Zeit- und Unzeitgemäßes.

(Harmlose Plaudereien.)

Menschen, Hunde, Affen und andere Tiere.

Von Freiherr v. Schlicht.
in: Allg. Thür. Landeszeitung Deutschland vom 6.August 1925.

Es gab eine Zeit, da hielt man mich für einen großen Hundefeind. Es wäre mir ein leichtes gewesen, mich gegen diesen ungerechten Vorwurf zu verteidigen, aber ich habe mir Gott sei Dank noch nie etwas aus dem gemacht, was die Mistmenschen, ich wollte natürlich sagen Mitmenschen, über mich an Unsinn, Gemeinheiten und sonstigen erbaulichen Dingen klatschen, sonst hätte ich mich schon längst aufhängen müssen und steckte als längst verbrannte Leiche den Mistmenschen (was hat meine Feder denn nur heute, daß sie immer ein „s” zu viel schreibt) meine Zunge auch heute noch so weit aus, wie sie es verdienen.

Laßt die Leute reden, was sie wollen, und wie gesagt, ich ließ sie reden, als man mich für einen Hundefeind hielt. Das war ich nie und so leide ich mit den armen Kötern wegen der über sie verhängten Sperre. Insonderheit leide ich da mit meinem Freund Bodo, meinem Schäferhund, aber er selbst leidet natürlich am meisten darunter, und so knurrte er neulich abends, als er bei mir im Zimmer lag: „Nennt man das nun eine Gerechtigkeit Gottes und der Menschen auf Erden?”

„Ich weiß nicht, was du damit meinst, Bodo,” gab ich zur Antwort. „Im übrigen ist es mit der Gerechtigkeit so 'ne eigene Sache, die gehört auch zu jenen Dingen, an die man glauben muß, auch wenn man sie nicht sieht und nichts von ihr bemerkt. Aber vielleicht kann ich dir trotzdem deine Frage beantworten, wenn ich weiß, was dich zu der veranlaßte.”

„Ist das eine Gerechtigkeit Gottes und der Menschen auf Erden,” knurrte Bodo weiter, „daß die Sperre über uns arme Hunde immer noch nicht ganz aufgehoben, sondern nur dahin abgeändert ist, daß wir nicht mehr mit Maulkorb und Kette, sondern nur mit der einen oder dem anderen auf die Straße gehen müssen, nur weil die hohe Obrigkeit die Gewalt über uns hat.”

„Das hat die leider Gottes immer,” unterbrach ich ihn, „dagegen sind wir machtlos und deshalb tut man als braver Bürger und als braver Hund am besten, wenn man das Maul und die Schnauze hält. Das war schon immer die erste Bürgerpflicht, und wenn es damit in den letzten Jahren auch etwas besser geworden ist.”

Doch das Thema schien Freund Bodo nicht sonderlich zu interessieren, denn er bellte mich an: „Darüber können wir uns, wenn es dir Spaß macht, ein andermal unterhalten. Mich persönlich beschäftigt etwas anderes, nämlich die Frage, warum die hohe Obrigkeit nur über uns Hunde die Sperre verhängt. Wir sind doch nicht die einzigen Tiere, die die Menschen mit auf die Straße nehmen, oder die sie um sich haben, und die anderen können doch ebensoviel oder noch mehr Unheil anrichten.”

Überrascht blickte ich auf: „Das verstehe ich nicht, Bodo, was meinst du da für andere Tiere?”

„In erster Linie den Affen,” klärte er mich auf. „Erinnerst du dich nicht noch des riesengroßen Gorilla-Affen, den neulich abends, als wir von unserem späten Speziergang zurückkamen, ein total Betrunkener, um nicht zu sagen, ein viehisch Besoffener, nach Hause brachte? Was nun, wenn der Affe dort zu toben anfing, wenn der um sich schlug und vielleicht sogar biß? Hast du letzthin nicht in der Zeitung gelesen, daß der Affe, den ein Mensch damals in seinem Kopf hatte, im Streit einem Freunde, der ihn zur Vernunft bringen wollte, den Daumen der rechten Hand abbiß, und hast du schon jemals gelesen, daß unsereins so etwas tat? Gewiß, auch wir beißen, aber wir beißen nicht ab, und ich persönlich beiße doch überhaupt nur, wenn du mir das befiehlst.”

