Frau Carlas Umzug.

Eine Geschichte, die einmal wahr werden kann.
Von Freiherr von Schlicht
in: „Lüner Zeitung” vom 8.9.1923,
in: „Velberter Morgen-Zeitung” vom 8.9.1923,
in: „Aachener Anzeiger” vom 12.9.1923,
in: „Velberter Zeitung” vom 21.9.1923,
in: „Münstersche Zeitung” vom 18.11.1923,
in: „Stralsundische Zeitung”, Sonntagsbeilage vom 2.Dez. 1923,
in: „Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung” vom 17.1.1924


Das Mieteinigungsamt hatte dem Antrag des Hauswirtes auf Kündigung stattgegeben, und der seit mehr als fünf Jahren mit seiner jungen, blonden, immer lustigen Frau Carla in glücklichster Ehe lebende Maler Kleinmichel sollte und muß:te auf höheren Befehl zum nächsten Quartalsersten ausziehen. Die Gründe, die das Mieteinigungsamt veranlaß:t hatten, allen zum Schutz der Mieter bestehenden Bestimmungen entgegen die Kündigung auszusprechen, waren nach Meinung des Maler nicht eine Sekunde haltbar, aber in Wirklichkeit muß:te die Sache doch wohl anders liegen. Warum man gekündigt worden war, blieb sich ja schließ:lich gleich, darüber jetzt noch viel nachzudenken, hatte keinen Zweck. Viel wichtiger war die Frage nach einer neuen Wohnung, und als ihr Hans mitteilte, eine solche sei ihm schon gleich heute bei der Verkündigung des Urteils von dem Amt zu ihrem Umzugstermin angegeben worden, da atmete Frau Carla, die die ausgesprochene Kündigung im stillen doch viel schwerer genommen hatte, als sie es ihrem Hans, der ohnehin so nervös und erregt war, gezeigt, erleichtert auf und meinte lachend und übermütig: „Na, Hans, dann ist die Sache nicht halb so schlimm, wie sie im ersten Augenblick für dich aussah. Warte es nur ab, ich werde die neue Wohnung mit unseren hübschen Sachen schon wieder behaglich einrichten, und du wirst dort ebenso gut arbeiten und schaffen können wie hier, denn in Zukunft fällt der beständige Aerger über unseren Hauswirt fort, der immer glaubte, verhungern zu müssen, wenn du die Miete nicht pünktlich auf die Minute zahltest, und der nichts, aber auch gar nichts mehr in unserer Wohnung machen ließ:.”

„Und wovon sollen wir den Umzug bezahlen?” knurrte ihr Mann, der sich als freier Künstler in dieser schweren Zeit recht und schlecht duch das Leben schlug. „Hast du eine Ahung, was das kosten wird? Das geht in die Millionen, wenn nicht gar in die Bill- und Trillionen. Das habe ich den Leuten auf dem Mieteinigungsamt auch klarzumachen versucht und sie gefragt, woher ich das Geld nehmen soll, denn ich bin doch keine Notenpresse, und wenn ich eine wäre, dürfte ich nicht einmal Tag und Nacht darauflosdrucken, sondern erhielte als Belohnung für einen Fleiß:, de ich da entwickeln würde, ein paar Monate Zuchthaus.”

Ohne allzu genau auf das hinzuhören, was ihr Mann da alles erzählte, ließ: Frau Carla ihn ruhig zu Ende sprechen, denn das Wort „Umzugskosten” war ihr, ohne daß: sie es allerdings nach auß:en hin irgendwie verriet, doch nicht schlecht in die schlanken Glieder gefahren. Was ihr Hans von Bill- und Trillionen sprach, war selbstverständlich ein Unsinn, aber Millionen würde der Umzug sicher kosten, und woher sollten sie die nehmen? Ja, wenn ihr Hans berühmt wäre und für seine Bilder und Stiche dementsprechend bezahlt würde, läge die Sache anders. Und es gab ja noch ein anderes Mittel, um fabelhafte Honorare zu erzielen. Da hatte sie letzthin in der Kunsthandlung ein Bild ausgestellt gesehen, das dreihundertundfünfzig Millionen kostete, aber als sie den Namen des Malers entziffert hatte, da wuß:te sie auch, warum der für seine Arbeiten solche Preise erzielte, einzig und allein, weil er schon seit ein paar Jahren tot war. Nein, da sollte ihr Hans lieber weiter so schlecht bezahlt werden wie bisher, nur leben sollte er, leben, leben, und in der plötzlichen Angst, sie könne ihn, den sie über alles liebte, eines Tages verlieren, fiel sie ihm jetzt um den Hals und küß:te ihn, daß: ihm der Atem verging.

„Aber Carla, Liebling, was hast du denn nur?” fragte er erfreut und verwundert zugleich, als sie ihn nun atemlos, wie auch sie sich geküß:t hatte, wieder freiließ:.

„Was ich habe, Hans?” gab sie zur Antwort, „ich —” aber nein, die Wahrheit, daß: sie eben an die Möglichkeit seines späteren Todes gedacht hatte, durfte und wollte sie nicht gestehen, und so meinte sie, ohne dabei allzuviel zu flunkern, denn das war ihr eben wirklich eingefallen: „Du Hans, ich bin ja so froh und glücklich, ich weiß:, woher wir das Geld für den teuren Umzug bekommen. Der Ausweg ist so furchtbar einfach, daß: ich mich wundere, daß: nicht auch du schon auf den verfallen bist.”

