenden. Anstatt zu warten, bis er gerufen wird, galoppirt er zu dem Herrn Oberst hin:

„Ich bitte gehorsamst melden zu dürfen: Schuld hat allein der Wandersmann, ich meine natürlich: der Hauptmann von Bottwitz,” — und er erzählt, was er Alles geplant und gethan hat, um das Unglück abzuwenden und wie er schuldloser sei, als ein neugeborenes Kind, daß es dennoch gekommen sei.

Aufmerksam lauscht der Herr Oberst, und als die beiden Parteien endlich ihr Gefecht beendet haben, wird der Führer der Südpartei derartig heruntergemacht, daß kein Haar mehr an ihm bleibt, von einem „guten Haar” gar nicht mehr zu sprechen. Zu Hause angekommen, geht der Herr Oberst zuerst in sein Arbeitszimmer und zieht unter seiner Chaiselongue einen geheimnißvollen Kasten hervor. Es ist nur eine unscheinbare kleine Holzkiste, aber sie birgt und enthält das Schicksal Vieler, die Conduiten der Offiziere. Was in den Conduiten steht, ist streng geheim, das bekommt selbst der Regiments–Adjutant nicht zu sehen.

Der Herr Oberst greift in die Tasche, holt einen kleinen Schlüssel heraus, schließt das Vorlegeschloß auf, nimmt die Papiere heraus, sucht den Bogen, der die Ueberschrift trägt, Hauptmann von Bottwitz und studirt eifrig, was er früher über diesen geschrieben hat. „Sehr befähigter Offizier. Hm, hm. Gewiß ja, aber, aber —”

„Strafe muß sein,” sagte der Herr Feldwebel.

Einen Augenblick zögert der Herr Oberst noch, dann ergreift er die Feder und schreibt mit fester Hand „UU.”, das heißt: unbequemer Untergebener.

So, Herr Hauptmann, da hast Du Deinen Klecks, den wirst Du in den ersten Jahren nicht wieder los, und es ist sehr die Frage, ob Du ihn überhaupt je wieder los wirst, viel wahrscheinlicher ist es, daß Du trotz Deiner Fähigkeiten an diesen beiden „U.U.” zu Grunde gehst. Mit Mißtrauen werden die höheren Vorgesetzten Dich fortan betrachten, man wird Dich beständig im Auge behalten, und was Du sagst und thust, wird Keinem der Höheren verborgen bleiben. Unbequeme Untergebene hat kein Vorgesetzter gern unter sich, die sucht man so bald wie möglich los zu werden. Unbequeme Untergebene haben ihre eigene Meinung und Ansicht, sie tanzen nicht ohne Weiteres nach der Pfeife, die ein Höherer spielt, sie erlauben sich sogar, den Weisungen der Vorgesetzten Widerstand, wenn auch nur passiven, entgegenzusetzen, und das geht nicht.

Armer Hauptmann von Bottwitz, Du thust mir leid und wenn ich könnte, würde ich die beiden „U” wieder ausradiren. Ich habe Mitleid mit Dir, obgleich Du Dein Geschick selbst verschuldet hast: Warum gingst Du gestern nicht „zufällig” bei der Wohnung des Herrn Oberstlieutenants vorbei? Warum wähltest Du heute Morgen nicht den Weg, auf den er Dich fast mit der Nasenspitze stieß? Du hattest die Ueberzeugung, daß Deine Anordnungen besser waren als die des Etatsmäßigen, der Erfolg gab Dir Recht, trotzdem wurdest Du bei der Kritik getadelt. Es falsch zu machen, wäre in diesem Falle richtiger gewesen. Wie kannst Du nur so obstinat sein und auf Deinem Willen bestehen! Du bist so klug und weißt nicht einmal, daß die bequemen Untergebenen, diejenigen, die nie anderer Ansicht sind als die Vorgesetzten, die zu allem „Ja” und „Amen” sagen, daß diese die beste Carrière machen; das weißt Du und Du widersprichst dennoch? Das war nicht schlau von Dir, Oktavio, im Gegentheil, es war „u. u.” — ungeheuer unpraktisch!


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© Karlheinz Everts