„Dafür hast du aber leider Gottes die schlechte Angewohnheit,” schalt ich ihn, „mit Vorliebe jungen Mädchen an die Beine zu fahren.”

Bodo lachte, daß er sein starkes, schneeweißes Gebiß zeigte: „wenn die jungen Mädchenbeine hübsch sind, warum nicht? Ich tue ihnen dabei doch nicht weh, und im übrigen glaube ich, habe ich meine Vorliebe für schöne Mädchenbeine etwas von dir übernommen, denn —”

„Willst du infamer Köter wohl still sein?” gab ich ihm eins auf die Schnauze, und nach einer kleinen Pause setzte ich hinzu: „Darin, daß ein Mensch viel Unheil anrichten kann, wenn er einen Affen hat, stimme ich dir ganz bei, aber dagegen ist von seiten der hohen Obrigkeit schwer etwas zu machen, denn das ist dann doch gar kein wirklicher Affe.”

„Aber wir sind doch auch gar nicht wirklich tollwütig oder tollwutverdächtig,” schalt Bodo. „Es soll doch nur irgendwo tollwutverdächtige, beinahe hätte ich gesagt, Kollegen und Kolleginnen geben, oder gegeben haben. Aber um auf besagten Affen zurückzukommen, was kann der nun erst für Unheil anrichten, wenn der sich am nächsten Morgen in einen Riesenkater verwandelt, für den selbst der größte Bismarckhering noch lange nicht groß genug gewachsen ist. Damit, daß der Kater vielleicht die Zeit für den Dienst verschläft, fängt es häufig an, dann kommt, wenn der Chef vielleicht auch einen Kater hat und schlechter Laune ist, sofortige Entlassung. Es folgen in der Familie Not und Sorgen, aus denen sich Streitigkeiten ergeben, denn natürlich wird die Frau dem Kater des Mannes Vorwürfe machen, und er wird sich um so mehr dagegen verteidigen, je mehr er einsieht, daß die Frau mit allem, was sie sagt, recht hat. Und manchem ehelichen Streit ist schon die Ehescheidung gefolgt.”

„Ein kluger Mann hat einmal behauptet, die geschiedenen Ehen wären die glücklichsten,” klärte ich Freund Bodo auf.

„Das kann ich nicht beurteilen,” warf er ein, „da ich ja unverheiratet bin und es auch bleiben werde. Jedenfalls aber hat der Franzose Balzac wohl recht, wenn er sagt, die Ehe ist eine Wissenschaft, die man vor der eigenen Ehe in anderen Ehen gar nicht genug studieren kann.”

„Seit wann liest du denn Balzac?” fragte ich verwundert, „der ist für dich mit deinen zwei Jahren eine durchaus unpassende Lektüre, und wenn du noch einmal heimlich an meinen Bücherschrank gehst —”

„Das tue ich doch nie,” verteidigte Bodo sich, „und den vorhin erwähnten Satz las ich in dem Stück Papier, in das der Fleischer das Ende Wurst für mich eingewickelt hatte. Nebenbei bemerkt, könnten die Schlachter für die Ware, die sie uns verkaufen, auch ruhig anderes Papier nehmen, denn wir schmecken die Druckerschwärze auch. Aber da wir doch einmal bei meiner Lektüre sind, da las ich neulich von einem Menschen, der irgendwo den Bock zum Gärtner gesetzt und dadurch großen Schaden erlitten habe. Und da möchte ich dich fragen, wie kann ein Mensch aber auch nur so dumm sein und vor allen Dingen, darf er den denn frei heumlaufen lassen? Es gibt doch auch sehr bösartige Böcke, und wenn ein solcher einem Erwachsenen oder gar einem kleinen Kinde mit seinen Hörnern zuleibe geht.”

„Aber das ist in diesem Falle doch gar kein wirklicher Bock,” schalt ich. „Du solltest dich wirklich schämen, so dumm zu sein, ich kann mich ja gar nicht mehr mit dir in gebildeter Gesellschaft sehen lassen.”

Doch mein Tadel ließ Freund Bodo ganz kalt, denn nur auf meine ersten Worte eingehend, meinte er: „Aber wenn das gar kein wirklicher Bock ist, wie kann er da Schaden anrichten und wie sollen wir armen Hunde das wohl können, da wir doch gar nicht wirklich tollwutverdächtig sind.”

