Die soziale Lage der deutschen Schriftsteller
Eine Umfrage

Freiherr von Schlicht in: „Das Blaubuch” Wochenschrift für öffentl. Leben, Literatur und Kunst vom 3. März 1910


Sehr geehrter Herr Nissen!

Da ich meinen Wohnsitz von Berlin nach Weimar verlegte, kam Ihr Schreiben vom 19. erst gestern in meine Hände, und ich beeile mich, es umgehend zu beantworten. Ich habe in dem mir übersandten Heft die Antworten von Ludwig Fulda, Wolzogen usw. über die soziale Lage der deutschen Schriftsteller voller Interesse gelesen, und ich stimme denen ganz bei, die es für unmöglichb halten, die Lage durch die Gründung eines neuen Vereins zu verbessern, denn die Zahl der Schriftsteller ist zu groß und wächst von Tag zu Tag. Und darin liegt nach meiner Meinung das Hauptübel, daß jeder, der einmal irgendwo ein kleines Feuilleton angebracht hat, sich Schriftsteller nennt, und sobald es ihm geglückt ist, mit der Schreiberei ein paar Groschen zu verdienen, ein „berufsmäßiger” Schriftsteller wird. Und gerade diesen Beruf sollte man nur dann ergreifen, wenn man nicht nur auf den Ertrag seiner Arbeiten angewiesen ist, sondern entweder über Privatvermögen verfügt oder sonstige Nebeneinnahmen hat. Gewiß lassen die Honorare selbst großer Zeitungen und Zeitschriften oft viel zu wünschen übrig, aber selbst, wenn diese verdoppelt oder verdreifacht würden, wäre vielleicht dem einen oder dem anderen, niemals aber der Allgemeinheit damit geholfen, denn es ist ganz unmöglich, daß alles gedruckt wird, was zusammengeschrieben wird.

Es wird überhaupt zu viel geschrieben, und das veranlaßt die Autoren, nur um überhaupt etwas zu verdienen, ihre Arbeiten zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Ich denke nur an die Honorare, die die Feuilleton-Korrspondenzen bezahlen. Die müßten in Acht und Bann getan werden, denn solange die Redaktionen Gelegenheit haben, Unterhaltungslektüre zu so spottbilligen Preisen zu kaufen wie jetzt, ist eine Aufbesserung der Honorare nicht zu erwarten.

Und dann die enorme Konkurrenz, die allen Schriftstellern durch die Frauen entstehen, die einen Roman nach dem anderen schreiben, um sich etwas Taschengeld zu verdienen, und die glücklich sind, wenn sie einen langen Roman für alle Zeiten und mit allen Rechten für 400 M. verkaufen, Und wenn sie gar 500 M. erhält, dann kennt ihre Freude keine Grenzen, und sie nimmt sich vor, noch fleißiger zu sein als sonst.

Allen Frauen müßte das Schriftstellern im Interesse der männlichen Kollegen bei Todestrafe verboten werden. Gegen die Konkurrenz können wir Männer nicht aufkommen.

Der Uebel größtes aber ist der Vorschuß. Ich meine das sehr ernsthaft, so angenehm es ja auch auf der anderen Seite ist, in den Stunden der Not den mit Recht so beliebten Vorschuß zu erhalten. Aber der trägt mehr als alles andere dazu bei, die soziale Lage der Schtiftsteller zu verschlechtern, der stürzt sie in Schulden, daß sie nicht ein und aus wissen, und zwingt sie, immer neue Vorschüsse zu nehmen, da sehr häufig eine Arbeit schon bezahlt ist, bevor sie abgeliefert wurde.

Herrmann Sudermann schrieb mir einmal: „Es ist jedem dichterisch schaffenden klar, daß die Phantasie nicht ein Kapital darstellt, das dauernde und nie versiegende Zinsen trägt, sondern ein abnutzbares und unaufhaltsam sich abnützendes Besitztum, mit dessen allmählichem Verfall jeder rechnen muß.” Das ist ein sehr wahres und sehr kluges Wort, das jeder Schriftsteller sich zu Herzen nehmen sollte. Aber statt dessen denkt ein jeder: So, wie es heute ist, bleibt es ewig; habe ich heute tausend Mark verdient, warum soll ich sie da morgen nicht wieder verdienen? Und in dieser frohen und freudigen Gewißheit lebt er lustig und fröhlich darauf los, gibt das verhältnismäßig leicht verdiente Geld noch leichter wieder aus, anstatt zu sparen und an die Zukunft zu denken.

Es ist meine feste Ueberzeugung, daß die Schriftsteller in erster Linie selbst daran schuld sind, wenn ihre soziale Lage zu wünschen übrig läßt. Ich persönlich habe mich wenigstens nie über einen Verleger zu beklagen gehabt, stets die Honorare erhalten, die ich verlangte, und wenn es mir trotzdem in früheren Jahren, die Gott sei Dank längst der Vergangenheit angehören, finanziell nicht zum besten ging, dann war das ganz gewiß nicht die Schuld der Verleger, sondern einzig und allein meine eigene.

Jeder Schriftsteller müßte ebenso wie jeder Verleger zu einer kaufmännischen Buchführung gezwungen sein, und ich glaube, daß sich dann seine soziale Stellung sehr bald und sehr gründlich bessern würde.


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