„Und der wäre?” erkundigte ihr Hans sich.

Frau Carla lachte hell und übermütig auf: „Wir werden ganz einfach etwas von unseren Sachzen verkaufen,” und als ihr Mann sie erregt unterbrechen wollte, fuhr sie rasch fort: „Das verstehst du nicht, Schatz, und mir wäre es eine groß:e Erleichterung, wenn wir einen Teil unseres, beinahe hätte ich gesagt Krams los würden. Ein Mädchen oder auch nur eine Aufwartung können wir uns ja nicht mehr halten, ich muß: alles allein besorgen. Du weiß:t, wie peinlich sauber und ordentlich ich bin, da nimmt schon das viele Reinemachen eine endlose Zeit in Anspruch, zwischendurch muß: ich auch noch die Wirtschaft besorgen, Einkäufe machen, Wäsche flicken, ja, jetzt kann ich es dir gestehen, daß: ich oft nicht weiß:, wie ich alles schaffen soll, und deshalb bitte ich dich, sei damit einverstanden, daß: wir etwas verkaufen. Dafür, daß: für die neue Wohnung, die ich mir gleich morgen ansehen will, noch mehr als genug Sachen übrig bleiben, werde ich natürlich schon sorgen.”

Frau Carlas Worte erreichten ihren Zweck, die Sorgenfalten schwanden von der Stirn ihres Hans'. Er wurde wieder lustig und guter Dinge und machte sich frohen Mutes an seine Arbeit, während er beständig dachte: Nur ein Glück, daß: du unpraktischer Mensch eine so kluge Frau hast, was sollte wohl aus dir werden, wenn du deine Carla nicht hättest?

Frau Carla aber begann als praktische Frau gleich mit dem Verkauf, sie verkaufte alles, was sie nur irgendwie entbehren konnte, und da die Preise, die sie erzielte, nicht annähernd ihren Erwartungen und Hoffnungen entsprachen, weil sie von allen Seiten betrogen, begaunert und übers Ohr gehauen wurde, verkaufte sie sogar noch mehr, als sie sich ursprünglich zu verkaufen vorgenommen hatte. Und wenn sie endlich glaubte, das Geld für den Umzug zusammen zu haben, erfuhr sie auf Befragen bei dem Spediteur, daß: die Umzugskosten schon wieder gestiegen wären, und da blieb kein anderer Ausweg, sie muß:te weiter verkaufen. Und das muß:te sie auch noch aus einem anderen Grunde. Ihrem Hans lag der bevorstehende Auszug aus der Wohnung derartig in den Gliedern, daß: ihm jede Ruhe und jede Sammlung zu seiner Arbeit fehlte und daß: er immer wieder erklärte: „Sei nicht böse, Liebling, ich kann wirklich nichts dafür, ich kann erst wieder verdienen, wenn ich in der neuen Wohnung sitze, und wenn das ewige Gerenne der vielen Leute aufhört, die da alle angeblich kommen, um zu kaufen, die sich alles ansehen, und die schließ:lich doch fortgehen, ohne auch nur das geringste gekauft zu haben.”

Aber in Wirklichkeit kauften alle etwas, nur merkte ihr Hans nichts davon, da Frau Carla, praktisch und fürsorgend wie sie war, mit allen Käufern ausmachte, daß: diese die erstandenen Sachen erst einen Tag nach dem Umzug abholen ließ:en, danit ihr Hans bis dahin seine Behaglichkeit und Bequemlichkeit nicht entbehre. Und die Käufer gingen schon deshalb darauf ein, weil sie Frau Carlas Bitten natürlich benutzten, um die Preise noch mehr zu drücken, denn wer konnte wissen, in welchem Zustand sich die gekauften Möbel noch nach einigen Wochen befinden würden.

Die Preise für den Umzug stiegen von Woche zu Woche, und Frau Carla verkaufte und verkaufte, bis der Tag des Umzuges angebrochen war. Morgens um sechs Uhr sollte der Packer kommen, wie Frau Carla ihrem Mann erzählt hatte, und am Nachmittag würde der Möbelwagen die Sachen abholen.

Aber mittags um zwölf Uhr war der Packer auch noch nicht da, und Frau Carla ließ: ihren Hans, soviel er nur wollte, und er wollte viel, über die Bummelei, über die Unzuverlässigkeit und über alle anderen schlechten Eigenschaften der Leute von heute schelten und fluchen. Nur einmal wollte sie in Tränen ausbrechen, als er in seinem Ingrimm eine Vase, die sie für fünftausend Mark verkauft hatte und die sie nun aus eigener Tasche würde ersetzen müssen, an die Wand warf, daß: sie in Scherben ging. Aber dann lachte sie plötzlich hell und übermütig auf, denn sie muß:te daran denken, was ihr Hans wohl für ein entsetzlich dummes Gesicht machen würde, wenn sie ihm nun endlich, endlich gestand, daß: überhaupt kein Packer und kein Möbelwagen, die sie beide längst abbestellt hatte, kommen würde, weil sie nichts mehr zum Umziehen besaß:, da sie alles, aber auch alles, was sie ihr eigen nannte, hatte verkaufen müssen, um das Umzugsgeld zusammenzubringen.


zurück zur

Schlicht-Seite
© Karlheinz Everts