„Da mußt du die hohe Obrigkeit fragen,” gab ich zur Antwort.

Aber Bodo lachte sich eins: „Da müßte ich doch verrückt sein, denn du kennst aus früheren Zeiten ja auch das Wort: Gehe nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst. Und da soll ich ungerufen auf das Rathaus gehen und mich dort dadurch unbeliebt machen, daß ich eine eigene Ansicht habe? In der Hinsicht kann ich mich beherrschen, und was wäre auch nur die Folge? Daß man dir für meine Frechheit, denn frech und unverschämt ist man bekanntlich immer, wenn man nicht das sagt, was man sagen soll, also da würde man dir zur Strafe für mich nur noch mehr Steuern aufbrummen, als du ohnehin schon für mich bezahlen mußt. Ne, lieber halt ich die Schnauze, und frage dich statt denen noch eins. Wie ist denn das eigentlich, wenn einer mit einem anderen ein Hühnchen rupfen will? Bringt da der eine dem anderen ein Hühnchen zum Rupfen mit oder hält der eins zum Gerupftwerden bereit? Und es gibt doch auch kranke Hühner, ganz abgesehen davon, daß sie sehr viel Ungeziefer haben, das sich leicht auf die Menschen überträgt. Und die Hühner dürfen frei herumlaufen, während wir armen Hunde —”

Ich rang verzweifelt die Hände: „Aber Bodo, du dummes Luder, bei diesem Hühnergerupfe wird doch gar kein wirkliches Hühnchen gerupft.”

„Aber wir sind doch auch gar keine wirklich tollwutverdächtigen Hunde,” knurrte Bodo weiter vor sich hin. Dann lag er eine ganze Weile nachdenklich da, bis er sich plötzlich mit den Vorderbeinen so energisch kratzte, daß ich ihm zurief: „Schäme dich, du infamer Kanarienvogel.”

Einen Augenblick sah er mich ganz erstaunt an, bis er mir zuknurrte: „Ne, was du meinst, das ist nicht und außerdem habe ich doch erst gestern abend gebadet und bin am ganzen Körper abgeseift worden. Ne, aus dem Grunde, den du meinst, kratzte und juckte ich mich wirklich nicht, sondern nur weil ich nachdachte, und da hat sich mir eine Frage aufgedrängt.”

„Und die lautet?” fragte ich neugierig.

Da legte Freund Bodo seinen Kopf auf meine Knie, damit ich ihn streichle, und während ich das tat, rief er mir in seiner Hundesprache zu: „Wenn all die anderen Tiere, von denen ich dir vorhin sprach, gar keine wirklichen Affen, Kater, Böcke und Hühnchen sind, bin ich denn da überhaupt ein wirklicher Hund?”

Da legte Freund Bodo seinen Kopf auf meine Knie, damit ich ihn streichle, und während ich das tat, rief er mir in seiner Hundesprache zu: „Wenn all die anderen Tiere, von denen ich dir vorhin sprach, gar keine wirklichen Affen, Kater, Böcke und Hühnchen sind, bin ich denn da überhaupt ein wirklicher Hund?”

Darauf blieb ich die Antwort schuldig, weil ich die im Augenblick nicht wußte. Da lief er davon, um Maulkorb und Kette zu holen, damit ich mit ihm spazieren ginge. Aber kaum hatte er beides vor mich hingelegt, da schüttelte er, über seine eigene Vergeßlichkeit verwundert, den Kopf und trug die Kette wieder dahin, woher er sie geholt hatte, weil ihm noch rechtzeitig eingefallen war, daß er beides nun nicht mehr zu tragen brauche. Gleich darauf ließ er sich den Maulkorb anlegen.

Und da sah ich ein, er war wirklich ein Hund und nur ein Hund, denn wir Menschen tragen ja lieber unsere, wenn auch unsichtbare Kette, als einen Maulkorb, obgleich es für die meisten, sowohl in ihrem eigenen Interesse wie in dem der Allgemeinheit sehr viel besser wäre wenn sie den trügen, damit sie nicht beständig ihr M. . .  soweit aufreißen können, wie sie das mit besonderer Vorliebe und ganz besonderem Wohlbehagen gerade dann tun, wenn es sich um Dinge handelt, die sie absolut nichts angehen, oder von denen sie noch sehr viel weniger als gar nichts verstehen.


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© Karlheinz Everts